EWR 5 (2006), Nr. 4 (Juli/August 2006)

Wolfgang Böttcher / Heinz Günter Holtappels / Michaela Brohm (Hrsg.)
Evaluation im Bildungswesen
Eine EinfĂĽhrung in Grundlagen und Praxisbeispiele
(Grundlagentexte Pädagogik)
Weinheim, MĂĽnchen: Juventa 2006
(318 S.; ISBN 3-7799-1530-8; 19,50 EUR)
Evaluation im Bildungswesen Mit dem Sammelband „Evaluation im Bildungswesen“ legen die Herausgeber die Ergebnisse einer Tagung vor, die die Kommission Bildungsorganisation, Bildungsplanung und Bildungsrecht in der Sektion für Empirische Bildungsforschung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft durchgeführt hat. Wie der Untertitel des Buches signalisiert, soll die Publikation – was für einen Tagungsband eher ungewöhnlich ist –, zugleich als Einführung in die Evaluationsforschung und Evaluationspraxis im Bildungsbereich dienen. In ihrer Einleitung in den Sammelband weisen die Herausgeber darauf hin, dass die präsentierten Aufsätze insgesamt „kaleidoskopartig“ ein „differenziertes Bild“ ihres Gegenstandes zeichnen. Dem ist zuzustimmen. Ob sich auf diese Weise auch eine „Gesamtsicht auf die Thematik ergibt, die dem Anspruch einer Einführung genügt“, überlassen die Herausgeber freilich dem Urteil ihrer Leserschaft. Um die Pointe vorwegzunehmen, die Frage ist mit einem erklärten „jein“ zu beantworten.

Von einer EinfĂĽhrung in die Evaluationsforschung und Evaluationspraxis im Bildungswesen wird man erwarten, dass sie

 die Breite des Gegenstandes verdeutlicht,
 die Entwicklung und den aktuellen Forschungsstand der Evaluationsforschung umreiĂźt und
 die Kontroversen und offenen Fragen, die es in der Evaluationstheorie und -forschung zuhauf gibt, markiert.

Inwieweit der Sammelband solche Erwartungen erfüllen kann, mag eine kurze Übersicht über seine Gliederung und die Themen der abgedruckten Aufsätze verdeutlichen:

Im Anschluss an die Einleitung der Herausgeber, mit der diese knapp, aber informativ in das Thema einführen und die Struktur des Bandes erläutern, werden insgesamt 18 Aufsätze präsentiert, die in vier thematische Blöcke gruppiert sind:
Im ersten Kapitel des Sammelbandes sind vier Artikel zusammengefasst, die – so die gemeinsame Überschrift – „Evaluation als Instrument von Steuerung und Qualitätssicherung“ thematisieren. Den Einstig in das Themenfeld bildet ein Beitrag von Reinhard Stockmann, der dem Vergleich von Evaluation und Qualitätsmanagement gewidmet ist und in ein Votum für die stärkere Verschränkung der verglichenen Ansätze mündet. In seinem sich anschließenden Aufsatz weist Wolfgang Böttcher dann aus guten Gründen auf die Gefahren hin, die mit einer unterkomplexen, nur auf den „output“ von Bildungsangeboten fokussierten Bildungssteuerung verbunden sind. Derart motiviert plädiert der Autor plausibel für die Implementierung so genannter „starker Bildungsstandards“, deren Merkmale im Verlaufe der Argumentation entfaltet werden. Herbert Altrichter und Martin Heinrich unterscheiden in ihrem Beitrag zwei verschiedene Ansätze „neuer Bildungssteuerung“, und zwar eine so genannte „Ermöglichungs-“ und eine „Anforderungsstrategie“, innerhalb derer Evaluation jeweils etwas anderes bedeutet. Vor dem Hintergrund ihrer insbesondere an österreichischen berufsbildenden Schulen gesammelten Erfahrungen diskutieren die Autoren dann die Probleme, die sich ihrer Auffassung nach bei der Durchführung eines „evaluationsbasierten Steuerungskonzeptes“ ergeben. Komplettiert wird der erste Abschnitt des Buches schließlich durch einen Text von Michael Meyer und Stefan Hermann Siemer, in dem die Verfasser unter Verwendung systemtheoretischer Terminologie „Qualität als flexibles Schema“ charakterisieren.

