EWR 9 (2010), Nr. 3 (Mai/Juni)

Andreas Ortenburger
Professionalisierung und Lehrerausbildung
Zur Bedeutung professionsbezogener Einstellungsmuster für Studienwahl und Studienverläufe von Lehramtsstudierenden. Eine explorative Längsschnittstudie
Frankfurt am Main: Lang 2010
(265 S.; ISBN 978-3-631-59976-1; 44,80 EUR)
Professionalisierung und Lehrerausbildung Der vorliegend rezensierte Band wurde vom Fachbereich Erziehungswissenschaften und Psychologie der Freien Universität Berlin im Jahr 2009 als Dissertation angenommen. Er beschäftigt sich mit der Professionalisierung Lehramtsstudierender in der Lehrerausbildung. Zentrales Anliegen der Arbeit ist es zu klären, „welche Bedeutung professionsbezogene Einstellungen bei Eintritt in das deutsche Lehrerausbildungssystem für die Herausbildung von Professionalität haben“ (4). Hierzu wurden theoretische Klärungen zum Professionalitäts- und Professionalisierungsbegriff vorgenommen und die Durchführung sowie die Ergebnisse einer explorativen Längsschnittstudie dokumentiert.

Die Arbeit enthält 13 Abbildungen und 75 Tabellen, eine gut strukturierte Gliederung und eine knappe Übersicht über die Kapitelinhalte im Rahmen der Einleitung; ein Register ist nicht vorhanden. Sie gliedert sich in acht Kapitel. In einem systematisch-theoretischen Teil werden nach einer Einleitung zunächst unterschiedliche Professionsansätze diskutiert und die Idee einer Typenlehre von Lehramtsstudierenden aufgenommen (Kapitel 2). Dann wird die Struktur der Lehrerbildung in Deutschland, angefangen bei ihrer historischen Entwicklung bis hin zur Differenzierung der verschiedenen Lehrämter und den drei Phasen der Lehrerbildung, nachgezeichnet (Kapitel 3). Ein Literaturbericht zum Stand der empirischen Lehrerbildungsforschung entlang verschiedener Diskussionsschwerpunkte schließt den Theorieteil ab (Kapitel 4).

Im Anschluss werden in einem empirischen Teil die Fragestellung, das Untersuchungsdesign, die zugrunde liegende Stichprobe sowie das Erhebungsinstrument vorgestellt (Kapitel 5). Die empirischen Befunde werden ausführlich dargelegt und zusammengefasst (Kapitel 6), die Ergebnisse werden diskutiert und ein Ausblick wird gegeben (Kapitel 7). Am Ende werden die Erhebungsinstrumente dokumentiert (Kapitel 8).

Die theoretische Beschäftigung mit dem Begriff der Professionalität diskutiert verschiedene Zugänge wie das Entstehen von Professionen im Prozess der Verberuflichung zahlreicher Tätigkeiten, der Definition von (klassischen) Professionen über einen Kriterienkatalog und den wissensbasierten Expertiseansatz. Der Begriff „Professionalisierung“ wird über das Spannungsverhältnis eines strukturtheoretischen vs. kompetenzorientierten Professionsverständnisses erschlossen. Erfreulich ist dabei die Berücksichtigung der in der gegenwärtigen Diskussion häufig vernachlässigten Perspektive von Professionalisierung im Sinne eines (berufs-)biografischen Ansatzes. Allerdings tritt in diesem Kapitel nicht immer deutlich hervor, ob und wie sich die eingangs erwähnten Begriffe Profession, Professionalisierung und Professionalität (7) theoretisch voneinander abgrenzen lassen und wie sie sich zueinander verhalten. Hier wäre eine vertiefende Klärung wünschenswert gewesen, etwa zu den spezifischen Merkmalen des Lehrerberufs als Profession, dem Verständnis von Lehrerbildung als Weg der Professionalisierung oder von Professionalität als (Zwischen-)Ergebnis institutionalisierter oder lebenslanger Lehrerbildung. Der Autor selbst folgt im Weiteren dem strukturtheoretischen Professionalisierungsansatz (27).

