EWR 8 (2009), Nr. 2 (März/April)

Wolfgang Zydatiß
Deutsch-Englische Züge in Berlin (DEZIBEL)
Eine Evaluation des bilingualen Sachfachunterrichts an Gymnasien
(Mehrsprachigkeit und Unterricht; Bd. 7)
Frankfurt a. M.: Lang 2007
(499 S.; ISBN 978-3-631-56426-4; 52,20 EUR)
Deutsch-Englische Züge in Berlin (DEZIBEL) Die vorliegende Evaluationsstudie ist entstanden aus der Kooperation der Berliner Senatsverwaltung mit der Freien Universität Berlin. Letztere hatte den Auftrag, den Schulversuch zu Deutsch-Englischen bilingualen Zügen an Berliner Gymnasien (DEZIBEL) wissenschaftlich zu begleiten und zu evaluieren. Die Datenbasis für die Studie ist in den Jahren zwischen 2000 und 2002 entstanden. Vor dem Hintergrund des übergeordneten Zusammenhangs von Bildungsstandards und Kompetenzen hat der Verfasser bereits 2005 Testergebnisse zu den kommunikativen und linguistischen Kompetenzen von „Regelschülern“ und Schüler in bilingualen Zweigen an Gymnasien und Realschulen analysiert [1]. Die vorliegende Monographie geht jedoch weiter und bezieht die Sachfachkompetenzen mit ein. Dabei wird in pointierter Form die „Gretchenfrage“ der Unterrichtsform „bilingualer Unterricht“ gestellt, „nämlich inwieweit die Kompetenzen in der jeweiligen Arbeitssprache als intervenierende Variable zu eher „schlechten“ bzw. „guten“ Sachfachleistungen fungieren“ (483). Oder im eher etwas „holzschnittartig formulierten Zugriff einer Schulbehörde: Was kommt für die Englischkompetenzen beim „Bilingualen Unterricht“ heraus?“ Und zweitens: „Was kommt bei den Sachfachkompetenzen in einem fremdsprachig geführten Fachunterricht heraus?“ (81). In Berlin gab es zu Beginn der wissenschaftlichen Begleitung 2001 drei Gymnasien, in denen die bilingualen Züge nach zweijährigen Vorlauf mit verstärktem Englischunterricht „ausgewachsen“ waren und so die Voraussetzungen gegeben waren, um die DEZ-Klassen mit den Regelklassen zu vergleichen (Gesamt N=191).

Wer sich durch vier Kapitel bzw. 300 Seiten Empirie und multivariate statistische Analysen gelesen hat, wird nicht enttäuscht (etwa von ins Leere laufenden statistischen Reliabilitätsprüfungen). Dem Berliner Professor für Didaktik der Englischen Sprache und Literatur gelingt es, aus qualitativen und quantitativen Befunden prüfstatistisch valide Interdependenzen aufzuzeigen und daraus didaktische wie schulpolitische Konsequenzen abzuleiten. So werden in dem gut 100 Seiten starken Schlusskapitel qualitative und quantitative Befunde so verdichtet, dass linguistische wie kommunikativ-textuelle Hürden als Brennpunkte eines integrierten Sach-Sprachlernens hervortreten. In ihrer gleichsam didaktischen Konkretheit und sprachtheoretischen Sättigung weisen sie über die vom Autor bescheiden in Aussicht gestellten „Umrisse einer integrierten bilingualen Sachfachdidaktik“ hinaus.

