EWR 4 (2005), Nr. 4 (Juli/August 2005)

Sönke Ahrens
Bildung, Naturwissenschaft und Technik
Zur bildungstheoretischen Bedeutung der neueren Wissenschafts- und Technikforschung
MĂĽnster: Waxmann 2005
(112 S.; ISBN 3-8309-1482-2; 14,90 EUR)
Bildung, Naturwissenschaft und Technik Nach wie vor besteht ein äußerlich distanziertes Verhältnis der Bildungstheorie zu Naturwissenschaft und Technik. Beide tragen entscheidend zu den gesellschaftlichen Transformationsprozessen bei, die gegenwärtig die Bildungsinstitutionen und die Erziehungswissenschaft herausfordern: „Entsprechend wird in den verschiedenen Teilbereichen der Erziehungswissenschaft ebenso über Chancen und Gefahren des Einsatzes neuer Medientechniken debattiert, wie über aktuelle Herausforderungen für den Ethikunterricht durch neuartige Biotechniken. Im Kontrast dazu fällt die Zurückhaltung der Bildungstheorie hinsichtlich Naturwissenschaft und Technik auf. Während einerseits die Notwendigkeit einer Neubestimmung des Bildungsbegriffs häufig mit dem Hinweis auf historisch neuartige naturwissenschaftlich-technische Entwicklungen begründet wird, mangelt es andererseits an grundlegenden Analysen des Verhältnisses von Bildung, Naturwissenschaft und Technik“ (7).

Diesem Desiderat begegnet Ahrens mit grenzüberschreitenden Überlegungen. Ziel seiner bildungstheoretischen Auseinandersetzung ist es, „zu einer Alltagsperspektive auf Bildungsprozesse in naturwissenschaftlich-technisch geprägten Gesellschaften zu gelangen“ (14). Er analysiert und diskutiert Gründe für die nicht überwundenen Schwierigkeiten und fragt, inwiefern eine Neubewertung des naturwissenschaftlichen Experiments der Schlüssel zum Verständnis von Bildung sein könnte. Grundlage sind Publikationen der neueren Naturwissenschafts- und Technikforschung, die sich durch ein hohes Maß an Heterogenität und ein geringes Maß an Systematik auszeichnen.

Die grundlegende These von Ahrens lautet, dass die eingangs geschilderten Probleme „mit der ungeklärten Bewertung der Materialität der ins transformatorische Geschehen (in irgendeiner Weise) Involvierten (Personen, Maschinen, Organismen, ...) zusammenfallen, die mehr ist als ihre bloße Widerständigkeit“ (14).

Den bildungstheoretischen Orientierungspunkt bilden Arbeiten von Peter Euler und Helmut Peukert, die beide die Veränderungen im naturwissenschaftlich-technischen Bereich nicht nur als Bildungsproblem, sondern auch als Problem der Bildungstheorie begreifen und behandeln. Die Autoren gewichten die Problematik unterschiedlich. Eulers Überlegungen basieren auf der „Zwei-Kulturen-These“ von C.P. Snow, der zwischen der naturwissenschaftlich-technischen und der „literarischen“ Kultur ein feindseliges Verhältnis behauptet. Bildung geschieht, so Snow, nicht jenseits dieser Spaltung, sondern Bildung selbst, wie auch das Denken über sie, sei durch die Spaltung bestimmt. Als Gründe für die Spaltung (Zerrissenheit) der Kulturen benennt Euler die Dichotomie der ‚vorgängigen Einteilung der Kultur nach Zweck und Mittel’. Bildung ordnet er einem Bereich jenseits dieser zwei Kulturen zu. Insgesamt gesehen richtet Euler sein Augenmerk auf Naturwissenschaft. Peukert demgegenüber konzentriert sich auf den Aspekt Technik. Dessen Ausführungen zielen in Richtung Wissenschaftstheorie und deren Geschichte. Ahrens referiert die entsprechenden theoretischen Diskurse sehr ausführlich und sehr anschaulich.

Den theoretischen Voraussetzungen zur Fassung von Bildungsprozessen, die in konkretem Bezug zum Gegenstandsbereich von Naturwissenschaft und zu gegenständlicher Technik stehen, geht Ahrens beispielhaft am Alltag des naturwissenschaftlichen Labors nach. Alltag ist hier in einem kulturtheoretischen Verständnis (nach K.H. Hörning) gefasst, als etwas, das – grob gesagt – an allen Tagen und in allen Lebensbereichen stattfindet – hier bezieht es sich auf den Umgang mit Technik.

Da sich das Forschungsinteresse von Ahrens auf „Momente transformatorischen Geschehens“ richtet, denen im naturwissenschaftlich-technisch geprägten Alltag der Status von Bildung zukommen könnte, konzentriert er seine Aufmerksamkeit auf das naturwissenschaftliche Labor. Ahrens versteht das Labor als Ort, an dem sich Charakteristika naturwissenschaftlich-technisch geprägter Gesellschaft in konzentrierter Form wiederfinden: „Das Labor ist nicht einfach der Ort, an dem Naturwissenschaft stattfindet – es ist ein Ort, der selbst in einem Maße naturwissenschaftlich-technisch geprägt ist, wie sonst kaum ein anderer. Hier finden sich auf engem Raum unterschiedliche Ergebnisse vorangegangener, Bestandteile aktueller und Bruchstücke zukünftiger naturwissenschaftlich-technischer Arbeit in Form von Wissen, Geräten, Instrumenten, Organismen, Schriften, Arrangements. Und es ist der Ort, an dem sich zweifellos mehr oder weniger grundlegende Transformationen des Verständnisses von der Welt und vom Menschen ereignen“ (13). Gerade diesen Argumentationsschritt erläutert Ahrens plausibel und führt ihn konsequent weiter.

Insgesamt gesehen erweist sich die knapp 100 Seiten umfassende Studie als sehr interessanter Beitrag, der sicherlich auch lesenswert für Studierende der Erziehungswissenschaften ist. Umfang, Anlage und die zahlreichen Legitimationen ob seines gewählten Untersuchungs- und Analysegangs legen die Vermutung nahe, dass es sich hier um die Examensarbeit des Diplom-Pädagogen handelt (im Buch finden sich leider keine Angaben dazu). Gleichwohl oder gerade deshalb ist die Arbeit und deren Qualität lobens- und beachtenswert. Der Autor sieht das hier vorgelegte Buch als ersten Ansatz für weitere Überlegungen. So muß der Text auch verstanden werden: Ein Grundriss mit vielen Fragen, die nicht immer vollständig beantwortet werden. Doch regen sie und die von Ahrens vorgebrachten Kritiken immer zum Nachdenken an und werden, so stellt es Ahrens an mehreren Stellen deutlich heraus, in einer späteren Arbeit weiter diskutiert – darauf darf man gespannt sein.

René Börrnert (Braunschweig)
Zur Zitierweise der Rezension:
RenĂ© Börrnert: Rezension von: Ahrens, Sönke: Bildung, Naturwissenschaft und Technik, Zur bildungstheoretischen Bedeutung der neueren Wissenschafts- und Technikforschung, MĂĽnster: Waxmann 2005. In: EWR 4 (2005), Nr. 4 (Veröffentlicht am 10.08.2005), URL: http://klinkhardt.de/ewr/83091482.html