EWR 14 (2015), Nr. 5 (September/Oktober)

Uwe Maier
Leistungsdiagnostik in Schule und Unterricht
SchĂŒlerleistungen messen, bewerten und fördern
Bad Heilbrunn / Stuttgart: Klinkhardt / UTB 2015
(247 S.; ISBN 978-3-8252-4178-0; 19,99 EUR)
Leistungsdiagnostik in Schule und Unterricht FĂŒr manche wiederkehrende Themen in LehramtsstudiengĂ€ngen gibt es (sinnvollerweise) Lehr- oder StudienbĂŒcher. Das vorliegende Buch aus dem Klinkhardt Verlag gehört dazu. Es ist in der von Thorsten Bohl, Hans-Ulrich Grunder, Bernd Hackl und Heike Schaumburg herausgegebenen Reihe „Studientexte Bildungswissenschaft“ erschienen, die bei UTB 2015 jĂŒngst mit drei BĂ€nden gestartet ist. Die Reihe ist auf Zuwachs angelegt und als Studienbibliothek mit Grundlagen fĂŒr die Lehramtsausbildung angekĂŒndigt.

Uwe Maier ist spĂ€testens seit seiner Habilitationsschrift „Wie gehen Lehrerinnen und Lehrer mit Vergleichsarbeiten um?“ [1] auf dem Gebiet der schulischen Leistungsdiagnostik ausgewiesen. Dieses Buch ist nun auf diagnostisches Handeln von LehrkrĂ€ften ausgerichtet und mit der Test-Perspektive (hier im Sinne der FĂ€higkeit zur kritischen Analyse vorhandener Schulleistungstests und Entwicklung eigener informeller Leistungstests) verknĂŒpft.

Da die Diagnose von SchĂŒlerleistungen seit jeher zur tĂ€glichen Arbeit gehöre, so Maier, mĂŒssten sich bereits Lehramtsstudierende mit den Grundlagen der pĂ€dagogischen Diagnostik und den Besonderheiten der Leistungsmessung in ihren jeweiligen UnterrichtsfĂ€chern beschĂ€ftigen. Das Studienbuch soll dazu einen Beitrag leisten, nicht zuletzt aber auch eine kritisch-konstruktive Haltung gegenĂŒber schulischen Leistungsdiagnosen anregen. Damit sind Richtung und Aufbau der nachfolgenden Texte vorgezeichnet, die in Begriffe und Themen pĂ€dagogischer Diagnostik einfĂŒhren, Befunde empirischer Forschung vorstellen und sie in ihrem Aussagewert diskutieren.

Das Buch besteht aus zehn Kapiteln, die alle mit einer Vorschau (worum geht es in dem Kapitel) und einer Zusammenfassung versehen sind. In der Einleitung stehen SĂ€tze, die zum Weiterlesen animieren – erstens, weil diagnostische Verfahren unter Beweispflicht gestellt werden („Jedes diagnostische Verfahren muss sich [
] die Frage gefallen lassen, ob es der Expertin bzw. dem Experten in einer bestimmten Entscheidungssituation tatsĂ€chlich eine zusĂ€tzliche Information zur VerfĂŒgung stellen kann“, 11), und zweitens, weil in WeiterfĂŒhrung dieser Argumentation „das Gehirn einer Expertin bzw. eines Experten in einer bestimmten LerndomĂ€ne“ als das „beste, bisher bekannte diagnostisches System“ (ebd.) ins Spiel gebracht wird. Maier hat einsichtige Formulierungen gefunden, die gut erklĂ€ren können, warum Leistungsdiagnostik gleichwohl wichtig und „diagnostische Verfahren und Techniken notwendig und legitim“ (12) sind, so z.B. die gegenĂŒber Computern langsamere oder durch einzelne EindrĂŒcke beeinflusste Verarbeitung von Informationen durch das menschliche Gehirn. Im Hinblick auf diagnostische Meta-Systeme rĂ€t er zugleich zu höchster Vorsicht, da sie „ein Eigenleben entwickeln“ (ebd.) können, wofĂŒr etwa „zentrale Schulleistungstests in den USA“ oder die „DiagnostikglĂ€ubigkeit im Rahmen neuer Formen der Schulinspektion“ (ebd.) Beispiele seien. Das sind Worte, die selbst Skeptikern plausibel machen können, warum es nĂŒtzlich ist, „eine fundierte diagnostische Expertise“ (ebd.) zu entwickeln.