Ausstattung

Die fast 500 Seiten umfassende Studie ist mit zahlreichen „Navigationshilfen“ ausgestattet, so dass man sich als Leser auch in dem rund 300 Seiten umfassenden deskriptiv-statistischen Teil gut zurechtfindet. Gerade für diese Kapitel stellt das umfangreiche Glossar die statistischen Begriffe und Prüfverfahren in allgemein verständlicher Sprache dar. Im Gegenzug erleichtert das Abkürzungsverzeichnis dem fremdsprachendidaktischen Nicht-Fachmann die Orientierung im Text, um häufiger verwendete Akronyme wie z.B. CALPs und BICS zu „knacken“. Der Aufbau und die Struktur der Untersuchung werden durch das bis auf vier Unterebenen durchgegliederte Inhaltsverzeichnis und grafische Abbildungen sehr gut deutlich. Konzise Kapitelzusammenfassungen und zahlreiche Querverweise im laufenden Text erlauben einen Einstieg an verschiedenen Stellen im Buch. Im Schlusskapitel helfen tabellarische Übersichten, den Überblick über die Systematik der Diskursfunktionen in den geschilderten Beispielen zu behalten. Grafiken veranschaulichen Konzeptualisierungen unterschiedlicher Art, wie z.B. den curriculartheoretischen Rahmen für CLIL-Angebote oder die hervorragend aufbereiteten visuellen Strukturhilfen zur Förderung des Textverstehens.

Gegenstand der Studie

Während sich in Deutschland der Begriff bilingualer Sachfachunterricht durchgesetzt hat, wird im europäischen Kontext von Content and Language Integrated Learning (CLIL) gesprochen. CLIL wird als generischer Begriff gebraucht, um alle Formen von Unterricht zu beschreiben, in dem eine zweite Sprache (eine Fremdsprache, eine Regionalsprache, eine Minderheitssprache oder eine andere offizielle Landessprache) gebraucht wird, um Fächer in einem Curriculum zu unterrichten, die keine Fremdsprachenfächer sind. Besonders im Rahmen der europäischen Mehrsprachigkeitspolitik gewinnt der bilinguale Sachfachunterricht weiter an Bedeutung. Der Durchbruch für CLIL gelang unter der Luxemburger Präsidentschaft. Die Luxemburger Konferenz von März 2005 The Changing European Classroom: The Potential of Plurilingual Education stellte CLIL in den Mittelpunkt. Daraus erwuchs die Forderung der Luxemburger Präsidentschaft "to ensure that pupils and students are involved in CLIL type provision at the different levels of school education" [2].

Für den im ersten Kapitel näher beschriebenen Untersuchungsgegenstand „Bilingualer Unterricht“ sind drei Sichtweisen maßgeblich, welche die Diskussion über das didaktische Selbstverständnis des curricularen Konzepts bestimmen:

• das Fremdsprachenlernen über Sachverhalte,
• der Fachunterricht in einer anderen Sprache als der Umgebungssprache der Mehrheitskultur,
• das integrierte Sach-Sprachlernen.

Die erste Position wird insbesondere von der kognitionspsychologisch geprägten Fremdsprachendidaktik als der „bessere Weg“ für das Fremdsprachenlernen apostrophiert, weil Lernende hier den Inhalten mehr Aufmerksamkeit schenken und Sprache tiefer verarbeitet wird, was dem Spracherwerb insgesamt zuträglich ist. Die zweite Sichtweise wird von den Vertretern der Sachfächern tendenziell kritisch gesehen, weil sie die Ziele des Sachfachunterrichts nicht als angemessen umgesetzt sehen und eine Instrumentalisierung des Sachfachunterrichts für die Zwecke des Fremdsprachenlernens befürchten.

In der dritten Sichtweise sind das Sach- und das Sprachlernen didaktisch eng aufeinander bezogen. Die begrifflichen Werkzeuge, Konzepte und Modelle des jeweiligen Faches sind konstruierte Versuche, Wirklichkeit „in den Griff“ zu bekommen. Sachfachbezogenes fremdsprachliches Lernen umfasst jedoch mehr als nur das Erlernen von Fachvokabular. Der Verfasser legt im ersten Kapitel überzeugend dar, dass sachfachfachliches Lernen immer auch ein Hineinwachsen in die Denk- und Kommunikationsgewohnheiten der discourse community des jeweiligen Faches bedeutet. Diese diskursiv-prozessuale Komponente ist Teil des sachfachlichen Lernens in einer Schule, die – von Zydatiß verstanden als „Sprachschule“ – ihr Wissen überwiegend diskursiv vermittelt. Diskursivität und Reflexivität sind folglich übergeordnete Zieldimensionen, welche das Konzept aus Sicht einer rational-kritischen bzw. reflexiv-bewertenden Bildungstheorie heraus legitimieren.

