EWR 6 (2007), Nr. 2 (März/April 2007)

Monika Plath / Karin Richter
Die Bildwelten der Warja Lavater "Schneewittchen"
Modelle und Materialien fĂĽr den Literaturunterricht (Klasse 1 bis Klasse 5)
Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2006
(48 S.; ISBN 3-89676-958-8; 18,00 EUR)
Die Bildwelten der Warja Lavater "Schneewittchen" Wenn es bisher schwierig war, die Lesemotivation von Kindern zu fördern, gelingt es jetzt bestimmt erfolgreich mit dem Buch: Die Bildwelten der Varja Lavater „Schneewittchen“. Die Autorinnen beschreiben zunächst die Idee der Schweizer Grafikerin und Malerin Warja Lavater. Sie übersetzt einen erzählerischen Text in eine graphisch bildliche Reihenfolge. Das heißt, dass sie alle zentralen Geschehnisse durch Piktogramme, genauer noch durch grafische Symbole wiedergibt. Bei einem solchen Verfahren wird der Text bewusst reduziert. Damit eröffnet sich für den Betrachter und „Leser“ Raum für Kreativität in der bildnerischen Gestaltung und im sprachlichen Handeln.

Das Buch enthält 20 beiliegende Bildkarten mit grafischen Bildzeichen, die jeweils eine Handlung oder verschiedene Figuren repräsentieren. Zum Märchen „Schneewittchen“ erscheint auf der ersten Bildkarte als Ausgangssituation ein großer gelber (Gold) Kreis, in dessen Mitte sich ein schwarzer (böse) runder Fleck befindet. Direkt darüber ist eine kleinere Wiederholung des Bildes zu betrachten. Allerdings ist dieses von einem gelben Rechteck auf weißem Hintergrund umrahmt. Die böse Königin ruft den Spiegel an: „Spieglein, Spieglein an der Wand….“. Außerhalb des so dargestellten Handlungsraumes zeigt sich auf der zweiten Karte, links neben der Königin, Schneewittchen. Ein roter Punkt vor grau weißem Hintergrund, umrahmt von einem schwarzen Kreis (Ebenholz). Der Jäger wird auf Karte 5 als großer brauner Kreis in mitten, das Bild ausfüllender, grüner Punkte dargestellt, direkt neben dem Jäger: Schneewittchen (roter Punkt vor weißem Hintergrund umrahmt von einem schwarzen Kreis). Auf Karte 13 tritt schließlich ein blauer, Hoffnung symbolisierender Punkt – zunächst als Halbkreis – in das Bild: der Prinz. Auf diese Weise entwickelt sich auf den nummerierten Karten nacheinander das Märchen.

Der besondere Reiz des Buches liegt darüber hinaus in der didaktisch-methodischen Aufbereitung. Die Handlung ist nicht nur dargestellt, sondern die Autorinnen liefern die Idee, die Abfolge von Bildzeichen im Unterricht zu erproben. Das Material ist Grundlage für eine sehr vielschichtige Verwendung und Bearbeitung und will – auf den verschiedenen Klassen- und Schulstufen – zum Lesen verlocken. Eine erste Konfrontation mit den Piktogrammen von Lavater führt nicht selten bei den erwachsenen Lernern zunächst zur Irritation. Junge Kinder assoziieren in der Tat frei und unbefangen Figuren und Handlungen. Sie nehmen Zuordnungen vor und erzählen das Märchen entlang der Bildfolgen. In der Einleitung beziehen sich Monika Plath und Karin Richter auf ihre Erfurter Studie (2005) und skizzieren vor diesem Hintergrund ihre theoriegeleiteten Praxisvorschläge. Das Ziel ist: „Kindern im Grundschulalter Zugänge zu vielschichtigen literarischen Geschichten zu ermöglichen.“ Ihre didaktischen Vorschläge sind Anhaltspunkte für eigene kreative und literaturdidaktische Entscheidungen. Es bleibt dem Lehrenden überlassen, gemeinsam mit den Schüler/innen Ideen zur Erarbeitung zu entwickeln. Das kann in Gruppenarbeit, in Projekten und vor allem auch im fachübergreifenden Unterricht geschehen. Schwerpunktmäßig lassen sich verschiedene Elemente der Sprachhandlung von der schriftsprachlichen über die mündliche Handlungskompetenz fördern.

