
Der Band ist in vier inhaltliche Abschnitte eingeteilt, die verschiedene Ãœberblicks- und Diskussionskapitel sowie insgesamt 14 Forschungsberichte aus den verschiedenen Teilprojekten der Begleitforschung umfassen.
Im ersten Teil wird von den Herausgebern das Ziel und Vorgehen der Begleitforschung beschrieben. Im Fokus steht der Transformationsprozess der Schulen unter erziehungswissenschaftlichen, fachdidaktischen und soziologischen Gesichtspunkten und aus einer mehrebenenanalytischen Perspektive. Die Begleitforschung visiert damit die Analyse sowohl des „großen Ganzen“ als auch einzelner Themen an, die sich in den Schulen herausfordernd gestalten. Das Projekt umfasst hierfür vier Teilprojekte, die sowohl quer- als auch längsschnittlich und im Mixed-Methods-Design angelegt sind. Es wurden quantitative Befragungen, Dokumentenanalysen, Interviews sowie umfassende Unterrichtsbeobachtungen durchgeführt. Neben der Darstellung des Projekts enthält der erste Teil des Bandes zudem eine detaillierte Beschreibung der Gemeinschaftsschule in Baden-Württemberg.
Im zweiten Teil des Bandes folgen die Berichte aus den kleineren Teilprojekten der Begleitforschung. Diese haben die Bedeutung der Gemeinschaftsschule für die Motivation der Schülerinnen und Schüler, die Anwahl und Wahrnehmung der Schulen im Umfeld, die Schule als Lebensraum sowie eine Interventionsstudie mit Lehrerfortbildung zum Thema.
Teil 3 widmet sich dem größten Teilprojekt der Begleitforschung, in dem zehn Gemeinschaftsschulen über zwei Schuljahre vom Forscherteam begleitet wurden. Ein Überblicksbeitrag sowie insgesamt zehn Berichte umfassen Themen auf der Meso- und Mikroebene von Schule und beschreiben einerseits Lehrerkooperation, Schulkultur und Organisationsentwicklung im Kontext der Gemeinschaftsschule, während ein Schwerpunkt insbesondere auf dem Unterricht und der Frage liegt, wie die Schulen mit der Vorgabe des individuellen und kooperativen Lernens umgehen. Diese Frage wird aus allgemein- wie fachdidaktischer Sicht sowie mit Blick auf Aspekte von Diagnostik, Förderung und Inklusion beleuchtet.
Der vierte Teil enthält ein Kapitel, in dem die Ergebnisse zusammengefasst und diskutiert werden und die Autorinnen und Autoren Empfehlungen für die Schulen aussprechen, „Best Practice“-Beispiele für verschiedene Herausforderungen der Gemeinschaftsschule vorstellen und Hinweise auf mögliche Qualifizierungsmaßnahmen geben. Das Kapitel schließt mit der Skizzierung von Forschungsdesiderata.
Aufgrund der Anlage der Studie kann der Band nur wenige Aussagen über die Gemeinschaftsschulen im Vergleich zu anderen Schulformen tätigen. Für die beforschten Gemeinschaftsschulen arbeitet die Forschergruppe aber heraus, dass diese insgesamt weit fortgeschrittene Konzepte für den Unterricht mit heterogenen Lerngruppen anwenden. Auf unterrichtlicher Ebene zeichnen sich deutliche Parallelen zwischen den Schulen ab. Sie haben demnach fast alle ausgeklügelte Konzepte für individuelles Lernen, während kooperatives Lernen eher selten eingeplant wird; auch mit Blick auf den gemeinsamen Unterricht von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Förderschwerpunkt lassen sich Ähnlichkeiten zwischen den Schulen aufzeigen. Heterogener fällt das Bild aus, wenn Elemente des Unterrichts aus fachdidaktischer Perspektive beleuchtet werden. Mit Blick auf organisationale Elemente, etwa Kooperationsstrukturen in den Schulen, gemeinsame Ziele und Wertvorstellungen und schließlich auch die Repräsentation der Schule im Umfeld, beschreiben die verschiedenen Befunde deutliche Unterschiede zwischen den Schulen. Ebenfalls unterschiedlich fällt die Wahrnehmung der Schulen im Umfeld und die Beurteilung des individuellen Lernens und der individuellen Leistungsbeurteilung durch die Eltern aus.
