EWR 7 (2008), Nr. 5 (September/Oktober)

Marianne Pieper / Thomas Atzert / Serhat Karakayali / Vassilis Tsianos (Hrsg.)
Empire und die biopolitische Wende
Die internationale Diskussion im Anschluss an Hardt und Negri
Frankfurt am Main/New York: Campus 2008
(310 S.; ISBN 978-3-593-37541-0; 29,90 EUR)
Empire und die biopolitische Wende Der vorliegende Sammelband, der aus einer Tagung am Institut für Soziologie der Universität Hamburg 2003 hervorgegangen ist, setzt sich mit einer viel beachteten und kontrovers diskutierten gesellschaftstheoretischen Position auseinander, die Michael Hardt und Antonio Negri in zwei Werken dargelegt haben: „Empire. Die neue Weltordnung“ (2002) und „Multitude. Krieg und Demokratie im Empire“ (2004). Die analytischen Erträge der Perspektive und die handlungspraktischen Implikationen werden in drei großen Blöcken und sechzehn Beiträgen diskutiert.

Vorangestellt ist ein einleitender Teil, der die Grundgedanken Hardts und Negris darlegt sowie zentrale Begriffe und theoretische Bezüge erläutert. So wird vor allem inspiriert durch die Foucault-Leküre Deleuzes und Guattaris auf die Foucaultschen Begriffe Biopolitik und Gouvernementalität rekurriert. Im Zentrum der Ausführungen von Hardt und Negri steht die Auseinandersetzung mit Globalisierung und Kapitalismus auf der Grundlage eines marxistischen Instrumentariums, wobei besonders dem italienischen (Post-) Operaismus und der feministischen Ökonomiekritik eine zentrale Rolle zukommt. Damit ist deutlich, dass es nicht um die Applizierung der eingeführten marxistischen Theoriemittel geht, sondern im Gegenteil die Überarbeitung des Marxschen Kapitalismuskonzepts integrierter Teil des Projekts ist. Dies wird deutlich im Beitrag Antonio Negris: „Zur gesellschaftlichen Ontologie. Materielle Arbeit, immaterielle Arbeit und Biopolitik“ (17-31). Der insgesamt 31-seitige einleitende Teil bietet einen fundierten Einstieg und empfiehlt die Lektüre des Bandes auch denjenigen Lesern und Leserinnen, die sich bislang noch nicht intensiv mit den Schriften Hardts und Negris befasst haben.

Der erste große thematische Block ist mit „Multitude“ überschrieben und nimmt damit einen zentralen Begriff der Hardt/Negrischen Analyse auf. In sechs Beiträgen diskutieren international renommierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen unterschiedlicher Disziplinen ausgewählte Aspekte. Paolo Virno, italienischer Philosoph und Intellektueller, beschäftigt sich schon seit langem mit den Implikationen gesellschaftlicher Veränderungen auf die Subjektivierungsformen. In „Multitude und das Prinzip der Individuation“ (35-47) setzt er sich mit den unterschiedlichen Bezeichnungen und Bedeutungen von Kollektiven auseinander, bezieht diese auf ihr jeweiliges Verhältnis zu Staat einerseits und Individuierung, die er von Subjektivierung abgrenzt, andererseits. Seine Bezugsautoren sind – neben Karl Marx – Gilbert Simondon, Gilles Deleuze, Gaston Bachelard und Lev Vygotskij. Er betont, dass der dem Begriff der Menge oder Masse nicht unähnliche Begriff der Multitude in den aktuellen gesellschaftlichen Transformationsprozessen wieder eine größere Rolle spielt als der lange Zeit zentrale Begriff des Volkes. Die Überlegungen haben weit reichende Konsequenzen für das Verständnis von Gesellschaft und Staat, steht in ihrem Zentrum doch die These, dass die Multitude einer anderen Kollektivbildung folgt als das Volk und für diese der Begriff des general intellect und nicht der der volonté genérale konstitutiv sei.

Rosi Braidotti geht in „Die feministischen nomadischen Subjekte als Figur der Multitude“ (49-66) der Frage nach dem Bezug auf Frauen und der Feminisierung der Arbeit im Zeitalter der Globalisierung nach. Ausgangspunkt ist auch bei ihr der Begriff der Multitude, den sie zwar gerade wegen seines normativen und handlungstheoretischen Gehalts schätzt, den sie aber in der Weise, wie Hardt und Negri ihn konzeptualisieren, ablehnt. Sie konfrontiert das Hardt/Negrische Projekt mit seinen inneren Widersprüchen und zeigt, dass gerade die „neuen“ Arbeitsplätze (Beispiel Call Center) keineswegs einen immateriellen Arbeitsbegriff nahe legen, sondern im Gegenteil angemessener im Sinne eines körperbezogenen Materialismus zu fassen seien, wie er für die feministische Philosophie mit Bezug auf die Konzeption des nomadischen Denkens charakteristisch sei. Für Braidotti ist dies eindeutig der geeignetere Zugang, um die mit dem Stichwort Globalisierung gefassten gesellschaftlichen Transformationen und die neuen Subjektivierungsformen zu fassen.

