EWR 14 (2015), Nr. 4 (Juli/August)

Vlatka Domović / Siegfried Gehrmann / JĂĽrgen Helmchen / Marianne KrĂĽger-Potratz / Ana Petravić (Hrsg.)
Europäische Lehrerbildung
Annäherung an ein neues Leitbild
Berichte aus West- und SĂĽdosteuropa
MĂĽnster / New York / MĂĽnchen / Berlin: Waxmann 2013
(230 S.; ISBN 978-3-8309-2878-2; 32,90 EUR)
Europäische Lehrerbildung Nach dem im Jahre 2011 Band 1 aus der Reihe „Lernen für Europa – Berichte und Materialien“ unter dem Titel „Europäische Bildung. Konzepte und Perspektiven aus fünf Ländern“ erschienen war, legte der Waxmann-Verlag 2013 den zweiten Band mit dem Titel „Europäische Lehrerbildung. Annäherung an ein neues Leitbild“ vor. Darin unternehmen Autorinnen und Autoren aus sieben europäischen Ländern den gelungenen Versuch, sich vor dem Hintergrund unterschiedlicher historischer und aktueller Bezüge Grundfragen der Lehrerbildung zuzuwenden. Dabei sollen Antworten zu folgenden zentralen Problemfeldern gegeben werden (vgl. Klappentext):

• Inwieweit ist es gelungen, den national-staatlichen Fokus von Bildung und Ausbildung in Richtung einer europäischen Dimensionierung zu verändern?
• Welche Hindernisse stehen dem entgegen?
• Wie lässt sich die europäische Dimensionierung in den lehrerbildenden Systemen verankern?

Dazu hat sich das Herausgeberkollektiv auf fĂĽnf zentrale Lehr- und Lernbereiche festgelegt (vgl. Klappentext):

• Erziehungswissenschaft bzw. Bildungswissenschaften,
• Interkulturelle Bildung,
• Sprachen/Fremdsprachen,
• Neue Medien,
• das Verhältnis von Wirtschaft und Lehrerbildung (ökonomische Bildung).

Das große Verdienst der einzelnen Autorinnen und Autoren besteht darin, ein aussagefähiges Porträt des Bildungswesens und der Lehrerbildung gezeichnet zu haben und zugleich der Frage nachgegangen zu sein, was es heißt, Lehrerbildung „europäisch“ zu denken. Das ist deshalb erforderlich, weil die Lehrkräfte dazu beitragen sollen, die „Lernenden auf ihre Rolle als EU-Staatsbürger vorzubereiten“, damit diese am Ende der Sekundarausbildung über die dafür notwendigen Kenntnisse und Kompetenzen verfügen (vgl. 7). Im Ergebnis werden erhebliche Unterschiede deutlich, die nicht allein durch die verschiedenen Merkmale der Gesellschafts- und Bildungsstruktur zu erklären sind. Daraus ist – soviel sei vorweggenommen – nur eine Schlussfolgerung abzuleiten: Die internationale Zusammenarbeit in der Lehrerbildung ist entscheidend zu verstärken.

Die Studie zur Lehrerbildung in Deutschland, die von einem achtköpfigen Autorenteam (Sara Fürstenau, Alf Hammelrath, Jürgen Helmchen, Marianne Krüger-Potratz, Jan Mühlhausen, Raimund Pfundtner, Frank Ragutt, Friedrich Schönweiss) verfasst wurde, befasst sich eingangs mit dem Zusammenhang von Bildungssystem und Lehrerbildung. Nach einer kurzen Vorstellung der Struktur des deutschen Bildungssystems liegt der Fokus auf den Spezifika. Das betrifft beispielsweise einerseits das Privatschulwesen und die Reformschulen, andererseits aber auch die Schulen für die in Deutschland lebenden autochthonen nationalen Minderheiten sowie die Bildungsmöglichkeiten für hier lebende Bürger nichtdeutscher Staatsangehörigkeit (vgl. 18f). Sehr informativ ist der Teil über die Ausbildung des pädagogischen Personals, insbesondere der Lehrkräfte an Schulen (20f). Weitere Abschnitte über die föderale Struktur in Deutschland und ihre Auswirkungen auf die Bildungslandschaft sowie Fragen der Lehrerfort- und -weiterbildung runden das gelungene Gesamtbild der Überblicksdarstellung ab. Im Zentrum der dann folgenden Ausführungen zur Lehrerausbildung in Deutschland stehen die eingangs erwähnten fünf Lehr- und Lernbereiche, die den Analysen auch der anderen vorgestellten Länder dieses Bandes als Richtschnur dienen. Nach subjektiver Einschätzung des Autorenteams können in allen untersuchten Bereichen vorzeigenswerte Erfolge konstatiert werden (z. B. bei den Bildungswissenschaften), aber auch nicht geringe Defizite sind festzustellen, an deren zügiger Bewältigung gearbeitet werden muss. So sind die Neuen Medien und die ökonomische Bildung stärker zu nutzen, um die großen Chancen des Zusammenwirkens der europäischen Länder in Politik, Kultur und Wirtschaft besser sichtbar werden zu lassen.