Der Autor versteht sein Buch als ein „ergĂ€nzendes Angebot“, das v.a. durch den „Einbezug der internationalen Diagnostik-Literatur“ und durch „fachdidaktische Beispiele“ (18) thematisch fokussiert ist. Die schulpĂ€dagogische und auch psychologische Literatur zu pĂ€dagogischer Diagnostik, die Maier in seiner Einleitung in Vor- und Nachteilen vorstellt, berĂŒcksichtigt dies seines Erachtens zu wenig. Die LektĂŒre von fachdidaktischen BĂŒchern zum diagnostischen Handeln in einzelnen FĂ€chern könne freilich auch sein Buch nicht ersetzen, weshalb er sie Studierenden fĂŒr das Eigenstudium empfiehlt bzw. ebenso voraussetzt wie die BeschĂ€ftigung mit den rechtlichen Grundlagen der Leistungsbeurteilung.

Maier stellt letztlich die lerndomĂ€nenspezifische UrteilsfĂ€higkeit in den Mittelpunkt, fĂŒr die zunĂ€chst aber „eine ganze Reihe von grundlegenden Fragen“ zu stellen“ ist, z.B. „Welches Verfahren eignet sich fĂŒr welchen Zweck?“ oder „Wie sind Diagnoseverfahren aufgebaut und nach welchen GĂŒtekriterien sind sie zu beurteilen?“ (17).

Von der Gestaltung her ist das Buch eher ein Studien- als ein Lehrbuch, obwohl Maier beide Bezeichnungen verwendet. Nun sind die Grenzen zwischen diesen beiden Typen von Literatur zwar fließend, aber die fĂŒr LehrbĂŒcher typischen didaktischen Gestaltungsmerkmale (etwa eingekĂ€stelte Definitionen oder farbliche Hervorhebungen) gibt es hier nicht. Das macht das Lesen einerseits angenehm, ist aber fĂŒr AnfĂ€nger auch anstrengender. In der Einleitung sind zwar lehrbuchĂ€hnliche Aufgaben fĂŒr Studierende genannt, die aber auf der Empfehlungsebene bleiben und nicht vordergrĂŒndig strukturierend sind. Von der Ansprache her scheinen immer auch Dozentinnen oder Dozenten (die das Buch vermutlich sowieso als Erste lesen) mitgedacht worden zu sein. So, wenn es heißt, dass Studierenden zu empfehlen ist, „dass sie parallel zur LektĂŒre dieses Studienbuches mindestens einen Schulleistungstest recherchieren, selbst erproben und entlang der im Studienbuch gestellten Fragen analysieren“ (18). „Der Mathematikstudent sollte ĂŒberlegen, ob die aktuelle Debatte ĂŒber Kompetenzdiagnostik in Mathematik eine direkte Auswirkung auf sein Diagnoseverfahren in der Unterrichtseinheit ‚Rationale Zahlen‘ hat“, und die „Grundschullehramtsstudentin könnte sich fragen, ob ein computergestĂŒtztes Diagnoseverfahren fĂŒr die Einschulung einen Vorteil bringen könnte“ (ebd.). UnabhĂ€ngig von der Adressierung eröffnen sich durch diese Fragen konkrete BezĂŒge, die das Allgemeine mit dem Besonderen verbinden und den thematischen Zugang erleichtern.

