EWR 8 (2009), Nr. 5 (September/Oktober)

Carola Hommerich
„Freeter“ und „Generation Praktikum“ – Arbeitswerte im Wandel?
Ein deutsch-japanischer Vergleich
Monographien aus dem Deutschen Institut für Japanstudien, Bd. 45
München: Iudicium Verlag 2009
(293 S.; ISBN 978-3-89129-856-5; 35,00 EUR)
„Freeter“ und „Generation Praktikum“ – Arbeitswerte im Wandel? Die vorliegende Schrift entstand im Rahmen einer Dissertation und umfasst eine sehr aktuelle und wichtige Thematik. Fragen der Jugendarbeitslosigkeit, des Berufseinstiegs und so genannter prekärer Beschäftigungsverhältnisse beschäftigen nicht nur die deutsche Gesellschaft, sondern auch die japanische Öffentlichkeit. Folglich wurde ein für die deutsche Leserschaft sehr interessantes Thema aufgegriffen, welches zudem, dies sei bereits an dieser Stelle vermerkt, gut verständlich, flüssig lesbar und klug strukturiert dargeboten wird.

Die Autorin, Frau Carola Hommerich, fokussiert in diesem Kontext auf den Wandel von Arbeitswerten in Japan und Deutschland. Dabei wird im Kontext einer fundierten theoretischen Herleitung vornehmlich der Wertebegriff von Inglehart zur Anwendung gebracht (20-42), was den Vorteil hat, dass von Beginn an ein supranationaler Ansatz gewählt wurde und die Anschlussfähigkeit zu bestehenden empirischen Datensätzen in Japan und Deutschland möglich wird.

In der Folge stellt die Autorin facettenreich den Wertewandel der letzten Jahrzehnte in Westdeutschland sowie Japan dar und kapriziert sich daran anschließend auf die Arbeitswerte im interkulturellen Vergleich (72ff). In der Konsequenz stellt die Autorin fest: „Ausgehend von einem Wertebegriff, der Werte als abstrakte Konstrukte des Wünschenswerten und dadurch als nicht direkt messbar definiert, werden Werte nicht direkt, sondern immer indirekt über ihre Manifestation in Form von Einstellungen gegenüber bestimmten Handlungsoptionen gemessen und feststellbar gemacht […]. In diesem Sinne wäre es durchaus möglich, dass interkulturell vergleichbare übergeordnete Wertebereiche existieren, die allerdings nicht aus denselben Einstellungen gegenüber denselben Handlungsoptionen abgeleitet werden. Stattdessen wäre es möglich, dass die konkrete Ausformung zu bewertender Handlungsoptionen interkulturell variieren, da kulturelle Traditionen die Umsetzung von Werten in der Lebenswelt beeinflussen. So lassen sich Vorstellungen des Wünschenswerten möglicherweise zu interkulturell ähnlichen Wertedimensionen abstrahieren, ihre Umsetzung in der individuellen Lebenswelt kann jedoch kulturell verschieden sein.“ (77)

Auf dieser Basis werden sieben Forschungshypothesen theoriebasiert und logisch stringent abgeleitet (Zusammenstellung der Hypothesen gem. 79-85):
  1. „Für Mitglieder der Geburtenkohorte 1975 bis 1985 sind im Alter von 20 bis 30 Jahren auf materielle Sicherheit gerichtete Arbeitswerte von höherer Bedeutung als für die Geburtenkohorte 1955 bis 1965 im Alter von 20 bis 30 Jahren.
  2. Für Mitglieder der Geburtenkohorte 1975 bis 1985 sind im Alter von 20 bis 30 Jahren Arbeitswerte, die auf Selbstentfaltung im Beruf gerichtet sind, mindestens ebenso bedeutsam wie für die Geburtenkohorte 1955 bis 1965 im Alter von 20 bis 30 Jahren.
  3. Für Mitglieder der Geburtenkohorte 1975 bis 1985 sind im Alter von 20 bis 30 Jahren sowohl auf materielle Sicherheit gerichtete als auch auf Selbstentfaltung gerichtete Arbeitswerte von hoher Bedeutung.
  4. Je stärker sich auf materielle Sicherheit gerichtet Werterwartungen nicht erfüllen, desto eher wird die Erfüllung von Arbeitswerten, die sich auf Selbstentfaltung im Beruf beziehen, zurückgestellt.
  5. Wenn sich auf materielle Sicherheit und Selbstentfaltung gerichtete Werterwartungen nicht gleichzeitig im Berufsleben erfüllen lassen, gilt: Je stärker und konkreter die auf Selbstentfaltung gerichteten Werterwartungen sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie in außerberufliche Bereiche verlagert werden.“


