EWR 21 (2022), Nr. 2 (April)

Olaf-Axel Burow
Positive PĂ€dagogik
Sieben Wege zu Lernfreude und SchulglĂŒck (2. Aufl.)
Weinheim: Beltz 2021
(271 S.; ISBN 978-3-407-25568-6; 29,95 EUR)
Positive PĂ€dagogik Nach zehn Jahren legt Olaf-Axel Burow eine ĂŒberarbeitete Auflage der ‚Positiven PĂ€dagogik‘ vor. Er bietet damit seine grundlegende Rahmung der freudestiftenden und glĂŒckbehafteten Schule ein zweites Mal der pĂ€dagogisch interessierten Leser*innenschaft anBurow macht in seinem Ansatz der ‚Positiven PĂ€dagogik‘ Lernfreude und SchulglĂŒck greifbar. Die bereits in den Titel des Buches sowie in die EinfĂŒhrung eingewobene positiv-pĂ€dagogische Ich-Botschaft, zu wissen, was dem Menschen zum GlĂŒck gereicht, mag eine gewisse Überlegenheit des Senders suggerieren und im Extremfall vielleicht sogar die ambivalente Du-Botschaft implizieren, wer nicht das im Buch proklamierte GlĂŒck verbreitet, ist selber schuld. Dringt man jedoch tiefer ins Buch vor, so lernt man den Autor als jemanden kennen, der gekonnt beschreibt, weitgehend fair kritisiert und schlĂŒssig argumentiert, und zwar fernab jeglicher toxischen PositivitĂ€t und Besserwisserei. Er hat seine klare Mission – die Verbreitung von SchulglĂŒck – zwar permanent vor Augen, bleibt dabei aber Realist, gesteht Entwicklungsprozessen Zeit zu, wertschĂ€tzt jegliches BemĂŒhen, welches Schulerfahrungen angenehmer werden lĂ€sst, und moralisiert nicht. Prospektiv Skeptische, die sich einleitend vom Imperativ des Positiven irritiert fĂŒhlen, können also beruhigt sein und sich getrost in die weiteren Kapitel des Buches vorwagen.

Um seinen pĂ€dagogischen Ansatz der ‚Positiven PĂ€dagogik‘ nachvollziehen zu können, erweist sich der von Burow gewĂ€hlte Dreischritt als zweckmĂ€ĂŸig. So verdeutlicht er im ersten Abschnitt („Wie das GlĂŒck aus der Schule verschwand“), warum eine GlĂŒcksorientierung im aktuellen Schulkontext maximal eine nebensĂ€chliche Rolle spielt. Im zweiten Abschnitt („Wie das GlĂŒck wieder in die Schule hineinkommt“) zeigt er im Rahmen der Darstellung verschiedener Konzepte und Theorien auf, wie man GlĂŒck im schulischen Kontext verstehen und unterstĂŒtzen kann. Konkrete Wege ins SchulglĂŒck weist Burow schließlich im dritten und letzten Abschnitt („Sieben Wege zu Lernfreude und SchulglĂŒck“) auf.

Bereits im ersten Teil des Buches wird klar, dass es einen zweiten Aufschlag der ‚Positiven PĂ€dagogik‘ wohl tatsĂ€chlich braucht. Denn wie der Autor selber anmerkt, verschreiben sich zwar laufend immer mehr einzelne StĂ€tten der Bildung seiner Idee. Von einer breiten Integration des GlĂŒcksprinzips ins schulische Feld ist jedoch nicht viel zu erkennen. Burow nennt hierfĂŒr vornehmlich historische GrĂŒnde, erachtet zudem aber auch die empirische Bildungsforschung als mitverantwortlich. Diese fĂŒhle sich primĂ€r dem Messen, Vergleichen und Kontrollieren verpflichtet und wĂŒrde somit mehr bestĂ€tigend als verĂ€ndernd in Erscheinung treten. Wesentliche Entwicklungen auf praktisch-professioneller Ebene treibe die empirische Bildungsforschung laut Burow nicht voran. An dieser Kritik mag etwas dran sein, lĂ€sst man das letzte Jahrzehnt außer Acht. In diesem Zeitraum, wohlgemerkt, erfuhren im deutschsprachigen Raum Praxis- und Professionsforschung eine enorme Ausbreitung. Die Nebenbemerkung, dass damit Forschung nĂ€her an die BedĂŒrfnisse der Akteur*innen im pĂ€dagogischen Feld gerĂŒckt ist, wĂ€re einer aktualisierten Auflage nicht abtrĂ€glich.

