EWR 11 (2012), Nr. 2 (März/April)

Gerd F. Hepp
Bildungspolitik in Deutschland
Eine Einführung.
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011
(315 S.; ISBN 978-3-5311-5210-3; 24,95 EUR)
Bildungspolitik in Deutschland Gerade angesichts der intensiven öffentlichen Diskussion zur Bildungspolitik in
Deutschland ist die wissenschaftliche Zurückhaltung bei der Vorlage von Einführungsbüchern in diese Thematik auffällig und bedauerlich. Von Ausnahmen abgesehen (z.B. dem sehr bildungsökonomisch argumentierenden Band von Hans Pechar aus dem Jahr 2006 im Waxmann-Verlag) gibt es seit nahezu zehn Jahren keine einschlägigen Darstellungen. Dass Gerd F. Hepp nunmehr ein in die Bildungspolitik in Deutschland einführendes Lehrbuch vorlegt, ist entsprechend generell zu begrüßen und anzuerkennen.

Dem differenzierten – in 12 Kapitel unterteilten – Aufbau des Bandes lässt sich schon das Anliegen einer umfassenden und zugleich informierten Einführung entnehmen. Die ersten acht Kapitel widmen sich verschiedenen Grundaspekten und Rahmenbedingungen der deutschen Bildungspolitik.

Kapitel 1 thematisiert die Geschichte des Begriffs „Bildungspolitik“ ab den 1960er Jahren und das keineswegs lineare und konfliktlose Verhältnis der Begriffe „Bildung“ und „Bildungspolitik“ im Spannungsfeld von Persönlichkeitsbildung und Verwertbarkeit von Kompetenzen.

In Kapitel 2 werden bildungspolitische Handlungsfelder von der Elementarbildung bis zur Hochschule und Weiterbildung skizziert. Zudem werden in diesem Kapitel – an dem strukturfunktionalistischen Konzept Parsons bzw. Fends orientiert – drei Grundfunktionen des Bildungswesens benannt (Integration, Qualifikation und Allokation), die von Seiten der Bildungspolitik zu koordinieren und zugleich zu gewährleisten seien (28f.).

Kapitel 3 beschreibt grundlegende ordnungspolitische Rahmenbedingungen der deutschen Bildungspolitik – vor allem das (traditionelle) Primat des Staates bei der Gestaltung des allgemein bildenden Schulwesens unter den Bedingungen eines demokratisch verfassten Rechtsstaates. Der geringe staatliche Einfluss in anderen Bildungsbereichen wird vergleichend angesprochen und zusammenfassend ein allgemeiner Trend zur Entstaatlichung und Ökonomisierung des Bildungswesens diagnostiziert.

Das vierte Kapitel widmet Hepp der demographischen Entwicklung. Angesichts des prognostizierten Bevölkerungsrückgangs in Deutschland wird sowohl für die Bildungsinfrastruktur als auch für den Arbeitsmarkt ein erheblicher bildungspolitischer Handlungsbedarf indiziert.

Im fünften Kapitel werden international vergleichend grundlegende Sachverhalte und Kerndaten zur (öffentlichen) Bildungsfinanzierung benannt, die für die Bundesrepublik Deutschland ein generell höheres finanzielles Engagement im Bildungswesen nahelegen. Ebenso werden aktuell diskutierte Modelle der Mobilisierung oder Umnutzung öffentlicher bzw. privater Ressourcen vorgestellt.

Kapitel 6 thematisiert die „Multipluralität nichtstaatlicher Akteure“, die auf die Bildungspolitik Einfluss nehmen, wie politische Parteien über die Bildungsteilnehmer bzw. die Eltern als gesetzliche Vertreter oder auch die Kirchen, Gemeinden und Landkreise, die berufsständischen Kammern und Hochschulen als Körperschaften des öffentlichen Rechts bis zu den Berufsverbänden, der im Bildungswesen Beschäftigten, den Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden.

In Kapitel 7 geht Hepp auf Formen und Institutionen der Politikberatung ein, insbesondere auf die vielfältigen und sich weiter pluralisierenden Anbieter von der institutionalisierten Bildungsforschung über staatlich eingesetzte Beratungsgremien bis hin zu privatwirtschaftlichen Unternehmensberatungen und unternehmensnahen Think Tanks.

Das achte Kapitel wendet sich dem Thema der bildungspolitischen Kompetenzverteilung im deutschen Bundesstaat, dem sogenannten Bildungsföderalismus, zu. Skizziert werden sowohl dessen historische Herkunft, sein Inhalt, als auch seine Entwicklung über die verschiedenen Novellierungen des Grundgesetzes. Das Kapitel schließt mit einer Problematisierung des Verflechtungscharakters deutscher Bildungspolitik.

Die eigentlichen Akteure der deutschen Bildungspolitik (die Parlamente, Regierungen und Ministerialverwaltungen in Bund und Ländern) werden bis hier noch nicht ausdrücklich behandelt. Dies erfolgt in zwei nachfolgenden, wesentlich umfangreicheren und differenzierteren Kapiteln.