Die Beiträge des zweiten Themenblocks befassen sich mit „grundlegenden Problemstellungen in der Evaluationspraxis“. Bei aller Heterogenität der so gebündelten fünf Aufsätze ist ihnen implizit die übergreifende Frage gemeinsam, wie das Gelingen und der Erfolg von Evaluation gewährleistet werden kann.
Stefanie Krapp empfiehlt zu diesem Zweck den Anschluss an angelsächsische Konzepte „partizipativer Evaluation“ und skizziert im Sinne einer „idealen Evaluationswelt“ die Aufgaben, die Evaluatoren und ihre Auftraggeber im Verlaufe des Evaluationsprozesses zu erfüllen haben. Während sich Krapp mit den Rahmenbedingungen der Fremdevaluation beschäftigt, nimmt Hildegard Müller-Kohlenberg die Probleme von Selbstevaluation in den Blick, wobei sie positiv an die diesbezüglichen Empfehlungen der deutschen Gesellschaft für Evaluation (DeGEval) anschließt.

Im Unterschied dazu setzen sich die Autoren des nachfolgenden Aufsatzes eher negativ von den so genannten Evaluationsstandards der DeGEval und des Joint Committee on Standards for Educational Evaluation ab. Nach der Auffassung von Hermann Josef Abs, Katharina Maag Merki und Eckhard Klieme greifen die Evaluationsstandards zu kurz, wenn es um die Orientierung von Schulevaluation geht, so dass die Autoren selbst „grundlegende Gütekriterien“ für diesen Zweck skizzieren. In ihrem nachfolgenden Aufsatz spüren Angela Gastager und Jean-Luc Patry den Konflikten nach, die sich für Evaluatoren aus den widersprüchlichen Erwartungen an ihre Arbeit ergeben. Lars Balzer schließlich präsentiert Befunde seiner Dissertation, in der er mithilfe der Delphimethode zu bestimmen versucht, „wie Evaluationsprojekte erfolgreich werden“.

Nach solchen eher ins Grundsätzliche gehenden programmatisch und theoretisch ausgerichteten Analysen werden im dritten thematischen Block, der den Titel „Formen umfassender Qualitätsevaluation“ trägt, Vorgehensweisen und empirische Befunde der Evaluation in und von allgemein bildenden Schulen dargestellt. Jo Kramis beschreibt die Vorgehensweise der „externen Schulevaluation im Kanton Luzern als Teil eines ganzheitlichen Qualitätsmanagements“. Sodann stellt Heinz Günter Holtappels ausgewählte empirische Befunde aus einer Erhebung vor, die als Ergänzung der berühmten IGLU-Studie an Bremer Grundschulen durchgeführt worden ist. Konkret wurden die Konzepte der Vollen Halbtagsgrundschule und der Verlässlichen Grundschule u. a. im Rückgriff auf die IGLU-Daten sowie mit Blick auf die jeweils realisierten Lernformen und den Grad der Lehrerkooperation vergleichend bewertet, und zwar mit sehr interessanten Ergebnissen. Rainer Peek und Peter Dobbelstein berichten über die 2004 und 2005 landesweit durchgeführten Lernstandserhebungen in Nordrhein-Westfalen, deren zentrale Adressaten die Autoren in den Fachgruppen und Fachkonferenzen sehen, die die Befunde der Erhebungen für die schulische Unterrichtsentwicklung fruchtbar machen sollen.