„In Empire und Geographien der Verantwortung“ (67-84) diskutiert Doreen Massey die Kategorie des Raumes im Kontext politischen Handelns. Sie betrachtet den Raum als zentrale Dimension des Sozialen, weil in ihm das Zusammenleben gestaltet wird. Raum ist für sie kein Container, sondern ein relationaler, ein handlungstheoretischer Begriff. Damit löst sich die dichotome Gegenüberstellung von lokal und global ebenso auf wie traditionelle Identitätsvorstellungen herausgefordert werden. Sie plädiert in ihrem bezugsreichen Beitrag dafür, die etablierten Sichtweisen zu verlassen und das Konzept der Verantwortung zentral zu positionieren. Es kommt darauf an, so Massey, das Lokale nicht aus der Verantwortung zu entlassen, in der Globalisierung keinen Prozess „da draußen“ zu sehen, sondern im Sinne eines relationalen Raumbegriffs zu interpretieren. Diese rekonzeptualisierte Raumvorstellung ist nicht zuletzt bedeutsam für den Umgang der mit Migration verbundenen Identitätsvorstellungen und für politische Handlungsfähigkeit.

Der folgende Beitrag stammt von Precarias a la deriva, einer spanischen Aktivistengruppe, die aus einer Streiksituation in Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften hervorgegangen ist. Darum geht es auch in ihrem Beitrag „Projekt und Methode einer ‚militanten Untersuchung’. Das Reflektieren der ‚Multitude in actu’“ (85-108). Ausgangspunkt war die Einschätzung, dass der Arbeitsstreik keine angemessene Form sei, um gegen die neuen Formen der Prekarisierung zu kämpfen, da er in gewerkschaftliche Strukturen und damit in ein gesellschaftliches, politisches und ökonomisches Beziehungsgefüge eingebunden sei, das auf die Handlungserfordernisse gegenwärtiger Transformationen nicht angemessen antworten könne.

„Irene ist Viele! Oder was die Produktivkräfte genannt wird“ (109-123), überschreibt die Künstlerin und Professorin Marion von Osten ihren Beitrag und setzt damit die Diskussion um den Arbeitsbegriff fort. Sie nutzt einen Film von Helke Sander aus den späten siebziger Jahren um zu zeigen, dass die aktuellen Auseinandersetzungen in vieler Hinsicht keine wirklich neuen Fragen aufwerfen, sondern bereits aufgeworfene unter veränderten Bedingungen reformulieren. Das zentrale Problem besteht in ihrer Analyse darin, dass in der langen Tradition der Ökonomie und der Politischen Ökonomie kein Arbeitsbegriff entwickelt wurde, der die Kategorie des Sozialen systematisch mitdenkt und zum konstitutiven Faktor der Arbeit erhebt.

Encarnación Gutiérrez Rodriguez, Kulturwissenschafterin an der Universität in Manchester, ist die Autorin von „,Sexuelle Multitude’ und prekäre Subjektivitäten – Queers, Prekarisierung und transnationaler Feminismus“ (125-139). Sie macht in ihrem Beitrag darauf aufmerksam, dass Subjekte nicht einfach die ihnen zugewiesenen Positionen einnehmen, sondern sich ihnen durch individuelle und kollektive Praktiken widersetzen, sie verändern und umarbeiten und dabei Bündnisse mit anderen, ebenfalls als Minoritäten etikettierten Kollektivitäten, eingehen. In Auseinandersetzung mit Negris Begriff der Multitude beklagt sie, dass die soziale Ungleichheit nicht berücksichtigt werde; sie sieht darin einen Mangel an Berücksichtigung hierarchisierender Praktiken. Sie geht zunächst auf die Konzeption der Multitude und ihrer Beziehung zu Biomacht und Biopolitik ein, setzt sich dann mit der Position Judith Revels auseinander, die die Kategorie Geschlecht, im Sinne eines universalen Frauseins, in die Diskussion einführte und kontrastiert diese homogenisierende Sicht mit der Kritik schwarzer Feministinnen, um vor diesem Hintergrund den Differenzbegriff des Multitude-Konzepts zu schärfen.

