EWR 15 (2016), Nr. 1 (Januar/Februar)

Christian Lamy
Die Bewältigung beruflicher Anforderungen durch Lehrpersonen im Berufseinstieg
Wiesbaden: Springer VS 2015
(385 S.; ISBN 978-3-658-09841-4; 49,99 EUR)
Die Bewältigung beruflicher Anforderungen durch Lehrpersonen im Berufseinstieg Die Arbeit schließt an die Studien zum Berufseinstieg von Lehrkräften an und beschäftigt sich mit den Anforderungen und dem Bewältigungsverhalten von Grundschullehrpersonen im ersten Berufsjahr in Luxemburg. Sie gründet auf der Dissertation des Autors, welche 2014 von der Universität Luxemburg angenommen wurde. Im Focus der Untersuchung stehen 21 Grundschullehrkräfte, die an der Universität Luxemburg einen achtsemestrigen Bachelor en Sciences de l‘ Éducation erfolgreich abgeschlossen haben. Es werden Ergebnisse leitfadengestützter Interviews vorgestellt, die inhaltsanalytisch ausgewertet wurden. Lamy charakterisiert seine Studie als explorativ. Er ordnet seine Untersuchung in die qualitativ-rekonstruktive Biografieforschung mit Fokussierung der Berufseingangsphase ein (129f).

Zunächst werden die theoretischen Grundlagen vorgestellt. Darauf aufbauend präsentiert der Autor die Ergebnisse der empirischen Studie und diskutiert die Schlussfolgerungen. Insgesamt gliedert sich die Veröffentlichung in acht Kapitel. Zunächst werden in der Einleitung (Kapitel 1) die Vorgehensweise und Zielsetzung sowie die Relevanz der Studie erläutert und die forschungsleitenden Fragen formuliert. Anschließend werden die theoretischen Grundlagen der Studie beschrieben (Kapitel 2). Ausgangspunkt der empirischen Untersuchung ist ein vom Autor entwickeltes heuristisches Modell zur Analyse des Bewältigungshandelns beruflicher Anforderungen in der Berufseingangsphase der Lehrpersonen (105). In Kapitel 3 werden das qualitativ-rekonstruktive Design der Studie und die Stichprobe erläutert. Danach (Kapitel 4) werden die Ergebnisse vorgestellt, die sieben Anforderungsbereichen zugeordnet werden. Zwei Einzelfallbeschreibungen thematisieren ergänzend individuelle Bewältigungsmuster (Kapitel 5), die konträre Verläufe aufweisen. In Kapitel 6 werden die Ergebnisse unter verschiedenen Perspektiven diskutiert und Konsequenzen für Berufseinsteiger (Kapitel 7) abgeleitet. Schließlich (Kapitel 8) folgen Perspektiven und abschließende Überlegungen.

Übergeordnetes Ziel der Studie ist es, zu erforschen, welche beruflichen Anforderungen Berufseinsteiger wahrnehmen und wie sie diese bewältigen. Die forschungsleitenden Fragen werden bereits in der Einleitung formuliert. Dabei kann nicht nachvollzogen werden, ob und ggf. in welcher Weise die nachfolgenden theoretischen Überlegungen ebenfalls für die Formulierung der Fragestellung leitend waren.

Das vom Autor konzipierte heuristische Modell zur Analyse der Bewältigung beruflicher Anforderungen durch Lehrpersonen in der Berufseingangsphase rekurriert hauptsächlich auf das Rahmenmodell der Kompetenzentwicklung von Hericks und Keller-Schneider (2011). Es berücksichtigt ebenso das Modell für die Analyse kritischer Lebensereignisse von Filipp und Aymanns (2010), womit aktuelle und wichtige Rahmenmodelle einbezogen werden. Ebenfalls bezieht sich der Autor auf das kognitiv transaktionale Stressmodell von Lazarus und Folkman (1984), welches durch seinen individualisierten Stressbegriff in letzter Zeit allerdings in die Kritik geraten ist [1].

Weitere Ausführungen im theoretischen Rahmen beziehen sich auf zentrale Begriffe der Lehrergesundheitsforschung, wie z. B. Stress, Belastung und Beanspruchung. Zudem werden das Job Demand Modell von Hackmann und Oldman, das Modell sozialen Verhaltens, Abläufe von Bewältigungsverhalten mit Klassifikationsmodellen, personale Merkmale (Überzeugungen), Selbstwirksamkeitserwartung und soziale Unterstützung dargelegt – als Bedingungen, die einen Effekt auf den Bewältigungsprozess haben. Da kaum noch Bezug auf die dargelegten Modelle genommen wird, hätte hier eine Einschränkung auf die für die Arbeit zentralen Aspekte vorgenommen werden können.

Die (Gelegenheits-)Stichprobe der Studie umfasste 21 Lehrpersonen. Sämtliche Lehrpersonen wurden zum ersten Mal nach ihrem Studium als Klassenlehrpersonen an Grundschulen in Luxemburg eingesetzt. Zur Einschätzung der Kohorte wäre es interessant gewesen zu erfahren, wie viele Berufseinsteiger insgesamt zum Zeitpunkt der Befragung in Luxemburg in der Grundschule ihren Dienst aufgenommen haben.

