Claudia Gottwald leistet mit ihrem Buch „Lachen über das Andere. Eine historische Analyse komischer Repräsentationen von Behinderung“ einen wichtigen Beitrag für die deutschsprachigen Disability Studies. Diesem Ansatz zufolge wird Behinderung nicht mehr als natürliche Kategorie verstanden, sondern als historische und kulturelle Konstruktion. Die Veröffentlichung ist 2009 in der, unter anderem von Anne Waldschmidt herausgegebenen, Reihe „Disability Studies: Körper – Macht - Differenz“ im transcript Verlag erschienen und wurde unter dem Titel „Zum Lachen über Behinderung in der Geschichte – eine Analyse komischer Repräsentationen und historischer Diskurse“ als Dissertation an der Fakultät für Rehabilitationswissenschaften der TU Dortmund angenommen.
Besonders relevant wird die Untersuchung durch die systematische Erfassung der Kongruenz von Behinderung und Komik sowie die Anwendung historischer und interpretierender Verfahren auf dem Gebiet der Disability Studies. Es wird dem Defizit an kulturwissenschaftlicher Erforschung von Behinderung Rechnung getragen und das kulturelle Modell von Behinderung mit einer empirischen Basis ausgestattet. Anhand der Analyse des Lachens über verschiedene Formen von Behinderung – verstanden allgemein als Abweichung von gesellschaftlichen Normen – vom Mittelalter bis heute verdeutlicht Gottwald die historische und kulturelle Relativität von Behinderung. Methodisch stützt die Autorin ihre Untersuchung auf eine an Foucault angelehnte Diskursanalyse, erweitert durch eine historisch-hermeneutische Komponente, um das Datenmaterial (Bilder, Texte) stärker auf versteckte Aussagen über vergangene soziale Strukturen zu analysieren.
In fünf Kapiteln rekonstruiert Gottwald das Lachen über Behinderungen seit dem Mittelalter. Dabei umreißt sie zunächst die Themenfelder der Komik und Behinderung, bevor sie Theorien des Komischen expliziert. Weitere Kapitel sind dem Spotten und Lachen über Behinderungen gewidmet, bzw. der Auseinandersetzung mit Behinderung als Gegenstand der Komik. Abschließend vergleicht die Autorin die historischen Entwicklungen mit aktuellen Tendenzen hinsichtlich komischer Repräsentationen von Behinderung.
In einem ersten Analyseschritt bestimmt Gottwald verschiedene Theorien des Komischen. Es wird gefragt, was als komisch erscheint und bewertet wird. Dabei zeigt sich, dass das Hässliche oder Widersprüchliche oft als komisch wahrgenommen wird, um der dadurch empfundenen Bedrohung entlastend zu begegnen. Neben dieser Form des Entlastungslachens verweist die Autorin zudem auf die Möglichkeit des Überlegenheitslachens, welches Erhabenheit oder Aggression ausdrückt. Beide Formen beinhalten somit deutliche Grenzziehungen, wodurch das Komische stets auf gesellschaftliche Normen verweist.
Im dritten Kapitel untersucht Gottwald das Spotten und Lachen über Behinderungen und behinderte Menschen. Dies geschieht durch eine Unterteilung in drei Bereiche: die natürlichen Narren im Mittelalter, körperliche und andere Behinderungen in der Renaissance und verschiedene Behinderungen im 18. bis 20. Jahrhundert. Dass diese Unterteilung zunächst leicht unsystematisch wirkt, ist zwei Tatsachen geschuldet. Erstens ist im dargestellten Zeitraum nicht von einem einheitlichen Behinderungsverständnis auszugehen. Zweitens wirkt sich hier die begrenzte Anzahl an zu verwertenden Quellen aus. Es wird jedoch deutlich, dass Behinderte meist als passive Objekte belacht wurden und sich die gesellschaftliche Funktion des Lachens nur graduell änderte. So wurde über Normabweichungen gelacht solange keine Sanktionen drohten und dadurch gleichzeitig die soziale Ordnung hergestellt und gefestigt.
Auf welche Weise komische Darstellungen von Behinderung abhängig von gesellschaftlichen Entwicklungen sind, arbeitet Gottwald besonders im vierten und fünften Kapitel heraus. Sie zeigt, wie es im Zuge der Aufklärung und Humanisierung zu einer ersten Einschränkung des zuvor meist unbefangenen Lachens kam. Dieses wurde etwa ab dem 18. Jahrhundert zunehmend limitiert und sanktioniert. Gründe dafür waren vor allem Mitleid und Ekel, woraus die Autorin einen impliziten Behinderungsbegriff ableitet: behindert ist, über wen nicht gelacht werden darf. Als weitere gesellschaftliche Veränderung stellt Gottwald deutlich die Folgen der Medizinisierung und Institutionalisierung dar. Das Lachen wirkt dabei weiter entlastend und bleibt ein Zeichen von Normabweichung.
Interessant erscheint die Feststellung, dass die Zunahme an Reflexion des Lachens dieses selbst begrenzte. So wird auf eine Verdrängung des Lachens ins Private und eine Verachtung des ordinären Humors im 17. Jahrhundert verwiesen. Darauf folgte im 18. Jahrhundert eine Reduktion des Lachens über Behinderung bei gleichzeitiger Ausdifferenzierung der Grenzen der Komik. Dies mündete in das zivile, harmlose und unschädliche Lachen mit erzieherischer Funktion des 20. Jahrhunderts.