Dem zweiten großen Teil: „Die Autonomie der Migration und die Krise der Souveränität“ sind vier Beiträge zugeordnet. Saskia Sassen eröffnet diesen Teil mit „Die Re-Positionierung von Bürgerschaft und das Hervortreten neuer Subjektivitäten und Politikräume“ (143-168). Ähnlich wie Doreen Massey nimmt auch sie Bezug auf Territorialität und knüpft von hier ausgehend an Hardts und Negris Überlegungen zur Multitude an. Sie präzisiert daher zunächst den Begriff des Globalen und betont, dass dieser multiskalar (145) und nicht uniplan zu fassen sei. Auf ihre Arbeiten zu den global cities rekurrierend betont sie, dass es sich in ihrer Analyse um einen denationalisierten Raum handelt, der vor allem durch zwei Akteursgruppen konstituiert wird: transnationalen Unternehmen und MigrantInnen. Daraus ergeben sich, so Sassen, zentrale Implikationen für die gesellschaftliche Produktion von Subjektivität. Den global cities kommt eine entscheidende Rolle bei der Reterritorialisierung zentraler Elemente der Weltordnung zu und in ihr werden neue Segmentierungsprozesse deutlich, die alte Unterscheidungen wie die zwischen Nord und Süd obsolet werden lassen (146). Die umrissenen Transformationsprozesse berühren in zentraler Weise das Verständnis von Staatsbürgerschaft und Zugehörigkeit. Sassen weist überzeugend darauf hin, dass sich das national definierte Bürgerschaftsverständnis formal vielleicht auf absehbare Zeit nicht ändern wird, dass sich aber die wechselseitigen Rechte und Pflichten von Staat und Bürgern bereits verschoben haben und sich diese Trends in Zukunft wahrscheinlich weiter verstärken werden (150-160). In ihren abschließenden Bemerkungen zu Bürgerschaft in der global city kontrastiert sie die gegenwärtigen Formationen mit den Überlegungen Max Webers zur Bedeutung der Stadt.

Yann Moulier Boutang setzt sich in „Europa, Autonomie der Migration, Biopolitik“ (169-177) aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive mit der Migrationspolitik der Europäischen Union auseinander. Zentraler Bezugspunkt seiner Überlegungen ist das Konzept der „Autonomie der Migration“. Nach einer knappen Bestandsaufnahme der bisherigen Diskussion, die das Konzept vor allem in methodischer Hinsicht nutzt, erfolgt eine begriffliche Klärung und eine Ausdifferenzierung in sechs Komponenten. Zentral für die Analyse ist ein Verständnis der Mobilitätsgründe von Migration, das aber nicht darin bestehen kann, die Negativität von Entkommen, Flucht oder Exit festzuschreiben (172). Moulier Boutang setzt sich ebenfalls mit der Bedeutung der Staatsbürgerschaft in modernen Gesellschaften auseinander und hält die Kopplung des Rechts auf Arbeit und Leben mit dem Arbeitsmarkt für eine fatale Entwicklung und beklagt, dass auf europäischer Ebene diesem Muster gefolgt wird (174). In historischem Rückgriff bilanziert er die Entstehung der Segmentierung des Arbeitsmarktes und zieht eine Kontinuitätslinie bis zur Errichtung der aktuellen Lager innerhalb und außerhalb der EU. Seine These ist, dass diese Regelungen kein angemessener Umgang mit Migration im Zeitalter der Globalisierung sein können.

Ähnlich argumentiert Sandro Mezzadra in „Kapitalismus, Migrationen, soziale Kämpfe. Vorbemerkungen zu einer Theorie der Autonomie der Migration“ (179-193). In politikwissenschaftlicher Perspektive geht es ihm um eine Begründung der These der Autonomie der Migration, also darum, dass Migration kein primär reaktives Verhalten auf die Bewegungen von Kapital und Arbeitsmärkten ist, sondern dass – wie von Castles und Miller in „The Age of Migration“ bereits vor zwanzig Jahren behauptet – das Verhältnis zwischen Arbeitskraft und Arbeitsmarkt als dialektisches aufzufassen ist und zudem die relative Unabhängigkeit von staatlicher Migrationspolitik und Migrationsbewegungen zu untersuchen ist (180). Besonders hervorgehoben werde im Mainstream der Migrationsforschung, dass den familialen Netzwerken eine hohe Bedeutsamkeit zuzumessen sei und diese in der Form von sozialem Kapital für den gesamten Migrationsprozess eine entscheidende Rolle spielten. Diese neue Orthodoxie ist aber nicht unumstritten, wie Mezzadra anhand einer Reihe wichtiger Einwände kritisiert. Er rekurriert dabei vor allem auf die Diskussionsbeiträge Jacques Rancières, Bonnie Honigs sowie Ernesto Laclaus und Chantal Mouffes. Abschließend wirft er ein Schlaglicht auf die Implikationen der Überlegungen für die Konzeptualisierung der Demokratie (191).

