EWR 1 (2002), Nr. 3 (Juli 2002)

Hans Merkens/Thomas Rauschenbach/Horst Weishaupt (Hrsg.)
Datenreport Erziehungswissenschaft 2
Ergänzende Analysen
Opladen: Leske und Budrich 2002
(163 Seiten; ISBN 3-8100-3510-6; 10,00 EUR)
Datenreport Erziehungswissenschaft 2 Der vorliegende Band greift einige jener Desiderata auf, die der im Jahre 2000 erschienene erste Band des "Datenreports" offen gelassen hatte. Nach der tour d´horizon des Vorläufers werden nun in vier Schwerpunkten "Spezialfragen" zur Lage der Erziehungswissenschaft bearbeitet: Die Lehrerbildung, die Studierenden, die Absolventen erziehungswissenschaftlicher Studiengänge sowie zwei Aspekte der "Erziehungswissenschaft als Wissenschaft".

Lehrerbildung wird im Beitrag von Weishaupt im Blick auf ihre Niederschläge in der Statistik untersucht. D.h. vor allem, die Konjunkturen der Nachfrage nach den verschiedenen Lehramtsstudiengängen im Zeitrahmen von ca. 1980 bis 2000 zu beobachten. Obgleich es in den Studierendenfrequenzen einzelner Lehrämter in diesem Zeitraum zu starken Schwankungen gekommen ist, bleibt doch, so ein erster Befund, die Gesamtnachfrage im Bereich der Lehramtsstudiengänge durchaus konstant. Bei zugrunde gelegter Variation der Einstellungspraxis der Bundesländer produzieren die Lehramtsstudiengänge kontinuierlich einen Überhang von etwa 15 Prozent Absolventen, die nicht in den Schuldienst eingestellt werden; im Vergleich überproportional sind hiervon die Grundschul- und die Gymnasiallehrerausbildung betroffen. Zukunftsperspektiven werden von Weishaupt abschließend im Vergleich zweier Bedarfsprognosen (Klemm und KMK) angedeutet: Beiden Analysen zufolge würden bei Fortschreibung der gegenwärtigen Ausbildungskapazitäten bis 2010 bzw. 2015 weitaus zu wenig Lehrer ausgebildet.

Eine Synopsis der verschiedenen Lehrerausbildungsmodelle in der Bundesrepublik bietet anschließend Gabriele Bellenberg. Noch einmal werden hierbei die zum Teil gravierenden Differenzen zwischen den Bundesländern insbesondere im Bereich der erziehungswissenschaftlichen Studien deutlich. Welche Konsequenzen de facto diesen Diskrepanzen zurechenbar sind, wissen wir aber nach Bellenberg schon deshalb nur unzureichend, weil vergleichende Studien zur "Wirksamkeit verschiedener Lehrerbildungsmodelle" nicht vorliegen (S.43).

Der "sozialen Lage" sowie den "Ausbildungsbedingungen in pädagogischen Studiengängen" widmen sich Schmidt/Schuchart in ihrem Beitrag, der auf Daten des Deutschen Studentenwerks zurück greifen kann. Ihre Analyse betritt insofern Neuland, als eine fächerbezogene Interpretation der Sozialdaten bislang nicht verfügbar war. Die Autorinnen können auf eindrucksvolle Weise zeigen – indem sie Studierende der Psychologie, der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften vergleichend berücksichtigen -, dass "fach- und studiengangsbezogene Differenzierungen bei der Betrachtung der studentischen Lebenssituation" (S. 46) unbedingt herangezogen werden müssen, um das oft beklagte Studierverhalten von Pädagogikstudenten ins rechte Licht rücken zu können. Der wohl markanteste Befund ist darin zu sehen, dass sich Diplompädagogik-Studierende in ihren sozialstrukturellen Merkmalen (vor allem "bildungsfernes Sozialmilieu") von Universitätsstudenten insgesamt unterscheiden. Möglicherweise hängt hiermit ursächlich eine Reihe weiterer Befunde zusammen: Sie haben im Vergleich die geringsten Kenntnisse der englischen Sprache; sie finanzieren mehr als andere ihr Studium durch Erwerbsarbeit; sie "verbringen (..) die geringste Zeit in Lehrveranstaltungen" und investieren auch sehr wenig Zeit in das Selbststudium – insgesamt restringiert das Studium der Erziehungswissenschaft nach diesen Daten immer mehr zu einem "Teilzeitstudium" (S. 69).

Bislang besaß die Disziplin kein Wissen über ihre Absolventen. Erste Ergebnisse der repräsentativen DFG-Arbeitsmarkt-Verbleibsstudie für DiplompädagogInnen legen nun Rauschenbach u. a. vor. Es zeigt sich – neben einer Fülle sehr informativer Detailbefunde – als strukturelle Tendenz insbesondere, dass weniger als 4 Prozent der Absolventen der Diplompädagogikstudiengänge auch ein Jahr nach ihrem Abschluss noch nicht in ein Beschäftigungsverhältnis eingemündet sind. Blickt man speziell auf die Eingruppierung in Besoldungsstufen (BAT), so machen sich zwar durchaus Differenzen zwischen Teildisziplinen bemerkbar, auf die Gesamtpopulation bezogen lässt sich jedoch zeigen, dass "weniger die Studienrichtung oder das Geschlecht als vielmehr das Arbeitsfeld darüber entscheidet, wer wie eingruppiert wird" (S. 97). Ein weiteres aufschlussreiches Datum der Studie besteht darin, "dass die erfolgreiche berufliche Platzierung von Diplompädagoginnen stets von einer überdurchschnittlichen Stellenexpansion" getragen worden ist (S. 98): Ein Drittel der im Survey Befragten hat nämlich neu geschaffene Stellen inne. Insgesamt, so die AutorInnen, seien die Beschäftigungsverhältnisse ausbildungsadäquat, sodass im Resumee durchaus von einer erfolgreichen Institutionalisierung des Diplomstudienganges im Blick auf die Arbeitsmarktplatzierungen seiner AbsolventInnen gesprochen werden kann.

