Die Arbeit gliedert sich in vier Teile:
- Methodische Ãœberlegungen,
- Historischer Kontext,
- Kindheit in den Enzyklopädien,
- Vergleich der Enzyklopädien.
Im zweiten Abschnitt des ersten Kapitels behandelt Lucia Amberg die Auswahl der Lemmata. Zunächst geht sie auf aktuelle Überlegungen der Kindheitsforschung ein und setzt sich mit Ansätzen zur Kindheit als Konstrukt auseinander. Dieser kompakte Überblick bezieht auch zahlreiche Literatur zu verschiedenen Gesichtspunkten des Generationsbegriffes ein. In einem weiteren Abschnitt erläutert sie kurz unter Einbeziehung der aktuellen Forschungsliteratur Aspekte der generationalen Ordnung. Solche Aspekte erkennt Amberg in den Themenfeldern Lebensalter, Erziehung, in sozialen Bezugsgrößen, Geschlecht, Leiblichkeit, Recht sowie theologischen und anthropologischen Bezügen. Diese Themen stellen die Grundlage für die spätere Analyse der Enzyklopädien dar.
Das zweite Kapitel bietet einen knappen historischen Kontext, der an der Zweiteilung Kindheit und Enzyklopädien festhält. Im ersten Teil findet sich der historische Kontext, soweit er das Verständnis von Kindheit betrifft. Als erstes geht es um die Postulate der Aufklärung. Zentrale Stichpunkte sind hier: Orientierung an der Vernunft, wissenschaftlicher Fortschritt, Verblassen der Erbsündentheorie und eine damit einhergehende Diesseitsorientierung. Im nächsten Abschnitt werden "Aspekte sozialgeschichtlicher Veränderungen" aufgeführt. Zu nennen sind hier das Entstehen des Bürgertums und damit korrespondierende Veränderungen innerhalb der Familie. Das 18. Jahrhundert galt als Jahrhundert der Aufklärung und damit auch der Erziehung. So ist es nur folgerichtig, wenn die Aufklärungsideen auch in einem pädagogischen Kontext beleuchtet werden, wobei die Autorin sich hier auf eine kurze Darstellung der Postulate von Locke und Rousseau sowie der Philanthropen konzentriert. Schließlich wird der dargestellte Wandel in Bezug auf Kindheit interpretiert, wobei Ariès einen zentralen Stellenwert einnimmt.
Der zweite Teil, der sich allgemein mit Enzyklopädien beschäftigt, bietet neben einer Begriffsgeschichte auch Ausführungen zum Thema Enzyklopädie und Öffentlichkeit. Hier werden unter Rückgriff auf die im Kapitel zuvor dargestellten Postulate der Aufklärung die Mittel der Wissensverbreitung dargestellt. Die Darstellung umfasst Themen der Entwicklung des Buchmarktes, die Verwendung der Nationalsprachen, den bequemen Zugriff innerhalb des Mediums Enzyklopädie, Zielgruppen der Nachschlagewerke und schließlich eine kurze Geschichte verschiedener Enzyklopädien.
Im folgenden dritten und mit knapp 200 Seiten umfangreichsten Kapitel kommen die Quellen zu Wort. Die Enzyklopädien werden nacheinander behandelt, wobei das Vorgehen stets ähnlich ist. Zu Beginn stellt Lucia Amberg immer eine Enzyklopädie mit ihren "technischen" Daten (vollständiger Titel, Erscheinungszeitraum, Angaben zum Autor/Herausgeber, Verbreitung und geschichtliche Informationen zur Publikation) vor. Nachfolgend werden die ausgewählten Lemmata inhaltlich anhand der im ersten Teil heraus gearbeiteten Themenfelder (Lebensalter, Erziehung, Geschlecht etc.) analysiert. Diese können nicht immer eingehalten werden, was sicherlich dem Material geschuldet ist. Festzustellen ist eine erfreuliche Textnähe und Straffung des Materials. Dabei wird leider oftmals auf Interpretationen verzichtet. Letztere wären jedoch meines Erachtens hilfreich bei der Einordnung der vorgestellten Fakten.
Eine zentrale Fragestellung der Arbeit stellte jene nach den Mechanismen und Strukturen des vermittelten Wissens dar. Diese wird jeweils unter dem Titel "Strukturierung des Wissens über Kindheit" abgehandelt. Je nach Umfang des Quellenmaterials fällt die Darstellung unterschiedlich lang aus. Zumeist werden Stichworte innerhalb der Enzyklopädien aufgesucht, die den Begriff Kind oder innerhalb des Artikels einen Verweis auf das Lemma Kind enthalten. Darüber hinaus werden auch die Verweise im Lemma Kind analysiert. So entstehen Wortfelder, durch die Kind/heit) beschrieben wird. Die Themenbereiche wie auch das Verweissystem werden von Lucia Amberg in Grafiken dargestellt und erklärt. Zum Beispiel arbeitet die Autorin heraus, dass in Zedlers Universal-Lexicon in keinem der untersuchten Wortfelder das Lemma "Tochter" auftaucht. Daraus folgert sie, dass das Kind hier primär ein männliches Kind sei, auch wenn es auf inhaltlicher Ebene geschlechtsunspezifisch definiert wird und schlussfolgert: "Die Ordnungsstruktur gibt die wahre Intention preis" (170). Die Bedeutung des spezifischen Wissens um Kindheit wird durch die Auszählung der Seiten der verwendeten Lemmata deutlich. Abschließend wird versucht, das in den jeweiligen Enzyklopädien relevante Wissen über Kindheit zusammenfassend darzustellen. An dieser Stelle tauchen oftmals noch interessante inhaltliche Aspekte auf, die zuvor nicht besprochen wurden. In diesem Kapitel erscheinen auch Abbildungen der Titelkupfer der Nachschlagewerke und eine Abbildung des Lemmas Kind.
