Der Kerngedanke der vorliegenden Arbeit – einer kunsthistorischen Dissertation an der Technischen Universität Berlin – ist es, die Bedeutung des Illustrators und Kupferstechers Daniel Nikolaus Chodowiecki (1726-1801) in Bezug auf seine pädagogischen Werke zu analysieren, um so einen neuen, vertieften Zugang zu seinem Gesamtwerk zu ermöglichen und seine kunsthistorische Bedeutung im Kontext des pädagogischen Schaffens nachzuweisen. Der interdisziplinäre Zugang ermöglicht dabei einen notwendigerweise komplexen, aber dadurch kontextbezogenen Blick auf diesen bisher eher vernachlässigten Aspekt aller beteiligten Forschungsgebiete.
Um sich der Fülle des vorliegenden Materials zu nähern, wählt Schäfer drei pädagogische Motive: das Spiel, Berufe und die Idee der Toleranz (vgl. 47) und vergleicht die Arbeiten Chodowieckis, die dieser zu diesem Thema für und in Zusammenarbeit mit Johann Bernhard Basedow (1724-1790) für dessen Elementarwerk (1770/1774) gestaltet hat, mit denen, die er für und mit Christian Gotthilf Salzmann (1744-1811) für dessen Moralisches Elementarbuch (1782/1783) anfertigte.
Zunächst werden in der Einleitung der Forschungsstand referiert sowie Methode und Ziel der Arbeit festgelegt. Schäfer legt ihre Arbeit interdisziplinär an und zeigt schon bei der Erhebung des Forschungsstandes den breiten Zugang ihrer Arbeit. So ist die „Edukationsgrafik“ – eine Bezeichnung, die spätestens durch diese Arbeit zu einem Begriff werden sollte – Gegenstand eines kunstgeschichtlichen, eines erziehungswissenschaftlichen, eines literaturwissenschaftlichen und eines religionspädagogischen Diskurses und dennoch bis heute kaum beachtet.
Kapitel zwei ist der Kunst im Kinder- und Jugendbuch gewidmet und gibt einen Ăśberblick ĂĽber den Entstehungszusammenhang der Darstellungen in Basedows Elementarwerk und Salzmanns Moralischem Elementarbuch. Kapitel drei bis fĂĽnf decken die Analyse der Motive Kinderspiel, Berufe und Toleranzgedanken. Die Arbeit schlieĂźt mit einer kurzen Schlussbemerkung ab.
Der inhaltliche Schwerpunkt der Arbeit liegt auf den Kapiteln drei bis fünf. Auf mehr als 300 Seiten beschreibt Schäfer insgesamt neun Tafeln jeweils inklusive eines kurzen Einblicks in ihren Entstehungszusammenhang. Dabei wird die inhaltliche Absicht der Autoren jeweils deskriptiv abgearbeitet, die ikonographischen Aspekte werden – dem Thema geschuldet – intensiv ausgearbeitet.
Teilweise wirkt die Beschreibung der grafischen Arbeit Chodowieckis abgelöst von den pädagogischen Absichten der Autoren. So scheint Chodowiecki nach Schäfers Interpretation recht frei in den Entscheidungen der Bildgestaltung gewesen zu sein.
Bei dieser Deutung könnte man davon ausgehen, dass die jeweilige Visualisierung des Geschriebenen ebenso hätte anders gestaltet werden können. So schreibt Schäfer die Komposition der Tafel V und VI aus Basedows Elementarwerk Chodowiecki zu (168). Argumentationsgrundlage hierfür sind die fehlende Passung zwischen Text und Bild. So beschreibt Basedow den Bau eines Drachens, Chodowiecki wählt zur Illustration die Darstellung eines Kindes, das einen Drachen steigen lässt (170). Doch auch wenn im Einzelfall die Korrespondenz zwischen Chodowiecki und Salzmann bzw. Basedow verschollen ist, so lässt doch die Korrespondenz in anderen Entstehungszusammenhängen – z. B. der Briefwechsel zwischen Campe und Chodowiecki zur Illustration der „Seelenlehre für Kinder“ (1780) – vermuten, dass die Autoren intensiv und massiv Einfluss auf Bildaufbau, Gestaltung und Umsetzung genommen haben. Damit wäre die unterschiedliche Bildsprache weniger der graphischen Interpretation Chodowieckis, sondern mehr den theoretischen Vorstellungen Basedows und Salzmann geschuldet.
