EWR 17 (2018), Nr. 1 (Januar/Februar)

Kerstin Jergus / Christiane Thompson (Hrsg.)
Autorisierungen des pÀdagogischen Selbst
Studien zu Adressierungen der Bildungskindheit
Wiesbaden: Springer VS 2017
(356 Seiten; ISBN 978-3-658-13811-0; 24,99 EUR)
Autorisierungen des pĂ€dagogischen Selbst Die frĂŒhe Kindheit rĂŒckt immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit und der Erziehungs- und Bildungswissenschaften. Verbunden damit ist oftmals die Hoffnung, in dieser frĂŒhen Lebensphase beeinflussen zu können, was das Schulsystem nicht zu ‚retten‘ vermag (Stichwort Sprachentwicklung, Integration etc.) bzw. auf der wissenschaftlichen Ebene Anleitungen fĂŒr eben diese ‚Rettung‘ bereitzustellen. Verschiedentlich wurde in den Erziehungswissenschaften bereits darauf hingewiesen, dass diese zunehmende Thematisierung der frĂŒhen Kindheit an den Topos der Bildung geknĂŒpft ist [1]. Der vorliegende Sammelband von Kerstin Jergus und Christiane Thompson vermag dieser Diagnose eine empirisch fundierte, allgemeinpĂ€dagogische Perspektive hinzuzufĂŒgen und zeigt auf, in welcher Art und Weise ‚Bildung‘ das Feld der FrĂŒhpĂ€dagogik ordnet und die „Bildungskindheit“ (327) hervorgebracht wird.

Alle zehn BeitrĂ€ge des Sammelbandes knĂŒpfen an das durch die DFG finanzierte Projekt Autorisierungen des pĂ€dagogischen Selbst. Fortbildungsveranstaltungen in der FrĂŒhpĂ€dagogik an. Kerstin Jergus und Christiane Thompson eröffnen den Band mit einer Kontextualisierung der Studie, im Rahmen derer die BeitrĂ€ge entstanden sind. Der Gegenstand des Bandes sind Fortbildungen fĂŒr PĂ€dagog_innen im Bereich der FrĂŒhpĂ€dagogik; als zentrales Thema kristallisiert sich das „Ringen um Anerkennung“ und zwar „fĂŒr das frĂŒhpĂ€dagogische Feld und insbesondere fĂŒr frĂŒhpĂ€dagogische FachkrĂ€fte“ (5) heraus. Die Autor_innen klĂ€ren grundlegende theoretische Annahmen wie auch die methodische Vorgehensweise, die allen BeitrĂ€gen zugrunde liegen: Durch eine „kulturwissenschaftliche Bildungsforschung“ (19) wird ĂŒber die Analyse von „Anerkennung und Subjektivierung“ auf die „Herausbildung und VerĂ€nderung pĂ€dagogischer HandlungsfĂ€higkeit von FachkrĂ€ften in der FrĂŒhpĂ€dagogik“ (14) geschlossen – konkret bedienen sich die BeitrĂ€ge des Bandes einer Kombination aus Ethnografie und Diskursanalyse (21).

Der erste Teil des Bandes vereint drei BeitrĂ€ge, die die Hervorbringung des pĂ€dagogischen Subjekts in frĂŒhpĂ€dagogischen Fortbildungen zum Thema haben. Christiane Thompson beschĂ€ftigt sich mit dem „Wirksamkeitsversprechen“ (51) im Kontext der sog. ‚Neuen Steuerung‘, Sandra Koch beschreibt die „Anforderung und Aufgabe“ (91) der Beobachtung und ProfessionalitĂ€t wird von Pauline Starke als „subjektivierende Heraus-Forderung“ (166) analysiert.

Der zweite Teil des Bandes widmet sich unterschiedlichen Bereichen aus der Arbeit der FrĂŒhpĂ€dagog_innen, die in den Fortbildungsveranstaltungen zum Thema werden: Die BeitrĂ€ge zur anthropologische Konstruktion der Bildungskindheit (Sandra Koch), zur „Positionierung von Eltern“ (201, Kerstin Jergus), zu ÜbersetzungsverhĂ€ltnissen unterschiedlicher pĂ€dagogischer Wissensformen (Christiane Thompson), zur performative Herstellung von Grenzen (Sabrina Schröder) sowie zu Spiel und Übung als „SelbstĂŒberschreitung“ (303, Pauline Starke) ergeben ein facettenreiches Bild frĂŒhpĂ€dagogischer „Wirklichkeit(en)“ (175).

