Soziale Ungleichheiten beim Bildungserwerb sind seit der PISA 2000-Studie wieder verstärkt in den Fokus der öffentlichen wie der wissenschaftlichen Diskussion gerückt. Die PISA-Studie machte deutlich, dass der Bildungserwerb in Deutschland stärker an die soziale Herkunft gekoppelt ist als in jedem anderen der teilnehmenden OECD-Länder. Zudem verlässt etwa ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler – deutsche wie Jugendliche mit Migrationshintergrund – das deutsche Schulsystem, ohne ausreichende Kompetenzen erworben zu haben, um als ausbildungsfähig zu gelten.
Soziale Ungleichheiten beim Bildungserwerb entstehen über den Verlauf individueller Bildungskarrieren hinweg im Zusammenspiel von Bedingungen des Elternhauses, individuellen Lernvoraussetzungen und institutionellen Angebotsstrukturen, die wiederum von der Ausgestaltung der Bildungssysteme abhängen. Mit Bezug auf die individuellen Bildungskarrieren werden in Anlehnung an Boudon in der Theorie primäre von sekundären Ungleichheitsfaktoren unterschieden. Primäre Ungleichheiten drücken sich in unterschiedlichen Ausgangsvoraussetzungen von Kindern zu Beginn ihrer Schullaufbahn sowie in unterschiedlich sich entwickelnden Leistungen im weiteren Verlauf des Schulbesuchs aus. Die Hauptursache für primäre soziale Ungleichheiten wird in der unterschiedlichen Ausstattung von Familien mit sozialen und kulturellen Ressourcen und den damit verbundenen ungleichen Fördermöglichkeiten für die Kinder gesehen. Sekundäre Ungleichheiten entstehen überall dort, wo im Bildungssystem Entscheidungen getroffen werden müssen. In solche Entscheidungen fließen in der Regel die primären Ungleichheiten in Form der bisher gezeigten Schulleistungen ein, darüber hinaus spielen aber vielfältige weitere Erwägungen eine Rolle, die sowohl Ungleichheiten verstärkend, in bestimmten Fällen aber auch Ungleichheiten verringernd wirken können.
Der Versuch, das Zusammenspiel von primären, sekundären und institutionellen Faktoren über die gesamte Bildungsbiographie hinweg und mit all ihren Etappen in den Blick zu nehmen, ist bisher nur selten oder auch gar nicht unternommen worden. Beide der im Folgenden zu besprechenden Sammelbände haben das Anliegen, diese Lücke zu füllen.
(1) Birgit Becker / David Reimer (Hrsg.): Vom Kindergarten bis zur Hochschule
Der Band „Vom Kindergarten bis zur Hochschule“, herausgegeben von Birgit Becker und David Reimer, bildet eine Zusammenstellung von empirischen Beiträgen, in denen aktuelle Ergebnisse aus Forschungsprojekten des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung (MZES) sowie der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität Mannheim berichtet werden. Gemäß den Herausgebern bieten die Projekte „einen detaillierten Einblick in die gesamte Bildungskarriere von Kindern und Jugendlichen aus verschiedenen ethnischen und sozialen Gruppen.“ (7)
Bildungskarrieren beginnen nicht erst mit der Einschulung, sondern schon in der Vorschulzeit. Folgerichtig sind die ersten beiden Beiträge diesem noch wenig beforschten Gebiet gewidmet. Der erste Beitrag von Birgit Becker gilt der Wahl von Kindergärten, also der ersten Bildungsentscheidung, welche Eltern für ihre Kinder mit Blick auf ihre Bildungslaufbahn zu treffen haben. Im Beitrag wird gezeigt, dass sich Eltern mit türkischem Migrationshintergrund häufiger als deutsche Eltern für Kindergärten mit einem hohen Migrantenanteil entscheiden und dass die Entscheidung davon abhängt, wie gut Eltern über Kindergärten informiert sind, welchen zeitlichen und räumlichen Restriktionen sie unterliegen und wie ihr soziales Netzwerk zusammengesetzt ist.
Der zweite Beitrag von Nicole Biedinger und Birgit Becker baut direkt auf dem ersten auf, indem er die möglichen Folgen der Kindergartenwahl beleuchtet. Ein interessanter Befund ist darin zu sehen, dass die allgemeinen Fähigkeiten der Kinder beim Schuleintritt höher lagen, wenn die Kinder zuvor einen Kindergarten besucht hatten. Außerdem verringerte sich für Kinder mit Migrationshintergrund, türkischem wie russischem, mit der Dauer des Kindergartenbesuchs bis zum Schuleintritt der Förderbedarf in der deutschen Sprache. Bei Kindern mit Migrationshintergrund wirkte sich zudem ein hoher Anteil an Kindern aus der eigenen ethnischen Gruppe negativ auf die Sprachentwicklung aus. Für die Entwicklung der allgemeinen Fähigkeiten spielte dagegen vor allem die soziale Zusammensetzung der Kindergartengruppe eine Rolle.
