EWR 9 (2010), Nr. 4 (Juli/August)

Franz Kolland / Pegah Ahmadi
Bildung und aktives Altern – Bewegung im Ruhestand
Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag 2010
(180 S.; ISBN 978-3-7639-4287-9; 29,90 EUR)
Bildung und aktives Altern – Bewegung im Ruhestand Wie wirkt Bildung im Alter? Wovon hängt es ab, ob Menschen im Alter noch an Bildungsveranstaltungen teilnehmen oder nicht und wie sehen „gute“ Bildungsangebote für Ältere aus? Dies sind die zentralen Fragen, die Franz Kolland und Pegah Ahmadi in ihrem Buch erörtern und zu denen sie empirisch fundiert Antworten und eine Reihe von praktischen Anregungen geben. Die empirische Basis der Ausführungen bilden zwei Studien, die vom österreichischen Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz finanziert und von 2007 bis Ende 2009 von Kolland und Ahmadi durchgeführt wurden. Bei den beiden Studien handelt es sich zum einen um eine Befragung von Personen im Alter von 50 bis 75 Jahren zu ihren Bildungserfahrungen, zum anderem um eine Erhebung von „good practice“-Projekten der Altersbildung. Sehr positiv fällt beim Lesen des Buches auf, dass die empirischen Ergebnisse gut verständlich und in den Forschungsstand eingebettet beschrieben werden. So stehen die inhaltlichen Ergebnisse im Vordergrund, während die methodologisch anspruchsvollen Verfahren nur beiläufig erwähnt oder (wie der Fragebogen im Anhang) dokumentiert werden.

In den einleitenden Kapiteln erläutern Kolland und Ahmadi die zentrale These ihrer Untersuchung: sie gehen davon aus, dass Bildung „sowohl Ursache als auch Bedingung für Langlebigkeit“ (17) ist. Die These knüpft an aktuelle, internationale Forschungen zur Wirkung von Bildung im Alter an [1]. Bildung hat demnach positive Effekte auf das Alter(n) und deshalb ist Teilhabe an Bildung ein wesentlicher Beitrag zur Förderung von Lebensqualität im Alter [2]. Die Ausführungen machen deutlich, dass damit der Untersuchung ein sehr umfassendes Verständnis von Bildung zugrunde gelegt wird. Es geht der Autorin und dem Autor sowohl um Lernen als Adaption an veränderte Voraussetzungen, zum Beispiel aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen im Alter oder gesellschaftlicher (technischer, rechtlicher etc.) Veränderungen. Zugleich wird Bildung aber auch als ein reflexiver Prozess des Erkennens und der Entfaltung mit dem Ziel der Selbstbestimmung aufgefasst. Hierin sehen Kolland / Ahmadi auch die wesentliche Bedeutung des Lernens im Alter. Denn entgegen mancher jugendzentrierter Betrachtungen zur Identitätsentwicklung, die Erwachsenen eine Persönlichkeitsentwicklung nur in Ausnahmesituationen zugesteht [3], sind Sinnfragen und identitätsstiftende Bildungsprozesse im dritten Lebensalter lebensphasentypisch. Ausgehend von diesem Bildungsverständnis im Alter ist eine Fülle an formellen und informellen Lernvorgängen von Interesse, die letztlich immer nur aus der subjektiven Perspektive der Lernenden als Lernhandlung nachvollzogen werden können.

Die von Kolland / Ahmadi präsentierten empirischen Ergebnisse beziehen sich auf dieses Verständnis von Bildung, wobei einschränkend hinzugefügt werden muss, dass die Erhebung nur sogenannte non-formale Lernformen, also Kurse, Workshops, E-Learning-Angebote etc. berücksichtigt. Die Befragung bestand aus zwei Erhebungen: einer standardisierten telefonischen Befragung und leitfaden-gestützten Interviews, die allerdings nur ergänzend zur Veranschaulichung einbezogen wurden. Interessant und für das Verständnis der empirischen Ergebnisse wichtig ist die Stichproben-Zusammensetzung, denn für die Befragung wurden bewusst überproportional viele Bildungsaktive einbezogen, um differenziertere Aussagen zu dieser Gruppe machen zu können. Dies ist insofern nachvollziehbar als zu den älteren Nicht-Teilnehmer/innen tatsächlich schon einige repräsentative Studien vorliegen [4]. Die disproportionale Stichprobenziehung lässt differenzierte Analysen zu den Voraussetzungen und Wirkungen von Bildungsaktivitäten zu, was für die zentrale Fragestellung der Untersuchung sehr vorteilhaft ist. Grundsätzlich sind aber Rückschlüsse von Bildungsaktiven auf die Inaktiven nicht möglich, d.h. bei den Empfehlungen für die Praxis muss immer berücksichtigt werden, dass die von den Bildungsaktiven präferierten Weiterbildungsangebote sich nicht mit den Präferenzen der Inaktiven decken müssen, dass Methoden und Inhalte, die von der einen Gruppe gewünscht werden, die andere Gruppe möglicherweise nicht erreichen und auch die Effekte, die bei der einen Gruppe beobachtet werden, für die andere nicht gelten müssen.