Das vierte und letzte Kapitel ist m.E. das anspruchsvollste und für alle, die sich über Tendenzen innerhalb der Enzyklopädien informieren wollen, wertvollste Kapitel. Es erfolgt ein Vergleich der in drei Linien durchgeführt werden soll. Die erste Frage richtet sich auf die Strukturierung des Wissens, also darauf, welche Wissensbereiche konstitutiv sind. Weitere Fragestellungen sind: Wie ist das Wissen strukturiert? Wie verändern sich Lemmata? Lucia Amberg stellt fest, dass das verbreitete Wissen über Kind(heit) immer umfangreicher und ausdifferenzierter wurde. Außerdem tritt eine Verlagerung von rechtlichen Schwerpunkten hin zu medizinischen auf, die regelrechte Pflegeanleitungen beinhalteten. Nachfolgend werden jeweils die Lemmata Kind; Kinderzucht bzw. -erziehung und Kinderspiel verglichen.
Als nächste Linie der Auswertung werden Mechanismen, die auf die Enzyklopädien wirkten und den Diskurs beeinflussten, untersucht. Diese Mechanismen unterteilt Lucia Amberg in inhaltliche und formale. Als inhaltlichen Mechanismus beschreibt die Autorin Kindheit in Anlehnung an Foucaults Aussagen zu den Ausschlussmechanismen beim Wahnsinn. Unter formalen Mechanismen versteht sie Privilegien, Zensur, Abschreiben und Longseller, die sie beschreibt. So sind zum Beispiel Longseller dadurch gekennzeichnet, dass sie das Schaurige und Unerhörte beschreiben. Diese Funktion beschreibt sie am Beispiel des Kindermordes.
Schließlich wird das Wissen über Kindheit anhand der Themenfelder Lebensalter, Eltern, Erziehung, theologische und anthropologische Bestimmung, Schule und Unterricht diachron gegenüber gestellt. An dieser Stelle wäre es m.E. gut gewesen, wenn die im ersten Kapitel aufgestellten Kategorien (Lebensalter, Erziehung, Soziale Bezugsgrößen, Geschlecht, Leiblichkeit, Recht sowie theologische und anthropologische Bezüge) vollständig eingehalten worden wären, um eine Einordnung zur aktuellen Diskussion dieser Themen zu erleichtern.
In einer Schlussbemerkung werden die Ergebnisse am Konstrukt der modernen Kindheit gespiegelt. Dabei stellt Lucia Amberg heraus, dass die in der pädagogischen Historiografie wichtige Rezeption von Rousseau und Locke in den Enzyklopädien nicht stattgefunden hat. Weiterhin ist in Bezug auf das Wissen über Kindheit keine Säkularisierung festzustellen. Daraus ergäbe sich, so Amberg, die Frage, ob ihre anfängliche These, dass Enzyklopädien eine stützende Funktion im Konstituierungsprozess der modernen bürgerlichen Gesellschaft im 18. Jahrhundert zugesprochen werden kann, bezweifelt werden müsse. Sie kommt jedoch zu dem Schluss: "Eine näherliegende Interpretation ist aber folgende: Moderne Kindheit ist eben gerade nicht modern. In dieser Konstruktion ist sie Grundlage für die moderne bürgerliche Gesellschaft und entfaltet sie [!] eine gesellschaftspolitische Dynamik. So gesehen üben Enzyklopädien doch auch in Bezug auf den hier untersuchten Inhalt eine stützende Funktion im Prozess der Konstituierung der bürgerlichen Gesellschaft aus" (349). Aus den unterschiedlichen Ergebnissen innerhalb der Historiografie folge, dass künftig auch andere als die bisher genutzten Quellen in die Untersuchungen einfließen müssten.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Lucia Amberg mit den Enzyklopädien eine bislang systematisch wenig berücksichtigte Quellengattung zum Konstrukt Kindheit gründlich erforscht hat. Die Stärken liegen in der Textnähe und der Komprimierung des Materials. Doch ergeben sich daraus auch Nachteile. So verwundert es zum Beispiel, dass bei der Behandlung des Themas "geschlechtsspezifische Erziehung" in Zedlers Universal-Lexicon nur auf die Lemmata Kinder-Zucht, Weib, Tochter und Mutter zurückgegriffen wird. Hinweise auf männliche Pendants, wie z.B. Knabe, fehlen. Es entsteht der Eindruck der Einseitigkeit, führt doch der Anhang der untersuchten Lemmata Knabe, Papa und Vater auf. Dieser Eindruck hätte durch eine entsprechende Fußnote vermieden werden können. Für Einsteiger in das Forschungsfeld Kindheit im 18. Jahrhundert wären auch Hinweise zur zeitgenössischen Diskussion bzw. eine Spiegelung der Themenfelder außerhalb der Nachschlagewerke sinnvoll gewesen.
Besonders hervorzuheben sind die graphischen Darstellungen zu den Wortfeldern des Lemmas "Kind" sowie zu den Verweissystemen. Diese ermöglichen neben einem schnellen Überblick über Themen, die im Zusammenhang mit Kind(heit) relevant sind, auch einen hilfreichen Hinweis auf das System innerhalb der Nachschlagewerke. Insgesamt bietet Lucia Ambergs Arbeit für historisch interessierte Kindheitsforscher eine anregende Lektüre, wobei der zusammenfassende Vergleich im 4. Kapitel besonders aufschlussreich ist.