EWR 1 (2002), Nr. 3 (Juli 2002)

Hans JĂŒrgen Apel / Heidemarie Kemnitz / Uwe Sandfuchs (Hrsg.)
Das öffentliche Bildungswesen
Historische Entwicklung, gesellschaftliche Funktionen, pÀdagogischer Streit
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2001
(336 Seiten; ISBN 3-7815-1165-0; 20,00 EUR)
Das öffentliche Bildungswesen Der anzuzeigende Band enthĂ€lt die anlĂ€sslich der 1999 stattgehabten Jahrestagung der Sektion Historische Bildungsforschung der Deutschen Gesellschaft fĂŒr Erziehungswissenschaft zur Geschichte des â€˜Ă¶ffentlichen Bildungswesens’ vorgelegten BeitrĂ€ge. Das Herausgeberteam hat sich bemĂŒht, die Texte sinnvoll zu gruppieren, was zwar gelingt, jedoch einige abrupte thematische ÜbergĂ€nge nicht verhindern kann.

Trotz dieses Vorbehalts, den Tagungsdokumentationen meistens hervorrufen, empfiehlt sich die LektĂŒre der abgedruckten AufsĂ€tze, die in den einleitenden Bemerkungen der Herausgeber vor dem Hintergrund einer derzeit nicht gerade blĂŒhenden Historischen Bildungsforschung situiert werden. Denn abgezielt wird auf die Darstellung von sowohl kurzfristigen Prozessen als auch auf die Perspektive der ‚longue durĂ©e’ im öffentlichen Bildungswesen, die "immer im Kontext gesellschaftlicher FunktionalitĂ€t verlaufen" (S. 10). Damit rĂŒcken insbesondere Entwicklungshemmnisse und –anstösse im Bereich der öffentlichen Bildung ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Über die Kategorien ‚gesellschaftliche Funktionen’ und ‚pĂ€dagogischer Streit’ soll die Entwicklung des öffentlichen Bildungswesens "sinnvoll erhellt und erschlossen" (ebda.,) werden. Dieser Versuch erfolgt in vier ‚AnlĂ€ufen’, welche die Einteilung des Bandes abbilden.

ZunĂ€chst geht es um ‚Systemdynamik und Systemreflexion’, wo die Periodisierung des Bildungswachstums in der Moderne (Nath), das deutsche Bildungswesen im 19. und 20. Jahrhundert (Drewek) und die Frage, ob universalistische Bildungssysteme re-partikularisiert wĂŒrden (Zymek) erörtert werden.

Im Abschnitt zur ‚Regionalen Strukturbildung’ stehen die von Geistlichen beförderte Schulreform in WĂŒrzburg und Passau im 18. Jahrhundert (Laudenbach), die Reform der Elementarschulen in der Provinz Brandenburg im frĂŒhen 19. Jahrhundert (Schmitt), die Kontroverse um das humanistische und realistische Gymnasium (Apel), die Entwicklungsmuster gymnasialer Bildung in Brandenburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts (Tosch) und die Entwicklung des öffentlichen Bildungswesens in Österreich (Engelbrecht) zur Diskussion.

Im dritten Abschnitt geht es um MĂ€dchenschulen und Frauenbildung – um das elementare MĂ€dchenschulwesen zwischen traditioneller und bĂŒrgerlicher Schulerziehung, um die Höhere MĂ€dchenschule in Preussen zwischen 1848 und 1918 (Hansen-Schaberg), um die Verstaatlichung der MĂ€dchenschulen in Bremen 1922 (Drechsel) und um Helene Langes Beitrag zur Entwicklung des öffentlichen Bildungswesens ins Preussen.

Im abschliessenden Abschnitt werden Argumente und Diskurse der realen Entwicklung gegenĂŒbergestellt. Themen sind das ‚politische Elend der philanthropischen PĂ€dagogik‘ (SĂŒnkel), Diesterwegs ‚Hamburger Schulplan’ (R. Hohendorf), die Argumente, welche zur Institutionalisierung des Systems beruflicher Bildung in Preussen (1870-1919) gefĂŒhrt haben, die Diskussion um das Privatschulwesen anlĂ€sslich der Reichsschulkonferenz (Wigger), die TĂ€tigkeit der ‚Abteilung fĂŒr Erziehungswissenschaft und Jugendkunde’ der Erfurter Akademie GemeinnĂŒtziger Wissenschaften im stĂ€dtischen Schulwesen um 1920 (Lesanovsky), Sprangers Stellung im Spektrum des Weimarer Konservativismus’ (SchlĂŒter) und der Umgang mit Minderheiten in der öffentlichen Schule der DDR (Griese).

Die vielfÀltigen Herangehensweisen an die thematisierten Sachverhalte vor dem Hintergrund des ausgewÀhlten Blickwinkels belegen zugleich, wie ergiebig die historische Argumentation ist und wie kurzsichtig sich eine heute oft historisch blind agierende Bildungspolitik ausnimmt. Wer bildungsgeschichtlich interessiert ist sollte demzufolge dieses Buch ebenso lesen wie in der bildungspolitisch Verantwortliche. Nur der Blick in die Geschichte des Bildungswesens legt dessen Reformpotential frei.
Hans-Ulrich Grunder (TĂŒbingen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Hans-Ulrich Grunder: Rezension von: Apel, Hans JĂŒrgen / Kemnitz, Heidemarie / Sandfuchs, Uwe (Hg.): Das öffentliche Bildungswesen, Historische Entwicklung, gesellschaftliche Funktionen, pĂ€dagogischer Streit, Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2001. In: EWR 1 (2002), Nr. 3 (Veröffentlicht am 01.07.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/78151165.html