(I) Anlage-Umwelt-Diskurs. Historie, Systematik und erziehungswissenschaftliche Relevanz.
Der âAnlage-Umwelt-Diskursâ hat abendlĂ€ndische Dimension â der Mensch fragt darin nach sich, nach seiner Entwicklung und nach seiner Stellung in der Welt und produziert(e) dabei in unserer Ăberlieferung â angefangen also bei den griechischen Philosophen â seit zweieinhalb Jahrtausenden höchst unterschiedliche Ansichten und viel widersprĂŒchliches Wissen; fĂŒr PĂ€dagogen und Erziehungswissenschaftler ordnet es sich einprĂ€gsam im Dual von âBildsamkeit und Bestimmungâ (sc. Heinrich Roth, 1966). Die darin eingefangene Forschung bzw. das darin eingebundene Grundlagenwissen dient vornehmlich zur BegrĂŒndung normativer und normierender Aussagen sowie zur Vermessung und Markierung der praktischen Reichweite von âPĂ€dagogikâ. Von daher und mithin hat der âAnlage-Umwelt-Diskursâ die Erziehungswissenschaft schon immer interessiert. Die legitimatorische Defizitfeststellung von Michael Lenz, dass âder Anlage-Umwelt-Diskurs in der Erziehungswissenschaft bisher recht stiefmĂŒtterlich behandelt wordenâ sei, kann insofern irritieren â sie trifft ausschlieĂlich auf den Diskurs als solchen zu. Eben den nimmt sich Lenz nun auch vor und versucht, âdie Anlage-Umwelt-Debatte im Allgemeinen sowie das Spektrum der vertretenen Positionen im Besonderen in systematischer Weise und mithilfe eines auf die Debatte zugeschnitten Vokabulars zu erfassenâ (X).
Dieser âVersuchâ ist in der Sache wohl gelungen, das Geflecht und âGewimmelâ (315) der wissenschaftlichen Positionen in dieser Debatte wird distinkt geordnet, und Lenz ist dafĂŒr auch der richtige Mann: von Haus aus Biologe, vermag er, Wissensverschleifungen und Begriffswirrwarr, wie er bei der Rezeption biologischer Forschung in den Gesellschaftswissenschaften, gerade auch in der Erziehungswissenschaft, notorisch entsteht, sowohl zu vermeiden als auch aufzuklĂ€ren â eine âKurzeinfĂŒhrung in die Grundbegriffe der Genetikâ hĂ€ngt dem Band an. Es sind ja gerade die Aussagen und Befunde der Genetik, die den âAnlage-Umwelt-Diskursâ kontrovers treiben und bis heute gesellschaftlich brisant machen, siehe jĂŒngst den von Thilo Sarrazin mit einschlĂ€gig leichtfertigen Behauptungen zur Erblichkeit von Intelligenz losgetretenen Furor â Lenz weist in seinem Vorwort selbst darauf hin. Michael Lenz legt also eine erste und eine grĂŒndliche Systematik der wissenschaftlichen Erbe-Umwelt-Debatte mit Verortung auch in der Erziehungswissenschaft vor.
Das âMaterialcorpusâ (32) dafĂŒr liefert ihm ein DFG-Projekt (âDer Anlage-Umwelt-Diskurs in der bundesdeutschen Erziehungswissenschaft seit 1950â), dem in der Antragstellung eine Literaturrecherche des Autors im Umfang von rund 20.000 AufsĂ€tzen in den anerkannt âwichtigsten erziehungswissenschaftlichen Fachzeitschriftenâ (31) zugrundelag; daraus wurde fĂŒr die Inhaltsanalyse ein selektiver Bestand von zuletzt 200 FachaufsĂ€tzen 1950-2002 gezogen und um 40 Titel fĂŒr die Jahre 2003-2008 ergĂ€nzt; beide BestĂ€nde sind dem Band angehĂ€ngt. Die penible, auch redundante Befassung mit dem âMaterialcorpusâ trĂ€gt noch die Handschrift eines Forschungsantrags, wie zum âDesignâ des Bandes zudem kritisch angemerkt sei, dass ihm der Dissertationszweck noch eingeschrieben ist, dies besonders im Kapitel âFragestellung und Gang der Argumentationâ (Teil I, 1.4), in den âzusammenfassende[n] Einordnung[en]â einzelner Teile sowie in der rekapitulierenden âZusammenfassungâ des ganzen Bandes, die, beginnend mit dem typischen Satz einer jeden solchen Qualifikationsschrift: âIn dieser Dissertation wurde âŠâ (319), fĂŒr eine Buchveröffentlichung in der vorliegenden Form ĂŒberflĂŒssig ist.