Es erfolgt die Darstellung der Struktur der Lehrerbildung in Deutschland. Dieses Kapitel erscheint – zumindest in der vorliegenden Ausführlichkeit – weitgehend verzichtbar, lassen sich die referierten Grundinformationen zur historischen Entwicklung, der Differenzierung der Lehrämter oder zu den drei Phasen und der Kritik der Lehrerbildung schnell anhand von Überblicksartikeln oder Handbüchern erschließen. Sie könnten hier vorausgesetzt werden. Zugleich ist die Darstellung an einigen Stellen wenig differenziert: So ist etwa ein Praxissemester in der ersten Phase in Baden-Württemberg nur in der gymnasialen Lehrerbildung vorgesehen und nicht, wie aufgrund der Lektüre anzunehmen, in allen Lehramtsstudiengängen (45). Gleichwohl sind insbesondere die Zusammenstellung zur dritten Phase (41) und die eingangs gemachten Andeutungen zur Reform der Lehrerbildung im Zuge des Bologna-Prozesses (29) durchaus informativ und weiterführend.

Ob sich die Lehrerbildung allein aufgrund ihrer Organisation in drei Phasen als „berufsbiografische Professionalisierung“ (58) interpretieren lässt, erscheint fragwürdig. Denn die sich im Rahmen der institutionalisierten Lehrerbildung in der Dialektik von Angebot und Nutzung vollziehende Professionalisierung wird von einer Entwicklung begleitet, die von berufsspezifischen Vorerfahrungen und durch sich außerhalb der Ausbildung vollziehende Faktoren (z.B. durch kritische Lebensereignisse) mit beeinflusst wird. Dieser zweite Professionalisierungsstrang hat seinerseits Bedeutung für die (Berufs-)Biografie, wie die abgebildete Wirkungskette der Lehrerbildung (57) nahe legt. In jedem Fall ergibt sich zwischen dem eingangs favorisierten strukturtheoretischen Professionsverständnis und dem hier skizzierten kumulativen Kompetenzerwerb ein Spannungsverhältnis.

Die Darstellung des Forschungsstandes zur Lehrerbildung erfolgt unter Rückgriff auf Überblicksdarstellungen und Metaanalysen sowie neuere Studien (61). Dies führt zu einem erfreulich pointierten Literaturbericht, dessen Lektüre lohnt. Allerdings wird ein sehr einseitiger Fokus auf die Kompetenzdebatte gelegt, während andere zentrale Forschungsfelder, etwa Studien zur Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf oder zur Lehrerpersönlichkeit, weitgehend ausgeblendet werden. Einen Schwerpunkt auf die hoch komplexe und zugleich zentrale Frage nach der Wirksamkeit der Lehrerbildung zu legen (78) erscheint aus Sicht der Lehrerbildungsforschung zwar richtig, ist vor dem Hintergrund des eingangs vertretenen strukturtheoretischen Professionalisierungsbegriffs aber wenig plausibel, schließt der strukturtheoretische Ansatz doch eigentlich aus, von Wirkungen bzw. von einer durch die Lehrerbildung hervorgerufenen professionellen Entwicklung im Sinne eines kumulativen Aufbaus von Kompetenzen zu sprechen.

