EWR 18 (2019), Nr. 5 (November/Dezember)

Jens Beljan / Michael Winkler
Resonanzpädagogik auf dem Prüfstand
Ãœber Hoffnungen und Zweifel an einem neuen Ansatz
Weinheim / Basel: Beltz 2019
(120 Seiten; ISBN 978-3-407-25815-1; 19,95 EUR)
Resonanzpädagogik auf dem Prüfstand Das Buch „Resonanzpädagogik auf dem Prüfungsstand“ von Jens Beljan und Michael Winkler diskutiert umfassend die Möglichkeiten und Begrenzungen der ursprünglich in ihren Grundzügen von Hartmut Rosa [1] [2] formulierten und dann insbesondere von Jens Beljan [3] systematisch ausgearbeiteten Resonanzpädagogik. Es handelt sich bei dem hier vorliegenden Buch um einen Dialog eines, wie er selbst formuliert, „Verfechters“ (S.7) des Konzepts der Resonanzpädagogik und eines kritischen Beobachters der Resonanzpädagogik (Winkler). Gerade aus diesen zunächst als Gegensätzlichkeit erscheinenden Ausgangspositionen bezieht dieses Buch seine Spannung aber auch seine Tiefe.

Die beiden Autoren er- und begründen von diesen unterschiedlichen Positionen die Möglichkeiten und Begrenzungen, die Zweifel und Hoffnungen, die mit dem Konzept der Resonanzpädagogik verbunden sind. Wie lässt sich dieser neue Ansatz disziplinär verorten? Was ist der tatsächliche „pädagogische Wissenszuwachs“ dieses neuen Ansatzes? Das sind die übergeordneten Leitfragen im hier vorliegenden Buch. Hierfür beleuchten Beljan und Winkler die unterschiedlichen Facetten und Resonanzebenen der Resonanzpädagogik, so etwa Fragen der konkreten Bedeutung für den Unterricht (z.B. Problematik der reinen outputorientierten Kompetenzorientierung), die Schule (z.B. Schulentwicklung und Schulqualität) und das Bildungssystem (z.B. „Bildung ist keine Ressource, sondern eine Weltbeziehung“ (S.12), aber auch inwiefern sich Weltbeziehungen in der Schule möglicherweise empirisch erforschen lassen (Kapitel 5). Auch wissenschaftstheoretische Fragestellungen, etwa zur Autonomie der Pädagogik oder aber ihrem Verhältnis zu anderen Wissenschaften werden im vorliegenden Band diskutiert. Das Buch spricht schon von dieser breiten und vielfältigen Konzeptionierung her gleichermaßen Bildungspraktiker, d.h. Lehrkräfte, Schulleiter/innen, Schulentwickler/innen aber auch die Bildungsverwaltung ebenso wie Bildungs- und Erziehungswissenschaftler/innen an.

Die verschiedenen Facetten der Resonanzpädagogik werden hierbei vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen und politischer Diskurse diskutiert (vgl. S. 60): Demokratie und Solidarität unter Druck, Verrohung von Diskursen in sozialen Netzwerken, Konsumorientierung und Leistungsdruck, Förderung von Konkurrenzdenken durch ein Ausufern einer Testkultur die bisweilen bis hinein in den Kindergarten um sich greift. Schule als Institution, so die These von Winkler, „… müsste hier etwas ganz Anderes leisten“ (S. 60), als sie dies offensichtlich heute leistet: Solidarität ermöglichen, Kritik formulieren lehren und Konflikte austragen. Hilft uns hier die Resonanzpädagogik wirklich weiter? Winkler ist hier eher skeptisch, denn es fehle ihr gewissermaßen die Komponente der Dissonanz als Ausgangspunkt für Bildung und „eigene Klänge“ (S. 61), wie es etwa bei Schleiermacher so prominent ausgearbeitet ist. „Resonanz“ als Grundbegriff der Resonanzpädagogik bedeutet in dieser Hinsicht für Winkler zu wenig, es betone zu wenig den Aspekt der Dissonanz. Beljan allerdings weist diesen Widerspruch zurück und verweist auf den schon von Rosa dargelegten Prozess der Anverwandlung, die eben auch bei Rosa von einer anfänglichen Dissonanz ausgeht, die gewissermaßen erst dann zur Entfaltung kommt, wenn ein feines und dynamisches Gleichgewicht zwischen Entfremdung bzw. Dissonanz und Resonanz erzeugt wird, was wiederum eine gewisse „Entfremdungstoleranz“ (S. 62) voraussetzt.

