EWR 13 (2014), Nr. 3 (Mai/Juni)

Katja Wippermann / Carsten Wippermann / Andreas Kirchner
Eltern – Lehrer – Schulerfolg
Wahrnehmungen und Erfahrungen im Schulalltag von Eltern und Lehrern
Stuttgart: Lucius & Lucius 2013
(416 S.; ISBN 978-3-8282-0577-2; 34,90 EUR)
Eltern – Lehrer – Schulerfolg Eltern und Lehrkräfte gehören zwei unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen mit unterschiedlichen Funktionen und Aufgaben an. Beide Systeme haben jedoch ihre Verbindung in der Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen. Die PISA-Ergebnisse belegen, dass die soziale Herkunft in Deutschland maßgeblich die Bildungserfolge von Kindern und Jugendlichen beeinflusst. Dies führt dazu, dass Schule sich immer mehr zu einem zentralen Thema innerhalb von Familien entwickelt – so ein Ergebnis der 2008 von der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegebenen Studie „Eltern unter Druck“.

Im Vorwort der hier zu rezensierenden Studie halten die Herausgeberinnen fest, dass sich die Ambitionen und Rahmenbedingungen je nach sozialem Milieu der Familien erheblich unterscheiden. Unterschiedliche Erklärungsmuster kursieren derzeit innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses zur Abhängigkeit von Schulerfolg und sozialer Herkunft. Die Autoren der vorliegenden Studie nähern sich diesen Erklärungen mit 255 qualitativen Interviews, in denen Eltern (n=190) mit mindestens einem Kind in der Sekundarstufe I und Sekundarschul-Lehrkräfte (n=65) zu ihren Wahrnehmungen und Erfahrungen im Schulalltag befragt wurden. Ausgewertet wurden die Interviews im Hinblick auf die Milieuspezifik (DELTA-Milieus) sowie insbesondere unter den Aspekten Migrationshintergrund sowie Geschlechtsspezifik. Damit bildet die Studie eine wichtige Ergänzung zu theoretischen Erklärungsmustern und gibt Einblick in Perspektiven von Eltern auf Bildungserfolg innerhalb einzelner Milieus. Grundlage der Milieuperspektive sind die DELTA-Milieus (Benachteiligte, Hedonisten, Traditionelle, Bürgerliche Mitte, Postmaterielle, Performer, Expeditive sowie Etablierte und Konservative), die neben der Zuordnung zur sozialen Lage in der Gesellschaft auch entlang ihrer Grund- bzw. Werteorientierung gebildet werden. Diese wurden quantitativ erfasst. Die Abbildungen im Buch zeigen, dass die Grenzen zwischen den einzelnen Milieus fließend sind und auch die soziale Lage der Milieus nicht leicht zu bestimmen ist, da sich die Milieus teilweise in unterschiedlicher sozialer Lage befinden.

Zu den einzelnen Kapiteln: Der Leser, der sich einen schnellen Überblick über die Kernaussagen der Studie verschaffen möchte, erhält vor der eigentlichen Ergebnispräsentation eine von den Herausgebern erstellte Zusammenfassung. Diese richtet sich vornehmlich an Vertreter in gesellschaftlichen Gruppen und der Bildungspolitik. Die Herausgeber stellen u. a. heraus, dass Eltern die Bedeutung von Bildung und Schule für die späteren Lebenschancen ihrer Kinder insgesamt als sehr hoch einschätzen.