Die empirisch untersuchten professionsbezogenen Überzeugungen werden als Eingangsvoraussetzungen in das Lehramtsstudium verstanden (102). Als Untersuchungsvariablen dienen Abiturnote, allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung, Studien- und Berufswahlsicherheit, Schulerfahrungen und Berufsorientierungen. Es soll dann geprüft werden, ob verschiedene Typen von Lehramtsstudierenden eine signifikant differente Ausprägung dieser Variablen aufweisen. Eine Diskussion der Variablen bzw. der einschlägigen, mit ihnen erfassten Forschungsergebnisse vermisst der Leser ebenso wie eine begründete Herleitung der Auswahl eben dieser Konstrukte aus dem Forschungsstand. Es wird lediglich auf die Möglichkeit verwiesen, diese Variablen für die Exploration der Forschungsfragen heranzuziehen (102), die – zumindest im Sinne konkreter Hypothesen – nicht klar ersichtlich werden. Es bleibt also offen, warum in der Lehrerbildungsforschung ebenfalls als Eingangsvoraussetzungen diskutierte Konstrukte wie pädagogische Vorerfahrungen, Persönlichkeitsmerkmale oder die soziale Herkunft der Lehramtsstudierenden nicht in die Untersuchungen mit einbezogen werden.

Die Stichprobe beruht auf einer Befragung zweier Kohorten Lehramtsstudierender, die im Wintersemester 2004/05 bzw. 2005/06 ihr Studium an der Bergischen Universität Wuppertal aufgenommen haben. Beide Kohorten wurden zu zwei Messzeitpunkten um eine Teilnahme an einer schriftlichen Befragung gebeten. Zum Abstand der Messzeitpunkte und zu deren Platzierung im Verlauf des Studiums sind keine Details ersichtlich. Aufgrund einer überdurchschnittlich starken Panelmortalität konnten von den zu t1 insgesamt n=814 erhaltenen Fragebögen (Grundgesamtheit: N=1996) nur 312 Datensätze zwischen beiden Erhebungszeitpunkten fallweise zugeordnet werden. Der Autor selbst betont die eingeschränkte Aussagekraft der generierten Daten und zieht in Erwägung, dass es sich bei den später skizzierten Ergebnissen und deren Interpretation auch um ein „Artefakt“ (211) handeln könnte.

Interessant ist die Idee, den Anfang der 1970er Jahre im Zusammenhang mit der Forschung zum „Praxisschock“ intensiv diskutierten Ansatz von Koch et al. zur empirischen Fassung von Schul- und Erziehungseinstellungen zu replizieren und das Modell um die Dimension Diffusität vs. Spezifität hinsichtlich des Verständnisses der Berufsrolle zu erweitern (134). Caselmann unterschied bereits 1949 einen paidotropen (eher am Kinde orientierten) und logotropen (eher an der Sache orientierten) Lehrertypus. Eine Clusteranalyse verweist auf die Möglichkeit bzw. Notwendigkeit einer Erweiterung dieses Modells durch die Unterscheidung von vier Typen. Studierende des paidotrop-diffusen Typs (25%) zeigen eine starke pädagogische Orientierung und ein diffuses Verständnis ihrer Rolle als Lehrkraft. Sie weisen eine hohe Berufswahlsicherheit und eine überdurchschnittlich ausgeprägte Selbstwirksamkeitserwartung auf und betonen den Lebensweltbezug von Unterricht, während ihnen eine Abstraktion von der beruflichen Rolle schwer fällt. Wer dem paidotrop-spezifischen Typus (30%) angehört, zeichnet sich durch eine starke pädagogische Orientierung bei gleichzeitig scharf umrissenem Berufsrollenbild aus. Solche Studierende haben eine ausgeprägte Freizeitorientierung. Der logotrop-diffuse Typ schließlich lässt sich durch eine stärkere Orientierung am Fach bei gleichzeitig diffusem Verständnis der Berufsrolle charakterisieren (22%). Für Studierende dieses Typus hat Freizeit eine untergeordnete Bedeutung. Sie weisen eine hohe Berufswahlsicherheit auf und streben ihren Wunschberuf an. Angehörige des logotrop-spezifischen Typus (23%) sehen den Lehrstoff im Mittelpunkt, während pädagogische Bemühungen eher in den Hintergrund treten. Sie haben im Schnitt die schlechtesten Abiturnoten, sind nach eigenen Angaben oft nicht in ihrem Wunschstudium eingeschrieben und haben kein konkretes berufliches Ziel. Gute Bezahlung und Karrieremöglichkeiten sind ihnen wichtig.

