EWR 10 (2011), Nr. 3 (Mai/Juni)

Diana Franke-Meyer
Kleinkindererziehung und Kindergarten im historischen Prozess
Ihre Rolle im Spannungsfeld zwischen Bildungspolitik, Familie und Schule
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2011
(301 S.; ISBN 978-3-7815-1783-7; 32,00 EUR)
Kleinkindererziehung und Kindergarten im historischen Prozess Mit ihrer Dissertation legt Diana Franke-Meyer eine historische Studie zur Rolle der öffentlichen Kleinkinderziehung im Spannungsfeld zwischen Familie und Schule vor. Insbesondere auf den zweiten Aspekt wird Wert gelegt, auch und gerade weil die historische Bildungsforschung die Entwicklung von Schule und Kindergarten bisher getrennt dargestellt hat. Sie knüpft damit an Überlegungen an, wie sie von Jürgen Reyer und ihr selbst in Erfurt erarbeitet wurden.

Franke-Meyers Anliegen ist es nicht, einen umfassenden Überblick über die Geschichte der öffentlichen Kleinkinderziehung zu geben. Ihr geht es um das Verhältnis der vorschulischen Einrichtungen zur Familie und zur Schule im Zeitraum von der Entstehungszeit der institutionellen Kleinkinderziehung bis zur Weimarer Republik, wobei sie sich auf den deutschsprachigen Raum beschränkt. Ziel ihrer Arbeit ist es, den Nachweis und die systematische Entfaltung der These zu erbringen, dass die Entwicklung der öffentlichen Kleinkinderziehung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von einer Verflechtung familienbezogener und schulbezogener Aufgaben geprägt gewesen sei, ehe es zu einer Entflechtung der beiden Aufgaben gekommen sei, die in der Weimarer Republik zum endgültigen Verlust der schulbezogenen Aufgaben geführt habe. Dies verfolgt sie aus einer „struktur- und problemgeschichtlichen Perspektive“ (13). Leider verzichtet sie darauf, ihr methodisches Vorgehen genauer zu erläutern. Dies wäre jedoch aufschlussreich gewesen, auch weil sie in der Strukturgeschichte eine Ergänzung zu bisherigen Zugängen zur Geschichte des Kindergartens und der Schule sieht und vorschlägt, in zukünftigen Forschungsarbeiten daran anzuschließen.

Ihre Arbeit gliedert sich in drei Teile, an die sich eine kurze Schlussbetrachtung anschließt. Teil 1 verfolgt die „konzeptionelle Verflechtung des familienbezogenen mit dem schulbezogenen Motiv in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“. Unter Verflechtung ist dabei zu verstehen, dass die beiden Motive „nicht additiv nebeneinander bestanden, sondern wechselseitig aufeinander bezogen waren“ (14). Unterschieden werden die Verflechtungsvarianten der „Gemäßigten“ (Verflechtung von familienunterstützenden mit kompensatorisch-vorschulischen Aufgaben) und der „Radikalen“ (Verflechtung von familienergänzenden mit obligatorisch-vorschulischen Aufgaben). Insgesamt habe sich die große Mehrheit des Fachpublikums für eine konzeptionelle Verflechtung ausgesprochen und diese vor allem in ihrer gemäßigten Form in vielen Einrichtungen praktische Umsetzung gefunden.

Teil II betrachtet die „konzeptionelle Entflechtung der familien- und schulbezogenen Aufgaben“, die um 1850 begonnen und die weitere Entwicklung entscheidend beeinflusst habe. Die beiden entstandenen großen Trägerfraktionen hätten jeweils nur ein konzeptionelles Leitmotiv übernommen, während das andere keinen nennenswerten Stellenwert mehr besessen habe. Während die konfessionellen Träger ihr Aufgabenprofil auf Familienunterstützung reduziert hätten, könne man für die Fröbelbewegung von einer Vereinseitigung auf schulbezogene Aufgaben sprechen.

Ergebnis dieser Entwicklung sei der „Verlust der schulbezogenen Aufgaben“ in Weimar, diesem widmet sich Teil III. Nicht allein die konfessionellen Träger, auch die Fröbelbewegung habe nun die schulbezogenen Motive aufgegeben und stattdessen die Formel vom „eigenständigen Bildungsauftrag“ des Kindergartens postuliert. Daran schließt sich die Schlussbetrachtung mit der These an, diese Formel habe den weiteren Verlauf der öffentlichen Kleinkinderziehung entscheidend geprägt und bis heute die Diskussion um „anschlussfähige Bildungsprozesse“ behindert.

Franke-Meyer hat mit dem Verhältnis von öffentlicher Kleinkinderziehung zur Familie und zur Schule ein Thema aufgegriffen, das bisher wenig Beachtung gefunden hat. Zwar schreibt sie die Geschichte der öffentlichen Kleinkinderziehung nicht völlig neu, aber ihre Perspektive erweitert die bisherige Historiographie, die vor allem die familienunterstützende Funktion der vorschulischen Einrichtungen betont hat. Eindrücklich weist sie nach, dass sich die institutionelle Kleinkinderziehung keineswegs unabhängig vom Volksschulwesen, sondern vielmehr zunächst im Versuch der Annäherung und Anbindung, dann in Abgrenzung zu diesem entwickelt hat.

