EWR 12 (2013), Nr. 5 (September/Oktober)

Klaus Hurrelmann / Tanjev Schultz (Hrsg.)
Jungen als Bildungsverlierer
Brauchen wir eine Männerquote in Kitas und Schulen?
Weinheim und Basel: Beltz Juventa 2012
(316 S.; ISBN 978-3-7799-2750-1; 19,95 EUR)
Jungen als Bildungsverlierer Seit einiger Zeit wird angesichts des vielfach dokumentierten schulischen Abschneidens von Jungen von verschiedenen Akteuren eine Erhöhung des Anteils an männlichem Personal in Kindergärten und Grundschulen gefordert. Erreicht werden soll dies durch die Einführung einer Männerquote. Die Diskussion wird dabei sehr leidenschaftlich und kontrovers, teils normativ-ideologisch oder auf der Grundlage empirischer Befunde geführt. Dem lesenswerten Herausgeberband von Klaus Hurrelmann und Tanjev Schultz kommt das Verdienst zu, einen Überblick über die derzeitige Diskussion zu geben, indem verschiedene Befürworter/innen ebenso wie Kritiker/innen einer Quote zu Wort kommen und vor dem Hintergrund empirischer Befunde und theoretischer Konzeptionen ihre Positionen argumentativ fundieren. Aufgrund der guten Lesbarkeit aller Beiträge werden Hurrelmann und Schultz ihrem im Vorwort formulierten Anspruch zudem gerecht, mit dieser Publikation eine „Streitschrift“ für ein „möglichst breites Publikum“ (6) zu liefern.

Der Band ist in fünf Hauptkapitel unterteilt. Im ersten Teil sind Autor/innen vertreten, die eine Männerquote aus pädagogischer und soziologischer Perspektive befürworten. Mit unterschiedlichen Argumentationen wird diese Forderung in den verschiedenen Beiträgen untermauert. Zwei zentrale Argumentationsstränge lassen sich dabei identifizieren: zum einen die Notwendigkeit von „männlichen“ Rollenmodellen insbesondere für Jungen und zum anderen die wünschenswerte Repräsentanz von Vielfalt, wobei beide Positionen die Existenz einer spezifischen „Männlichkeit“ im Unterschied zur „Weiblichkeit“ implizieren. Eine interessante und bedenkenswerte Argumentation liegt dem Beitrag von Michael Cremers und Jens Krabel zugrunde, die zeigen, wie eine Befürwortung einer Männerquote erfolgen kann, ohne dabei auf das eine oder das andere Argument zu rekurrieren. Vielmehr diskutieren die beiden Autoren die Männerquote unter dem Gesichtspunkt ökonomischer Entwicklungen wie z.B. eines segregierten Arbeitsmarkts und verbinden mit deren Einführung die Hoffnung einer größeren Sichtbarkeit von Berufen im Care-Bereich.

Im zweiten Teil sind Beiträge von Autor/innen zusammengestellt, die der Einführung einer Männerquote in Kindergärten und Grundschulen kritisch gegenüberstehen. Die Autor/innen setzen sich unter Verweis auf verschiedene empirische Befunde differenziert mit den Argumenten der Gegenposition auseinander und arbeiten vor diesem Hintergrund ihre eigene Begründung heraus. In allen Beiträgen wird deutlich, dass die Autor/innen insbesondere an einer Naturalisierung von Anforderungen Kritik üben und für eine Konzentration auf die fachlich-pädagogische Qualifikation plädieren, statt das Geschlecht von pädagogischem Personal zu fokussieren und mit Erwartungen zu belegen. Letzteres sehen die Autor/innen vielmehr als (Re-)Produktion von gängigen sozialen Stereotypen über „typisch männliche“ und „typisch weibliche“ Eigenschaften und fordern daher eine Genderkompetenz für alle pädagogischen Fachkräfte.

Im dritten Teil wird von den dort vertretenen Autoren für eine Männerquote aus psychologischer und therapeutischer Perspektive votiert. Die Argumentation erfolgt innerhalb eines biologistisch und psychoanalytisch geprägten Begriffsrahmens. Diese beiden Beiträge stellen biologische Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen in den Mittelpunkt ihrer Argumentation, die ein spezifisches (Spiel-)Verhalten von Jungen zur Folge hätte, das von weiblichen Bezugspersonen häufig nicht verstanden würde. Vor dem Hintergrund dieser Argumentation werden männliche Erzieher und Grundschullehrer als notwendig erachtet, um Jungen bei der Ausbildung einer Geschlechtsidentität zu unterstützen oder gar überhaupt zu ermöglichen.

Die Beiträge im vierten Teil diskutieren hingegen eine Männerquote kritisch aus einer psychologischen und therapeutischen Perspektive. Die Kapitelüberschrift und die damit verbundene Ankündigung einer besonderen Betrachtungsperspektive sind mit Blick auf eine gewünschte inhaltliche Symmetrie des Buches nachvollziehbar, führen die Leser/innen in diesem Teil jedoch ein wenig in die Irre, da sich die Beiträge in ihrer argumentativen Stoßrichtung nicht wesentlich von den kritischen Stimmen im zweiten Teil unterscheiden. Auch hier wird die Heterogenität „einer“ vermeintlichen Jungengruppe betont, wird auf die Notwendigkeit einer fachlichen Qualifikation pädagogischen Personals unabhängig von einer Geschlechtszugehörigkeit verwiesen und werden Vorschläge zur Erhöhung der Attraktivität pädagogischer Berufe für Interessent/innen beiderlei Geschlechts formuliert.

Den Abschluss des Bandes bilden vier Beiträge, die unterschiedlichen Genres zuzurechnen sind und die unterschiedliche inhaltliche Schwerpunktsetzungen vornehmen. Zwei von ihnen sollen hier eingehender in den Blick genommen werden: So betrachtet Christian Oswald in seinem Beitrag „Erzieher – ein Frauenberuf?“ die Einordnung des Berufs der Erzieherin als „typisch“ weiblichen Beruf unter historischer Perspektive und zeigt, dass die Annahme einer gleichsam „natürlichen“ Mütterlichkeit als berufliche Voraussetzung erst beim Übergang von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft nachzuzeichnen ist. Walter Hollstein hingegen geht unter dem Titel „Das vergessene Geschlecht? Die einseitige Frauenförderung und ihre Folgen“ mit der aus seiner Sicht einseitigen Frauenförderung ins Gericht und sieht als deren Folge eine „Entwertung der Männlichkeit“ (290), durch die Männer lediglich zu „Sündenböcken“ (292) degradiert würden.

Der Band ist allen Leser/innen zu empfehlen, die sich einen Überblick über die vielfältigen Positionen innerhalb der aktuellen Diskussion rund um eine Männerquote in Kitas und Grundschulen verschaffen und auf dieser Basis eine eigene Meinung bilden möchten. Denn die Beiträge laden ein, kontrovers zu diskutieren, einigen Autor/innen vehement zu widersprechen und anderen wiederum zuzustimmen.
Carolin Rotter (Hamburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Carolin Rotter: Rezension von: Hurrelmann, Klaus / Schultz, Tanjev (Hg.): Jungen als Bildungsverlierer, Brauchen wir eine Männerquote in Kitas und Schulen?. Weinheim und Basel: Beltz Juventa 2012. In: EWR 12 (2013), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978377992750.html