Die nachfolgenden Kapitel zwei bis sechs sind im grafischen ThemenĂŒberblick, der sich als roter Faden hilfreich erweist, den „Kategorien zur Analyse und Gestaltung pĂ€dagogisch-diagnostischen Handelns“ (17) zugeordnet. Darunter fĂ€llt die „Analyse des zu diagnostizierenden Wissens“ (Kapitel zwei) mit der ĂŒblichen Unterscheidung zwischen deklarativem und prozeduralen Wissen. Maier gelingt es, diese Unterscheidung auch im Hinblick darauf zu erklĂ€ren, was zu tun ist, wenn man mehr das eine oder mehr das andere messen will (22) – bei prozeduralem Wissen etwa SchĂŒlerinnen und SchĂŒler in eine Situation bringen, in der sie ein Verhalten zeigen mĂŒssen, das aufgrund eben dieses prozeduralen Wissens (quasi automatisch) ausgefĂŒhrt werden kann, wie es bei flĂŒssigem Lesen der Fall ist. Auf diese Weise konkretisierend geht Maier auch in den folgenden Kapiteln (3. Funktionen pĂ€dagogischer Diagnostik, 4. Fragen der Erfassung von Wissen, 5. Interpretation, Bewertung und Feedback und 6. NebengĂŒtekriterien: Testökonomie, Fairness und Effizienz diagnostischer Verfahren) vor.

Die internationale Perspektive wird in einigen Kapiteln anhand von Suchbegriffen aus dem englischsprachigen Educational Ressource Information Center-, kurz ERIC-Thesaurus berĂŒcksichtigt, was als EinfĂŒhrung in die international ĂŒbliche Fachterminologie gedacht ist, in manchen Details aber gut, wenn nicht vor allem, an Doktoranden adressiert sein könnte. Insofern hat man es mit einer Mischung zu tun, die AnfĂ€nger, aber auch Fortgeschrittene zu berĂŒcksichtigen sucht. Dies kann auch in den Kapiteln 7. Summative Leistungsdiagnostik, 8. Formative Leistungsdiagnostik, 9. ComputerunterstĂŒtzte Leistungsdiagnostik und 10. Testdatenbasierte Schul- und Unterrichtsentwicklung beobachtet werden, die z.T. auch hinsichtlich statistischer Kenntnisse nicht voraussetzungsfrei sind. Das muss fĂŒr den Einsatz des Buches in Seminaren kein Schaden sein, sollte aber beachtet werden.

Das Urteil der Reihenherausgeber aus dem Vorwort lĂ€sst sich nach der LektĂŒre bestĂ€tigen. Das Buch ist eine ĂŒberaus kenntnisreiche, um aktuelle Erkenntnisse erneuerte Darstellung grundlegender diagnostischer Themen. Die Literatur ist international und auf dem aktuellen Stand, und es werden auch jĂŒngere Entwicklungen (computergestĂŒtzte Diagnosesysteme) thematisiert, die andernorts noch gar nicht oder nicht so ausfĂŒhrlich berĂŒcksichtigt worden sind. Auch wenn einige Referenzen (z.B. Lernprogramme oder Online-Tools) in zwei Jahren vielleicht schon wieder ĂŒberholt sind, bietet das Studienbuch insgesamt eine gute, aufgrund seiner AktualitĂ€t derzeit sogar die beste Grundlage fĂŒr die BeschĂ€ftigung mit dem Thema.

[1] vgl. die Besprechung der 2009 erschienenen Publikation in der EWR http://www.klinkhardt.de/ewr/978383400576.html
Heidemarie Kemnitz (Braunschweig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Heidemarie Kemnitz: Rezension von: Maier, Uwe: Leistungsdiagnostik in Schule und Unterricht, SchĂŒlerleistungen messen, bewerten und fördern. Bad Heilbrunn/Stuttgart: Klinkhardt/UTB 2015. In: EWR 14 (2015), Nr. 5 (Veröffentlicht am 23.09.2015), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978382524178.html