Maren Heise setzt in ihrem Beitrag die Debatten um die "Entgrenzung des Pädagogischen" mit empirischen Daten zur Erwerbstätigkeit von DiplompädagogInnen ins Verhältnis. Freilich sollte man der Autorin zufolge von dieser Relationierung nicht mehr als erste "Hinweise" erwarten. Denn zunächst wird in dieser knappen Studie nur heuristisch das "Engrenzungsphänomen" mit einer generell zu beobachtenden zunehmenden Nachfrage nach "Vermittlungskompetenzen" identifiziert, die auch – wen überrascht dies? – in nicht grundständig pädagogischen Berufen an Bedeutung gewinnen.

Über Ausdifferenzierung und Identität einer Disziplin können die Denominationen ihrer Professuren Aufschluss geben – so die Ausgangsvermutung von Merkens/Dreyer. Doch schon ein erster Blick lehre, "dass die Besetzung einer Stelle (..) mit einer bestimmten Zweckbestimmung noch keine Aussagen dazu erlaubt, wie diese Stelle ausgefüllt wird" (S. 128). So besteht denn ein Großteil des Beitrags darin, die zahlreichen Schwierigkeiten zu beschreiben, die sich einer Erfassung der Denominationen der Erziehungswissenschafts-Professuren in den Weg stellen. Diesen mangelt es vor allem an "Trennschärfe" (S. 130), die erforderlich wäre, um für die "Darstellung des Faches" nützlich zu sein. Als besonders erschwerender Faktor erweise sich das nicht deutliche Zusammenspiel von institutionengebundener Systematik (z. B. "Schulpädagogik") und Fachsystematik (z. B. "Allgemeine Pädagogik"). Im Grunde könne die derzeitige "unbefriedigende" Datenlage nur dann verändert werden, wenn man gezielt die aktuelle Situation der Stellenausfüllung an jedem einzelnen Hochschulstandort erheben würde.

Im abschließenden Beitrag untersucht Weishaupt die "Entwicklung außeruniversitärer Bildungsforschung und universitärer erziehungswissenschaftlicher Forschungseinrichtungen" (S. 143). Dem Ausbau außeruniversitärer Forschungsstellen in den 60er/70er Jahren sei in den 90er Jahren ein massiver "Rückentwicklungsprozess" gefolgt (S. 149). Dies könne, so Weishaupt, in der Perspektive bedeuten, dass sich die Forschungserwartungen verstärkt der "universitären Erziehungswissenschaft" zuwenden. Zusammen mit anderen Entwicklungen (z. B. dem Raumgewinn der Hauptfachstudierenden der Erziehungswissenschaft) führe dies zu einem Wandel der Erziehungswissenschaft als "Begleitfach im Rahmen des Lehramtsstudiums" (während sich nach den Denominationen – siehe Merkens/Dreyer – die Erziehungswissenschaft noch immer als "lehrerbildende Wissenschaft" präsentiert) und der Notwendigkeit, "spezifische Forschungsprofile" mit den verschiedenen Diplompädagogik-Studiengängen zu verknüpfen. Noch weitgehend offen bleibe aber die Frage, mit welchen Konsequenzen möglicherweise dann zu rechnen ist, wenn die Diskussion einer "forschungsbasierten Lehrerausbildung" umgesetzt wird.

Insgesamt erweist sich der Band als eine überaus sinnvolle Ergänzung zum ersten Datenreport. Gleichwohl bleiben auch jetzt noch einige Wünsche im Detail offen – z.B. der, wissen zu wollen, wie es um die "Forschung" in der Erziehungswissenschaft (die sich ja nicht in der quantitativen Erfassung von Publikationen erschöpft) bestellt ist. Kein Zweifel jedoch schon jetzt: Für jeden Erziehungswissenschaftler sollten die "Datenreports" zur Pflichtlektüre gehören. Aber man kann sich auch vorstellen, dass beispielsweise der Text zur sozialen Lage der Pädagogikstudenten oder der zum Verbleib auf dem Arbeitsmarkt in der Lehre manchen Zündstoff für Seminardiskussionen bietet.
Andreas von Prondczynsky (Universität Flensburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Andreas von Prondczynsky: Rezension von: Merkens, Hans / Rauschenbach, Thomas / Weishaupt, Horst (Hg.): Datenreport Erziehungswissenschaft 2, Ergänzende Analysen, Opladen: Leske und Budrich 2002. In: EWR 1 (2002), Nr. 3 (Veröffentlicht am 01.07.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/81003510.html