Vorgehensweise und Voraussetzunge der Studie

Ziel der Studie ist es, sowohl den fremdsprachlichen wie auch den sachfachlichen Kompetenzerwerb ins Visier zu nehmen. Differenziert nach den wissenschaftlichen Kriterien der Beschreibungs- und Erklärungsadäquatheit werden zwei zentrale Hypothesen überprüft: Der Schulversuch des Bilingualen Unterrichts an Gymnasien ist dann erfolgreich, wenn die Schülerinnen und Schüler in den „bilingualen Zügen“ im Vergleich zu Schülerinnen und Schülern in den Regelklassen der gleichen Schule über signifikant „bessere“ Kompetenzen im Englischen am Ende der Sekundarstufe I verfügen. Die zweite Hypothese zielt auf die Leistungen im Sachfach. Der Schulversuch gilt danach als erfolgreich, wenn im fremdsprachig geführten Fachunterricht Leistungen erreicht werden, die mit Leistungen im deutschsprachigen Fachunterricht vergleichbar sind.

Dies führt neben integrierten Sprachfähigkeitstest zu einer zweiten Testbatterie, in der sachfachbezogene Text- und Diskurskompetenzen überprüft werden. Auf der qualitativen Seite kommen eine Befragung aller Lehrkräfte an bilingualen Zügen und eine Fragebogenerhebung zur Sicht der Schülerinnen und Schüler auf ihre Schule und Klasse hinzu, was den Anspruch der Reihe auf Methodenpluralismus einlöst. Die Ausgangshypothesen erfordern ein Kontrollgruppendesign, in dem die DEZ-Klassen, die das Treatment des bilingualen Unterrichts erhalten, mit den Regelklassen der gleichen Schule verglichen werden. Dieses Vorgehen hat – wie der Autor auch unumwunden zugibt – Grenzen, wenn man die empirisch festgestellten Leistungsniveaus mit dem curricularen Konzept des bilingualen Unterrichts in Beziehung setzen möchte. Hierzu müssten Regelschüler und bilinguale Schüler mit vergleichbaren affektiven, kognitiven und sozioökonomischen Merkmalen in ihren fachlichen Leistungen verglichen werden. Um Stärken und Schwächen des Schulversuchs zu konturieren, ist die Entscheidung für die natürliche Situiertheit der Teilstichproben jedoch plausibel.

Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse

Im dritten Kapitel werden Befunde zum sozioökonomischen Hintergrund sowie ausgewählte Aspekte der familiären Lebensverhältnisse der beiden Teilstichproben thematisiert. Im Vergleich der DEZ-Züge mit den Regelklassen lässt sich für die bilingualen Züge keine „bessere soziale Zusammensetzung“ nachweisen. Signifikante Unterschiede (insbesondere hinsichtlich der sozioökonomischen Stellung der Eltern und der Verfügbarkeit von Bildungsressourcen im Elternhaus) lassen sich zwischen den Schulen im Stadtgebiet feststellen. Den Befund, dass DEZ-Schüler deutlich längere Anfahrtswege in Kauf nehmen, wertet der Verfasser als Indiz für die Identifikation der Familien mit dem Bildungsangebot „bilingualer Unterricht“. Höchst signifikant erweist sich die Skala der außerschulischen Kontakte mit dem Englischen. Hier wie auch im auf fremdsprachliche schulische Leistungen bezogenen Selbstkonzept unterscheiden sich die DEZ-Schüler deutlich von den Regelklassen.

Getreu dem Motto „Wer testet, braucht klare Vorstellungen von dem, was er testet“ erläutert der Verfasser in den Kapiteln 4 und 5 die Konzeption des integrierten Sprachfähigkeitstests und die dazugehörigen Messinstrumente. Die der Testung zugrundeliegenden Konstrukte (proficiency, Hör- und Leseverstehen, textsortengebundenes Schreiben) werden vor dem Hintergrund des aktuellen Forschungsstandes aus Zweitsprachenerwerbsforschung und Psycholinguistik erläutert, wobei auch die „größeren“ Linien der Forschung in den genannten Bereichen aufgezeigt und diskutiert werden.