Die Vorstellung der Lehrerbildung anderer Länder startet mit den Niederlanden. Der Bericht von Danielle Bohn, Sjaak Kroon und Piet-Hein van de Ven – der einzige in englischer Sprache – geht von spezifischen Aspekten der Bildung in unserem westlichen Nachbarland aus, um „das Verständnis der Bildungssituation in den Niederlanden zu erleichtern“ (vgl. 47). Diese Aspekte kulminieren in der im Artikel 23 der Verfassung festgehaltenen „Freiheit der Erziehung“. Daraus erwachsen wiederum auch spezielle Anforderungen an die Lehrerbildung. Gegenwärtig geht es aus Sicht des Autorenteams darum, den Platz der Neuen Medien umfassend in der Lehrerbildung aller Stufen zu verorten. Hier besteht laut Autorenteam erheblicher Handlungsbedarf. Abschließend darf dennoch festgestellt werden, dass die Lehrerausbildung in den Niederlanden bei allen zentralen Problemfeldern der in Deutschland sehr nahe kommt.

Unser südöstliches Nachbarland Österreich gleicht in seiner Gesellschaftsstruktur ebenfalls weitgehend unserem Land sowie auch in vielerlei Hinsicht unserem Bildungswesen. Wie für einen Föderalstaat charakteristisch, sind die Kompetenzen in Bildung und Kultur aufgeteilt zwischen Bund und Ländern. Unterschiedlich geregelt ist demzufolge auch die Lehrerbildung; die gesetzlichen Regelungen dafür trifft in Österreich der Bund. Der Titel des österreichischen Artikels von Kornelia Tischler und Vladimir Vakounig lautet sehr zutreffend „Lehrerbildung […] zwischen Tradition und Innovation“, geht doch die äußere Differenzierung des Schulwesens auf seine Wurzeln im Jahr 1774 zurück. Gefragt ist heute nach Einschätzung des Autorenteams vor allem Innovation in allen Bereichen des Bildungswesens, einschließlich der Lehrerbildung. Die aktuellen Diskussionen in der Lehrerbildung konzentrieren sich – so Tischler und Vakounig – in erster Linie auf die Verbesserung der Qualität des Unterrichts sowie auf die Weiterentwicklung der Lehreraus- und -weiterbildung insgesamt.

In Slowenien ist die Lehrerbildung dadurch gekennzeichnet, dass das Land einen regen Austausch insbesondere mit allen Nachbarstaaten pflegt. Dabei geht es nicht in erster Linie um eine einfache Übernahme von Ausbildungsinhalten und -strukturen, sondern um die schöpferische Anwendung von Erkenntnissen anderer Länder auf den genannten Gebieten. Die Lehrbefugnis ist in Slowenien in drei Varianten zu erreichen (vgl. 109), abhängig vom späteren Einsatz bzw. von Vorstudien. Generell findet die Ausbildung an Universitäten statt. Die Reform der Studiengänge im Bereich der Lehrerbildung nach den Bologna-Kriterien ist weitgehend abgeschlossen. Einige Problemfelder (z. B. das Verhältnis von Fachwissenschaften, Bildungswissenschaften und Schulpraxis) sind noch weiter zu diskutieren.

In Kroatien ist die Bilanz der Entwicklung im internationalen Kontext sowohl im Bildungssektor als auch in der Lehrerbildung sehr beeindruckend. Seit 2005 erfolgt die Ausbildung fĂĽr die Grundschullehrkräfte (Klassen 1–4) in integrierten universitären Studiengängen ohne Bachelor-Abstufung (Abschluss Master); die der Fachlehrkräfte fĂĽr die Klassen 5–8 folgt einem konsekutiven Modell in zwei Zyklen (Bachelor und Master). Hinzu kommt bei beiden Ausbildungsvarianten ein entsprechendes Schulpraktikum, dessen Stellenwert jedoch noch genauer zu bestimmen ist. Laut Einschätzung der Autorinnen und Autoren Vlatka Domović, Siegfried Gehrmann, Ĺ˝eljka KneĹľević, Pedrag Oreški, Ana Petravić, Vladimir Ĺ imović und Dijana Vican sind einheitliche Kompetenzstandards fĂĽr die Lehrer zu entwickeln und neue Inhalte in die Bildungswissenschaften aufzunehmen.

