EWR 20 (2021), Nr. 3 (Mai/Juni)

Vesna Bjegač
Sprache und (Subjekt-)Bildung
Selbst-Positionierungen mehrsprachiger Jugendlicher im Bildungskontext
Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich 2020
(257 S.; ISBN 978-3-8474-2469-7; 54,90 EUR)
Sprache und (Subjekt-)Bildung Viele in Deutschland lebende SchĂŒler*innen sind mehrsprachig. Wie wird dieser Umstand in der Schule verhandelt und was bedeutet es fĂŒr SchĂŒler*innen und Prozesse ihrer Subjektwerdung als mehrsprachig wahrgenommen zu werden? Vesna Bjegač behandelt diese relevante, bisher jedoch nur marginal betrachtete Beziehung von Subjektwerdung und diskursivem Wissen ĂŒber Mehrsprachigkeit im schulischen Raum in ihrer Studie zu „Sprache und (Subjekt-)Bildung“. Anhand von Interviews mit SchĂŒler*innen beruflicher Schulen sowie einer Diskursanalyse im Rahmen einer Interpretativen Subjektivierungsanalyse (ISA) zeigt sie auf, welches diskursive Wissen ĂŒber als migrationsbedingt mehrsprachig adressierte SchĂŒler*innen in Schulen vorliegt und wie auf diese Weise konstruierte SchĂŒler*innen auf diese Adressierungen reagieren.

Nachdem Vesna Bjegač in der Einleitung einen Einstieg in das Thema sowie den Aufbau der Arbeit darlegt, befasst sie sich im zweiten Kapitel mit Studien, die Mehrsprachigkeit in der Bildung fokussieren. Die Autorin bezieht sich auf Arbeiten, die entweder ausschließlich eine Diskurs- oder eine Subjektperspektive einnehmen. Ein Desiderat wird in der Untersuchung und VerknĂŒpfung dieser zwei ForschungsstrĂ€nge ausgemacht. Vesna Bjegač sieht hier in der Verbindung von Biographie- und Diskursforschung ein Potential, welches es in der Forschung zum Erleben von Mehrsprachigkeit ermögliche „den Faktor Macht bei der Subjektkonstitution stĂ€rker zu berücksichtigen“ (31). Diese Überlegungen erweitern die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem in der Migrationsgesellschaft wichtigen Thema der Mehrsprachigkeit, in dem Diskurs- und Machtebenen in der Subjektwerdung als zentral verstanden werden.

Im dritten Kapitel werden die theoretischen Annahmen dargestellt, auf denen die Auswertung der Daten fußt. Mit der Frage, „[w]ie [
] aus Menschen Subjekte [werden]“ (33) fĂŒhrt Vesna Bjegač in eine Auseinandersetzung mit den fĂŒr die Arbeit relevanten Begriffen und Inhalten ein. Sie orientiert sich an maßgeblich von Michel Foucault geprĂ€gten subjektivierungstheoretischen AnsĂ€tzen. In Anlehnung an SaĆĄa Bosančić versteht Vesna Bjegač Subjektivierung „als ein[en] Prozess der Fremd- und Selbst-Positionierung“ (42). Es wird deutlich, dass „sprachbezogene Positionierungen“ (51) fĂŒr Subjektbildungsprozesse im schulischen Kontext von großer Bedeutung sind, da in Form von (implizitem) Wissen vermittelt wird, welchen Sprachen (k)eine Wertigkeit zukommt.

Im vierten Kapitel rekonstruiert Vesna Bjegač in einem ersten Schritt der ISA nach SaĆĄa Bosančić anhand von Studien zum Thema wie (Mehr-)Sprachigkeit diskursiv im Bildungsbereich verhandelt wird. Durch eine systematische Auswahl von Forschungsliteratur werden hierfĂŒr insgesamt 90 Werke nĂ€her in den Blick genommen. Vesna Bjegač zeigt anschaulich auf, welcher „sprachbezogene Bildungsdiskurs“ (54) in vorherigen Studien, die sich mit Mehrsprachigkeit im Bildungskontext beschĂ€ftigen, thematisiert und/oder deutlich wird. Unter BerĂŒcksichtigung vielfĂ€ltiger historischer und aktueller Forschungsperspektiven auf Mehrsprachigkeit und mehrsprachige Subjekte werden vier diskursiv wirksame „Subjektpositionen im Bildungskontext“ mit Blick auf Sprache ausgemacht: „a) ‚die defizitĂ€ren, migrationsbedingten DaZ-Lernenden‘, b) ‚die deutschen Muttersprachler*innen‘, c) ‚die mehrfach Monolingualen‘, d) ‚die lebensweltlich Mehrsprachigen‘“ (102).

Anschließend wird im fĂŒnften Kapitel das methodische Vorgehen dargelegt, welches eine die Diskursanalyse ergĂ€nzende „Erhebung und Auswertung tatsĂ€chlicher Subjektivierungsweisen“ (108) durch problemzentrierte Interviews mit 13 mehrsprachigen SchĂŒler*innen beruflicher Schulen in Deutschland im Alter von 17 bis 25 Jahren beinhaltet. Es wird fokussiert, „was Subjekte aus
den an sie herangetragenen Subjektpositionen machen“ (40). Der Forschungsprozess wird Ă€ußerst verstĂ€ndlich nachgezeichnet und die Auswertung mittels der an Strauss orientierten Grounded Theory wirkt sehr geeignet, um dem Forschungsinteresse nachzugehen.