Aufgrund des beschriebenen âMaterialcorpusâ enden die statistischen Aussagen zu den ins Auge gefassten einzelnen Konjunkturen der Anlage-Umwelt-Debatte â sie werden in 15 Tabellen auch graphisch verdeutlicht â gegen 2008; damit ist die âaktuelle Gesamtschauâ (X) nicht mehr so ganz aktuell. Gleichwohl liegt ein Forschungsbericht vor, den man mit groĂem Gewinn studiert. Der âAnlage-Umwelt-Diskursâ wird in seiner ihm eigenen KomplexitĂ€t, in der Vielfalt seiner Positionen und der Menge seiner disziplinĂ€ren Lesarten, wĂŒnschenswert systematisch dargestellt; dazu gibt es einen wissensgeschichtlichen Abriss, werden drei einflussreiche Richtungen des Diskurses als dessen Exempla vorgenommen, vier âSchlĂŒsseldebattenâ des Diskurses vorgestellt, und zuletzt die âerziehungswissenschaftliche Relevanzâ des Ganzen diskutiert.
Die sorgfĂ€ltige systematische EinfĂŒhrung (Teil I) nimmt das Anlage-Umwelt-Dual begriffslogisch, real- und diskursanalytisch in extenso auseinander mit dem Ergebnis, dass es logisch gebraucht werde, realiter aber untauglich und auch unzutreffend sei. Dies ist nicht eben ein Sonderfall im basalen wissenschaftlichen BemĂŒhen, faktische Vielfalt gedanklich zu ordnen. Der historische Abriss (Teil II) geht von der Antike ĂŒber die AufklĂ€rung bis zum gesellschaftlichen Gebrauch der Evolutionstheorie in der Form von Sozialdarwinismus, Eugenik und Rassenhygiene, damit bis 1945, fĂŒhrt auch in den jeweiligen Zeitgebrauch der Grundbegriffe ein und fasst das Ganze systematisch unter âExtrempositionen und Gesellschaftsutopienâ zusammen (115). Die drei unter âPositionen des aktuellen Anlage-Umwelt-Diskursesâ (Teil III) wissenschaftsgeschichtlich und systematisch abgehandelten Exempla sind Verhaltensgenetik samt Zwillingsforschung, Soziobiologie sowie Evolutionspsychologie und âKritischer Interaktionismusâ, worunter fĂŒr Lenz alle AnsĂ€tze fallen, die das Anlage-Umwelt-Dual kritisch ĂŒberwinden. Sie kommen insbesondere aus der Biologie selbst, sind aber heterogen, werden deshalb mit ihren jeweils namhaften Vertretern in ihren einzelnen Positionen schematisch erfasst (176) und ausfĂŒhrlicher beschrieben als die vergleichsweise homogenen ersten beiden Exempla â âkritischer Interaktionismusâ im angegebenen Sinne ist offenkundig eine SpezialitĂ€t des Autors.
Als âSchlĂŒsseldebatten im Anlage-Umwelt-Diskursâ (Teil IV) werden abgehandelt: die Kontroverse ĂŒber die Wissenschaftlichkeit der Forschungen der Kulturanthropologin Margaret Mead (âMead-Freemann-Kontroverseâ); die Debatten ĂŒber die Erblichkeit oder Nicht-Erblichkeit von Intelligenz im vergangenen Jahrhundert, dabei insbesondere die âJensen-Debatteâ in den 1970er sowie diejenige ĂŒber die Aussagen und Befunde und von Herrnstein und Murray in den 1990er Jahren; die Debatte ĂŒber die Zwillingsforschung von Cyril L. Burt und die darin vermutete DatenfĂ€lschung (âBurt-Skandalâ â Burt war ein vehementer Vertreter der Erblichkeitsthese); der Fall âDavid Reimerâ, die an diesem Ereignis fataler Geschlechtsumwandlung diskutierte AbhĂ€ngigkeit von Geschlecht und Intelligenz Ende der 1990er Jahre und folgende. Bei allen vier âSchlĂŒsseldebattenâ geht Lenz gewissenhaft referierend und mit nahezu ĂŒberschieĂendem Literaturzitat der historischen Entwicklung, der allgemeinen Argumentation sowie den besonderen Argumenten und/oder Befunden und der wissenschaftlichen Rezeption samt den dabei verfolgten diskursiven Strategien nach.