Last but not least illustriert Norbert Sommer in einem eindrucksvollen Bericht, auf welche Weise und mit welchen Resultaten eine einzelne (Real)Schule die Impulse der bekannten Systemevaluationen im Schulwesen nutzt, um eine beispielhafte statistische Prozessbeobachtung aufzubauen. Über die erzielten Evaluationsbefunde hinaus lohnt auch das Fazit des Verfassers die Lektüre. Ausgewogen weist er sowohl auf die Möglichkeiten als auch auf die Grenzen hin, die der Evaluation in Schulen gesetzt sind, wenn sie der Entwicklung des Unterrichts dienen soll.

Die fünf Beiträge des letzten Kapitels illustrieren die bunte Welt der Evaluation in und von Modellversuchen bzw. der „Evaluation von Entwicklungsprozessen und Innovationsprojekten“. Kathrin Fußangel, Renate Schulz-Zander und Pierre Kemna berichten die Resultate einer vom Institut für Schulentwicklungsforschung durchgeführten Evaluation eines in NRW und Thüringen durchgeführten Projektes zur Berufsweltvorbereitung in der Sekundarstufe I. Rainer Bremer und Bernd Haasler suchen den Anschluss an das theoretische Konzept der Entwicklungsaufgaben, mit dem Ziel Lernverläufe in der beruflichen Erstausbildung in der Automobilindustrie zu bewerten. Michaela Brohm diskutiert die Bedingungen, theoretischen Ansätze und Forschungsdesigns bei der Evaluation von Schüler- und Lehrertrainings. Andreas Schröer gibt einen Überblick über die Evaluationspraxis im Bereich der Hochbegabtenförderung und Katja Koch schildert im letzten Aufsatz des Buches die Evaluation eines niedersächsischen Projektes zur vorschulischen Sprachförderung.

Wie kann nun ein uninformierter Leser, der – durch den Untertitel angeregt –, mit seiner Hilfe einen Einstieg in die Thematik sucht, von der Lektüre des Sammelbandes profitieren? Zur Erstinformation wird man das Buch eher nicht empfehlen können. Zu diesem Zweck liegen bessere Alternativen vor, die von vornherein als Einführungstexte entstanden sind und systematisch in die Theorie und Praxis der Evaluation im Bildungswesen einführen. Trotzdem kann auch ein Personenkreis, der mit der Entwicklung und dem Stand der Evaluationsforschung weniger vertraut ist, das Buch mit Gewinn zur Hand nehmen. Es vermittelt einen Eindruck von der phänomenalen Vielfalt im Bereich der Bildungsevaluation, stellt interessante Einzelbefunde bereit und verdeutlicht die Probleme der Evaluationsforschung. So mag man beispielsweise angesichts der sich in dem Buch spiegelnden Vielfalt der Evaluationsformen fragen, worin denn genau der „richtige Einsatz der Verfahren“ besteht, von dem sich die Herausgeber die nachhaltige Verbesserung der Qualität des Bildungswesens versprechen. Per saldo ist das Buch jedoch weniger als Einführungstext, sondern eher als Aufsatzsammlung für Personen wertvoll, die bereits über Kenntnisse in der Evaluationsforschung verfügen oder an den Gegenständen einzelner Aufsätze interessiert sind. Angesichts der Vielfalt der in dem Band behandelten Aspekte und Fragestellungen der Bildungsforschung kann ein breiter Leserkreis von seinen Inhalten profitieren, wenn auch sicher nicht jeder Leser von allem, was das Buch an Inhalt bietet.
Sylvia Rahn (Bochum)
Zur Zitierweise der Rezension:
Sylvia Rahn: Rezension von: Böttcher, Wolfgang / Holtappels, Heinz GĂĽnter / Brohm, Michaela (Hg.): Evaluation im Bildungswesen, Eine EinfĂĽhrung in Grundlagen und Praxisbeispiele. Weinheim, MĂĽnchen: Juventa 2006. In: EWR 5 (2006), Nr. 4 (Veröffentlicht am 27.07.2006), URL: http://klinkhardt.de/ewr/77991530.html