Aus Sicht der historischen Bildungsforschung würde eine intensivere Einbindung der pädagogisch-konstruktiven Bildbeschreibungen Christian Heinrich Wolkes („C. H. Wolkens Nachricht von seiner Beschreibung der zum Elementarwerk gehörigen und von Daniel Chodowiecki (bis auf 18) gezeichneten hundert Kupfertafeln, enthaltend die Methoden durch welche der Jugend auf eine leichte und angeneme Weise Kenntnisse der Sachen und Sprachen zugleich können mitgeteilt werden“, 1781) und ein differenzierter Umgang mit den Absichten der Philanthropen die Forschungsarbeit ergänzen. Insbesondere könnte ein Blick auf die unterschiedliche Beurteilung von Vorbild und Abschreckung als didaktische Methoden hier gute Dienste leisten.
Schäfer leitet die von Chodowiecki gewählte Darstellung des Reifenspiels (Basedows Elementarwerk, Tafel VI) ikonographisch u. a. aus der Tradition der Emblemgrafik und der holländischen Fliesenmalerei ab. Ein direkter Vergleich zwischen N. de Bruyn „X jaer“ (1610) und Chodowieckis Stich führt zu der Annahme, dass im ersten Fall Kindheit als Lebensabschnitt, im zweiten Fall Sachwissen und körperliche Bewegung Schwerpunkt des vermittelnden Bildinhalts sind. Der Einblick in die verschiedenen Darstellungen der Motive im Kontext ihrer Entstehungszeit zeigt deutlich den Wandel der bildlichen Darstellung. Ob dieser aber dem kunsthistorischen Anspruch der jeweiligen Epoche oder einem inhaltlichen Bedeutungswandel geschuldet ist, bleibt undiskutiert.
Insgesamt ermöglicht das Buch einen neuen Blick auf ein bisher kaum beachtetes Thema. Ob die historische Bildungsforschung etwas aus der kunsthistorischen Betrachtung lernen kann, muss offen bleiben, da der Schwerpunkt der Betrachtung auf einem ikonographischen Zugang liegt und bildungs- oder erziehungstheoretische Aspekte nur angerissen werden. In jedem Fall aber intensiviert die vorliegende Arbeit den Blick auf die grafischen Elemente der philanthropischen Pädagogik und eröffnet neue interdisziplinäre Forschungsperspektiven.
EWR 13 (2014), Nr. 3 (Mai/Juni)
Das Bild als Erzieher
Daniel Nikolaus Chodowieckis Kinder- und Jugendbuchillustrationen in Johann Bernhard Basedows Elementarwerk und Christian Gotthilf Salzmanns Moralischem Elementarbuch
Frankfurt am Main: Peter Lang 2013
(526 S.; ISBN 978-3-631-64094-4; 89,95 EUR)
Simone Austermann (Dortmund)
Zur Zitierweise der Rezension:
Simone Austermann: Rezension von: Schäfer, Jasmin: Das Bild als Erzieher, Daniel Nikolaus Chodowieckis Kinder- und Jugendbuchillustrationen in Johann Bernhard Basedows Elementarwerk und Christian Gotthilf Salzmanns Moralischem Elementarbuch. Frankfurt am Main: Peter Lang 2013. In: EWR 13 (2014), Nr. 3 (Veröffentlicht am 04.06.2014), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978363164094.html
Simone Austermann: Rezension von: Schäfer, Jasmin: Das Bild als Erzieher, Daniel Nikolaus Chodowieckis Kinder- und Jugendbuchillustrationen in Johann Bernhard Basedows Elementarwerk und Christian Gotthilf Salzmanns Moralischem Elementarbuch. Frankfurt am Main: Peter Lang 2013. In: EWR 13 (2014), Nr. 3 (Veröffentlicht am 04.06.2014), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978363164094.html