Für angehende LehrerInnen ist die Entwicklung von Reflexionskompetenz des eigenen Lern- und Lehrhandelns ein wesentlicher Ausbildungsbestandteil. Zudem ist die Reflexionskompetenz in der späteren Berufstätigkeit weiter auszubauen. Da dem Portfolio als didaktischem Instrument gemeinhin zugeschrieben wird, dass es die Reflexionsfähigkeit der GestalterInnen unterstützen kann, wird dieses Element im deutschsprachigen Raum in verschiedenen Phasen der LehrerInnenbildung vermehrt eingesetzt. Folglich stellen Barbara Koch-Priewe, Tobias Leonhard, Anna Pineker und Jan Christoph Störtländer im vorliegenden Sammelband die nachvollziehbare Frage: Wie gestaltet sich derzeit die Arbeit mit Portfolios im Kontext der LehrerInnenbildung? Der Band fasst Ergebnisse des Internationalen Portfolio-Symposiums (IPS) im Jahr 2012 zusammen. Hierbei beziehen sich die 17 Beiträge mit einer Ausnahme auf entsprechende Erfahrungswerte aus dem deutschsprachigen Raum.
Bereits im Vorwort lässt sich erkennen, dass dem HerausgeberInnenteam thematische Transparenz und Übersichtlichkeit wesentliche Anliegen sind. Die LeserIn erhält einen Einblick in den Aufbau und die Kernaussagen der fortlaufenden Artikel, welche in sechs Abschnitte unterteilt werden. Nach einer allgemeinen Einführung in verschiedene Portfolioformen im universitären Kontext wird im ersten Abschnitt dargestellt, wie sich die Varianten des Portfolios bislang in der deutschen LehrerInnenbildung etablieren ließen.
Darauf folgend wird auf das Portfolio als Instrument zur Kompetenzentwicklung in den drei Phasen der LehrerInnenbildung eingegangen. An dieser Stelle zeigt sich, dass die HerausgeberInnen bei der Zusammenstellung der Artikel bemüht waren, nicht nur Bedingungen für eine gelingende Portfolioarbeit herauszustellen, sondern ebenso institutionelle Anforderungen zu bedenken. Besonders interessant sind die Schilderungen von Peter Bade über die Portfolioerfahrungen im Hamburger Referendariat. Bade beschreibt die ambivalenten Erlebnisse der SeminarleiterInnen und ReferendarInnen hinsichtlich Akzeptanz und Ausmaß der Arbeit mit Portfolios: Für die Seminarleitungen stand der Wunsch nach einer persönlichen Betreuung im Spannungsfeld zu den bereits bestehenden curricularen Anforderungen im Referendariat. Die positiven Erfahrungen der ReferendarInnen hinsichtlich der offenen Gestaltungsform und einer damit verbundenen Ergebnisvielfalt stehen einer empfundenen Zusatzbelastung mit einem unklaren Mehrwert gegenüber. Hervorzuheben sei jedoch, dass trotz der unterschiedlichen Einbindung ein einheitliches Mindestmaß an Portfolionutzung umgesetzt wurde. Mit solchen Ausführungen lässt sich im Sammelband nachvollziehen, dass der Prozess zur Etablierung eines Portfolios Herausforderungen aufwirft, jedoch gleichzeitig ein hohes Entwicklungspotential zulässt. Zudem ist hervorzuheben, dass nicht lediglich Beiträge zu den Ausbildungsphasen an der Universität und im Referendariat eingebunden werden. In seinem Artikel stellt etwa Harry Neß darüber hinaus einen Bezug zum Konzept des lebenslangen Lernens her. Die gestiegenen Erwartungen an das Handeln von LehrerInnen setzen eine komplexe Reflexionstätigkeit voraus, welche die nicht formale und informelle Lernbiografie mit einbeziehen müsse. Neß stellt die Entwicklung eines Professionalisierungs-Portfolios dar, in welchem Lernprozesse nicht auf die unterrichtende Tätigkeit reduziert werden. Vielmehr werden im Rahmen des lebenslangen Lernens die Kompetenzen der ganzheitlichen Lehrperson als Wert genutzt. Eine weitere Auseinandersetzung mit diesen Aspekten wäre lohnend gewesen.
Im dritten Abschnitt wird in vier Beiträgen die Reflexion als Kernelement der Portfolioarbeit aufgegriffen. Im ersten Artikel geht Tobias Leonhard auf den nicht unproblematischen Einsatz des Portfolios als Instrument sowohl zur Förderung der Reflexionskompetenz als auch zur gleichzeitigen Leistungsbewertung ein. Auf Gelegenheiten zur Reflexion vom Eignungspraktikum bis zum Abschluss des Vorbereitungsdienstes wird in dem darauffolgenden Beitrag über das phasenübergreifende Portfolio seitens Anna Pineker und Jan Christoph Störtländer Bezug genommen. Spannend lässt sich ebenfalls die sich gegenseitig bedingende Reflexion von PortfolionutzerInnen und den durchführenden Institutionen verfolgen, die Achim Broszjewski darstellt. Abschließend weist Rose Vogel auf mögliche Anregungen zur Selbstreflexion in fachdidaktischen Lehr-Lern-Partien im Mathematikstudium hin.