Der Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I gehört zu den besser untersuchten Etappen von Bildungskarrieren, hier konzentrieren sich die Beiträge deshalb auf zwei bisher seltener berücksichtigte Aspekte. Volker Stocké untersucht in seinem Beitrag zum Einfluss von „schulbezogenem Sozialkapital“ während der Grundschulzeit die Wirkung, die ein häufiger Besuch von Elternabenden auf die Notenvergabe in den Fächern Deutsch und Mathematik zum Ende der Grundschulzeit hat. Beide Noten gehen maßgeblich in die Übergangsempfehlungen der Grundschullehrkräfte ein.
Cornelia Kristen und Jörg Dollmann gehen in ihrem Beitrag der Frage nach, wie sich die niedrigeren Übergangsquoten in höhere Schulformen bei Kindern mit türkischem Migrationshintergrund erklären lassen. Die Analysen zeigen zunächst, dass die niedrigeren Übergangsquoten fast vollständig durch Leistungsunterschiede, also durch primäre Herkunftseffekte gedeckt sind. Darüber hinaus ergaben sich sekundäre Effekte, also Effekte, die auf das Entscheidungsverhalten der Eltern zurückzuführen sind. Überraschenderweise scheinen diese eher Kinder türkischer Herkunft zu bevorzugen als zu benachteiligen. Türkische Eltern haben bei vergleichbaren Leistungen ihrer Kinder offenbar höhere Bildungsaspirationen als deutsche Eltern.
Mit den Bemühungen um eine größere Durchlässigkeit des dreigliedrigen Schulsystems in der Bundesrepublik Deutschland wird häufig die Hoffnung verbunden, gerade sozial benachteiligte Jugendliche könnten durch eine spätere Korrektur der Übergangsentscheidung nach der Grundschule ihre Bildungschancen verbessern. Marita Jacob und Nicole Tieben stellen in ihrem Beitrag eine dieser Annahme entgegen gesetzte Vermutung auf und zeigen, dass Schulformaufstiege wie auch Schulformabstiege sozial selektiv und in Abhängigkeit von Statuserhaltsmotiven der Eltern erfolgen. Die Durchlässigkeit des deutschen Schulsystems scheint demnach die Problematik der starken Kopplung von Bildungsabschlüssen an die soziale Herkunft der Eltern eher zu verschärfen als abzumildern.
Die folgenden drei Beiträge richten sich auf den nächsten Übergang im deutschen Bildungssystem, auf den Wechsel in eine Ausbildung oder auf eine Hochschule. Tobias Roth, Zerrin Salikutluk und Irena Kogan beschäftigen sich mit den Bildungsaspirationen von Müttern von Haupt-, Gesamt- und Realschülern am Ende der Sekundarstufe I. Sie untersuchen den Einfluss, den das soziale Netzwerk der Mütter auf deren Einschätzung hat, ob ihre Kinder erfolgreich ein Studium abschließen könnten, und beleuchten dabei die Unterschiede, die sich in dieser Hinsicht zwischen Müttern mit türkischem, russischem und deutschem Hintergrund ergeben.
Christian Hunklers Beitrag ist dem Übergang in die duale Berufsausbildung gewidmet. Gezeigt wird, dass türkische Jugendliche beim Übergang und beim Abschluss einer dualen Berufsausbildung sowohl deutschen Jugendlichen als auch Jugendlichen mit anderem Migrationshintergrund unterlegen sind. Diese Unterlegenheit ließ sich zum größten Teil durch die soziale Herkunft und die Sprachfähigkeit der Jugendlichen erklären. Insbesondere bei türkischen männlichen Jugendlichen scheinen jedoch noch weitere Mechanismen, etwa statistische Diskriminierung durch Arbeitgeber oder besondere Übergangsstrategien der Jugendlichen, zu greifen.
David Reimer und Steffen Schindler schließlich analysieren in differenzierter Weise die Ausbildungsentscheidungen von Studienberechtigten, die nicht nur auf Universitäten und Fachhochschulen wechseln, sondern zu höheren Anteilen auch in Berufsakademien und Verwaltungsfachhochschulen, in betriebliche Ausbildungen, in schulische Ausbildungen sowie den direkten Berufseinstieg wählen. Vor dem Hintergrund angenommener Kosten und Nutzenerwartungen formulieren sie eine Reihe von Thesen zu sozial selektiven Entscheidungen.