Gleich die Ăśberschrift der Studie zur Lehrerbildung in Bosnien und Herzegowina (BiH) von Kemal Kačapor, Anita Lukenda, Zlata Maglajlija, Iris Memić, Faiza Muštović, Slavica Pavlović, Sanja Tipurić-SpuĹľević und Alma Trnčić lässt die Hauptaufgabe fĂĽr dieses von Kriegswirren schwer gekennzeichneten Landes erkennen: Die europäische Dimension in der Lehrerbildung ist umfassend auszugestalten. Seit 1995 ist das Land ein dezentraler Staat, bestehend aus drei Teilen: der Föderation BiH, der Republika Srpska (RS) und einem Sonderverwaltungsgebiet, dessen Spezifika hier auĂźen vor bleiben sollen. Was das fĂĽr das gesamtstaatliche System im Allgemeinen sowie fĂĽr das Bildungswesen und die Lehrerbildung im Besonderen bedeutet, lässt sich leicht ermessen. Es ist deshalb ein groĂźer Erfolg, dass sich das Land dennoch auf gemeinsame Grundlagen in der Lehrerausbildung einigen konnte. Ihre Ausbildung erhalten die Primarstufenlehrer (Klassen 1–5) fĂĽr alle im Lehrplan vorgesehenen Fächer an Universitäten. Die Qualifizierung der Fachlehrer fĂĽr die Klassen 6–9 erfolgt in Einfach- oder Zweifachstudiengängen ebenfalls an Universitäten. Ausgehend von einem fĂĽr das Land doch bemerkenswerten Entwicklungsstand mĂĽssen jedoch noch weitere Anstrengungen zur Erhöhung des Niveaus der Lehrerbildung unternommen werden.

Den Schluss dieses Buches bildet eine Studie ĂĽber das Bildungswesen und die Lehrerbildung in Serbien von lijana Čutura und Ivan Jerković. Unter BerĂĽcksichtigung der fĂĽnf Untersuchungsbereiche wird ein umfassender Abriss ĂĽber Stand und vorhandene Probleme auf diesem Gebiet gegeben. Grundsätzlich erfolgt die Lehrerbildung an Universitäten; Primarstufenlehrer (Klassen 1–4) studieren vier Jahre genau wie die Fachlehrer fĂĽr die Klassen 5–8 (Einfachausbildung). Hinzu kommt ein Jahr Schulpraxis. Obwohl Serbien kein EU-Mitglied ist, gibt es einen hohen Grad an Ăśbereinstimmung von Rahmenbedingungen auf dem Gebiet der Bildung mit anderen europäischen Dokumenten (z. B. mit Dokumenten der Europäischen Kommission), einschlieĂźlich der Lehrerbildung.

Mit dem zweiten Band der Reihe „Europäische Lehrerbildung“ liegt ein Werk vor, das hohen Ansprüchen gerecht wird. Wärmstens empfohlen wird es all denen, die in der Lehr- und Forschungsarbeit mit diesen Fragen konfrontiert sind. Sehr wünschenswert wäre es deshalb, dass diese Reihe mit weiteren Länderstudien fortgesetzt würde. Sollte es eine Neuauflage dieses Bandes geben, ist es angezeigt, dass Druckfehler beseitigt und statistische Angaben auf den aktuellsten Stand gebracht werden.
Rainer Riedel (Dresden)
Zur Zitierweise der Rezension:
Rainer Riedel: Rezension von: Domovic´, Vlatka / Gehrmann, Siegfried / Helmchen, JĂĽrgen / KrĂĽger-Potratz, Marianne / Petravic´, Ana (Hg.): Europäische Lehrerbildung. Annäherung an ein neues Leitbild:, Berichte aus West- und SĂĽdosteuropa. MĂĽnster / New York / MĂĽnchen / Berlin: Waxmann 2013. In: EWR 14 (2015), Nr. 4 (Veröffentlicht am 07.08.2015), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383092878.html