Die Ursachenanalyse unbeachtet gelassen, mag man allenfalls das im ersten Abschnitt zum Ausdruck gebrachte Bedauern der fehlenden GlĂŒcksorientierung in unseren Schulen unhinterfragt teilen. Beeindruckend sind auch die Konsequenz und Klarheit, mit der Burow sich inhaltlich fĂŒr das GlĂŒcksprinzip positioniert und sich von antagonistischen Positionen abgrenzt. So kritisiert er etwa radikal das „Lob der Disziplin“ (24), distanziert sich von Messfetischismus (38), rehabilitiert mit schlĂŒssiger Argumentation Summerhill (23) und macht sich fĂŒr partizipative Praxisforschung stark (32), ohne dabei die in die LektĂŒre versunkene Person zu einem reflexartigen Gegenruf zu provozieren.

Am Ende des ersten Kapitels ist eines klar: Das SchulglĂŒck ist von wesentlicher Bedeutung, greift aber (noch) nicht um sich. Das ist schade, aber auch nachvollziehbar. Denn Burow fordert damit einen wahren Paradigmenwechsel heraus. Im zweiten Teil des Buches verweist der Autor hierzu auf mehrere Konzepte und Theorien, welche die von ihm entworfene ‚Positive PĂ€dagogik‘ inhaltlich stĂŒtzen. Dabei handelt es sich weniger um ein kohĂ€rentes Struktursystem an korrespondierenden wissenschaftlichen AnsĂ€tzen, als vielmehr um ein erfrischendes theoretisches Konglomerat. Methodologisch wĂŒrde man diese Herangehensweise als Beispiel eines praktizierten ‚kritischen Multiplizismus‘ [1] deuten können, der den AnsprĂŒchen des differenzierten Zugangs und der MehrperspektivitĂ€t gerecht wird und sich damit auch legitimiert. Der Autor nimmt in erster Linie auf AnsĂ€tze Bezug, die sich einer umfassenden, prozessorientierten Partizipation verschreiben. Dazu gehören die GestaltpĂ€dagogik (72), das ‚Sense of Coherence‘-Konzept (114), die Theorie der lernenden Organisation (131), die Theorie U (133), die von ihm selbst maßgeblich geformte Theorie des kreativen Feldes (143) und vieles andere. Zudem reanimiert er in diesem Buchabschnitt die Kritik der Ziffernzensur, unternimmt eine Revision des Leistungsbegriffs und veranschaulicht verschiedene Formen des Wissens.

‚Isolierten‘ Konzepten gegenĂŒber Ă€ußert er sich kritisch, selbst wenn diese wissenschaftlich fundiert sind, seien sie doch zu sehr der linearen Implementation verhaftet. Diese kurzgeratene EinschĂ€tzung mag dem einen oder anderen aktuellen wissenschaftsbasierten Schulentwicklungskonzept unrecht tun, sind doch gerade in der jĂŒngeren Vergangenheit an mehreren tertiĂ€ren Institutionen hochspezifische Konzepte dieser Art entworfen, an Schulen implementiert und schließlich evaluiert worden, die alles andere als linear konzipiert sind und sich gerade der von Burow hervorgehobenen PrĂ€misse – der prozessorientierten Partizipation – im Besonderen verpflichten.