Der letzte Beitrag des Bandes ist dem Nachholen von Bildungsabschlüssen gewidmet. Marita Jacob und Felix Weiss untersuchen anhand eines Kohortenvergleichs, inwieweit sich zwischen den Geburtskohorten von 1955 und 1971 die Wege zur Hochschule verändert haben. Die Ergebnisse sind zu differenziert, um sie hier darstellen zu können.
Den versammelten Beiträgen kann durchaus bescheinigt werden, dass sie „in ihrer Gesamtheit wichtige Erkenntnisse“ liefern, „wann und wie soziale und ethnische Ungleichheit im deutschen Bildungssystem entsteht“ (15). Zudem wird durch die Zusammenstellung der Beiträge die „kumulative Natur“ dieses Prozesses über „den Verlauf der Bildungskarriere“ hinweg tatsächlich gut sichtbar gemacht. In einem Ausblick am Ende der Einleitung verweisen die Herausgeber darauf, dass in Zukunft „eine ganzheitlichere Betrachtung von Bildungsverläufen sicher weiter zunehmen“ wird. Ermöglicht werde dies durch die Gründung des Nationalen Bildungspanels (NEPS), das „die Kompetenzentwicklung und die Bildungsverläufe von Individuen langfristig und in großer Fallzahl verfolgen“ wird. Dass sich auch schon auf der Grundlage der vorhandenen Datenbasis ein hoher empirischer Informationsgehalt erzielen lässt, dokumentiert der vorliegende Band eindrucksvoll. Als kleiner Kritikpunkt bleibt anzumerken, dass zwei der Beiträge vorab schon an anderer Stelle publiziert wurden.
(2) Heinz-Hermann Krüger u.a. (Hrsg.): Bildungsungleichheit revisited
Der zweite hier vorzustellende Band ist in Art, Methodik und fachlicher Herkunft der Beiträge deutlich heterogener zusammengestellt als der soeben besprochene. Er bildet das Ergebnis einer im Jahre 2008 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg durchgeführten internationalen Fachtagung, die vom Promotionskolleg „Bildung und soziale Ungleichheit“ und dem Zentrum für Schul- und Unterrichtsforschung (ZSB) organisiert und über die Hans-Böckler-Stiftung finanziert wurde. Der Titel „Bildungsungleichheit revisited“ hebt auf die „Wiederentdeckung“ der in den 1960er Jahren schon einmal diskutierten Thematik ab (vgl. dazu die Einleitung und den Beitrag von Hartmut Wenzel). Der Band ist in fünf Abschnitte eingeteilt, die vom Elementarbereich über die allgemeinbildende Schule bis zur Hochschule reichen, aber auch je einen Abschnitt zur außerschulischen Bildung sowie zur Berufsbildung umfassen.
Der Vorschulbereich wird durch zwei Beiträge abgedeckt. Zunächst zeigt Friedhelm Pfeiffer auf der Grundlage der „Mannheimer Risikokinderstudie“, dass die allgemeinen Fähigkeiten von Kindern beim Schuleintritt vor allem von der vorangegangenen emotionalen Fürsorge in den Familien, weniger von deren ökonomischer Lage abhängen. Vor dem Hintergrund einer bildungsökonomisch inspirierten Simulation argumentiert er, dass öffentliche Bildungsinvestitionen möglichst früh ansetzen sollten, weil sich so höhere Bildungsrenditen erzielen ließen. Insgesamt – so sein Fazit – müsse es der Bildungspolitik vor allem darum gehen, benachteiligten Kindern einen Zugang zu angemessener emotionaler Fürsorge zu eröffnen. Dies sollte möglichst schon im Vorschulalter geschehen, da frühe Bildungsdefizite später kaum mehr aufholbar seien. Im zweiten Beitrag diskutiert Ursula Raabe-Kleeberg die Möglichkeiten und Schwierigkeiten, die mit einer aus ihrer Sicht notwendigen Neuausrichtung des Kindergartens von einem Ort der Betreuung hin zu einem Ort der Bildung verbunden sind.