In der Erziehungswissenschaft fanden diese vier âSchlĂŒsseldebattenâ unterschiedliche Aufmerksamkeit, was wenig wundert, nicht alle betreten und betreffen pĂ€dagogisches Terrain gleich wesentlich. âDie Bedeutung der Anlage-Umwelt-Debatte fĂŒr die Erziehungswissenschaftâ erörtert Lenz nachklappend, indem er die âerziehungswissenschaftliche Relevanzâ der Verhaltensgenetik, der Evolutionspsychologie und des âKritischen Interaktionismusâ (im o.a. Sinne) erörtert; warum er dabei die zuvor systematisch beachtete Soziobiologie auslĂ€sst, ist unerfindlich, gerade sie wurde in der Erziehungswissenschaft stark beachtet. Lenz konstatiert insgesamt âabflauendesâ Interesse (317) â das freilich andernorts, hier im bevorzugt zitierten angelsĂ€chsischen Sprachraum, ebenso vorliegt â und eher zurĂŒckhaltende Rezeption. Das ist und die vom Autor dafĂŒr zitierten GrĂŒnde innerwissenschaftlicher Konstitution sind wohl bekannt, in der Erziehungswissenschaft wird defizitĂ€re Rezeption biologischen Wissens seit gut 40 Jahren beklagt.
Von âdisziplinĂ€rer Abschottungâ (317) kann indes nicht mehr die Rede sein, man muss auch heute nicht mehr vor einer solchen warnen. Interesse oder Nicht-Interesse der Erziehungswissenschaft âan anderen biologischen Wissensgebietenâ (ebd.) hĂ€ngt von QualitĂ€t und Relevanz der biologischen Forschung(saussagen) ab, der Autor aber hat die Rezeption nur quantitativ am Diskursgeschehen gemessen, und dies auf der Basis eines âMaterialcorpusâ (s.o.), das Buchpublikationen nicht erfasst, und eines Messinstrumentes, das zur Erfassung und Feststellung (inner)wissenschaftlicher Wissensaufnahme nur bedingt hinreicht, nĂ€mlich des Social Sciences Citation Index (SSCI). Rezeption in der Wissenschaft ist bekanntlich auch ein qualitativer Vorgang â nicht jede gezĂ€hlte Befassung wiegt gleich viel oder findet dasselbe Gehör und denselben Niederschlag. So erscheint es kĂŒhn, von dem Fakt der Nicht-Zitation biologischer Forschung in der Erziehungswissenschaft, dies belegt am âReimer-Fall und [der] Harris Debatteâ [1] (293), auf âstrikte Verleugnungâ zu schlieĂen. Wie im vorliegenden Bande selbst nachzulesen, ist manches dort produzierte Wissen windig und bietet sich fĂŒr substantielle Befassung gar nicht an.
Wohl aber lĂ€sst sich damit Diskurspolitik machen. Das weist die Studie von Lenz auch ĂŒberzeugend nach. So findet die Rezensentin sie in erster Linie wissenschaftsgeschichtlich und diskurspolitisch interessant; gerade in der Erbe-Umwelt-Debatte kann man hier viel und detailliert ĂŒber die AbhĂ€ngigkeit von Erkenntnis und Interesse lernen.
(II) Darwinismus, Bildung, Erziehung. Historische Perspektiven auf das VerhÀltnis von Evolution und PÀdagogik.
Ein StĂŒck der langen Tradition der Anlage-Umwelt-Debatte in der Erziehungswissenschaft bekommt man auch in dem von Florian Bernstorff und Alfred Langewand herausgegebenen Band zu fassen. Dort werden, die acht EinzelbeitrĂ€ge zusammengenommen, fĂŒr das âkomplexe ideengeschichtliche PhĂ€nomenâ Darwinismus (6) die âApplikationsfelder und -muster innerhalb der PĂ€dagogikâ (8) nachgezeichnet, dies nicht unabhĂ€ngig von sozialen und politischen Motiven. Insofern entsprechen und ergĂ€nzen sich Gegenstand und Erkenntnisinteresse der beiden angezeigten BĂ€nde wissenschaftsgeschichtlich, wozu bei Bernstorff/Langewand die lange Jahrhundertwende 1880-1920 in den Blick rĂŒckt. Auf die seinerzeit eingeĂŒbte und bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in der Erziehungswissenschaft vorherrschende selektiv kritische Rezeption evolutionsbiologischer Forschung, die auch Lenz aufgefallen ist (s.o.), weisen die Herausgeber einleitend mit der Frage hin, âob diese Form der Bearbeitung externer Ideen dem pĂ€dagogischen Denken strukturell innewohntâ (13). Dazu kann man nur locker anmerken, dass jede Wissenschaft gut beraten ist, âexterne Ideenâ auf den Erkenntnisgewinn in eigener Sache hin kritisch zu befragen, womit sich oft erĂŒbrigt, sie in aller VollstĂ€ndigkeit zu rezipieren. Zu den einzelnen BeitrĂ€gen des Bandes in der dort vorliegenden Reihenfolge:
Mike Hawkins (âSocial Darwinism and Female Education 1870-1920â) trĂ€gt vor, dass im angegebenen Zeitraum das sozialdarwinistische Theorem gesellschaftlich ambivalent beansprucht wurde, dass es nicht nur die Ăberlegenheit des Mannes gegenĂŒber der Frau begrĂŒnden half, wie weithin bekannt, sondern sich auch fĂŒr die Emanzipation der Frau verwenden lieĂ. DafĂŒr zitiert Hawkins stichworthaft drei Autoren: die französische Ăbersetzerin der âOrigins of Speciesâ (Darwin 1852), ClĂ©mence Royer, die britische Dichterin Emily Pfeiffer und die uns allseits bekannte Ellen Key, wobei er den einschlĂ€gigen hiesigen Diskurs, insbesondere die Auseinandersetzung mit dem eugenischen Denken von Ellen Key [2], souverĂ€n ignoriert.