Besonders beachtlich scheint die Betrachtung aktueller komischer Repräsentationen von Behinderung. So konnte das Lachen bis in die 1970er und 1980er Jahre weiterhin als Ausdruck verdrängter Angst vor sozial oder kulturell Abweichendem betrachtet werden. Neu war allerdings die Zurückweisung von Mitleid.
In der Folge beschreibt Gottwald meines Empfindens nach etwas zu optimistisch einen aktuellen gesellschaftlichen Wandel, in dessen Folge sich komische Darstellungen von Behinderung unter anderem aufgrund der Forderungen Betroffener nach Gleichberechtigung und Anerkennung grundlegend geändert haben. So werden Behinderungen aktuell in Karikaturen und Cartoons meist von Betroffenen selbst thematisiert. Die Darstellungen beinhalten dabei besonders gesellschaftliche Barrieren, wodurch sie eine gesellschaftskritische und politische Ausrichtung erhalten. Behinderte Menschen sind nun nicht länger Objekt der Auseinandersetzung sondern eignen sich zunehmend die Macht über das Lachen an.
Gottwald zufolge wandelt sich die komische Darstellung von Behinderung entsprechend dem Wandel vom medizinischen zum sozialen Modell von Behinderung. Objekt des Lachens ist nicht mehr eine medizinisch diagnostizierte sondern eine gesellschaftliche Kategorie in Form einer sozialen Barriere. Gemäß der Forderungen der Behindertenbewegung, scheinen Behinderte zumindest in Bezug auf komische Darstellungen von Behinderung zu Experten in eigener Sache zu werden. Sie werden zum Subjekt der Komik, woraus Gottwald eine integrierende Form des Lachens über Behinderungen ableitet.
Gottwald arbeitet deutlich heraus, dass es zu einem historischen und kulturellen Wandel des Lachens über Behinderung gekommen ist. Wurde im Mittelalter noch ausgelassen über die größtmögliche Abweichung gelacht, kam es in der bürgerlichen Gesellschaft zu einer Disziplinierung des Lachens. Heute hingegen scheint das Lachen über Behinderung enttabuisiert und teilweise gar politisch korrekt. Die Kategorien Behinderung und Komik sind als Reaktion auf Normabweichungen zu sehen, welche kulturell hergestellt werden, historisch relativ sind und stets die gesellschaftliche Ordnung stabilisieren.
Der Dissertation von Gottwald ist abschließend zu Gute zu halten, dass sie sowohl einen Beitrag zur (Dis)ability History als auch zur empirischen Unterfütterung des kulturellen Modells von Behinderung leistet. Sie gibt dadurch den jungen deutschsprachigen Disability Studies einen wichtigen Impuls.
Kritisch anzumerken bleibt an dieser Stelle, dass es Gottwald leider versäumt sich expliziter im Diskurs der Disability Studies und Normativitätstheorien zu verorten. Diesbezüglich wäre eine ausführlichere Darstellung des kulturellen Modells von Behinderung hilfreich. Außerdem wäre meines Erachtens ein größerer Bezug auf die Theorie Foucaults und dessen kritische Geisteshaltung wünschenswert. Dies könnte in analytischer und interpretierender Hinsicht äußerst bereichernd wirken, um einigen, aufgrund impliziter normativer Setzungen, unvorteilhaften Begrifflichkeiten (u.a. die Begriffe „klug“ und „dumm“) zu begegnen.
Dennoch eignet sich Gottwalds Arbeit für alle an den Disability Studies Interessierte. Sie liefert vor allem in methodischer Hinsicht nützliche Anregungen und gibt Einblicke in Arbeitsweisen der Disziplin. Da sie dabei Vorwissen voraussetzt, eignet sich das Buch nicht unbedingt als Einstiegswerk. Es regt zur weiteren Konkretisierung der kulturwissenschaftlichen Erforschung von Behinderung an, um zu zeigen, welche Bedeutung Behinderung als gesellschaftlicher Differenzkategorie zukommt.
EWR 9 (2010), Nr. 4 (Juli/August)
Lachen über das Andere
Eine historische Analyse komischer Repräsentationen von Behinderungen
Bielefeld: transcript 2009
(327 S.; ISBN 978-3-8376-1275-2; 29,80 EUR)
Benjamin Haas (Frankfurt am Main)
Zur Zitierweise der Rezension:
Benjamin Haas: Rezension von: Gottwald, Claudia: Lachen über das Andere, Eine historische Analyse komischer Repräsentationen von Behinderungen. Bielefeld: transcript 2009. In: EWR 9 (2010), Nr. 4 (Veröffentlicht am 10.08.2010), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383761275.html
Benjamin Haas: Rezension von: Gottwald, Claudia: Lachen über das Andere, Eine historische Analyse komischer Repräsentationen von Behinderungen. Bielefeld: transcript 2009. In: EWR 9 (2010), Nr. 4 (Veröffentlicht am 10.08.2010), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383761275.html