Besonders gelungen sind dabei die Abschnitte, die sich im Umkreis von Fröbel bzw. der Fröbelbewegung bewegen. Diese – zu nennen sind die Forderungen der organisierten Lehrerschaft im Zuge der Revolution von 1848/49, das preußische Kindergartenverbot oder die sogenannte „organische Verbindung“ – werden von ihr ausgesprochen material- und kenntnisreich, informativ und unter Berücksichtigung auch kaum bekannter Quellen dargestellt. Gerade letzteres macht es spannend, ihre Arbeit zu lesen. Auch ihr Versuch, mit der Sichtung pädagogischer Periodika neue Quellen zu erschließen, ist ein interessanter Ansatz, der, wie von ihr angeregt, ausgebaut werden sollte. Umso bedauerlicher, dass sie dies selber in den Teilen II und III nicht weiterverfolgt hat.

Die Leistung dieser Arbeit soll keineswegs geschmälert werden, wenn im Folgenden noch einige kritische Anmerkungen gegeben werden. So fällt ihre Auseinandersetzung mit dem, von mir vereinfacht gesprochen, „Nicht-Fröbelpädagogen“ gegenüber den oben genannten Abschnitten doch ab. Dies trifft insbesondere auf die Teile II und III zu. Zwar wird dies von der Autorin mit Verweis auf die bestehende Forschung begründet, dennoch fällt auf, dass kaum über Bekanntes hinausgegangen wird. Wichtige Autoren, ein Beispiel wäre Johann Friedrich Ranke, werden nicht ihrer Bedeutung entsprechend und auch nicht über Originalquellen wahrgenommen, andere Schriften fehlen sogar völlig. Dies ist zu bedauern, denn in einigen dieser Schriften finden sich durchaus Stellen, die ihre Erkenntnisse zwar nicht grundlegend in Frage stellen, aber doch relativieren. Auch konfessionelle Vertreter haben nach 1850 die Kleinkinderschulen als „Vorbereitungsschulen für die Elementarschulen“ oder als „Vermittlungsglied“ zwischen Elternhaus und Schule [1] angesehen und diesen eine stärkere schulergänzende Aufgabe zugesprochen, als sich dies bei Franke-Meyer bisweilen liest.

Franke-Meyer schreibt die Geschichte der öffentlichen Kleinkinderziehung als einen Ablauf, der von der konzeptionellen Verflechtung familien- und schulbezogener Motive über die Entflechtung der beiden zu einem Verlust der schulbezogenen Aufgabe geführt habe. Dem kann man zustimmen, aber wie sämtliche Geschichte ist auch dieses Ergebnis ihrem eigenen Blick auf die Geschichte sowie ihrer Quellenauswahl und -gewichtung geschuldet. Problematisch ist dies zuweilen, weil Aspekte und Aussagen, die nicht so recht zur eigenen These passen wollen, zwar nicht verschwiegen, aber doch nur randständig behandelt werden.

Gerade die Eindeutigkeit, mit der sie ihre Ergebnisse formuliert, wirkt zuweilen überzogen. So ist die Aussage, während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hätten sich „alle damaligen Pädagogen, die sich mit institutionalisierter Frühkindpädagogik beschäftigt haben“ (235), für die Verflechtung eingesetzt, nur möglich, weil anders lautende Stimmen nicht wahrgenommen [2] oder einfach, wie Theodor Fliedner, einer anderen Epoche zugeordnet werden. Gerade letzteres erscheint doch eher der Untermauerung der eigenen These als der historischen Realität geschuldet. Ordnet man Fliedner jedoch der ersten Epoche zu, dann hat es von Beginn an einflussreiche Stimmen gegeben, die primär auf eine familienunterstützende Betreuung Wert gelegt haben.

Auch die für diese Epoche vorgenommene Differenzierung in „Gemäßigte“ und „Radikale“ ist nicht immer so ganz nachvollziehbar. So erscheint es doch fraglich, wieso Leopold Chimani als „Gemäßigter“ gilt, Chr. Theophilus Schuch aber, dessen Schrift, wie er selbst sagt, im Grunde nur eine Zusammenfassung derjenigen Chimanis ist, dann als „Radikaler“. Auch ist es zweifelhaft, ob Autoren wie Schuch oder Friedrich Hüffel mit ihren Vorstellungen bezüglich der Gestaltung und des Stellenwerts der öffentlichen Kleinkinderziehung wirklich als „radikal“ im Sinne Fröbels angesehen werden können.