Ebenfalls aus politikwissenschaftlicher Sicht beleuchten Sven Opitz und Robert Matthies die „Interferenzen der Subjektivität“ (195-214). Die Autoren konstatieren zunächst in der sozial- und politikwissenschaftlichen Mainstreamkultur eine erstaunliche Lücke: Die Frage der Souveränität bleibe ausgespart oder werde reduziert diskutiert. Mit dem Begriff der Souveränität setzen sich die Autoren auseinander, indem sie Hardts und Negris Konzeption des Empire unter Verweis auf andere Theoriemittel (Derrida, Luhmann, aber auch Foucault und Agamben) lesen und damit der These besonderes Gewicht verleihen, dass sich im Empire Souveränität in Gouvernementalität verwandle (197). Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wird die Konstitution des politischen Subjekts reformuliert und die Unabdingbarkeit des Begriffs der Multitude betont.

Unter dem dritten Teil: „Immaterielle Arbeit und ,biopolitische Wende’“ sind fünf Beiträge vereint. Marianne Pieper eröffnet diesen Teil mit: „Biopolitik – Die Umwendung eines Machtparadigmas: Immaterielle Arbeit und Prekarisierung. Konzeptionelle Überlegungen zu Subjektivierungsprozessen und widerständigen Praktiken der Gegenwart“ (215-244). Auch Marianne Pieper betont die seminale Bedeutung des Foucaultschen Begriffsdoppels von Biomacht und Biopolitik; sie zeigt dessen Transformationen in Empire auf, um sich mit det These einer biopolitischen Wende zu befassen. Sie rekonstruiert die Emergenz der als „Empire“ bezeichneten Machtverhältnisse, die weder durch die „unsichtbare Hand“ eines globalen Marktes, noch vom Kommando einzelner Machthaber gelenkt würde. Vielmehr handele es sich um eine „imperiale Maschine“ (222). Sie setzt diese mit neuen Subjektivierungsformen in Beziehung, wobei sie zum einen auf die Begriffe der immateriellen Arbeit und des general intellect rekurriert und sich zum anderen auf die Figur des Cyborgs bezieht, die Donna Haraway in die Diskussion einbrachte. Sie entwirft damit den Kern einer emergenten Form der weiterführenden Theoretisierung im Anschluss an Hardt und Negri.

Auch die Philosophin Judith Revel geht in ihrem Beitrag: „Biopolitik“ (245-252) der Frage nach der Bedeutung und Reichweite des Begriffs nach, dessen konnotative Dimensionen weit in außerwissenschaftliche Bereiche diffundiert sind. Ihre Rekonstruktion des Foucaultschen Begriffs macht auf einige Widersprüche aufmerksam, die in den anderen Beiträgen nicht zur Sprache kamen; sie führt neue Aspekte ein, die mit dem eng dazu in Beziehung stehenden Begriff der Multitude produktiv in Beziehung gesetzt werden kann. Am Ende wirft sie einige wichtige, die Diskussion um Widerständigkeit und Gegenmacht avancierende Fragen auf.

Maurizio Lazzarato, Philosoph und Soziologe wirft in „Leben und Lebendiges in der Kontrollgesellschaft. Kooperation zwischen Gehirnen und Noopolitik“ (253-268) ein primär methodisches Problem auf. Er fragt, wie Deleuze und Foucault zu ihrer Analyse kommen. Zentral ist dabei die Überwindung von Dualismen und Ökonomisierungen. Mit der Deleuzianischen Foucault-Lektüre lassen sich entscheidende Präzisierungen vornehmen, die sich vor allem auf das Konzept der Disziplinargesellschaft beziehen, die von Deleuze weiter gedacht und im Begriff der Kontrollgesellschaft gefasst wurde. In einem weiteren Schritt führt Lazzarato die Kategorie des Lebendigen ein und bringt in diesem Zusammenhang die zentrale Bedeutung des Gedächtnisses zur Sprache. Er führt den Begriff Noopolitik zur Bezeichnung spezifischer Machtverhältnisse ein, die sich auf das Gedächtnis und seine Fähigkeiten richten.