Kontrastiert werden in der Darstellung der Kernergebnisse die Wahrnehmungen von „Eltern in der Mitte“ und „Eltern aus unteren Milieus“ wie Benachteiligte und Hedonisten. Aufgrund der Kürze der Darstellung erhält der Leser dabei den Eindruck einer „Schwarz-Weiß-Malerei“: Die Eltern aus der gesellschaftlichen Mitte mit hohen Bildungsambitionen und einer hohen Bereitschaft für Unterstützungsleistungen auf der einen Seite stehen im Gegensatz zu den Eltern aus unteren Milieus mit einer eher geringen Erwartungshaltung an die Bildungserfolge ihrer Kinder und an Schule auf der anderen. Als weiteres zentrales Ergebnis wird herausgestellt, dass Eltern sich zunehmend in der Verantwortung für die Schulleistungen ihrer Kinder sehen. Dass die Kinder den schulischen Anforderungen ohne Unterstützung des Elternhauses gerecht werden, scheint vielen Eltern aus der Mitte nicht möglich zu sein. Die Herausgeber stellen gesellschaftliche Konsequenzen dieses Umstands heraus: Schule adressiert primär Mütter als häusliche Unterstützerinnen ihrer Kinder, die oft ihre eigenen beruflichen Ambitionen zugunsten der Bildung ihrer Kinder hinten anstellen. Damit ist eine Verstetigung traditioneller Rollenmuster festzustellen. „Der Bildungssektor, einst Ausgangspunkt für Emanzipation und Gleichberechtigung, wird durch die Kinder zum Motor der Fortsetzung des traditionellen Rollenbildes“ (9) – zumindest für Mütter in der gesellschaftlichen Mitte. Zudem verfestigt dieser Umstand die gesellschaftlich reproduzierte soziale Ungleichheit. Eltern in den unteren sozialen Milieus fehlen oft zeitliche, ökonomische, soziale, kulturelle und sprachliche Mittel, um ihre Kinder in umfassendem Maß zu unterstützen – so ein Ergebnis der Studie. Die zentralen Befunde zu den Aussagen der Lehrkräfte würden zeigen, dass sich das Bild vom Lehrer bzw. von der Lehrerin in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Lehrkräfte fühlen sich durch diese neuen Anforderungen hoch belastet – auch mit Blick auf die soziale, ethnische und hinsichtlich ihrer familiären Situation heterogene Schülerschaft.

Die Autoren porträtieren im dritten Kapitel die einzelnen DELTA-Milieus im Hinblick auf elterliche Perspektiven auf Schule und Schulerfolg ihrer Kinder. Zur Einleitung veranschaulicht jeweils eine Abbildung die Lage des zu beschreibenden Milieus, so dass der Leser einen Eindruck erhält, wo dieses Milieu gesellschaftlich verortet werden kann. Dann wird zunächst allgemein mithilfe von Tabellen zur Verteilung der erreichten Bildungsabschlüsse, des Einkommens sowie der Stellung im Beruf das jeweilige Milieu beschrieben, um anschließend die Sicht der Eltern auf den Schulerfolg der Kinder genauer zu erläutern. Dabei werden die eingangs geschilderten unterschiedlichen Rahmenbedingungen innerhalb der Milieus ausgeleuchtet. Schule ist der Ort, an dem unterschiedliche Milieus zusammenkommen, daher sind in die Sichtweisen der Eltern nicht nur Selbst-, sondern auch Fremdbeschreibungen sowie Abgrenzungen zu anderen Milieus mit einbezogen. Die Autoren lösen ihren spezifischen Blick auf geschlechtsspezifische Aspekte hinsichtlich des Bildungserfolgs dadurch ein, dass jeweils die Erwerbstätigkeit und das Einkommen der Mütter graphisch dargestellt werden sowie geschlechtsspezifische Aspekte des Schulerfolgs, beispielsweise die Rolle der Mütter, beschrieben werden. So wird deutlich, dass in einigen Milieus die Mütter hauptsächlich in der Verantwortung stehen, die Kinder in schulischen Angelegenheiten zu Hause zu unterstützen – und dies auch als Selbstverständlichkeit angesehen wird. In anderen Milieus, vornehmlich der Oberschicht wird dieses Modell kritisiert. Frauen wollen ihren beruflichen Ambitionen nachgehen können. Die Analysen werden mit Interviewaussagen – optisch hervorgehoben durch grau unterlegte Felder – von Eltern einleuchtend belegt.