Interessant sind auch die beiden letzten Hypothesen, die auf die interkulturelle Gültigkeit fokussieren. Hier wird, durchaus dem Ansatz Ingleharts folgend (84f), von zwei Haupteinflussfaktoren auf die Werterwartungen ausgegangen; zum einen dem Einfluss sozioökonomischer Veränderungen und zum anderen kultureller Traditionen. „Zwar geht er [Inglehart, Anm. d. Verf.] von sozioökonomischen Veränderungen als Hauptauslöser von Wertewandel aus, gesteht aber zu, dass kulturelle Traditionen ebenfalls einen Einfluss haben. Dieser ist aus seiner Sicht jedoch nicht so stark wie der Einfluss wirtschaftlicher Veränderungen, durch den sich interkulturell kohärente Wertemuster ergeben. Durchlaufen zwei Gesellschaften langfristig eine vergleichbare Veränderung sozioökonomischer Verhältnisse, so ist zu erwarten, dass sich Wertewandel interkulturell gleich gestaltet und vorhersagbar ist“ (84).

Daraus leitet Hommerich folgende Hypothesen ab (85):
  1. „Für Deutschland und Japan ergeben sich vergleichbare Dimensionen beruflicher Wertorientierung.
  2. H1 bis H5 bestätigen sich sowohl in Deutschland als auch in Japan, so dass sich in beiden Ländern zu Beginn des 21. Jahrhunderts ähnliche Muster beruflicher Wertorientierung zeigen.“


Die Testung der Hypothesen wird über zwei Zugangswege vorgenommen. Zum einen erfolgt eine quantitative Analyse auf Basis sekundäranalytischer Daten (insbesondere des World Values Surveys nach Inglehart), zum anderen eine auf Grundlage von je Land 30 Tiefeninterviews (86-91).

Es würde an dieser Stelle zu weit führen, alle Aspekte der sehr gründlichen statistischen Aufarbeitung der Sekundärdaten darzustellen (vgl. 92-161). Festgehalten werden kann hier allerdings, dass die Autorin ihre Hypothesen 1, 2 und 3 sowohl in Deutschland (125) wie auch in Japan (127) „bestätigt“ findet. Die in diesem Kontext gleichfalls getestete Hypothese 6 konnte hingegen „[…] nur zum Teil bestätigt werden. […] Die Bedeutungsentwicklung verläuft in beiden Ländern sehr unterschiedlich. Während in Japan alle Dimensionen beruflicher Wertorientierungen in der Altersgruppe zwischen 20 und 30 Jahren im Vergleich der Zeitpunkte 1980, 1990, 1995 und 2000 deutlich an Wichtigkeit zunehmen, zeigt sich in Westdeutschland ein leichter Bedeutungsverlust beruflicher Selbstentfaltung, während materielle Sicherheit auf hohem Niveau wichtig bleibt und angenehme Arbeitsbedingungen stark an Bedeutung verlieren.“ (157).

Weiterhin führt die Autorin (auf Seite 160) aufschlussreich aus:
„In Japan scheint die Bedeutungszunahme aller Dimensionen Ausdruck einer generell gestiegenen Sensibilität für Arbeitswerte seit Mitte der 1990er Jahre zu sein. Eine zunehmende Auseinandersetzung mit einzelnen Aspekten des Arbeitsplatzes mag in Zusammenhang mit strukturellen Veränderungen des japanischen Beschäftigungssystem stehen.“
„In den zusätzlichen Analysen zeigt sich in beiden Ländern seit Beginn des neuen Jahrtausends eine zunehmende Verunsicherung in Bezug auf Arbeitsplatz- und Einkommenssicherheit. Der Eintritt in das Arbeitsleben gestaltet sich aufgrund verschlechterter Arbeitsmarktbedingungen sowohl in Japan als auch in Deutschland schwierig.“

Zur Prüfung insbesondere der Hypothesen 4 und 5 wird sich dann des Instruments der Tiefeninterviews bedient. Diese wurden im Vorlauf hinsichtlich der Befragten, der Fragestellungen und der Befragungssituation etc. sorgfältig vorbereitet. Als Untersuchungsgruppen wurden in Deutschland Personen der „Generation Praktikum“ definitorisch festgelegt und in Japan die Gruppe der „Freeter“, dies sind hier Personen, die (vielfach auf Teilzeitbasis) einer Aushilfstätigkeit nachgehen bzw. aber arbeitslos sind und eine solche Tätigkeit suchen oder sich nicht in einer Ausbildung befinden (165). Die Autorin stellt in diesem Kontext heraus, „[…] dass es sich bei den Freetern längst nicht mehr um eine Randgruppe handelt“ (203) und „[…] dass es sich bei den Freetern um eine heterogene Gruppe handelt und die Beweggründe für ein Leben als Freeter vielfältig sind.“ (202, vgl. auch 209ff).