Hier wird exemplarisch deutlich, was sich über das ganze Buch hinweg zeigt: Winkler bezieht eine kritische und mahnende Haltung und argumentiert u.a. von einer Position der Verwahrung der Pädagogik gegen eine Übergriffigkeit (etwa durch die Soziologie). Vorsicht ist für Winkler geboten, weil es sich um eine aus der Soziologie entwickelte Theorie handelt, die mit eigenen, im Kern nicht aus der Pädagogik entwickelten Begriffen arbeitet und damit möglicherweise Zusammenhänge beschreibt, die auch in der Pädagogik selbst bereits mit eigenen Begriffen und Konzepten beschrieben wurden. Winkler ordnet entsprechend dieses Vorwurfes die resonanztheoretischen Aussagen in bereits bestehende pädagogische Konzepte ein und stellt Verbindungen unter vielen anderen z.B. zu Mollenhauer, Herbart etc. her (vgl. S. 19ff.).

Winkler sieht dem entsprechend in der Resonanzpädagogik insbesondere eine „metaphorische Illustration“ (S. 25) und er warnt diese davor, wenn sie schon Eingang in die Pädagogik hält, technisch zu werden. Hier ist er ganz Pädagoge, genauer gesagt geisteswissenschaftlicher Pädagoge, der darauf bedacht ist, die „disziplinäre Identität“ (S. 28) nicht zu verlieren. Winkler sieht vor allem die Gefahr, dass die urpädagogischen Begriffe verschwinden und das vergessen wird, dass pädagogische Sachverhalte, Phänomene sind, die einer eigenen Logik folgen (vgl. S. 29). Diesem Vorwurf bzw. dieser Gefahr muss sich auch die Resonanzpädagogik stellen bzw. bewusst sein. Beljan beantwortet diesen Einwand damit, dass er aufzeigt, wie echte Resonanz im Sinne eines Sprech- und Antwortaktes der Welt als Grundanliegen für echte Bildung im Grunde bis zurück auf Meister Eckhart über Herder, Schleiermacher und Humboldt bis hinein in neuere pädagogische Konzepte wie die von Bollnow oder Dewey und Gruschka nachverfolgt werden kann. Nur eben ohne die resonanztheoretischen Begriffe der Resonanz, Repulsion, Indifferenz, Entfremdung oder der Anverwandlung zu verwenden. Beljan verteidigt das Konzept, indem er das Spektrum der Resonanzpädagogik definiert und klärt im Gespräch nochmals zentrale Begriffe und Grundaussagen dieses ursprünglich von Hartmut Rosa stammendenden Konzeptes. Dies hat den großen positiven Nebeneffekt, dass das Buch auch für bisher in Sachen Resonanzpädagogik unkundige Leser anschlussfähig ist.

Der Mehrwert, für den in Sachen Resonanzpädagogik kundigen Leser, liegt im hier vorliegenden Buch vor allem darin, dass Beljan intensiv Bezüge zu anderen Pädagogen und deren Konzepten herstellt. So etwa zu Klafki, zu Gruschka oder dem in Deutschland kaum rezipierten Max van Manen. Deutlich wird, dass der Gegenpol zu einer Resonanzpädagogik insbesondere in der Betrachtung von Bildung als verfügbarer Ressource gesehen wird. In diesem Fall bleibt Bildung für das betroffene Subjekt etwas „Fremdes“, etwas nicht Verinnerlichtes, etwas das den Menschen im Grunde unverändert zurücklässt und damit zu einem „Unbehagen“ (S. 16) führt. Es ist zumindest von Beljan ein flammendes Plädoyer gegen das Überhandnehmen des Effizienzdenkens in Bildungsprozessen, das Verfügungsdenken, die „kalten und stummen Aneignungsprozesse“ (S. 17) im Unterricht, die nicht selten Folge genau dieser Grundorientierung sind. Gerade das macht das Buch zu einem großen Gewinn, ja es kann an dieser Stelle geradezu als Schul- und Bildungskritik der gegenwärtigen Zustände betrachtet werden und steht damit fast schon in der Tradition zu anderen Schulkritikern wie etwa eines Siegried Bernfeld oder aber eines Ivan Illich. Allerdings widersteht Beljan der Verlockung die Komplexität in einem utopistischen Entweder-Oder-Denken zu lösen, vielmehr beschreibt er die für ihn gebotene Lösung in einem Sowohl-als-Auch, einem „Ergänzungsverhältnis“ (S. 17), wie er es ganz resonanztheoretisch ausdrückt: Es wird auch in einer resonanzbewussten Schule Phasen des „resonanzfreien Übens“ (ebd.) geben, weil nicht selten erst über die mühsam erworbene Kompetenz die Möglichkeit entsteht, etwas wirklich zum „Klingen“ zu bringen.