Die Migrationsspezifik wird im Anschluss in Kapitel vier aufgegriffen. Da türkische Migranten sowie Spätaussiedler den Großteil der Migranten in Deutschland stellen, werden diese beiden elterlichen Gruppen näher betrachtet. Das Autorenteam hat hier auf eine milieuspezifische Auswertung verzichtet. Es wird deutlich, dass sich zwischen den beiden Gruppen – türkische Migranten und Spätaussiedler – interessante Unterschiede in Bezug auf Schule ergeben: Türkische Migranten wollen Jungen und Mädchen gleichermaßen Bildung ermöglichen. Sie äußern jedoch, dass Fragen der Erziehung familiäre Themen sind und Schule sich hier tendenziell heraushalten soll. Spätaussiedler hingegen fordern von den Lehrkräften eine stärkere Werteerziehung und übertragen ihre traditionellen Geschlechterbilder auf Lehrerinnen und Lehrer sowie auf Söhne und Töchter.

Die Rahmenbedingungen und Perspektiven der Lehrkräfte werden in Kapitel fünf festgehalten. Interessant ist die Verschiebung der Milieus, aus denen sie kommen: Kamen Lehrkräfte früher zumeist aus dem Milieu der „Traditionellen“, stellt dieses Milieu heute nur noch zehn Prozent. Zunehmend kommen Lehrkräfte heute aus modernen Milieus (Performer, Expeditive). Mehr als die Hälfte der Lehrkräfte kommt aber aus der „Bürgerlichen Mitte“ und aus dem Milieu der „Postmateriellen“. Bei den Lehrkräften zeigt sich also eine starke Durchmischung der Milieus. Lehrkräfte verstehen ihre Aufgabe vor allem darin, einen guten Unterricht zu machen. Dazu gehört für sie nicht nur die Wissensvermittlung, sondern auch die persönliche und soziale Bildung der Schülerinnen und Schüler. Lehrkräfte betonen weiter die große Autonomie, die sie in der Gestaltung ihres Berufes haben und sehr schätzen. Präsent sind in den Interviews jedoch auch Erzählungen über Herausforderungen und Belastungen im Lehrerberuf.

Die Studie zeigt ein breites Spektrum an Wahrnehmungen und Einstellungen zum Thema Schule und Schulerfolg von Kindern, da unterschiedliche Akteure untersucht worden sind. So kann differenziert die Sichtweise von Eltern in einzelnen Milieus erfasst werden, im Speziellen wird auf Sichtweisen von Migranten eingegangen und auch die Perspektive von Lehrkräften ist eingeschlossen. Wenngleich die milieuspezifische Herangehensweise Chancen bereit hält, Eltern nicht als gleichförmige Gruppe wahrzunehmen, so muss doch mit der Milieuperspektive vorsichtig umgegangen werden, da sie wiederum die Gefahr in sich birgt, dass Differenzen auf diese Weise verloren gehen und Eltern innerhalb der Milieus als gleichförmige Gruppe wahrgenommen werden. Dies wird der Vielfalt der Wünsche, Einstellungen und Erwartungen der Eltern nicht gerecht. Studien, die eine differenzierte Sicht auf elterliche Perspektiven auf Schule und Schulerfolg liefern, sind selten. Die vorliegende Studie nähert sich dieser Forschungslücke an und liefert eine anschauliche Beschreibung.
Miriam Lotze (Osnabrück)
Zur Zitierweise der Rezension:
Miriam Lotze: Rezension von: Wippermann, Katja / Wippermann, Carsten / Kirchner, Andreas: Eltern – Lehrer – Schulerfolg, Wahrnehmungen und Erfahrungen im Schulalltag von Eltern und Lehrern. Eine sozialwissenschaftliche Untersuchung der Katholischen Stiftungsfachhochschule Benediktbeuern für die Konrad-Adenauer-Stiftung und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frau. Stuttgart: Lucius & Lucius 2013. In: EWR 13 (2014), Nr. 3 (Veröffentlicht am 04.06.2014), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978382820577.html