Einen am Einzelfall gut fundierten Eindruck von der KomplexitĂ€t der seinerzeitigen Debatte liefert hingegen Carsten MĂŒller (âPaul Bergemann gegen Paul Natorp: ein Blitzlicht auf das evolutionistische Denken im Diskurs der SozialpĂ€dagogik um 1900â). Dasselbe ist dem Beitrag (âEvolution und Entwicklung im Schulbuch um 1900â) von Tim Köhler zu bestĂ€tigen. Festgemacht an den beiden Haupt- und Grundbegriffen â die im Ăbrigen den Streit zwischen Darwinismus und Lamarckismus markieren â verfolgt Köhler die Rezeption des Darwinismus im preuĂischen Schulbuch und dabei, in aller KĂŒrze, auch die Rezeptionsstrategien der bildungspolitischen Parteien, i.e. des Staates und der Religionsgemeinschaften.
Marc Depaepe, Ralf de Bont und Kristof Dams informieren ĂŒber âDarwinism and the Development of Educational Thought in Belgium before Word War IIâ, dabei vor allem ĂŒber die auĂerwissenschaftliche Steuerung der Darwin-Rezeption gerade im Erziehungssektor. Wie zu erwarten, wird sie in Belgien von Katholiken und âNicht-Katholikenâ ĂŒber deren gesellschaftliche Institutionen bestimmt, es gibt kaum unvermittelte Rezeption. Da sich nun beide Seiten im Erziehungssektor schon von Berufs wegen das Konzept der Umweltanpassung aneignen mĂŒssen, kommt es zu einigen argumentativen Verrenkungen, die man heute mit Schmunzeln nachliest. Insgesamt kommt in Belgien auf diese Weise diskursive KomplexitĂ€t zustande.
Die Ambivalenzen der Darwin-Rezeption im Erziehungssektor stellt auch Florian Bernstorff heraus (âErnst Haeckel und die MoralpĂ€dagogikâ). Von Haeckel, einem ĂŒberzeugten Darwinisten, greift man just die GedankengĂ€nge auf, die nicht âzum Kern des darwinistisch TheoriegebĂ€udes gehörenâ (109), das sind hier die Annahme der Vererbung erworbener Eigenschaften (Lamarck!) und die Ăbertragung des biogenetischen Grundgesetzes in die Kulturgeschichte. So macht sich ein jeder und jede pĂ€dagogische Interessensvertretung den Darwinismus zurecht, der ihm und ihr frommt.
Nicht anders als die MoralpĂ€dagogik griff auch die SozialpĂ€dagogik auf das neue Wissen bzw. auf die neuen Theoreme ĂŒber die Natur des Kindes im Darwinismus aus Interesse an der Entwicklung und den Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes zu. Florian EĂer und Wolfgang Schröer (âDer kindliche âEntwickelungsgangâ. Kinderforschung und SozialpĂ€dagogik um 1900â) verfolgen eben dies an Hand derjenigen Publikationen, in denen sich die historisch-genetischen, die naturalistischen und die evolutionistischen Positionen der Zeit prĂ€gnant niederschlagen [3]. Daran ist aus heutiger Sicht von besonderem Interesse, wie seinerzeit ânormaleâ von pathologischer Entwicklung unterschieden wird. Alle Positionen aber, so der wissenschaftsgeschichtliche Befund der Autoren, liefen letztlich auf âpĂ€dagogische Professionalisierungâ hinaus und dienten der âReklamierung von Arbeitsfeldernâ (126).