Kerstin Jergus schließt den Band und prĂ€sentiert Erkenntnisse, die sich aus der Zusammenschau der einzelnen BeitrĂ€ge ergeben und zugleich ĂŒber diese hinausweisen. Sie arbeitet vier Charakteristika der Transformationen heraus, die mit der „Bildungskindheit“ einhergehen – „Mobilisierung“, „Individualisierung“, „PĂ€dagogisierung“ und „Responsibilisierung“ (327ff.) – und kann so zeigen, wie HandlungsfĂ€higkeit der Subjekte hervorgebracht und zugleich zu einer „Unendlichkeit des BemĂŒhens“ (331) wird. In Bezug auf Teilnahme bzw. Teilhabe macht die Autorin darauf aufmerksam, dass die Bildungskindheit gesellschaftliche Bedingungen und Fragen der Beteiligung an Bildung ausklammert und stattdessen „Selbst-Bildung“ (342) zentral wird.

Die Ausformulierung der erziehungswissenschaftlichen Autorisierungsforschung gelingt dem Band durch die Vielstimmigkeit der BeitrĂ€ge. Christiane Thompsons Befragung des Wirksamkeitsanspruches in der FrĂŒhpĂ€dagogik, Sandra Kochs anthropologische orientierte Bearbeitung des „Mythos der Bildungsgelegenheit“ (196) oder Sabrina Schröders Analyse von Grenzpraktiken, in der sie die Figur der „Erzieherin als ‚inszenierte Grenzenlose‘“ (285) herausarbeitet – durch die theoretische und methodologische Klammer des Projekts wird ein gemeinsamer Rahmen geschaffen, der inhaltlich unterschiedlich ausgerichtete BeitrĂ€ge zusammenbringt und so die Möglichkeiten des Forschungszuganges aufzeigt. Die Herausgeber_innen einen den Band durch ein VerstĂ€ndnis von Autorisierung als „Adressierungen auf unterschiedlichen Ebenen“ (8) und dieser Ausrichtung folgen alle BeitrĂ€ge konsequent. Weitere Impulse fĂŒr die Autorisierungsforschung könnten in der durch die zweiteilige Gliederung des Bandes angedeuteten Differenzierung liegen. Die Unterschiede der beiden Teile werden im Band allerdings nicht explizit genug herausgearbeitet um den Forschungszugang fĂŒr die Leser_innen in Hinblick darauf ausdifferenzieren zu können.

Der Sammelband ist ein wichtiger Beitrag an der Schnittstelle von Allgemeiner PĂ€dagogik und FrĂŒhpĂ€dagogik und ist in seiner Konzeption fĂŒr Forschende und Studierende gleichermaßen von Interesse. Aus Sicht der PĂ€dagogik der frĂŒhen Kindheit ist die praxeologische und machtanalytische Bearbeitung von Professionalisierungsprozessen und -anforderungen besonders hervorzuheben. Zudem ist dem Band seine Fundierung in der Allgemeinen PĂ€dagogik deutlich anzumerken und so kann dieser auch als Versuch verstanden werden, grundlegende erziehungswissenschaftliche Fragestellungen zu bearbeiten, die sich in der Lebensphase der frĂŒhen Kindheit in besonderer Form zeigen (etwa die Relation von Eltern und PĂ€dagog_innen, wie Kerstin Jergus sie beschreibt).

Besonders positiv herauszustreichen ist die fragende Haltung des Bandes, die auch die theoretische und methodologische Ausrichtung der Studie wiederspiegelt. Diese lĂ€sst WidersprĂŒchlichkeiten zu, versucht Uneindeutigkeiten nicht zu glĂ€tten und ringt um Respekt fĂŒr das Feld.

[1] Siehe u.a. Michael-Sebastian Honig / Sascha Neumann / Oliver Schnoor / Claudia Seele (2013): Die Bildungsrelevanz der Betreuungswirklichkeit. Eine Studie zur institutionellen Praxis nicht-familialer Kleinkinderziehung. Walferdange: Université du Luxembourg; Klinkhammer, Nicole (2014): Kindheit im Diskurs. KontinuitÀt und Wandel in der deutschen Bildungs- und Betreuungspolitik. Marburg: Tectum; Seyss-Inquart, Julia (2016): Bildung versprechen. Zur Ordnung institutioneller Kindheit in politischen Debatten. Wien: Löcker.
Julia Seyss-Inquart (Graz)
Zur Zitierweise der Rezension:
Julia Seyss-Inquart: Rezension von: Jergus, Kerstin / Thompson, Christiane (Hg.): Autorisierungen des pĂ€dagogischen Selbst, Studien zu Adressierungen der Bildungskindheit. Wiesbaden: Springer VS 2017. In: EWR 17 (2018), Nr. 1 (Veröffentlicht am 26.02.2018), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978365813811.html