EWR 19 (2020), Nr. 5 (November / Dezember)

Andreas Oberdorf
Demetrius Augustinus von Gallitzin
Bildungspionier zwischen Münster und Pennsylvania 1770–1840
Paderborn: : Ferdinand Schöningh 2020
(409 S.; ISBN 978-506-70425-2; 98,00 EUR)
Demetrius Augustinus von Gallitzin Während die transatlantischen Beziehungen von nach Amerika entsandten, deutschsprachigen lutherischen Pastoren im 18. Jahrhundert zuletzt häufiger Gegenstand historischer Studien waren [1], wurden die zwischen den jungen USA und Europa existierenden Netzwerke katholischer Geistlicher bislang wenig beachtet. In diese Lücke stößt die vorliegende Dissertation von Andreas Oberdorf vor. Gegenstand des Buches ist das Leben und Wirken des katholischen Missionars und Pfarrers Demetrius Augustinus von Gallitzin (1770-1840), der über 40 Jahre hinweg die erste dezidiert katholische Ansiedlung westlich der Appalachen als Pfarrer betreute. Die Biographie Gallitzins als einem Vertreter der durch Bildungs- und Toleranzideale geprägten katholischen Aufklärung wird dabei in die für den Missionar relevanten Bildungsräume innerhalb des Heiligen Römischen Reiches und der Vereinigten Staaten von Amerika eingebettet.

Dieser Idee folgend gliedert sich das Buch in zwei etwa gleichgroße Teile: Im ersten schildert Oberdorf Gallitzins Kindheit und Jugend im Fürstbistum Münster, im zweiten sein Wirken in Nordamerika. Das Fürstbistum erlebte seit 1762 unter der Ägide von Minister Franz von Fürstenberg vor allem im Bereich des Bildungswesens tiefgreifende Reformen. Diese progressive Bildungspolitik Fürstenbergs fand in der neuen Schulordnung von 1776 ihren stärksten Ausdruck, die großes Gewicht auf mathematische und naturwissenschaftliche Fächer legte. Sie stellte auch den zentralen Grund für Gallitzins Mutter Amalia dar, mit ihren Kindern 1779 von den Haag nach Münster überzusiedeln. Die hochgebildete und pädagogisch sehr interessierte Fürstin, die bereits früh mit ihrem Gemahl in Trennung lebte, widmete sich in Münster mit tatkräftiger Unterstützung Fürstenbergs und ihres als „Münsteraner Kreis“ bekannten Freundeskreises aus Intellektuellen, Theologen und Künstlern ganz der Erziehung ihrer Kinder.

Im ersten Teil wird der für Gallitzin prägende Bildungsraum des Fürstbistums skizziert, wobei zunächst Fragen nach der Rezeption der Schulordnung von 1776 und den politischen, religiösen und gesellschaftlichen Kontexten im Vordergrund stehen. Diese ersten beiden Kapitel sind spannend zu lesen und skizzieren anschaulich die Lebenswelt, in der sich der junge Gallitzin bewegte. Die anschließenden biographischen Ausführungen zu Franz von Fürstenberg und seinem Bildungsreformprogramm sowie zu Gallitzins Mutter Amalia sind in Anbetracht der bislang fehlenden Studien zu Gallitzins Jugend in Europa und den sie prägenden Persönlichkeiten weiterführend. Der erste Teil des Buches schließt mit einer Darstellung von Gallitzins Erziehung, in der es der Fürstin nicht auf eine standesgemäße Erziehung ankam, sondern auf eine „gleichwertige Ausbildung der Willens-, Verstandes- und Einbildungskräfte sowie die Weckung eines moralischen Gefühls“ (S.150). Als Leitfaden diente ihr überwiegend Rousseaus „Émile“, doch ließ sie sich auch umfangreich durch Fürstenberg und ihren Freundeskreis beraten. Ihre Konversion zum Katholizismus war dem Ideal einer allgemeinen, sich von barocker Frömmigkeit ebenso wie von religiösem Eifer distanzierenden christlichen Bildung verpflichtet, die religiöse Toleranz und ein Gleichgewicht zwischen Verstand und Gefühl vermitteln sollte. Auffällig ist in diesem ersten Teil, dass Gallitzin selbst kaum Erwähnung findet. Auch im letzten Kapitel kommt der spätere Missionar vor allem als Objekt der Erziehung seiner Mutter vor – eigene Wünsche, Neigungen und Interessen, so sie denn in den Quellen greifbar sind, werden nicht thematisiert.