Als Ergebnis der deskriptiven Statistik und der hypothesenüberprüfenden Analyse zeigt sich, dass Schülerinnen und Schüler der bilingualen Züge durchgehend erheblich bessere Leistungen im „Achievement & Proficiency Test“ (APT) erreichen, als die Kontrollgruppen der Regelklassen. Mit Hilfe prüfstatistischer Korrelationsverfahren über das Richtungsmaß Lambda, welches hier aufgrund der stark ausgeprägten Signifikanzen zum Einsatz kommen konnte, lassen sich allein aufgrund der Zugehörigkeit zu einem bilingualen Zweig für sechs von zehn Schülern wesentlich höhere Leistungen für den Bereich Hör- und Leseverstehen voraussagen.

Beim textsortengebundenen Schreiben produzieren die DEZ-Schüler bei gleicher Aufgabenstellung und Zeitvorgabe deutlich mehr inhaltlich relevante und formalsprachlich akzeptable satzbasierte und diskursiv verknüpfte Äußerungen. Die detaillierten Aussagen zu den Ergebnissen im textsortengebundenen Schreiben konnten insbesondere deshalb gewonnen werden, weil statt eines global-analytischen Bewertungsverfahren Indikatoren entwickelt wurden, die der psycholinguistischen Forschung entlehnt sind. Die Skalen erweisen sich als deutlich besser objektivierbar, weil konkrete satzstrukturelle Kategorie (z.B. Hilfsverben, Nominalgruppen oder satzverknüpfende Adverbien in der Skala „syntaktische Elaboriertheit“) erfasst werden. Während bei den Regelschülern noch meist der parataktische Stil vorherrscht, ist die syntaktische Komplexität der schriftlichen Zusammenfassungen und Bildergeschichten bei den DEZ-Schülern deutlich höher. Im Vergleich von DEZ-Schülern und Regelklassen zeigen die Texte der DEZ-Schüler deutlich mehr Vielfalt im Wortschatz und einen höheren Grad an kohäsionsfördernden linguistischen Elementen. Die sich abzeichnende Schere in den Leistungen öffnet sich noch weiter, wenn man die Skalen zu den lexikalischen Kompetenzen betrachtet. Mit dem Prozentwert von 62% für das Richtungsmaß Lambda gibt es beim Wortschatz den größten Unterschied zwischen den Klassenzügen überhaupt. Nach einer begründeten Zusammenlegung der Skalen „Grammar“ und „Vocabulary“, zeigt sich, dass 51% der Probanden aus den bilingualen Zügen über eine höhere lexikogrammatische Kompetenz verfügen, als Schüler der gymnasialen Regelklassen.

Der Nachweis für die hohe Wirksamkeit des curricularen Konzepts „bilingualer Unterricht“ für die Entwicklung fremdsprachlicher Kompetenzen kann spätestens dann als erbracht angesehen werden, wenn man Verteilung der Kontrollgruppen auf Leistungssextile betrachtet. Drei Viertel der DEZ-Schüler gehören zur oberen Leistungshälfte, während 83% der Regelschüler den drei unteren Leistungssextilen angehören.

Im fünften Kapitel werden Konzeption und Durchführung eines kommunikativen mündlichen Tests vorgestellt. In dem eigenständig entwickelten, aufwändigen Testverfahren werden sowohl dialogische wie auch monologische mündliche Kompetenzen überprüft. Das videographierte Prüfungs- und Auswertungsverfahren wird über eine Blindstudie validiert, so dass auf Basis der transkribierten mündlichen Schülertexte weitere angewandt-linguistische, deskriptive Analysen von Lernersprache möglich sind. Im Ergebnis zeigt sich, dass DEZ-Schüler über die bessere mündliche Sprachkompetenz verfügen. Hier sind es insbesondere Flüssigkeit und lexikalische Differenziertheit, die bei den DEZ-Schülern stärker ausgeprägt sind. Für fast die Hälfte der Probanden ist die Vorhersage möglich, dass der Umfang der lexikalischen Kompetenzen auch mit der Stärke des mündlichen Sprachkönnens einhergeht. Geringe Sprechleistungen der Regelschüler lassen sich korrelativ u.a. mit „schwacher Motivation“ (Schülerfragebogen zum fachlichen Selbstkonzept) erklären.