Als Fazit bleibt: Es ist Hartmut Rosa vollumfänglich zuzustimmen, wenn er im Nachwort zum hier rezensierten Buch von Beljan und Winkler zu der Einschätzung kommt, dass es den Autoren auf „eindrucksvolle und unnachahmliche Weise“ (S. 116) gelungen sei, in eine „dialogische Resonanz“ (S. 116) zu gehen. Aus „Rede und Widerrede“, aus „Entwurf und Kritik“, aus „Zweifel und Hoffnung“, entwickelt sich ein „produktives Streitgespräch“, das in die Tiefe geht und die Grenzen und Möglichkeiten der Resonanzpädagogik umfassend ausleuchtet. Den „eigenen Klang“ verlieren dabei beide Autoren nicht. Winkler bleibt der kritische Mahner und Infragesteller, Beljan der Advocatus der Resonanzpädagogik, der diese immer wieder gegen den von Winkler latent bis zum Schluss bestehenbleibenden Vorwurf der „Übergriffigkeit“ verteidigen muss.

Dass dieses aufeinander Einlassen nicht von Beginn an, quasi von alleine, funktioniert, sondern dass die beiden Autoren erst aufeinander zugehen müssen, indem sie erst einmal ihre eigene Position klarstellen, könnte als anfangs mangelnde Resonanz gelesen werden. Die beiden Gesprächspartner Beljan und Winkler müssen sich erst nach und nach „aufeinander einstimmen“, sie begegnen sich nicht sofort in einem gemeinsamen Resonanzraum. Da herrscht, resonanztheoretisch gesprochen, zunächst das „Merkmal“ der Unverfügbarkeit vor, das gerade zu Beginn des Buches in Form des latenten Monologs anstelle des Dialogs zu Tage tritt. Es ist dann jedoch faszinierend, wie die beiden Autoren mehr und mehr aufeinander einschwingen, vom anfangs noch reflexartigen Antwort- in den Fragemodus wechseln, dann wird die gegenseitige Affiziertheit und Transformation sprichwörtlich lesbar. Die Autoren denken dann gemeinsam, ohne dabei jedoch in ein einstimmiges Duett zu verfallen, und streifen dabei leicht und luftig über die pädagogische Landschaft: Adorno, Herbart, Wittgenstein, Bollnow (Die pädagogische Atmosphäre!), Dunbar über Wygotski und Leontjev bis zu Schleiermacher und Hegel und dessen von Winkler formulierten These, dass „am Anfang eines jeden Bildungsprozesses … eigentlich Dissonanz, Missklang, Nicht-Übereinstimmung [stehen]“ (S. 59) – aus diesem „ja, aber…“ bzw. „ich bleibe beharrlich…“ (Winkler, S. 59) entspannt sich ein genussvoller Diskurs, der den Leser in die Tiefe führt.

[1] Vgl. Rosa, Hartmut: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp 2016.
[2] Vgl. Rosa, Hartmut / Endres, Wolfgang: Resonanzpädagogik. Wenn es im Klassenzimmer knistert. Weinheim und Basel: Beltz 2016.
[3] Vgl. Beljan, Jens: Schule als Resonanzraum und Entfemdungszone. Eine neue Perspektive auf Bildung. Weinheim und Basel: Beltz 2017.
Dirk Bogner (Tübingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Dirk Bogner: Rezension von: Beljan, Jens / Winkler, Michael: Resonanzpädagogik auf dem Prüfstand, Ãœber Hoffnungen und Zweifel an einem neuen Ansatz. Weinheim / Basel: Beltz 2019. In: EWR 18 (2019), Nr. 5 (Veröffentlicht am 18.12.2019), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978340725815.html