Dem Bereich der Schule sind vier Beiträge zugeordnet. Zu Beginn gibt Hartmut Wenzel einen Überblick über die Hauptlinien der Diskussion über soziale Ungleichheiten beim Bildungserwerb von den 1960er Jahren an bis heute. Anschließend bieten Kai Maaz, Jürgen Baumert und Ulrich Trautwein einen Überblick über Befunde zu vier, wie sie meinen, zentralen Entstehungs- und Verstärkungsmechanismen von sozialen Ungleichheiten. Zum Ersten sind dies die Übergänge im Bildungssystem, für die ein schichtspezifisches Entscheidungsverhalten von Eltern, weniger von Lehrkräften, gut dokumentiert ist. Zum Zweiten werden innerinstitutionelle Wirkungen des schulischen Angebots betrachtet. Hier sprechen die vorhandenen Befunde für geringfügig soziale Ungleichheiten verstärkende, aber auch für kompensatorische Wirkungen der Lernangebote. Drittens wird die leistungsdifferenzierte Aufteilung in Lerngruppen, sowohl innerhalb von Schulen als auch durch eine Verteilung auf unterschiedliche Schulformen, in den Blick genommen. Solche Aufteilungen wirken, wenn sie ungleiche Kompetenzzuwächse zur Folge haben, soziale Ungleichheiten verstärkend. Und viertens werden Befunde zur Wirkung außerschulischer Faktoren wie Familie, Nachbarschaft und Region, zusammengetragen.
Im dritten Beitrag weisen Rolf-Torsten Kramer und Werner Helsper auf den Erkenntnisgewinn hin, der sich durch eine Wiederaufnahme der vor allem im Umfeld der PISA-Studien ihrer Meinung nach nur verkürzt rezipierten und zunehmend vernachlässigten Theorie Bourdieus erzielen ließe. Zu verdeutlichen suchen sie dieses Anliegen mit einer qualitativen Studie, in der Typen eines „sekundären schulischen Habitus“ herausgearbeitet und auf ihre „Abstoßungslinien“ gegenüber primären, sozialmilieuspezifischen familiären Habitus hin untersucht werden.
Im vierten Beitrag arbeiten Katrin U. Zaborowski und Georg Breidenstein – ebenfalls anhand einer qualitativen Studie, die auf Beobachtungsprotokollen von Zeugnisausgaben fußt – heraus, dass Lehrkräfte auf die Strukturprobleme von Hauptschulen auf eine Weise reagieren, die es guten Schülerinnen und Schülern erschwert, einen Schulformwechsel nach oben in Erwägung zu ziehen. Schließlich unterzieht John Pryor in einem englischsprachigen Beitrag das im internationalen Bildungsdiskurs zunehmend positiv rezipierte Konzept des „formative assessement“ einer kritischen Würdigung, indem er herausstellt, dass es bestimmter Bedingungen bedarf, um es als eine Pädagogik der Gleichheit etablieren zu können.
Unter der Überschrift des außerschulischen Bereichs versuchen Hans-Uwe Otto und Mark Schrödter das Vermögenskonzept (Capability Approach) von Amartya Sen und Marta Nussbaum für die aktuelle Diskussion des Kompetenzkonzepts der OECD (Weinert und danach) nutzbar zu machen. Anschließend untersuchen Heinz-Hermann Krüger und Ulrike Deppe den Stellenwert von Peers für die schulische Bildungsbiografie von Elfjährigen, indem sie in einer qualitativen Studie fünf unterschiedliche Varianten herausarbeiten, die von Peers als funktionelle Begleiter einer bisher erfolgreichen Bildungskarriere (z.B. „Bildung als Distinktion in Schule und Peerwelt“) über Peers als ambivalente Gegenwelt zur Welt schulischer Leistungen (z.B. „Pragmatische schulische Bildungsorientierung und Peers als Parallelwelt“) bis hin zu Peers als Risikofaktoren für eine bisher wenig erfolgreiche schulische Laufbahn (z.B. „Bildungsferne schulische Orientierung und Peers als Risikopotential“) reichen. Schließlich diskutiert Manuela du Bois-Reymond Chancen und Widerständiges der Ganztagsbildung am Beispiel der niederländischen „brede school“.
Im ersten Beitrag zum Bereich der Hochschule stellt Rolf Becker die Frage, welche Maßnahmen am ehesten geeignet sind, um Studienberechtigte aus bildungsfernen Haushalten zur Aufnahme eines Studiums zu bewegen. Auf der Grundlage einer Simulation kommt er zu dem Schluss, dass es vor allem Finanzierungshilfen bedarf. Im zweiten Beitrag untersucht Reinhard Kreckel anhand eines internationalen Vergleichs, wie unterschiedlich einzelne Länder das Dilemma zwischen Breitenbildung und Spitzenforschung lösen, welches sich vor dem Hintergrund wachsender Studierendenzahlen zwangsläufig in vielen Ländern stellt.
