„Eine zunehmende Anzahl von Lehrerinnen und Lehrern berichtet über schwieriger werdende Bedingungen im Schulalltag und über Konflikte mit Schülerinnen und Schülern, Kolleginnen und Kollegen sowie Eltern: Diese Schwierigkeiten beeinträchtigen die Beziehungen zwischen Lehrkräften und Schülern und stören häufig sowohl den geplanten Unterrichtsablauf als auch das Schulklima. Es entstehen psychische Belastungen, die nicht selten über den beruflichen Rahmen hinaus das private Leben beeinträchtigen.” (Költze u.a. 1990, 5) [1]
Was Hans Dohm, Direktor des Landesinstituts Schleswig-Holstein für Praxis und Theorie der Schule (IPTS), bereits 1990 im Vorwort zum von Horst Költze u.a. mit Mutzeck verfassten Band über „Theorie und Praxis verschiedener Modelle” (ebd.) von „Lehrertraining” (ebd.) geschrieben hat, ist auch heute mit ganz ähnlichen Worten in den Aufsätzen über „Kollegiale Unterstützungssysteme für Lehrer” zu lesen, welche vor einem Jahr von Wolfgang Mutzeck und Jörg Schlee mit verfasst und herausgegeben worden sind.
So hält beispielsweise Jörg Schlee in seinem einleitenden „Plädoyer für eine andere Schulkultur” fest, dass sich Lehrer und Schüler nicht selten „in einer misstrauischen und abschätzigen Haltung gegenüber” stehen. „Schule ist längst kein Hort der ‘Muße’ mehr”, sondern sie ist „für alle Beteiligten der Ort vielfacher Belastungen geworden. Wenn die Gewalt unter Schülern steigt und wenn Schüler ihre Lehrer immer häufiger als Gegner empfinden, dann spricht das nicht für eine Atmosphäre der Offenheit und des Vertrauens. Eine lernförderliche Schulkultur und das motivierende Schulklima erweisen sich in vielen Fällen als frommer Wunsch.” (13) Genau hier setzen so genannte „Kollegiale Unterstützungssysteme” ein: Wie auch immer die einzelnen Formen und Instrumente gegenseitiger Beratung und Unterstützung von Lehrpersonen heissen, sie zielen alle auf die (Weiter)Entwicklung pädagogischer und kommunikativer Kompetenzen, auf die erfolgreiche Bewältigung anspruchsvoller Situationen im Berufsalltag und damit auf die Verbesserung des Unterrichts- wie des Schulklimas; gemeinsam ist ihnen darüber hinaus, dass sie bei den fachlichen und persönlichen Ressourcen der Lehrpersonen einsetzen, denen professionelles Expertenwissen für Lehr-Lern-Prozesse ebenso zugestanden wie vielfältige Erfahrungen und grundlegende Fähigkeiten zur Zusammenarbeit und zur Konfliktlösung zugetraut und zugemutet werden.
Im Einzelnen geht es um Beratungskonzepte und Methoden kollegialer Unterstützung wie „Kommunikative Praxisbewältigung in Gruppen (KOPING)” von Eva-Maria Schmidt und Diethelm Wahl, „Kooperative Entwicklungsberatung zur Stärkung der Selbststeuerung (KESS)” von David Ebert und Bernhard Sieland, „Kollegiale Beratung und Supervision (KoBeSu)” von Jörg Schlee oder „Wechselseitiges Lehren und Lernen (WELL)” von Diethelm Wahl. Die Mehrzahl dieser Methoden und Konzepte fusst auf den Ideen einer humanistischen Psychologie und orientiert sich darüber hinaus an konstruktivistischen, lösungs- und ressourcenorientierten Vorstellungen; dass sie im Weiteren allesamt aus der Gegend von SCHILF im Sinne von „Schulinterner Lehrerinnen- und Lehrerfortbildung” stammen und als Weiterentwicklungen der eingangs erwähnten Formen von „Lehrertraining” (Költze 1990) wie etwa dem „Problemorientierten Training (PoT)” (ebd. 89ff.) von Waldemar Pallasch und Heino Reimers gelten können, wird zwar in den Beiträgen nur am Rande erwähnt, ist aber offensichtlich. Den Leserinnen und Lesern wird auf diese Weise eine attraktive Auswahl von methodischen Konzepten kollegialer Beratung präsentiert, welche zweifellos dazu geeignet sind, individuelle Bedürfnisse beruflicher Entwicklung in Gruppen ebenso wie unterschiedliche Rahmenbedingungen des Berufsalltags von Lehrpersonen aufzugreifen und zu fördern; ausserdem vermitteln die referierten Konzepte sowohl grundlegende Prinzipien gelingender Beratungsprozesse wie auch übergreifende Ideen einer lebendigen Schulkultur durchwegs praxisorientiert und zugleich theoretisch fundiert.
Dies ist der Tatsache zu verdanken, dass fünfzehn namhafte Autorinnen und Autoren in ebenso vielen Beiträgen ein breites Spektrum erprobter Möglichkeiten kollegialer Beratung und Unterstützung abdecken: Reflektiertes Wissen und reiche Erfahrung bilden dabei die Grundlage und machen aus dem Sammelband eine Art Handbuch, welches weder fromme noch andere Wünsche offen lässt und interessierten Lehrpersonen ebenso wie Dozierenden der Lehrerinnen- und Lehrerbildung eine Vielfalt von ausgezeichneten Beispielen, hilfreichen Instrumenten und nützlichen Hinweisen bietet, welche sowohl für angehende wie auch für berufstätige Lehrerinnen und Lehrer gangbare Wege zu einer Schulkultur aufzeigen, in welcher aktuelle Probleme und Schwierigkeiten engagiert wahrgenommen und lösungsorientiert bearbeitet werden: Damit sind die bereits 1990 und davor wie auch 2008 und danach berichteten „schwieriger werdende[n] Bedingungen im Schulalltag” (Költze 1990, 5) zwar nach wie vor belastende Realität, aber die aufgezeigten Wege und Möglichkeiten können dazu beitragen, der Utopie einer „anderen Schulkultur” zumindest punktuell zum Durchbruch zu verhelfen.
[1] Költze, Horst u.a. (1990): Lehrertraining. Theorie und Praxis verschiedener Modelle. Bad Heilbrunn.
EWR 8 (2009), Nr. 4 (Juli/August)
Kollegiale Unterstützungssysteme für Lehrer
Gemeinsam den Schulalltag bewältigen
Stuttgart: Kohlhammer 2008
(182 S.; ISBN 978-3-17-020022-7; 23,00 EUR)
Johannes Gruntz-Stoll (Basel)
Zur Zitierweise der Rezension:
Johannes Gruntz-Stoll: Rezension von: Mutzeck, Wolfgang / Schlee, Jörg (Hg.): Kollegiale Unterstützungssysteme für Lehrer, Gemeinsam den Schulalltag bewältigen. Stuttgart: Kohlhammer 2008. In: EWR 8 (2009), Nr. 4 (Veröffentlicht am 31.07.2009), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978317020022.html
Johannes Gruntz-Stoll: Rezension von: Mutzeck, Wolfgang / Schlee, Jörg (Hg.): Kollegiale Unterstützungssysteme für Lehrer, Gemeinsam den Schulalltag bewältigen. Stuttgart: Kohlhammer 2008. In: EWR 8 (2009), Nr. 4 (Veröffentlicht am 31.07.2009), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978317020022.html