Die Frühpädagogik steht gegenwärtig hoch im Kurs: Durch die PISA- und IGLU- Studien und deren breite Diskussion erfährt der Elementarbereich des Bildungswesens eine erhöhte bildungspolitische Aufmerksamkeit. Die Bildungsqualität der Kindertageseinrichtungen steht dabei im Zentrum des Interesses, worauf z.B. die Qualitätsinitiative des Bundesfamilienministeriums und die Entwicklung von Bildungsplänen auf Länderebene zielt.
Auch die aktuelle Debatte um den Ausbau von Krippenplätzen und die Forderung, einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren durchzusetzen, berührt frühpädagogische Fragestellungen. Ebenso kann der Ausbau von Studiengängen zur Frühen Kindheit an Fachhochschulen als Beleg für die Hochkonjunktur, die diese Teildisziplin erlebt, bewertet werden.
Vor diesem Hintergrund ist im Jahr 2006 das Handbuch „Pädagogik der frühen Kindheit“ erschienen. Der von Lilian Fried und Susanna Roux herausgegebene Band hat eine breite Zielgruppe vor Augen, nämlich Lehrende und Forschende, in Ausbildung Befindliche sowie Praktikerinnen und Praktiker. Der Anlass für die beiden Herausgeberinnen, dieses Projekt anzugehen, bildete die Beobachtung, dass die deutsche Pädagogik der frühen Kindheit seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts etliche wissenschaftliche Erkenntnisse generiert bzw. integriert habe, aber dass diese Wissenszugewinne nur spärlich dokumentiert seien. Es fehle an Publikationen, die einen systematischen Überblick vermittelten, wie z.B. Handbücher mit aktuellen Zusammenfassungen (13). Diese Lücke soll das vorliegende Handbuch schließen und zur weiteren Profilbildung der Pädagogik der frühen Kindheit beitragen.
In seinem Aufbau folgt das Handbuch den Kernfragestellungen, mit denen sich die Frühpädagogik auseinandersetzt und zentralen Perspektiven auf die Theorie und Empirie des erzieherischen Handelns mit Kindern im Vorschulalter: Kind und Kindheit, Programmatik, Konzepte zu speziellen Bildungs- und Erziehungsbereichen, professionelle Hilfen, Institutionen sowie Beruf und Professionalisierung.
Unter der Perspektive Kind und Kindheit sind Aufsätze zum Bild des Kindes in der Frühpädagogik, zum Bildungsbegriff (Gerd E. Schäfer), zu den Rahmenbedingungen der Kindertagesbetreuung, zur Bedeutung der Familie und der Peerkultur versammelt sowie Texte zu Entwicklungs- und Sozialisationsrisiken und Möglichkeiten und Grenzen der Früherziehung aus entwicklungspsychologischer Sicht. Die Systematik der Textzusammenstellung im Hinblick auf Kind und Kindheit und die Verdeutlichung des Unterschieds können hier hinterfragt werden. Interessant sind die unterschiedlichen disziplinären Perspektiven, denen in diesem thematischen Schwerpunkt Raum gegeben wird. Viernickel taucht in ihrem Text ganz in die Sozialwelt der Kinder ein, begibt sich sozusagen auf deren „Augenhöhe“ und vermittelt den Lesern einen Eindruck von der Perspektive des Kindes. Dagegen nehmen die entwicklungspsychologisch orientierten Texte eine tendenziell defizitorientierte Perspektive auf die (lineare) Entwicklung(-svorstellung) und Sozialisation von Kindern ein.
Unter dem Gliederungspunkt Programmatik findet sich ein Aufsatz zu den Funktionen der institutionellen Früherziehung: Bildung, Erziehung, Betreuung und Prävention (Hans-Joachim Laewen), Ausführungen zu klassischen und modernen Ansätzen der Frühpädagogik, frühpädagogische Qualitäts- und Präventionskonzepte sowie Rahmenpläne für die Bildungs-und Elternarbeit. Die Texte zu den Ansätzen der Frühpädagogik geben einen knappen, aber informativen Überblick über die Klassiker (Fröbel, Montessori, um nur zwei zu nennen) und die modernen frühpädagogischen Konzepte wie den Situationsansatz, den offene Kindergarten oder die Reggio-Pädagogik. Die beiden anderen Texte geben Anhaltspunkte über die aktuelle Qualitätsforschung und die Thematisierung und Umsetzung des Bildungsauftrags im Elementarbereich.