Von der Steuerung der Rezeption ĂŒber den âGebrauchswertâ des jeweiligen neu produzierten Wissens liest man auch im Beitrag von Sabine Baum (âAdaptionen Darwins im angehenden Chicagoer Pragmatismusâ). Er weist nach, dass Darwins evolutionstheoretisch fundierte GefĂŒhlstheorie fĂŒr die genannte Schule deshalb interessant war, weil sie âEmotionen eine Funktion fĂŒr menschliches Verhalten zuwies und somit ihre NĂŒtzlichkeit fĂŒr menschliches Handel aufdeckteâ (133), wobei die Autorin darauf hinweist, dass diese funktionale ErklĂ€rung der GefĂŒhle wohl pĂ€dagogische Praxis ordnen, sie aber nicht anleiten kann. Die bei Baum ins Auge gefasste Chicagoer Schule spricht auch Steffen SchlĂŒter im letzten und lĂ€ngsten Beitrag des Bandes an (âCharles Darwin und die âgeisteswissenschaftliche Hermeneutikâ im amerikanischen Pragmatismusâ). Ihm geht es um eine âzusammenhĂ€nge Interpretation von Forschungen ĂŒber Charles Darwin, Wilhelm Wundt, Wilhelm Dilthey und den amerikanischen Pragmatismusâ (153), und er referiert dazu ĂŒber die âbiologische Psychologie der GebĂ€rde von Charles Darwinâ(154), ĂŒber die âphilologische Sprachforschung von Friedrich Max MĂŒllerâ (156), ĂŒber die âphysiologische Psychologie und Völkerpsychologie der Sprache von Wilhelm Wundtâ (161), ĂŒber die âgeisteswissenschaftliche Hermeneutik bei Wundt und Diltheyâ (167) sowie ĂŒber die âSozialpsychologie von Mead und die Philosophie von Dewey aus der Perspektive eines geisteswissenschaftlich-hermeneutisch vermittelten Darwinismusâ (175). All diese StĂŒcke hĂ€ngen in der hermeneutischen Lesart des Verfassers zusammen, eine âzusammenhĂ€ngende Interpretationâ ergibt das freilich noch nicht.
In summa informiert der von Florian Bernstorff und Alfred Langewand zusammengestellte Band pointiert darĂŒber, wie und aus welchem Interesse wissenschaftliche Diskurse gesteuert und â neu produziertes â Wissen rezipiert wird. NatĂŒrlich sind wir ĂŒber den gesellschaftlichen Funktionszusammenhang von âErkenntnis und Interesseâ (sc. Habermas 1968) informiert; jetzt kann man ihn im Bereich der Erziehungswissenschaft am Exempel âDarwinismusâ studieren. Das ist im Einzelfall informativ und insgesamt wissenschaftsgeschichtlich gewinnbringend.
[1] Diese Debatte hat die Rezensentin im Buch nicht aufstöbern können.
[2] Bes.: Reyer, J.: Eugenik und PĂ€dagogik. MĂŒnchen: Weinheim 2003.
[3] Preyer, W. T.: Die Seele des Kindes. Beobachtungen ĂŒber die geistige Entwicklung des Menschen in den ersten Lebensjahren. Leipzig: Grieben 1882; Sigismund, B.: Kind und Welt. Braunschweig: Vieweg 1856/1897; Zeitschrift fĂŒr Kinderforschung.
EWR 12 (2013), Nr. 3 (Mai/Juni)
Sammelrezension zur erziehungswissenschaftlichen Debatte um Evolution
Anlage-Umwelt-Diskurs
Historie, Systematik und erziehungswissenschaftliche Relevanz
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2012
(390 S.; ISBN 978-3-7815-1882-7; 39,00 EUR)
Darwinismus, Bildung, Erziehung
Historische Perspektiven auf das VerhÀltnis von Evolution und PÀdagogik
Berlin: LitVerlag 2012
(187 S.; ISBN 978-3-643-11563-8; 29,90 EUR)
Gisela Miller-Kipp (DĂŒsseldorf)
Zur Zitierweise der Rezension:
Gisela Miller-Kipp: Rezension von: Lenz, Michael: Anlage-Umwelt-Diskurs, Historie, Systematik und erziehungswissenschaftliche Relevanz. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2012. In: EWR 12 (2013), Nr. 3 (Veröffentlicht am 28.05.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151882.html
Gisela Miller-Kipp: Rezension von: Lenz, Michael: Anlage-Umwelt-Diskurs, Historie, Systematik und erziehungswissenschaftliche Relevanz. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2012. In: EWR 12 (2013), Nr. 3 (Veröffentlicht am 28.05.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151882.html