Aus den Längsschnittdaten ergibt sich ein Hinweis darauf, dass der logotrop-diffuse Typus verstärkt eine Orientierung an den erziehungswissenschaftlichen Anteilen des Studiums zeigt. Für diese Gruppe Studierender scheint der Charakter der erziehungswissenschaftlichen Ausbildungskomponente in der ersten Phase, erziehungswissenschaftliches Wissen nicht als handlungsleitendes Wissen, sondern als wissenschaftliche Grundlage für eine Entwicklung von Reflexionsvermögen zu verstehen, ein fruchtbares Moment der Ausbildung insgesamt zu sein. Weiterhin lässt sich, anders als in den alten Untersuchungen zur „Konstanzer Wanne“, keine signifikante längsschnittliche Veränderung der erhobenen Schul- und Erziehungseinstellungen feststellen. Für die heutige Lehramtsklientel können die untersuchten Variablen offenbar als weitgehend stabil gelten. Allerdings lässt sich ein längsschnittliches Wandern der Studierenden zwischen den vier Typen konstatieren: anfangs diffus eingestellte Studierende bewegen sich vermehrt in Richtung spezifischer Einstellungen und zu Beginn Befragte mit logotrop-spezifischen Orientierungen weisen zu t2 häufiger eine logotrop-diffuse Orientierung auf. Der paidotrop-spezifische Typus ist aus annähernd denselben Studierenden zusammengesetzt. Die Bewegungen werden als wünschenswerte Annäherung bzw. als Ausgleich zwischen den Rollenauffassungen interpretiert.

Diskussion und Ausblick geraten mit weniger als vier Textseiten sehr knapp. Resümierend bleibt aus Sicht des Autors festzuhalten, „dass die Differenzierung von Studierendentypen nach professionsbezogenen Überzeugungen gelingen kann“ (211). Die dort ebenfalls erwähnte „professionstheoretische“ Begründung der Auswahl der Untersuchungsdimensionen erfolgt allerdings, wie oben dargestellt, nicht hinreichend. Am Ende der Lektüre ergibt sich daher ein zweigeteiltes Bild. Einerseits ist die Intention der Studie, dem Defizit empirischer Forschung zu professionsbezogenen Überzeugungen zu begegnen, positiv zu würdigen. Andererseits bleibt weitgehend offen, inwiefern die vorgestellten Ergebnisse den gegenwärtigen Stand der empirischen Lehrerbildungsforschung tatsächlich bereichern und welche Implikationen sich aus ihnen mit Blick auf die Reform bzw. die Organisation der Lehrerbildung nahelegen. Die Aussagekraft der vorliegenden Untersuchung bleibt damit, auch unter der Lesart von Grundlagenforschung, eher begrenzt.

Insgesamt ist der Text gut lesbar und führt in Fragen der pädagogischen Professionalität, in das Lehrerbildungssystem und in ausgewählte Ansätze der empirischen Lehrerbildungsforschung ein. Die Darstellung schwankt in ihrem Charakter allerdings zwischen einem Einführungstext einerseits und der Auseinandersetzung mit einem ausgewählten Teilaspekt empirischer Lehrerbildungsforschung andererseits. Der theoretische Teil des Buchs kann daher auch für Studierende des Lehramts und der Erziehungswissenschaft interessant sein, während der empirische Teil eher ein Fachpublikum mit einschlägigen empirischen Interessen ansprechen dürfte.
Colin Cramer (Tübingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Colin Cramer: Rezension von: Ortenburger, Andreas: Professionalisierung und Lehrerausbildung, Zur Bedeutung professionsbezogener Einstellungsmuster für Studienwahl und Studienverläufe von Lehramtsstudierenden. Eine explorative Längsschnittstudie. Frankfurt am Main: Lang 2010. In: EWR 9 (2010), Nr. 3 (Veröffentlicht am 02.06.2010), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978363159976.html