Mit diesem Problem geht die Studie von Kolland / Ahmadi jedoch sehr bewusst und produktiv um. Besonders positiv fällt die geschlechtersensible Analyse der Daten auf. Die Ergebnisse werden nicht nur durchgängig nach Geschlechtern getrennt ausgewertet, sondern jeweils auf die unterschiedliche Lebenssituation von Männern und Frauen hin interpretiert. „Geschlecht“ wird deshalb nicht als formaler Unterschied betrachtet, sondern vor dem Hintergrund unterschiedlicher Erwerbs- und Bildungsbiografien, Generationsunterschieden, gesundheitlicher, ökonomischer und anderer Ressourcen eingeordnet. Konsequenterweise wird deshalb der unterschiedlichen Lebenssituation von Männern und Frauen auch nicht ein Kapitel gewidmet, sondern die Perspektive zieht sich durch das ganze Buch – von der Theorie bis zum Ausblick.

Die Studie stellt zunächst die Einflussfaktoren vor, die eine Teilnahme bzw. Nicht-Teilnahme bewirken und gewichtet sie in einer binär-logistischen Regression. Im Ergebnis zeigt sich, dass soziodemografische Faktoren einen sehr starken Einfluss auf die Teilnahme an Weiterbildung haben und „weiche Faktoren“, wie die Lerngeschichte oder die Einstellung zum Lernen, in ihrer Wirkung überlagern. Dieses Ergebnis ist wenig überraschend, deshalb wäre hier eine kritische Diskussion zur Einordnung wünschenswert gewesen. Denn es ist denkbar, dass die „harten“ Strukturmerkmale, wie Erwerbsstatus, Wohnortgröße etc. nicht losgelöst von individuellen Haltungen, wie Einstellung zur Altersproduktivität oder der Lust am Lernen gesehen werden können. Für Noch-Erwerbstätige stellen Kolland / Ahmadi beispielsweise fest, dass die Lust am Lernen für ihre Teilnahmeentscheidung nicht entscheidend ist, da sie noch häufig an beruflich orientierter Weiterbildung teilnehmen und diese vielfach auf externe Veranlassung erfolgt (61). Es kann deshalb angenommen werden, dass sich sozialstrukturelle Voraussetzungen implizit in den Erwartungen und Einstellungen, die als „weiche Faktoren“ abgefragt wurden, niederschlagen.

Kolland / Ahmadi geht es aber offenbar gar nicht darum, Gründe für die Teilnahme oder Nicht-Teilnahme aus diesen sozialstrukturellen Faktoren abzuleiten, sie unterlegen sie lediglich ihrer in den weiteren Kapiteln des Buches dargelegten Argumentation für eine zielgruppengerechte Gestaltung von Weiterbildung. Mit Bezug auf ihre Ergebnisse zu den Hindernissen für die Teilnahme und Wirkungen von Bildungsteilhabe kommen Kolland / Ahmadi damit zu sehr interessanten und anregenden Vorschlägen. So wird beispielsweise mit Blick auf die Bedeutung der sozialen Kontakte für die Bildungsentscheidung und der positiven Wirkung von Weiterbildung für die soziale Inklusion auf die didaktischen Möglichkeiten einer teilnehmerorientierten Gestaltung von Bildungsveranstaltungen hingewiesen, die dann auch eher jene Personengruppe anspräche, die bislang als bildungsfern zu bezeichnen ist und dem Klima in der Lerngruppe große Bedeutung beimisst.