Der letzte Block an Beiträgen ist dem Bereich der Berufsbildung gewidmet. Christian Imdorf geht auf der Grundlage von Leitfadeninterviews mit Entscheidungsträgern in Schweizer Kleinbetrieben den betrieblich bedingten Selektionsmechanismen nach, die jenseits von Qualifikationsunterschieden zu einer Benachteiligung von ausländischen Jugendlichen bei der Ausbildungsplatzvergabe führen. Martin Baethge betrachtet vor dem Hintergrund des spezifisch deutschen Schismas von dualer beruflicher Ausbildung und Hochschulbildung, wie sich innerhalb des Bereichs der beruflichen Bildung neue Segmentationsmuster ausgebildet haben. Ingo Wickert und Reinhold Sackmann schließlich stellen die Frage, inwieweit die im Osten Deutschlands nach der Wiedervereinigung in größerem Umfang mit öffentlichen Mitteln finanzierten, überbetrieblichen Ausbildungsmöglichkeiten nicht nur, wie ursprünglich intendiert, ein Übergangsproblem lösen, sondern zu einer dauerhaften Verfestigung neuer Strukturen in der dualen Ausbildung beigetragen haben.
Bereits der Überblick über die Beiträge verdeutlicht, dass der Band seinem Anspruch, „das Phänomen der Bildungsungleichheit gleichsam multiperspektivisch in den Blick zu nehmen“ (9), durchaus gerecht wird. Es werden „unterschiedliche Bildungsorte“ entlang des „gesamten Lebenslaufs“ betrachtet und „Bildungsungleichheiten in den verschiedenen Bereichen des Bildungssystems“ vom Kindergarten bis zur Hochschule thematisiert. Die Multiperspektivität wird noch dadurch erweitert, dass Bezüge zur internationalen Diskussion hergestellt sowie sowohl qualitative als auch quantitative empirische Untersuchungen berücksichtigt wurden. Dahingestellt sei, inwieweit die Beiträge tatsächlich „von den methodischen und theoretischen Ansätzen die gesamte Bandbreite der erziehungswissenschaftlichen und bildungssoziologischen Diskussion abdecken“.
Beide Sammelbände liefern wichtige Beiträge zum Thema Bildungsungleichheiten vom Kindergarten bis zur Hochschule und füllen mit ihrer jeweiligen Zusammenstellung eine vorhandene Lücke. Beide Bände enthalten zudem zusammenfassende Darstellungen der wesentlichen Ergebnisse. Die Beiträge des ersten Bandes entstanden ausnahmslos unter Anwendung komplexer statistischer Analyseverfahren, weshalb dieser Band besonders einem quantitativ empirisch vorgebildeten Publikum zu empfehlen sein dürfte. Der zweite Band ist heterogener gestaltet und bildet einen ertragreichen Fundus sowohl für ein bildungstheoretisch als auch für ein empirisch interessiertes Publikum. Darüber hinaus wird aber auch eine breitere, fachlich interessierte Leserschaft auf ihre Kosten kommen, denn in den einzelnen Beiträgen wird durchweg allgemeinverständlich auf den jeweiligen Stand der Diskussion eingegangen.
EWR 9 (2010), Nr. 6 (November/Dezember)
Sammelrezension zum Thema: „Soziale Ungleichheiten beim Bildungserwerb vom Kindergarten bis zur Hochschule“
Vom Kindergarten bis zur Hochschule
Die Generierung von ethnischen und sozialen Disparitäten in der Bildungsbiographie
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009
(316 S.; ISBN 978-3-5311-6224-9; 39,95 EUR)
Bildungsungleichheit revisited
Bildung und soziale Ungleichheit vom Kindergarten bis zur Hochschule
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 29,9
(324 S.; ISBN 978-3-5311-6672-8; 29,95 EUR)
Christine Schmid (Göttingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Christine Schmid: Rezension von: Becker, Birgit / Reimer, David (Hg.): Vom Kindergarten bis zur Hochschule, Die Generierung von ethnischen und sozialen Disparitäten in der Bildungsbiographie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009. In: EWR 9 (2010), Nr. 6 (Veröffentlicht am 08.12.2010), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353116224.html
Christine Schmid: Rezension von: Becker, Birgit / Reimer, David (Hg.): Vom Kindergarten bis zur Hochschule, Die Generierung von ethnischen und sozialen Disparitäten in der Bildungsbiographie. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2009. In: EWR 9 (2010), Nr. 6 (Veröffentlicht am 08.12.2010), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353116224.html