Zum Beispiel kann das Kind beim Aufdecken des ersten Bildes frei assoziieren. Die unbezeichneten Bildinhalte kann es sich entweder ohne Hilfe erschließen oder aber beim Stichwort Märchen „Schneewittchen“ nennen. In spielerischen Zugriffen wird den rätselhaften Bildern eine Bedeutung verliehen. Aus den Beschreibungen, Assoziationen und begleitenden Kommentaren entwickeln die Kinder den Märchentext. Voraussetzung ist allerdings, dass das Märchen annähernd bekannt ist, dieses kann, da die Schülerinnen und Schüler in sehr unterschiedlichen Lebenskontexten aufwachsen, nicht unbedingt vorausgesetzt werden, so dass zum Teil auch unterstützende Verstehensleistungen seitens der Lehrkraft zu leisten sind. Insofern ist zu überlegen, ob nicht im Vorfeld eine Unterrichtseinheit „Märchen“ aufzugreifen ist.

Das Buch eignet sich ganz besonders auch für die Entwicklung einer fachübergreifenden Unterrichtsreihe Deutsch und Kunst. Varja Lavater „wählt für ihre Symbolik strenge Geometrien: den Kreis, das Dreieck, das Rechteck und Linien. Jeder Figur wird eine kalte oder warme Farbe zugeordnet. Die so entwickelten Choreographien und Szenarien ermöglichen auf eine ganz direkte Weise ein tiefes Eindringen in den Sinngehalt und den spezifischen Zauber von Märchen.“ Über ihre eigenaktive künstlerische Gestaltung erschließen sich die Schüler/innen Textinhalte oder sie lassen gedanklich Symbole entstehen, die sie in Form und Farbe umsetzen.

Der Reiz des Buches liegt vor allem in den individuellen Möglichkeiten, den Kindern einen Zugang zu Märchentexten zu eröffnen. Es wird nicht im Gleichschritt gearbeitet. Die Lehrende regt Lernprozesse an, beobachtet den Zugriff des Kindes und macht Lernangebote unter Berücksichtigung der Lernausgangslage. Damit wäre, was die didaktische Umsetzung so wie sie im Buch dargestellt ist, eine konstruktive Kritik anzubringen. Die Autorinnen können noch mehr Mut haben, weniger lenkend in den Lernprozess einzugreifen. Die Aufgabe, das Märchen zu durchdringen, zu gestalten, muss nicht für alle gleich lauten. Kinder wählen ein Bild und erschließen sich den Inhalt – möglicherweise auch schriftlich – auf unterschiedliche Weise. Hier sind vielfältige Variationen, wie Textbausteine, assoziative Übungen usw. möglich.

Besonders hervorzuheben sind letztlich die Spielanregungen wie Schattenspiel, Tischfiguren, aber auch das angeleitete Rollenspiel, in dem die Kinder über sprachliche Regelungen wie „ich bin das Schneewittchen. Ich….“ in die jeweilige Rolle hineinschlüpfen, so dass Identifikationen ermöglicht werden. Daran sich anschließende Reflexionsphasen führen ebenso wieder zur nötigen Distanz und zu Perspektivwechseln. Schneewittchen ist eben doch ein Märchen.

Der Leser des Buches kann sich auf weitere Bände „Bilder erzählen Geschichten – Geschichten erzählen zu Bildern“, die ebenfalls im Schneider Verlag erschienen sind und noch erscheinen werden, freuen.
Dagmar Sommerfeld (Dortmund)
Zur Zitierweise der Rezension:
Dagmar Sommerfeld: Rezension von: Plath, Monika / Richter, Karin: Die Bildwelten der Warja Lavater "Schneewittchen", Modelle und Materialien fĂĽr den Literaturunterricht (Klasse 1 bis Klasse 5). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 2 (Veröffentlicht am 28.03.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/89676958.html