Burows ‚Positive PĂ€dagogik‘ reprĂ€sentiert grundsĂ€tzlich einen durch und durch herrschaftsfreien, demokratischen und emanzipatorischen Zugang zur PĂ€dagogik. Vermisst werden in diesem Zusammenhang im zweiten Buchteil differenzierte exemplarische BezĂŒge zu anderen bildungswissenschaftlichen AnsĂ€tzen mit Ă€hnlicher Betonung, wie z. B. das ‚Autonomy-Supportive Teaching‘ [2] die Theorie transformatorischer Bildungsprozesse [3], Kersten Reichs ‚Bausteine der Inklusiven Schule‘ [4], das Konzept des lernseitigen Unterrichts [5], AnsĂ€tze zur demokratischen Schule (z. B. das Sudbury-Valley-School-Modell), die Positive Psychologie [6] oder von John Dewey geprĂ€gte AnsĂ€tze des Forschenden Lernens, um nur ein paar Beispiele anzufĂŒhren. Das Einspinnen dieser und Ă€hnlicher AnsĂ€tze könnte vielleicht auch zur EntschĂ€rfung der unbequemen Burow’schen Kritik an der empirischen Bildungsforschung beitragen, die der gesamt positiven und konstruktiven Konnotation des Buches an einigen Stellen leider einen sanften destruktiven Bruch verpasst. Viele aktuelle pro-partizipative AnsĂ€tze werden nĂ€mlich evaluativ begleitet und – zumindest einige davon – fußen zudem auf tragfĂ€higen Forschungslinien und empirisch untermauerten Theorien. Anders gesagt: Sie zeigen, dass die empirische Bildungsforschung nicht ausschließlich dem kollektiven Messen und Kontrollieren frönt, sondern durchaus den Elementen einer emanzipatorischen PĂ€dagogik der Individuen etwas abgewinnen kann.

Die in der aktuellen Auflage beschriebenen sieben Wege zu Lernfreude und SchulglĂŒck im dritten Teil des Buches sind exemplarische Schulentwicklungsprojekte oder HandlungsansĂ€tze, die ganz offensichtlich das Potenzial zur Weckung von Lernfreude und Förderung von SchulglĂŒck haben. Auf dieselben Beispiele – im Konkreten handelt es sich dabei um die Valentin-Traudt-Gesamtschule, die Werkstattschule Rostock, das Konzept der wertschĂ€tzenden Schulentwicklung, die Zukunftswerkstatt „Gesundheit“, den Index fĂŒr Inklusion, Art-Coaching und die ‚kreative‘ Schule – wurde auch bereits in der Erstausgabe Bezug genommen. Wenngleich diese exemplarischen ZugĂ€nge in der aktuellen Version selbstverstĂ€ndlich in ĂŒberarbeiteter und aktualisierter Form vorliegen, so stellt sich dennoch die Frage nach den konkreten Weiterentwicklungen, die sich in der Zwischenzeit abgezeichnet haben. Der Autor betont zwar bereits auf den ersten Seiten des Buches, dass sich in den letzten zehn Jahren an der gĂ€ngigen schulischen Praxis nichts Wesentliches verĂ€ndert hat. Gleichzeitig verweist der Autor aber auch auf persönlich betreute SchulentwicklungswerkstĂ€tten der letzten Jahre sowie die GrĂŒndung eines Dachverbandes fĂŒr Positive PĂ€dagogik und vermittelt insgesamt im Buch das Bild, dass seither zumindest vereinzelt an Schulen großartige neue Wege eingeschlagen wurden. Gibt es in der Zwischenzeit womöglich mehr als sieben Wege zu Lernfreude und SchulglĂŒck, von denen der Autor in gewohnter praxisnaher Tiefe berichten könnte?