Das sechste Kapitel stellt Konzeption und Durchführung eines fachübergreifenden Leistungstests vor, der überprüfen sollte, ob die Schüler der bilingualen Züge sich in ihren Sachfachkompetenzen von den Regelschülern unterscheiden. Die für eine Leistungskontrolle notwendige inhaltliche Schnittmenge zwischen den Inhalten und Themen ließ sich jedoch nicht ermitteln, weil die Bildungsadministration den Schulen im Modellversuch weitgehende curriculare Gestaltungsfreiheit bezüglich der im Einzelnen zu unterrichtenden Themen überlassen hatte, welche diese auch nutzten. Dies erforderte die Konzeption eines Leistungstests, der auf transferfähige, fächerübergreifende Diskurskompetenzen beruht. Diese academic discourse competencies werden auf dem Weg umfangreicher Material- und Aufgabenanalysen gewonnen und über einen erweiterten Text(kompetenz)begriff theoretisch begründet.

Das so entstandene Testheft mit insgesamt 142 Items bildet acht unterschiedliche Skalen ab, wie z.B. Konzeptbildung, textbezogenes Interpretieren, Reflektieren und Bewerten. Als Resultat des prüfstatistischen Verfahrens ergeben sich zwar für die Hälfte der Unterskalen signifikante Unterschiede zugunsten der DEZ-Schüler. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Schüler der bilingualen Zweige in ihren Leistungen in keinem der untersuchten Teilbereiche sachfachrelevanter Diskurskompetenzen hinter die Regelschüler zurückfallen.

Zusammenhänge zu den Ergebnissen des APT sind im obersten Leistungsquartil feststellbar. Die lexikogrammatischen Kompetenzen entfalten hierbei die größte Effektstärke, wenn es um die Aufklärung von fremdsprachlichen sachfachbezogenen Diskurskompetenzen geht. „Aufgrund der Datenlage kann die folgende Hypothese nicht negiert werden: Um in einem bilingualen Unterrichtskontext „gute“ und transferfähige Diskurskompetenzen für das Sachfachlernen zu erreichen, ist ein hohes Niveau an lexikogrammatischen Kompetenzen und an Allgemeiner Sprachfähigkeit notwendig“ (347).

Beurteilung vor dem Hintergrund des Anliegens

Ein empirisch abgesichertes und aussagekräftiges Bild von der Leistungsfähigkeit des bilingualen Sachfachunterrichts zu gewinnen gilt sowohl aus Sicht der empirischen Bildungswissenschaften wie auch der standard- und kompetenzorientierten Fachdidaktik als ein dringendes Forschungsdesiderat. Die DEZIBEL-Studie lässt sich einordnen in die Fragestellungen und Ergebnisse des DFG Projekts "Fachlernen und (Fremd-) Sprachlichkeit bei bilingualen und monolingualen Lernern: aufgabenbasierte Kognition, Kooperation, Kommunikation", indem seit 2005 eine Reihe von Teilstudien zu den Besonderheiten und Auswirkungen des bilingualen Lernens entstanden sind [3].