Im zweiten Teil des Buches wird dann Gallitzins Wirken in Amerika behandelt, wobei es zunächst um das durchaus differenzierte Amerikabild des „Münsteraner Kreises“ geht. Wie in vielen intellektuellen Kreisen Europas und Deutschlands blickte man in Münster mit Neugier und Anerkennung auf die junge Republik, distanzierte sich wie Fürstenberg aber auch vom radikalen Bruch mit Großbritannien. Nichtsdestotrotz entschied sich die Fürstin von Gallitzin, ihren Sohn dorthin auf eine Bildungsreise zu schicken. Dabei nimmt der Autor zunächst die religiösen und sozialen Rahmenbedingungen Pennsylvanias und Marylands in den Blick, wo Demetrius von Gallitzin als Missionar und Priester wirkte, und schildert im Anschluss, wie Gallitzin nach seiner Ankunft im Jahre 1792 zunächst auf Vermittlung des amerikanischen Bischoffs John Carrolls ein dreijähriges Studium im Priesterseminar der Sulpizianer in Baltimore aufnahm, weil die geplante Bildungsreise aufgrund eines fehlenden Begleiters nicht möglich war. Von dort berichtete Gallitzin wenige Wochen nach seiner Ankunft an seine Mutter, dass er beschlossen habe, in der Neuen Welt zu bleiben und sein Leben dem Missionsdienst zu widmen. Gerade unter dem Eindruck der ausführlichen Darstellung von Gallitzins Erziehung muss dieser Entschluss auf den Leser als ein Akt der Emanzipation von seiner dominierenden Mutter und ihrer Münsteraner Freunde wirken.

Nach Abschluss seiner Ausbildung trat Gallitzin 1796 seine erste Stelle als katholischer Geistlicher in Amerika an der Missionsstation Conewago an. Hier erwartete ihn das Leben eines Wanderpredigers, der mühsam zu Pferde regelmäßig die verstreuten Siedlergemeinden zu besuchen hatte, was den Erfahrungen protestantischer Geistlicher in Amerika entsprach. Auch in den Gemeinden waren die Probleme katholischer und protestantischer Geistlicher aufgrund der Bilingualität der Gemeinden ähnlich, stand die Autorität der Pfarrer immer wieder zur Disposition [2]. Auch in Bezug auf Gallitzins Arbeit in seiner Gemeinde Loretto ab 1799 werden derartige Parallelen deutlich. Gallitzin agierte in seiner Gemeinde nämlich nicht nur als Seelsorger, sondern auch als Gemeindevorsteher, der z. B. Rat in rechtlichen Angelegenheiten erteilte und bei seinen europäischen Kontakten um finanzielle Unterstützung anhielt. Abschließend untersucht der zweite Teil Gallitzins Publikationen, die er in Reaktion auf antikatholische Schriften protestantischer Autoren verfasste. In diesen legte er seine Vision eines aufgeklärten Katholizismus dar, indem er einerseits sich stellvertretend für alle katholischen Amerikaner zur Verfassung der Vereinigten Staaten und der damit verbundenen religiösen Toleranz bekannte, andererseits aber auch auf dem alleinigen Wahrheitsanspruch der katholischen Kirche beharrte.

Wie auch schon im ersten Teil ist Oberdorf daran gelegen, die Konturen des katholischen Bildungsraums herauszuarbeiten, wofür er etwa auf unterschiedliche Schulprojekte eingeht oder die gemäßigten kirchenpolitischen Positionen von John Carroll bestimmt. Auf diese Weise gelingt es dem Autor, die Bedeutung der katholischen Aufklärung, verstanden als Bildungsförderung und Eintreten für religiöse Toleranz, für die junge USA herauszustellen. Allerdings wird nicht immer deutlich, welcher Einfluss dabei Gallitzin zugeschrieben werden muss. Ob er innerhalb der Kirchenstrukturen für seine Ansichten eintrat oder wie Gallitzins Ideale seine Gemeindearbeit konkret beeinflussten, erfährt der Leser nicht. Es zeigt sich, dass der biographische Ansatz des Buches nicht immer mit dem gesetzten Ziel harmoniert, den durch die katholische Aufklärung geprägten Bildungsraum abzubilden.

Insgesamt aber hat der Autor eine gelungene Studie über einen bislang zu wenig beachteten Akteur der amerikanischen Religionsgeschichte vorgelegt, die erstmals auch Gallitzins europäische Wurzeln umfänglich würdigt. Außerdem ist die beeindruckende Archivarbeit, auf die sich das Buch stützt, hervorzuheben, für die der Autor nicht weniger als 36 Archive und Bibliotheken konsultiert hat. Gerade auch wegen dieser Fleißarbeit dürfte das Buch zahlreiche Anknüpfungspunkte für weitere Studien bieten, so dass ihm eine breite Rezeption gewünscht werden kann.

[1] Etwa Hermann Wellenreuther: Heinrich Melchior Mühlenberg und die deutschen Lutheraner in Nordamerika 1742–1787. Wissenstransfer und der Wandel von einem atlantischen zu einem amerikanischen Netzwerk. Berlin: LIT 2013.
[2] Thomas Müller: Kirche zwischen zwei Welten. Die Obrigkeitsproblematik bei Heinrich Melchior Mühlenberg und die Kirchengründung der deutschen Lutheraner in Pennsylvania (Transatlantische historische Studien, 2). Stuttgart: Franz Steiner Verlag 1994; Wolfgang Flügel: Pastoren aus Halle und ihre Gemeinden in Pennsylvania 1742–1820. Deutsche Lutheraner zwischen Persistenz und Assimilation (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, 14). Berlin, Boston: deGruyter 2019.
Markus Berger (Bamberg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Markus Berger: Rezension von: Oberdorf, Andreas: Demetrius Augustinus von Gallitzin, Bildungspionier zwischen Münster und Pennsylvania 1770–1840. Paderborn: : Ferdinand Schöningh 2020. In: EWR 19 (2020), Nr. 5 (Veröffentlicht am 22.12.2020), URL: http://klinkhardt.de/ewr/50670425.html