Im sechsten und siebten Kapitel werden die in den Interviews erhobenen SelbstauskĂŒnfte der Befragten mit Blick auf Fremd- und Selbst-Positionierungen ausgewertet. Die AuskĂŒnfte der SchĂŒler*innen werden zunĂ€chst „nach dem Prinzip der maximalen Kontrastierung“ (131) in drei EinzelfĂ€llen dargestellt, bevor fallĂŒbergreifend auf Basis der SelbstauskĂŒnfte Erkenntnisse ĂŒber die Wirksamkeit diskursiven Wissens dargestellt werden. Vor allem einer monolingualen Orientierung des Deutschsprechens wird von den Befragten eine große Bedeutung zugesprochen und der schulische Raum als monolingual deutschsprachig ausgemacht (188 ff.). Dem Deutschsprechen wird insbesondere in der Funktion, sich als zugehörig (bspw. zur Peer Group) zu positionieren eine hohe Bedeutung zugesprochen. Auch eine BefĂ€higung fĂŒr eine erfolgreiche Bildungskarriere wird als zentral genannter Aspekt fĂŒr die Nutzung der deutschen Sprache herausgearbeitet. Deutlich wird zudem, dass viele der Befragten sich in ihrem VerstĂ€ndnis von Mehrsprachigkeit an einem „doppelten Monolingualismus“ orientieren, demnach also davon ausgehen, dass „‚perfekte‘ Kenntnisse in zwei [oder mehr] Sprachen [vorhanden sein mĂŒssen]“, (193) um sich als mehrsprachig zu positionieren. Vesna Bjegač versteht die ‚sprachbezogenen Selbst-Positionierungen‘ als diskursiv geprĂ€gt, was somit zum einen die StĂ€rke und Notwendigkeit der ISA unterstreicht. Zum anderen wird deutlich, dass durch eben diese Selbst-Positionierungen Anerkennung in Schule und Gesellschaft angestrebt wird, in dem diskursiv wirksame Erwartungen erfĂŒllt werden sollen.

Welchen starken Einfluss Diskurse auf Subjektivierung im Kontext Schule haben wird auch dann deutlich, wenn Vesna Bjegač aufzeigt, dass viele der Befragten sich als „bildungswillige und -erfolgreiche Schüler*innen [
] prĂ€sentieren“ (213). Dies sieht sie darin begrĂŒndet, dass mehrsprachige SchĂŒler*innen in Diskursen oft als „‚Bildungsverlier*innen‘“ (212) kategorisiert werden und die Befragten durch die Betonung ihrer Bildungsmotivation eine Ablehnung solcher Zuschreibungen unterstreichen (mĂŒssen). Vesna Bjegač hĂ€lt in der Diskussion der Ergebnisse fest, dass die starke monolinguale Ausrichtung der Befragten im schulischen Kontext nicht bedeutet, dass die SchĂŒler*innen nicht auch mehrsprachige Praktiken nutzen. Die Hervorhebung einer monolingualen Vorstellung sei demnach vielmehr „als Anzeichen für eine Internalisierung von als erwünscht erachteten Sprachnormen [zu lesen]“ (231).

Im 8. Kapitel, der Schlussbetrachtung, setzt Vesna Bjegač ihr Ziel um, „Impulse für eine Sprachbildung [
] [zu formulieren], in der im Sinne einer migrationspĂ€dagogischen Zweitsprachdidaktik Benachteiligungen, Ausgrenzungen und inferiorisierende Zuschreibungen aufgrund von sprachbezogenen Differenzsetzungen reduziert werden können“ (15 f.). HierfĂŒr verweist sie auf die Notwendigkeit einer kritischen Reflexion von „linguale[n] MachtverhĂ€ltnisse[n]“ (236) durch pĂ€dagogisch TĂ€tige und SchĂŒler*innen.

Mit ihrer Studie greift Vesna Bjegač den aktuellen Forschungsstand zu Subjektforschung im Zusammenhang mit (zugeschriebener) Mehrsprachigkeit auf und verdeutlicht mit der bisher wenig beachteten VerknĂŒpfung von Diskurs- und Biographieforschung die Relevanz einer solch verbindenden Perspektive fĂŒr Forschung und Lehre im Bereich der Mehrsprachigkeit. Mit ihrer Studie leistet Vesna Bjegač somit einen Ă€ußerst wichtigen Beitrag zu erziehungswissenschaftlichen und zweitsprachdidaktischen Thematisierungen mehrsprachigen Erlebens in dem sie Wirksamkeiten von sprachbasierten diskriminierenden Zuschreibungen in deren diskursiver Verhandlung und Bedeutung fĂŒr mehrsprachige Subjekte aufzeigt. Das Buch empfiehlt sich somit fĂŒr die universitĂ€re Lehre ebenso wie fĂŒr die Sprachlehr- und Bildungsforschung als eine inhaltlich und forschungsperspektivisch relevante LektĂŒre.
Liesa RĂŒhlmann (Hamburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Liesa RĂŒhlmann: Rezension von: Bjegač, Vesna: Sprache und (Subjekt-)Bildung, Selbst-Positionierungen mehrsprachiger Jugendlicher im Bildungskontext. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich . In: EWR 20 (2021), Nr. 3 (Veröffentlicht am 07.07.2021), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978384742469.html