Kritisch könnte hinsichtlich dieser Gruppenauswahl eingewendet werden, dass die Generation Praktikum in Deutschland ausschließlich Hochschulabgänger inkludiert, hingegen Freeter sehr oft auch Personen ohne Hochschul- z.T. auch ohne höheren Schulabschluss sind. Obwohl Hommerich dieser Schwierigkeit durch die Sonderanalyse von nur Hochschulabsolventen begegnet (230), wäre in der Zukunft sicherlich eine weitergehende Vergleichsforschung mit einer anderen Gruppe auf der deutschen Seite fruchtbar.

Auch hier können die Feinheiten des Interviewteils nicht thematisiert werden. Im Ergebnis wird festgestellt, dass sich die Hypothesen 4 und auch 3 für die deutschen Befragten der Generation Praktikum „bestätigen“, die Hypothese 5 hingegen nicht (200f). Bei den befragten japanischen Freeter wurde die Hypothese 3 nur bei einer Subgruppe der „alternativlosen Freeter“ als bestätigt angesehen (226). Hypothese 4 wurde insgesamt abgelehnt und Hypothese 5 traf nur für den Subtypus „Lebenstraumtyp Freeter“ zu (227).

Abschließend (228-240) zeigt die Autorin einige Unterschiede zwischen den beiden untersuchten Gruppen auf und lässt, wie auch in den vorhergehenden Textteilen, sehr fundiert und vorsichtig eigene Interpretationsansätze einfließen.

Die von Frau Hommerich vorgelegte Arbeit ist ein hervorragendes Beispiel für einen modernen interkulturellen Vergleich im Kontext soziologischer sowie auch berufs- und wirtschaftspädagogischer Fragestellungen. Die fruchtbare Verknüpfung von qualitativen und quantitativen Zugängen für ein Thema wird hier exemplarisch deutlich. Gleichzeitig gelingt es der Autorin immer wieder, die kulturellen Unterschiede bereits antizipativ in das Forschungsdesign aufzunehmen und somit die Fehler einer ethnozentristischen Perspektive zu vermeiden.

Diese eindeutigen Stärken lassen einige kleinere Unklarheiten oder Stolpersteine im Text, wie die forschungstheoretische Frage, ob Hypothesen überhaupt „bestätigt“ werden können (z.B. 80, 82, 84f) oder warum gerade die wichtige Thematik, dass Freeter in Japan vielfach von Familienangehörigen stark finanziell unterstützt werden, ausgeklammert (vgl.83) bzw. marginalisiert wird, vergessen. In diesem Kontext ist auch zu verschmerzen, dass Hommerich an diversen Stellen, insbesondere bei der Formulierung der Hypothesen, das Konstrukt „Beruf“ (z.B. 74, 85) verwendet, obwohl seit vielen Jahren wissenschaftlich vergleichend sehr gut belegt ist, dass in Japan der Berufsbegriff keine Verwendung finden kann, sondern statt von einer Berufs- von einer Betriebskultur gesprochen werden muss (vgl. z.B. die entsprechenden Schriften von Georg). Allerdings kommt Hommerich an einer Stelle (106) durch ihre profunde Anwendung wissenschaftlicher Methoden im Verlauf der Arbeit dann selber zu dem Schluss, dass „[…] das Item ‚Ein Beruf, der den eigenen Fähigkeiten entspricht‘ nicht in die weiteren Analysen einzubeziehen [war, Erg. d. Verf.], da es in beiden Ländern unterschiedlich interpretiert wurde.“ In Zusammenhang der diversen anderen Kontexte hätte ggf. besser durchgängig nur der Begriff „Arbeitswerte“ (den die Autorin selber auch vielfacht verwendet, vgl. z.B. 161) angewendet oder aber von (erwerbsmäßiger) „Beschäftigung“ gesprochen werden können.

Zusammenfassend ist sehr hoch einzuschätzen, dass es der Autorin gelungen ist, überhaupt für ein so heikles Thema in Japan entsprechende Interviewpartner zu finden und diesen so aufschlussreiche Befunde zu entlocken (vgl. zur kulturellen Problematik in diesem Kontext die aufschlussreichen Hintergrunderläuterungen und die Beschreibung der raffinierten Vorgehensweise auf Seite 170ff).

Das Buch dokumentiert eindrucksvoll, welche Schätze in diesem Forschungsfeld bei der Anwendung stringenter und kulturkonformer Methoden in der Zukunft noch zu erwarten sind, von denen auch die deutsche Forschungslandschaft insbesondere in den Bereichen der Soziologie, Bildungspolitik und Erziehungswissenschaften profitieren kann.
Matthias Pilz (Köln)
Zur Zitierweise der Rezension:
Matthias Pilz: Rezension von: Hommerich, Carola: „Freeter“ und „Generation Praktikum“ – Arbeitswerte im Wandel?, Ein deutsch-japanischer Vergleich Monographien aus dem Deutschen Institut für Japanstudien, Bd. 45. München: Iudicium Verlag 2009. In: EWR 8 (2009), Nr. 5 (Veröffentlicht am 02.10.2009), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978389129856.html