Isabell Lorey führt diese Perspektive anders fort, indem sie sich in „Als das Leben in die Politik eintrat. Die biopolitisch-gouvernementale Moderne, Foucault und Agamben“ (269-291) mit der Aufwertung des Körpers durch das moderne Bürgertum befasst und damit erst die Voraussetzungen für die Emergenz einer biopolitischen Subjektivität schafft. Ihre Auseinandersetzungen mit der Tradition der souveränen Macht, den familialen, bürger- und menschenrechtlichen Konzeptualisierungen führen sie vor dem Hintergrund einer Gegenüberstellung der Positionen von Foucault und Agamben dazu, die vielfältigen und einander beeinflussenden Formen der Souveränität zu betonen.

Der letzte Beitrag: „Empire und die biopolitische Wende“ (293-310), den die vier Herausgebenden gemeinsam verfasst haben, zieht nochmals Bilanz. Sie weisen zunächst darauf hin, dass im Unterschied zum hohen theoretischen Stellenwert, der „Empire“ vor allem in der angelsächsischen Diskussion zuteil wurde, die deutsche Diskussion sehr zurückhaltend bis skeptisch-abwertend ausfiel. Für die Herausgebenden ist hingegen evident, dass es sich um einen bedeutsamen Beitrag zur Theoretisierung der aktuellen gesellschaftlichen Transformationen handelt und dass die traditionellen Theoriemittel ungeeignet sind, diese angemessen zu analysieren. In diesem abschließenden Beitrag geht es nochmals darum, diese neue Denkweise in ihren Grundzügen nachzuvollziehen.

Es handelt sich bei dem vorliegenden Band keinesfalls um eine Einführung. Grundkenntnisse der französischen Denkbewegungen nach Sartre bilden eine wichtige Voraussetzung, um die Beiträge angemessen einzuordnen und nachzuvollziehen. Es ist aber nicht unbedingt notwendig, sich mit den Beiträgen von Hardt und Negri bereits intensiv befasst zu haben. Der Sammelband kann dieser Lektüre ebenso vorausgehen, wobei er die Lesart allerdings präformiert und in bestimmte Bahnen lenkt. Die Lektüre ist vor allem für Lesende des Wissenschaftsbetriebs und diesem affine Bereiche empfohlen.

Aus erziehungswissenschaftlicher Sicht empfiehlt sich die Auseinandersetzung nicht deswegen, weil es einfach nur modisch wäre, sich mit Empire und den Folgedebatten auseinanderzusetzen; die Begründung für ein erziehungswissenschaftliche Interesse liegt vielmehr darin, dass es sich bei Empire um einen anerkannten und Beachtung verdienenden Vorschlag zur Analyse gegenwärtiger Gesellschaftsverhältnisse handelt. Diesem Vorschlag muss man nicht in allem folgen, man kann sich von ihm aber für das Verständnis von Erziehungsverhältnissen inspirieren lassen, die ja immer auch abhängig sind von gesellschaftlichen Kontexten und unserem diesbezüglichen Verständnis. Um dies zu illustrieren sei darauf hingewiesen, dass in fast allen Beiträgen Fragen der Subjektivität, der Identität und des Verhältnisses zwischen Mehr- und Minderheiten angesprochen werden, die nicht zuletzt Folgen für die Konzeption der interkulturellen Pädagogik haben. Insofern nämlich, als hier einmal mehr das hartnäckige Paradigma vom Elend der Migration verabschiedet wird, auch wenn damit gleichzeitig die Gefahr der Sozialromantisierung nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Es ist aber gerade die Umkehr etablierter Sichtweisen, die Zuspitzung von Thesen und Argumenten, die zur produktiven Auseinandersetzung herausfordern, wie die im vorliegen Band versammelten Beiträge verdeutlichen. Diese spiegeln eine Expertendiskussion wider, die naturgemäß für außen Stehende nicht leicht nachvollziehbar ist. Hier helfen aber die thematischen Redundanzen, die keine wirklichen Doppelungen sind, sondern unterschiedliche Zugänge und Sichtweisen verdeutlichen. Am Ende bleibt der Eindruck, dass zum einen die Foucaultschen Begriffe facettenreich dargestellt und ein Grundeinblick in die Argumentationslinie der Hardt/Negrischen Überlegungen vorgelegt wurde.
Karin Amos (TĂĽbingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Karin Amos: Rezension von: Pieper, Marianne / Atzert, Thomas / Karakayali, Serhat / Tsianos, Vassilis (Hg.): Empire und die biopolitische Wende, Die internationale Diskussion im Anschluss an Hardt und Negri. Frankfurt am Main/New York: Campus 2008. In: EWR 7 (2008), Nr. 5 (Veröffentlicht am 09.10.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978359337541.html