Weitere Vorschläge liefert das Kapitel zu „good practice“ in der Altersbildung, dem eine Auswertung von Dokumenten und teilnehmender Beobachtung in elf Projekten zugrunde liegt. Neun dieser Projekte werden in dem Buch auf jeweils ca. zwei Seiten kurz vorgestellt und auf ihren Innovationsgehalt hin bewertet. Wer das Buch mit einem expliziten Interesse an Praxisbeschreibungen und Hilfestellungen für die Bildungsarbeit liest, wird von dieser etwas knappen Abhandlung (ca. 20 der insgesamt knapp 160 Seiten) der Bildungspraxis eher enttäuscht sein. Allerdings gibt es wie gesagt auch in den vorangegangenen Kapiteln bereits eine Vielzahl von praxisrelevanten Hinweisen, die für die Gestaltung von Weiterbildungsangeboten eine gute Grundlage bieten.

Ob mehr Ältere für Weiterbildung gewonnen werden, ist aber nicht nur eine Frage der Didaktik, sondern es braucht weitere „Signale“ (153). Wichtig für die Bildungspraxis und Bildungspolitik ist sicherlich der Befund, dass es zwar nur eine kleine Gruppe von regelmäßigen Weiterbildungsteilnehmer/innen gibt, darüber hinaus aber auch ein Potential von Gelegenheitsteilnehmer/innen, die für eine intensivere Weiterbildungsteilhabe gewonnen werden können.

In diesem Sinne ist das Buch selbst auch ein positives Signal, denn es beschreibt Bildung im Alter positiv, ohne sie zu überhöhen oder als eine Selbstverständlichkeit darzustellen mit der Folge, dass Bildungsinaktive als defizitär angesehen und wie Sonderlinge behandelt werden. Stattdessen sensibilisiert das Buch für die Vielfalt des Alters und den Gestaltungsspielraum, der sich durch die hinzugewonnenen Jahre für die Lebensphase Alter ergibt. Bildung ist hier eine wichtige Ressource, die die Individuen zu einer selbstbestimmten Lebensgestaltung befähigt. Das Buch zeigt diesen Zusammenhang auf der Grundlage von empirisch belastbaren Ergebnissen und schlüssigen theoretischen Erörterungen auf, zugleich gibt es Anregungen für die Praxisgestaltung. Es ist deshalb für Interessierte aus Wissenschaft, Politik und Bildungspraxis gleichermaßen lesenswert.

Anmerkungen:

[1] Vgl. z.B.Feinstein, Leon / Hammond, Cathie (2004): The contribution of adult learning to health and social capital. In: Oxford Review of Education, Vl. 30, No.2, 2004; Tippelt, Rudolf / Schmidt, Bernhard / Schnurr, Simone / Sinner, Simone / Theisen, Catharina (2009): Bildung Ă„lterer - Chancen im demografischen Wandel, DIE-Spezial, Bielefeld: Bertelsmann.

[2] Vgl. zur Diskussion auch Iller, Carola / Wienberg, Jana (2010): „Ältere“ als Zielgruppe in der Erwachsenenbildung oder Ansätze einer Bildung in der zweiten Lebenshälfte? In: Magazin Erwachsenenbildung.at – Das Fachmedium für Forschung, Praxis und Diskurs, Ausgabe 10/2010, http://erwachsenenbildung.at/magazin/10_10/meb10-10.pdf, Druck-Version: Wien: Books on Demand. S.02-1 – 02-10

[3] Vgl. Oevermann, Ulrich (2009): Biographie, Krisenbewältigung und Bewährung; in: Bartmann, Sylke/Felhhaber, Axel/Kirsch, Sandra/Lohfeld, Barbara (Hrsg.): „Natürlich stört das Leben ständig“ - Perspektiven auf Entwicklung und Erziehung; Wiesbaden: VS Verlag, S. 35 – 55.

[4] Vgl. z.B. Schröder, Helmut/Gilberg, Reiner (2005): Weiterbildung Älterer im demographischen Wandel. Empirische Bestandsaufnahme und Prognose, Bielefeld: Bertelsmann.
Carola Iller (Heidelberg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Carola Iller: Rezension von: Kolland, Franz / Ahmadi, Pegah: Bildung und aktives Altern – Bewegung im Ruhestand. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag 2010. In: EWR 9 (2010), Nr. 4 (Veröffentlicht am 10.08.2010), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978376394287.html