UnabhĂ€ngig von der Überlegung, ob das dritte Großkapitel hinreichend aktualisiert wurde, ist dieser Buchabschnitt allenfalls sehr gehaltvoll, gut an die konzeptuellen und theoretischen Überlegungen des vorhergehenden Abschnitts angebunden und – nicht zuletzt – fĂŒr die Praxis nach wie vor von unerschöpflicher Relevanz. Auf jeder Seite macht der Autor sein enormes Erfahrungswissen aus Begleitprozessen und wissenschaftlichen TĂ€tigkeiten spĂŒrbar und transferiert dieses mannigfach in ganz konkrete, leicht verstĂ€ndliche und unmittelbar umsetzbare Handlungsideen und Empfehlungen. Ein Beispiel: Im Rahmen der Diskussion von Gestaltungsmerkmalen der gesunden Schule erwĂ€hnt der Autor – fast nebenbei – eine Reihe an Punkten (z. B. „fröhliche [
] KlassenrĂ€ume“, „Bewegungsangebote“, „freie Stundeneinteilung“, „mehr GrĂŒn“, „Entspannung“, „Freie Angebote“, 204), die in sich schon eine schlĂŒssige, leicht verstĂ€ndliche und sofort aufgreifbare inhaltliche Rahmung fĂŒr Schulentwicklung darstellen könnten. Dieser Einfachheit ist zuzutrauen, dass sie PĂ€dagog*innen Lust macht, sich am besten noch heute ins prophezeite SchulglĂŒck aufzumachen. Dass auch SchĂŒler*innen Wohlgefallen an Burows Empfehlungen finden werden, ist unumstritten, stellen sie doch Teilhabe, stressfreies Lernen und StĂ€rkenorientierung in Aussicht. Auch auf dieser Ebene wird der Autor konkret. So verweist er beispielsweise auf „Meckerphasen“ (186), in denen SchĂŒler*innen das Äußern ungeschönter Kritik erlaubt wird. An anderer Stelle gesteht er den Lernenden das Recht zu, gewisse Grundkompetenzen nicht zu lernen (24). Die Freiheit der Wahl ist ihm wichtiger, als der Lehrplan. Inhaltliche Leckerbissen, wie die soeben erwĂ€hnten Beispiele, findet man zuhauf im Buch.

Das Buch von Burow ist folglich lesenswert, und zwar fĂŒr eine breite Leser*innenschaft. Es spricht Lehrende und Lernende, Expert*innen und Leien, Dozierende und Studierende, Bildungsermutigte und BildungsgeschĂ€digte gleichermaßen an und offeriert allen Adressierten gangbare „Wege zu Lernfreude und SchulglĂŒck“. Im Besonderen zeigt das Buch auf, dass Schule ganz anders gedacht werden kann, als es aus konventionellen Betrachtungswinkeln ĂŒblich ist. Es unterstĂŒtzt damit eine weitere AnnĂ€herung zur lĂ€ngst fĂ€lligen Revision einer curricular geknebelten, bevormundungsorientierten Schulkultur, die seit Jahrzehnten den vielversprechenden und lernendenseitig gedachten Bildungsbegriff lediglich als Lippenbekenntnis strapaziert und dabei bis zu seinem Versagen deformiert. Wenngleich zukĂŒnftig noch viele Anstrengungen zur Emanzipation einer teilhabeorientierten, demokratischen und ‚glĂŒcklichen‘ Schule notwendig sein werden, so steuert Burow mit seiner ‚Positiven PĂ€dagogik‘ doch zweifellos einen signifikanten und wertzuschĂ€tzenden Anteil dazu bei.

[1] Patry, J.-L. (2013). Beyond multiple methods: Critical multiplism on all levels. International Journal of Multiple Research Approaches, 7 (1), 50–65.
[2] Reeve, J. (2016). Autonomy-Supportive Teaching: What It Is, How to Do It. In W. C. Liu, J. C. K. Wang & R. M. Ryan (Hrsg.), Building Autonomous Learners (S. 129–152). Springer.
[3] Koller, H.-C. (2018). Bildung anders denken: EinfĂŒhrung in die Theorie transformatorischer Bildungsprozesse. Kohlhammer.
[4] Reich, K. (2014). Inklusive Didaktik: Bausteine fĂŒr eine inklusive Schule. Beltz.
[5] Schratz, M. (2009). „Lernseits“ von Unterricht. Alte Muster, neue Lebenswelten – was fĂŒr Schulen? Lernende Schule, 46–47, 16–21.
[6] Snyder, C. R., Lopez, S. J., Edwards, L. M. & Marques, S. C. (Hrsg.). (2021). The Oxford Handbook of Positive Psychology. University Press.

Johannes Reitinger (Wien)
Zur Zitierweise der Rezension:
Johannes Reitinger: Rezension von: Burow, Olaf-Axel: Positive PĂ€dagogik, Sieben Wege zu Lernfreude und SchulglĂŒck (2. Aufl.). Weinheim: Beltz 2021. In: EWR 21 (2022), Nr. 2 (Veröffentlicht am 03.05.2022), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978340725568.html