Der siebte Band der Reihe „Mehrsprachigkeit in Schule und Unterricht“ löst auch den Anspruch der Reihe „Methoden- und Perspektivenpluralismus im Forschungsfeld Schule und unterrichtsbezogener Mehrsprachigkeit“ betreiben zu wollen, ein. Mit der DEZIBEL-Studie ist es Zydatiß gelungen, über die quantitative Ergebniskontrolle hinaus, die pädagogisch-didaktische Spezifik des Konzepts zum integrierten Sach- und Sprachlernen in den Blick zu nehmen. Auf der Basis der empirischen Befunde konfrontiert er das curriculare Konzept mit dem herkömmlichen Fremdsprachenunterricht wie auch mit schulpädagogischen und schulentwicklerischen Überlegungen. Das umfangreiche siebte Kapitel leistet genau dies. Die hochdifferente Leistungsentwicklung insbesondere im Bereich der fremdsprachlichen (und linguistischen) Kompetenzen erweist sich als „pädagogisches Paradox von mehr Unterrichtsqualität bzw. Bildungsgerechtigkeit auf der einen und mehr Heterogenität bzw. Ungleichheit in den Kompetenzen auf der anderen Seite“ (226). So lässt sich in Berlin eine Flucht von Schülerinnen und Schülern aus den bilingualen Zweigen hinein in die Regelklassen feststellen. Dies hat zum einen zu tun mit einer starken Obligatorik hinsichtlich der Wahl verbindlicher Leistungskurse in der gymnasialen Oberstufe. Zum anderen führt die herkömmliche Bewertungspraxis mit Ziffernnoten dazu, dass Schüler der DEZ-Züge sich bei einer Rückkehr in die Regelklassen bessere Noten und damit erweiterte Möglichkeiten für die Studien- und Ausbildungsplatzsuche ausrechnen. Die Profilgebung wird so zur „Gerechtigkeitsfalle des höchst erfolgreichen curricularen Konzepts“ und verweist auf die Notwendigkeit, tatsächlich erreichte Kompetenzen zu attestieren: „Das Plus an Anstrengungen und Kompetenzen muss ein Pendant in einem für alle „Abnehmer“ transparenten Zertifikat haben, das den Mehrwert tatsächlich erreichter Kompetenzen dokumentiert und anerkennt“ (226).

Der Befund, dass sprachliche Faktoren in Form teillinguistischer Kompetenzen maßgeblich an der Ausbildung sachfachrelevanter Diskurskompetenzen beteiligt sind, führt zu Fragen nach den Zieldimensionen des erweiterten Englischunterrichts im Vorlauf zum bilingualen Unterricht, der in Klasse 9 einsetzt. Lernende im fremdsprachigen Sachfachunterricht sollten in der Lage sein, die funktional distinktiven linguistischen Merkmale der fachspezifischen Materialsorten zu identifizieren. Der begleitende Englischunterricht soll deswegen diejenigen „Funktionalstile“ aufnehmen, die für den fachsprachlichen Diskurs kennzeichnend sind. In einem funktional-stilistischen top-down-Zugriff folgt nach der inhaltlich-rhetorischen Analyse des Textes die Identifikation linguistischer Elemente (phrases, collocations, Satzstämme). Auf der rezeptiven Ebene werden Lernende für das Charakteristische eines Textes sensibilisiert. In der Produktion, d.h. im kommunikativen Vollzug, erlernen sie die textformsensitive Anwendung grammatischer Strukturen. Diese von einer funktionalistischen Sprachtheorie her legitimierte und schon an anderer Stelle erläuterte „integrierte Text-Spracharbeit“ veranschaulicht der Verfasser an ausgewählten Textbeispielen aus den Fächern Erdkunde, Biologie und Geschichte. Die herausgearbeiteten funktional-pragmatischen Diskurskategorien (Beschreibung, Erklärung, Bewertung) bilden so den Nukleus einer bilingualen Sachfachdidaktik ab. Zydatiß geht mit seiner Konzeption über die Überlegungen z.B. von Wolff hinaus, der die Ähnlichkeit der sprachbezogenen und der sachfachbezogenen Strategien herausstellt und die Rolle von metakognitiven und tendenziell eher sprachunspezifischen Lern- und Arbeitstechniken für das selbstständige und autonome fachliche und das sprachliche Lernen betont [4].