Kapitel 9 befasst sich mit der Bildungspolitik des Bundes. Hervorgehoben werden sowohl schulpolitische Gemeinschaftsaufgaben von Bildungsplanung bis Bildungsmonitoring als auch (begrenzte) Finanzierungsmöglichkeiten des Bundes. Für die Hochschulpolitik werden u.a. auch die Gestaltungsbereiche der Hochschulrahmengesetzgebung sowie aktuelle Exzellenzinitiativen für Forschung und Lehre erwähnt.

In Kapitel 10 wird ein Überblick zur Bildungspolitik der deutschen Bundesländer gegeben. Mit Blick auf das allgemein bildende Schulwesen arbeitet der Autor eine Reihe aktueller, länderübergreifend bedeutsamer Themen und Gestaltungsansätze auf, wie z.B. das Bemühen um Dezentralisierung durch „Schulautonomie“, das Interesse an Qualitätssicherung und Evaluation, die Diskussion um Schulleistungen im Ländervergleich oder auch das Problem sozialer Disparitäten im Bildungswesen sowie die politische Dauerkontroverse um die Schulstrukturen der Sekundarstufe I. Argumentativ herangezogen werden dazu neben konzeptuellen Aspekten auch aktuelle Daten der Schulstatistik und Bildungsforschung.

Das Kapitel 11 stellt schließlich den Aufbau, die Arbeitsweise und die Rolle bildungspolitischer Koordinationsgremien im deutschen Bundesstaat vor, bevor das zwölfte Kapitel den Einführungsband mit aktuellen Trends der Internationalisierung und Europäisierung im Bildungswesen abschließt.

Zu würdigen an dem vorliegenden Band ist zuallererst das ambitionierte und in der Differenzierung von den ersten acht Kapiteln nachvollziehbare Systematisierungsvorhaben des Autors. Auch wenn vom Umfang her nicht immer nachvollziehbar ist, warum z.B. Themen wie „Bildungsfinanzierung“ oder „Demographie“ ein eigenes Kapitel erhalten. So wäre dem Buch eine klarere Metastruktur in drei Teile zu empfehlen:

A) „Grundlagen und Rahmenbedingungen“ (Kapitel 1-8);
B) „Schul- und Hochschulpolitik in Bund und Ländern“ (Kapitel 9-10) sowie
C) „Bildungspolitische Koordination auf intra- und internationaler sowie europäischer Ebene“ (Kapitel 11-12).

Gelungen ist ebenso die konsequent gegenstandsorientierte Darstellung, welche die Bedingungen, Akteure und Verläufe der deutschen Bildungspolitik datengestützt nachzeichnet. In dieser thematischen Differenziertheit, historischen Kontextualisierung und gegenwartsbezogenen Einordnung ist seit Mitte der 1980 Jahre in Deutschland nichts Vergleichbares erschienen.

Andererseits fehlt dem Leser eine Einführung in politikwissenschaftliche Begrifflichkeiten und Konzepte der Politikbeobachtung. Im Text eingelassen finden sich zwar Hinweise auf zentrale Studien und Befunde, allerdings beschränkt sich der Text, obschon er als Lehrbuch auftritt, in seinen Quellenangaben und Literaturverweisen auf das Minimum in wissenschaftlichen Publikationen anzugebender Belege und Erläuterungen. Zumindest Studierenden dürfte eine Vielzahl der vorausgesetzten Fachbegriffe und Theorien (von Bildungsgutscheinen bis zur Politikverflechtungsfalle) nicht ausreichend vertraut sein. Anders als in Lehrbüchern üblich wird zudem auf einen Apparat an Hervorhebungen, Zusammenfassungen oder auch Prüfungsfragen verzichtet.

Kritisiert wird mit diesen Anmerkungen aber nur die verlegerische Entscheidung, dieses Buch als Lehrbuch zu kennzeichnen; eine Textkategorie, die in Zeiten modularisierter Studiengänge besondere Anforderungen an Übersichtlichkeit und Handhabbarkeit stellt. Als systematische Sachdarstellung – noch dazu aus Sicht eines informierten, mitunter meinungsstarken Beobachters – ist das Werk hingegen zu schätzen.

Für zukünftige Auflagen, die dieses Werk allein aufgrund der publizistischen Leerstelle erfahren wird, die es besetzt, wäre zudem eine vorsichtige Erweiterung der Themenbereiche wünschenswert. Insbesondere das Politikfeld der Berufsbildung sollte angesichts seiner Dynamik und der Bedeutung für die Europapolitik stärker einbezogen werden. Ähnliche Wünsche wären in Hinblick auf die Elementarbildung oder auch die Erwachsenen- und Weiterbildung zu äußern, gerade um gegenüber der allgemeinen und der akademischen Bildung den Blick auf Politikfelder zu lenken, in denen der Staat weniger intensiv oder indirekter agiert. Dies würde für eine ebenfalls wünschenswerte Ergänzung der Gegenstandsdarstellung um ausgewählte analytische Konzepte der politischen Steuerung oder Governance wertvolles Anschauungsmaterial beibringen.
Matthias Rürup (Wuppertal)
Zur Zitierweise der Rezension:
Matthias Rürup: Rezension von: Hepp, Gerd F.: Bildungspolitik in Deutschland, Eine Einführung.. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 2 (Veröffentlicht am 10.04.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353115210.html