Der vierte Teil des Bandes wird vertiefend dem Spannungsfeld zwischen gewünschten Lerneffekten (angehender) LehrerInnen einerseits und notwendigen Leistungsbewertungen im Rahmen der Lehrerausbildung andererseits gewidmet. Insbesondere der Beitrag von Fisun Akşit und Julia Harting zur Umstrukturierung der türkischen LehrerInnenbildung ist informativ zu lesen, weil sich dieser Artikel auf Portfolioerfahrungen in der türkischen Lehrerbildung bezieht. Es wird veranschaulicht, inwieweit die Einbindung von Portfolios durch bildungspolitische Rahmenbedingungen bestimmt wird. Die seit 2005 gestartete Bildungsreform rückte einen neuen Handlungsschwerpunkt von LehrerInnen in den Vordergrund: Neben der Ãœberprüfung der Leistungen wird der Begleitung des individuellen SchülerInnenlernens vermehrt Bedeutung beigemessen. Die AutorInnen problematisieren die Akzeptanz des Portfolios in einem weiterhin auf schriftlichen Abfragen basierenden Bewertungssystem. Als Lösungsansatz schlagen sie neben einem konstruktivistischen Blickwinkel auf die Lehrtätigkeit eine Modifizierung der curricularen Anforderungen vor. Selbstverständlich kann in einem Sammelband, in welchem der Fokus auf den Portfolioeinsatz im deutschsprachigen Raum gelegt wird, keine entsprechende Vertiefung erfolgen. Es wäre jedoch erfreulich, wenn die gewonnenen Erkenntnisse an anderer Stelle erneut aufgegriffen werden könnten.
Auf die digitale Umsetzung des Portfolios im Lehramtsstudium wird im fünften Teil mit zwei Beiträgen, nämlich von Gerd Bräuer und Stefan Keller sowie von Klaus Himpsl-Gutermann und Peter Groißböck, eingegangen.
Der letzte Abschnitt nimmt einerseits auf den Portfolioeinsatz und die Forschungsthemen der jeweiligen AutorInnen Bezug, andererseits zeigt er Perspektiven für zukünftige Untersuchungen auf. Das von Tina Hascher und Christine Sonntagbauer gestaltete Kapitel zeigt abermals die Vorgehensweise des vorliegenden Bandes, nicht lediglich zu bilanzieren, sondern zu hinterfragen und Denkanstöße zu geben.
Dem zum Einstieg formulierten Anspruch, eine Bestandsaufnahme der bisherigen Portfolioerfahrungen im deutschsprachigen Raum vorzunehmen, sind die HerausgeberInnen gerecht geworden. Der Aufbau der gut lesbaren Beiträge ermöglicht eine themenspezifische Lektüre. Es wird vorwiegend der Portfolioeinsatz in den ersten beiden Phasen der LehrerInnenbildung thematisiert. Somit ist der Sammelband insbesondere für ein Zielpublikum ansprechend, welches in die Umsetzung des Portfolios in diesen Ausbildungsphasen eingebunden ist. Für Leserinnen und Leser, die sich bereits mit der Thematik im wissenschaftlichen Bereich befasst haben, ist außerordentlich erfreulich, dass neben einer konzeptionellen Bilanzierung viele Beiträge die Einbindung empirischer Untersuchungen auszeichnet. Indem die Bedingungen für eine gelingende Umsetzung analysiert und mit Hinweisen auf möglichen Nachsteuerungsbedarf verknüpft werden, gibt der Band nicht nur einen guten Einblick in den aktuellen Stand, sondern regt zugleich zu weiteren Forschungsvorhaben an.
EWR 14 (2015), Nr. 1 (Januar/Februar)
Portfolio in der LehrerInnenbildung
Konzepte und empirische Befunde
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2013
(304 S.; ISBN 978-3-7815-1931-2; 19,90 EUR)
Désirée Schräer (Braunschweig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Désirée Schräer: Rezension von: Koch-Priewe, Barbara / Leonhard, Tobias / Pineker, Anna / Störtländer, Jan Christoph (Hg.): Portfolio in der LehrerInnenbildung, Konzepte und empirische Befunde. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2013. In: EWR 14 (2015), Nr. 1 (Veröffentlicht am 06.02.2015), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151931.html
Désirée Schräer: Rezension von: Koch-Priewe, Barbara / Leonhard, Tobias / Pineker, Anna / Störtländer, Jan Christoph (Hg.): Portfolio in der LehrerInnenbildung, Konzepte und empirische Befunde. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2013. In: EWR 14 (2015), Nr. 1 (Veröffentlicht am 06.02.2015), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151931.html