Zur dritten Perspektive der Frühpädagogik, den speziellen Bildungs- und Erziehungsbereichen, gehören Sozialerziehung, Sprachförderung, kognitive Förderung, ästhetische Bildung, Bewegungserziehung, musikalische Entwicklung, naturwissenschaftliche Bildung sowie interkulturelle Erziehung und Bildung und geschlechtsbewusste Erziehung. Hier ist es gelungen, einen kompakten, gut strukturierten Überblick über die spezifischen Bildungs- und Erziehungsbereiche zu schaffen, indem die Autoren relativ einheitlich auf die Geschichte, die Forschungslage und die pädagogischen Konsequenzen fokussieren.
Die vierte Perspektive, die der Professionellen Hilfe, umfasst lediglich drei Texte. In einem Artikel von Hans Rudolf Leu werden Beobachtung und Dokumentation als Handlungsweisen, die professionalisiert werden sollen, vorgestellt. Wolfgang Tietze schreibt über frühpädagogische Evaluations- und Erfassungsinstrumente und Gisela Kammermeyer über Schuleingangsdiagnostik. Dieser Gliederungsgesichtspunkt steht unmittelbar in Zusammenhang mit der Bildungsqualität des Elementarbereichs, welche über Methoden als professionelle Hilfen gesteigert werden soll.
Die Geschichte frühpädagogischer Institutionen (Jürgen Reyer), institutionelle Übergänge in der Frühpädagogik, Erziehungsberatung; Krippen, Kindergarten, integrative Institutionen und Familienbildung bilden den thematischen Schwerpunkt der Institutionen. Hier ließe sich fragen, ob der Aufsatz zu den ökonomischen, rechtlichen und fachpolitischen Rahmenbedingungen der Kindertagesbetreuung, der dem Bereich Kind und Kindheit zugeordnet wurde, nicht auch unter diesem Gliederungsgesichtspunkt hätte abgehandelt werden können.
Unter dem Stichwort Beruf und Professionalisierung wird die Geschichte der Erzieherinnenausbildung als Frauenberuf dargestellt, woran sich bis heute wenig geändert hat. Die berufliche Sozialisation von Erzieherinnen wird von Barbara Dippelhofer-Stiem beleuchtet und die Reform der Erzieherinnenausbildung im internationalen Vergleich von Pamela Oberhuemer.
Schließlich erfolgt im Ausblick eine Auseinandersetzung der Herausgeberinnen mit den Erkenntnissen der Pädagogik der frühen Kindheit, den Herausforderungen, denen sie sich im 21. Jahrhundert gegenübersieht und den Desiderata. Es wird deutlich, dass die Frühpädagogik, um diese gewaltigen Forschungsherausforderungen annehmen zu können, eines Ausbaus der Forschungsinfrastruktur und einer erhöhten gesellschaftlichen Anerkennung bedarf.
Insgesamt kann in Bezug auf das Handbuch Pädagogik der Frühen Kindheit konstatiert werden, dass ein aktuelles und umfassendes Nachschlagewerk entstanden ist, das den gegenwärtigen Forschungsstand repräsentiert und einen fundierten Überblick über die ausgewählten Einzelthemen bietet. Das Personen- und Sachregister ist bei der Stichwortsuche außerordentlich hilfreich. Für Ausbildung, Studium und Lehrveranstaltungen ist das Buch zweifellos empfehlenswert.
EWR 6 (2007), Nr. 2 (März/April 2007)
Pädagogik der frühen Kindheit
Handbuch und Nachschlagewerk
Berlin: Cornelsen Scriptor 2006
(400 S.; ISBN 978-3-589-24516-1; 39,90 EUR)
Magdalena Joos (Trier)
Zur Zitierweise der Rezension:
Magdalena Joos: Rezension von: Fried, Lilian / Roux, Susanna (Hg.): Pädagogik der frühen Kindheit, Handbuch und Nachschlagewerk. Berlin: Cornelsen Scriptor 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 2 (Veröffentlicht am 28.03.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978358924516.html
Magdalena Joos: Rezension von: Fried, Lilian / Roux, Susanna (Hg.): Pädagogik der frühen Kindheit, Handbuch und Nachschlagewerk. Berlin: Cornelsen Scriptor 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 2 (Veröffentlicht am 28.03.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978358924516.html