Es ist ein Vorzug des Buches, dass – nach der curricular- und sprachtheoretischen Weitung des Blickes auf den Forschungsgegenstand – Zydatiß in seinen Ausführungen immer wieder den unterrichtsnahen Rapport herstellt. Angesichts des von ihm mehrfach beklagten Befundes, dass ganze Bereiche der englischen Lexik den Regelschülern noch weitgehend verschlossen sind, fordert er, dass „die vorhandene Unterrichtszeit in der ausgehenden Sekundarstufe I stärker dafür genutzt werden [sollte, um] den eigenständigen Erwerb und kontextualisierten Gebrauch ausgewählter Sach- und Themenwortschätze einzuüben“ (211).

Die strukturierten Gruppeninterviews, die der Verfasser mit Lehrkräften im Rahmen von Fachkonferenzen mit Lehrkräften durchführte, machen deutlich, dass im professionellen Diskurs der bilingual unterrichtenden gymnasialen Lehrerschaft (nicht nur in Berlin [5]) ein didaktischer Reflexionsstand erreicht ist, der die beiden Gleise Sprachlernen und Sachlernen noch relativ unverbunden nebeneinander herlaufen lässt. Dabei ist „die Bewusstmachung und Förderung der Sprachlichkeit des Fachlernens, das integrierte Sach-Sprachlernen, [...] die Basis für die Entwicklung von anschlussfähigem Wissen, von kommunikativem Austausch darüber und von diskursiver Fachkompetenz, die auch außerschulisch sowie lebenslang nutzbar ist und partizipatorisch weiterentwickelt werden kann“ [6].

Die DEZIBEL-Studie weist den Weg für eine empirisch ausgerichtete Fremdsprachenforschung, welche die Weitsicht und den Anspruch haben sollte, die Konsequenzen und Implikationen aus der eigenen Forschung zu thematisieren und für bildungspolitische sowie curriculare Weichenstellungen zu kanalisieren. Wolfgang Zydatiß geht hierin weit über die bei empirischen Studien häufig vorfindbaren appendixhaften „Schlussfolgerungen für den Unterricht“ hinaus.


[1] Zydatiß, W.: Bildungsstandards und Kompetenzniveaus im Englischunterricht. Konzepte, Empirie, Kritik und Konsequenzen. Frankfurt: Peter Lang 2005.

[2] Vgl. Online Dokumentation des Symposions: http://www.eu2005.lu/en/actualites/communiques/2005/03/11delvaux_plurilinguisme/index.html

[3] Siehe Forschungsstelle Bilingualismus und Mehrsprachigkeit für detaillierte Beschreibungen des Projekts: http://www.biforsch.uni-osnabrueck.de/index.html

[4] Wolff, D.: Content and language integrated learning: a framework for the development of learner autonomy. In: Little, D., Ridley, J. &Ushioda, E. (Hg.): Learner Autonomy in the Foreign Language Classroom: Teacher, Learner, Curriculum and Assessment. Dublin: Authentik 2003, S. 211-222.

[5] Schattschneider, P.: Bilinguale Unterrichtsangebote vermitteln Schlüsselkompetenzen. In: Schule NRW. Amtsblatt des Ministeriums für Schule und Weiterbildung, 2, 2009, S. 65-67.

[6] Vollmer, H. J.: Diskursfunktionen und fachliche Diskurskompetenz bei bilingualen und monolingualen Geographielernern. In: Ditze, Stephan-A. & Halbach, Ana (Hrsg.): Bilingualer Sachfachunterricht (CLIL) im Kontext von Multilingualität, Plurikulturalität und Multiliteralität. Frankfurt: Peter Lang (erscheint), S. 3. Online verfügbar unter: http://lernen.bildung.hessen.de/bilingual/Magazin/aufsaetze
Ralf Gießler (Wuppertal)
Zur Zitierweise der Rezension:
Ralf Gießler: Rezension von: Zydatiß, Wolfgang: Deutsch-Englisch Züge in Berlin (DEZIBEL), Eine Evaluation des bilingualen Sachfachunterrichts an Gymnasien (Mehrsprachigkeit und Unterricht; Bd. 7). Frankfurt a. M.: Lang 2007. In: EWR 8 (2009), Nr. 2 (Veröffentlicht am 27.03.2009), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978363156426.html