Der Sammelband kann somit einen fundierten Einblick in die Arbeit der Gemeinschaftsschulen während ihrer ersten Jahre und damit in ihrer „Entstehungsphase“ bieten. Dabei liegt der inhaltliche Schwerpunkt des Bandes mit etwa der Hälfte der Beiträge auf dem Lehren und Lernen als Kern der Arbeit in den Gemeinschaftsschulen. Dies lässt sich auch gut begründen; so stellen die Autorinnen und Autoren die Unterrichtsqualität als besonders bedeutsames Merkmal erfolgreicher Gemeinschaftsschulen heraus. Sie weisen aber auch darauf hin, dass diese stark lehrerabhängig ist und konstatieren, ein wesentliches Merkmal erfolgreicher Gemeinschaftsschulen sei „die Beweglichkeit von schulischen Strukturen und die Flexibilität der Unterrichtsorganisation“ (346). Kritisch angemerkt werden kann, dass hohe Unterrichtsqualität und Beweglichkeit vermutlich allgemeine Merkmale erfolgreicher Schulen sind und kein Spezifikum der Gemeinschaftsschule.
Insgesamt ist der Band der WissGem-Studie gut strukturiert und informativ. Die einzelnen Forschungsberichte stellen jeweils den Forschungsstand zu ihrem Thema konzise und verständlich dar und bieten damit auch Leserinnen und Lesern ohne entsprechende Kenntnisse einen guten Einblick in das Thema. Redundanzen zeigen sich bei der Beschreibung der Methodik in den einzelnen Berichten. Zahlreiche Abbildungen und Tabellen unterstützen die Darstellung insbesondere der quantitativen Forschungsergebnisse; insgesamt sind die Beiträge auch für einen Leserkreis mit geringerem methodischem Fachwissen gut lesbar.
Aus inhaltlicher Perspektive ist der Band vor allem mit Blick auf sein Forschungsdesign sowie hinsichtlich seiner Erkenntnisse zum unterrichtlichen Umgang mit Heterogenität und individuellem Lernen sehr empfehlenswert. Die Studie hebt sich zudem von anderen Projekten zur wissenschaftlichen Begleitung durch ihr innovatives Design ab. Durch die Begleitung über zwei Jahre und die umfassende quantitative und qualitative Beobachtung von Unterricht kann der unterrichtliche Alltag sehr viel genauer erfasst werden, als es über Befragungen und Interviews möglich ist. Die Kombination einer Vielzahl von Erhebungs- und Analysemethoden ermöglicht die Betrachtung aus verschiedenen Blickwinkeln und die Generierung unterschiedlicher Wissensarten. Lediglich die systematische Verknüpfung der Ergebnisse auf den verschiedenen Ebenen der Schulen fällt eher knapp aus; eine vertiefende Analyse des Zusammenhangs von organisationalen und unterrichtlichen Variablen wäre vor allem mit Blick auf die Erkenntnis, dass die Unterrichtsqualität primär von den Lehrerinnen und Lehrern abhängig ist, wünschenswert gewesen.
Insgesamt überzeugt der Band durch seinen detaillierten Einblick in die Unterrichtsgestaltung unter dem Vorzeichen des individuellen Lernens, durch das Aufzeigen von Leerstellen und nicht zuletzt durch die vorsichtige, aber fundierte Formulierung von Entwicklungspotenzialen.
[1] Schulgesetz für Baden-Württemberg (SchG), §8a, Abs. 1.