Zudem scheint mir der Unterschied zwischen den konfessionellen Autoren der ersten und zweiten Epoche nicht ganz so gewaltig, wie dies bei Franke-Meyer zuweilen anklingt. Zwar ist ihr zuzustimmen, dass nach 1850 der Nothilfecharakter der Einrichtungen deutlicher betont wurde. Aber derartige Ansichten gab es auch schon zuvor. Auch wurden über den gesamten Zeitraum hinweg die Einrichtungen mit einer durchaus ähnlichen Funktion versehen: der Betreuung, ergänzt um Erziehung, wobei unter Erziehung primär die Vermittlung arbeitsspezifischer Fertigkeiten und sittlich-religiöser Werte und Normen verstanden wurde. Dies sollte natürlich immer auch der Schulvorbereitung dienen. In ihren grundlegenden Ansichten über die Aufgaben der Einrichtungen waren die Autoren jedoch nicht so weit voneinander entfernt, wie es in dieser Arbeit manchmal erscheint.

Auch die Reduzierung der Fröbelbewegung auf das schulbezogene Motiv gelingt in ihrer Eindeutigkeit, weil den Ideen einer Bertha von Marenholtz-Bülow und dem Volkskindergarten kaum Beachtung geschenkt wird, was übrigens im Gegensatz zur zeitgenössischen Wahrnehmung großer Teile der (Fach-)Öffentlichkeit geschieht. Fraglos war das Thema der „organischen Verbindung“ bedeutsam, im Zusammenhang mit dem Volkskindergarten wurden jedoch auch familienbezogene Motive beachtet. Es ist sicher ein Verdienst von Franke-Meyer, dass sie bisher wenig beachteten Autoren Aufmerksamkeit geschenkt hat. Aber dies sollte doch nicht dazu führen, andere Aussagen nun ebenso zu vernachlässigen.

Die Konzentration auf die Fröbelbewegung hat des Weiteren zur Folge, dass andere Überlegungen teilweise recht kurz kommen. Besonders Weimar wird von ihr vor allem mit Blick auf die Fröbelbewegung geschrieben. So ist es schon erstaunlich, wie ausführlich die Ideen Erika Hoffmans – und dies unter Zuhilfenahme von Schriften aus den 1950er/60er Jahren – dargestellt werden. Zeitgenössische Überlegungen, die für schulbezogene Aufgaben und eine Zuordnung der öffentlichen Kleinkinderziehung zum Bildungswesen eingetreten sind, werden, von Aloys Fischer abgesehen, dagegen so gut wie nicht beachtet. Zu denken ist hierbei an entsprechende Stimmen auf der Reichsschulkonferenz und vor allem an den Bund entschiedener Schulreformer, insbesondere Henny Schumacher. Natürlich hat Franke-Meyer Recht, dass nun auch die maßgebliche Fröbelbewegung den Nothilfecharakter betont hat und für einen „eigenständigen Bildungsauftrag“ eingetreten ist. Aber alternative Ideen gab es auch weiterhin, auch wenn diese nun, aber dies ist ja auch beim Teil der Fröbelbewegung um August Köhler und zu Lebzeiten auch bei Fröbel selbst nicht anders gewesen, nur wenig Einfluss auf die tatsächliche praktische Gestaltung besessen haben.

Mögen derartige Vereinfachungen auch der Absicht geschuldet sein, die Ergebnisse der Arbeit hervorheben zu wollen und dadurch in einem gewissen Maße gerechtfertigt sein: die von der eigenen These abweichenden Stimmen hätten doch deutlicher gemacht werden können. Denn ganz so eindeutig, wie man es bei der Lektüre manchmal das Gefühl hat, ist es dann doch nicht gewesen. Dessen ungeachtet bietet Franke-Meyers Arbeit aber eine nicht nur neue und interessante Perspektive, sondern damit verbunden auch Erkenntnisse, die das bisherige Wissen um die Geschichte der öffentlichen Kleinkinderziehung eindeutig bereichern.

[1] Siehe dazu Leyrer, E.: Die christliche Kleinkinderpflege mit besonderer Rücksicht auf Württemberg. Denkschrift zur hundertjährigen Jubelfeier ihrer Einführung. Stuttgart 1879, S. 3 und Strobel, Regine: Lehrbuch für die katholische Kindergärtnerin. Essen-Ruhr 1908, S. 3.

[2] Schwabe, Johann Friedrich Heinrich: Die Verwahr- oder sogenannte Kleinkinder-Schule in ihren Zwecken und Einrichtungen. Zweite, völlig umgearbeitete und stark vermehrte Auflage. Neustadt a. d. Orla 1834.
Helge Wasmuth (New York)
Zur Zitierweise der Rezension:
Helge Wasmuth: Rezension von: Franke-Meyer, Diana: Kleinkindererziehung und Kindergarten im historischen Prozess, Ihre Rolle im Spannungsfeld zwischen Bildungspolitik, Familie und Schule. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2011. In: EWR 10 (2011), Nr. 3 (Veröffentlicht am 22.06.2011), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151783.html