Die Lehrpersonen wurden zu mehreren Zeitpunkten während ihres ersten Berufsjahres befragt. Für die Entwicklung der Datenerhebungsinstrumente wurde das vom Autor entwickelte heuristische Modell als Orientierungsrahmen verwendet. Die Daten wurden mit einem Fragebogen und mit Hilfe halbstrukturierter, teilnarrativer Interviews gewonnen, welche vor dem Beginn, nach dem ersten Drittel und am Ende des ersten Berufsjahres geführt wurden. Die Lehrpersonen verfügten von Beginn an über erste Schulerfahrungen, die sie während 32-wöchigen schulpraktischen Studien im Rahmen ihres Studiums sammeln konnten (361). Inwieweit sich die Berufseinsteiger auf ihren Berufsalltag durch diese schulpraktischen Studien oder die Studieninhalte vorbereitet fühlten, wird nicht näher beschrieben.

Die Interviews wurden reduktiv-interpretativ in zusammenfassenden Synopsen ausgewertet. Auf die genaue Darstellung der Erhebungsinstrumente sowie der Auswertungsmethodik wurde aus Platzgründen (137) verzichtet – für eine Dissertation verwunderlich. Zur Einschätzung der Qualität der Daten wäre es hilfreich gewesen, über die zentralen Fragen der Leitfäden Auskunft zu erhalten. Der methodische Zugang des Autors wird so leider kaum transparent gemacht.

Anschließend werden die Ergebnisse dem Ordnungsrahmen von sieben Aufgabenbereichen zugeordnet. Dabei finden Berücksichtigung: die Annahme der Tätigkeit, die Unterrichtsplanung, die Klassenführung, die Zusammenarbeit mit dem Kollegium, die Kommunikation und Zusammenarbeit mit den Eltern, der Umgang mit Belastungen und die Gestaltung der eigenen beruflichen Entwicklung. Hierbei wird in allen Aufgabenbereichen auf die jeweiligen Ergebnisse und deren Veränderungen im ersten Berufsjahr differenziert eingegangen. Untermauernde Originalzitate der Interviewten hätten an dieser Stelle das Verständnis und die Transparenz noch verbessern können. Zwei Einzelfallbeschreibungen werden im Anschluss herausgegriffen, die exemplarisch ein erweitertes Verständnis ermöglichen. Die ausgewählten Einzelfälle zeigen deutliche Unterschiede im Bewältigungsverhalten, verlaufen aber gleichwertig erfolgreich.

Die Fallbeschreibungen enden in einer Verdichtung der Ergebnisse in einer übersichtlichen Gegenüberstellung hinsichtlich der verschiedenen Personenmerkmale, Kontextmerkmale und Folgen (305). In der Diskussion wird deutlich, dass die neuen Lehrkräfte vor allem dann das erste Berufsjahr als positiv empfanden, wenn sie ihre Bedürfnisse, z. B. nach Anerkennung, befriedigen konnten. Demzufolge schlussfolgert der Autor im siebten Kapitel, dass eine bedürfnisgerechte Begleitung der Berufseinsteiger notwendig sei. Insgesamt wäre für die Diskussion der Ergebnisse eine systematische Rückbindung an das heuristische Modell oder an die theoretischen Vorannahmen im ersten Teil des Buches hilfreich gewesen.

Im abschließenden Fazit prognostiziert der Autor, „dass die Gefahr, dass viele neue Lehrpersonen den Beruf in Luxemburg entmutigt verlassen, sehr gering ist.“ (361). Auch wenn diese generelle Einschätzung der Studie aufgrund der kleinen Stichprobe noch einer Absicherung bedarf, so ermöglicht die Publikation von Christian Lamy das Studium differenzierter Sichtweisen auf die individuelle Entwicklung von Lehramtsabsolventen für die Grundschule in Luxemburg. Möglichkeiten für die individuelle Unterstützung dieser Berufseinsteiger werden aufgezeigt.

Die Arbeit ist durch lange Kapitelüberschriften etwas unübersichtlich gegliedert und enthält – abgesehen von der Vorstellung der Ergebnisse (332) – nur unzureichend strukturierende Zusammenfassungen. Solche Zusammenfassungen der jeweiligen Kernpunkte der Einzelkapitel hätten die Lesbarkeit der Studie verbessern können.

[1] Schumacher, L. / Paulus, P. / Sieland, B.: Unterricht, Schule, Bildungssystem und Gesellschaft. Situative Einflussfaktoren auf die Gesundheit und Professionalität von Lehrkräften. In: Zlatkin-Troitschanskaia, O. / Beck, K. / Sembill, D. / Nickolaus, R. / Mulder, R. (Hg.): Lehrprofessionalität, 617–628. Weinheim / Basel: Beltz, 2009.
Bärbel Wesselborg (Düsseldorf)
Zur Zitierweise der Rezension:
Bärbel Wesselborg: Rezension von: Lamy, Christian: Die Bewältigung beruflicher Anforderungen durch Lehrpersonen im Berufseinstieg. Wiesbaden: Springer VS 2015. In: EWR 15 (2016), Nr. 1 (Veröffentlicht am 04.02.2016), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978365809841.html