EWR 1 (2002), Nr. 1 (Januar bis März 2002)

Hans-Uwe Otto/ Hans Thiersch (Hrsg.)
Handbuch Sozialarbeit/Sozialpädagogik
2. vollständig neu überarbeitete und aktualisierte Auflage
Neuwied, Kriftel: Luchterhand 2001
(2064 Seiten; ISBN 3-472-03616-8; 59,00 EUR)
 Handbuch Sozialarbeit/Sozialpädagogik Ein Zeichen für die Qualität einer Disziplin ist die Zahl und Art ihrer Handbücher – die Sozialpädagogik hatte neben sechs bis acht eher unbedeutenden stets die gehaltvolle Trias des "Wörterbuchs Soziale Arbeit" von Kreft/Mielenz, des "Fachlexikons der sozialen Arbeit" des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge und last but not least das "Handbuch Sozialarbeit/Sozialpädagogik" von Otto/Eyferth/Thiersch. Während die ersten beiden Publikationen eher für die Bücherschränke von Praktikern und Sozialverwaltungen gedacht sind, hatte und hat letztere eindeutig den stärksten wissenschaftlichen Anspruch.

Das in erster Auflage 1984 (als Studienausgabe 1987) erschienene "Handbuch Sozialarbeit/Sozialpädagogik" ist nun in zweiter und völlig überarbeiteter Auflage bei Luchterhand neu erschienen. (Die Schrägstrichverbindung "Sozialpädagogik/Sozialarbeit" ist in dieser Veröffentlichung übrigens fast nur im Titel, nicht aber im Handbuch selbst zu finden und vermutlich nur dem Umstand geschuldet, dass es dem "Wörterbuch Soziale Arbeit" zu ähnlich klänge.)

Was zunächst auffällt: das neu aufgelegte Handbuch ist um knapp 800 Seiten dicker geworden und von 105 auf 300 Stichwörter angeschwollen. Dieser quantitative Zuwachs ist in diesem Umfang jedoch nicht eindeutig ein qualitativer: nicht jedes der neuen Stichwörter ist sinnvoll bzw. notwendig, sondern die lange Liste der Begriffe scheint in dem einen oder anderen Fall mehr dem Wunschkatalog der größer gewordenen Gemeinde hauptamtlich Lehrender in der Sozialpädagogik und ihren besonderen Forschungsinteressen zu entsprechen, als den Bedürfnissen der LeserInnen.

Trotz des gewachsenen Umfangs fehlen einige Begriffe der alten Ausgabe. So wurden in die Jahre gekommene Stichwörter wie "Arbeiterjugend" oder "Dritte Welt" durch die unverzichtbar gewordene Stichwörter wie "Controlling" und "Qualität" ersetzt.

Überhaupt lohnt es, zunächst die alten und neuen Begriffe des Handbuchs genauer unter die Lupe zu nehmen, denn was fehlt und was hinzukommt ist jeweils auch ein Spiegel für die Paradigmenwechsel innerhalb einer Disziplin.

So gibt es in der überarbeiteten Ausgabe nicht mehr "Sozialistische Erziehung", aber "Sozialmanagement", nicht mehr "Subsidiarität", aber "Sterbebegleitung", nicht mehr "Nichtsesshaftigkeit", aber "Neue Medien" - und Selbsthilfe gibt es nur noch im Alter. Der "Alkoholismus" und die "antiautoritäre Erziehung" sind auf der Strecke geblieben, wie auch die "Randgruppen".

Wenn hinter dieser Akzentverschiebung vordergründig ein Abschied von linken, antiautoritären Traditionen zu sehen ist, so gibt es andererseits deutlich ein Mehr an differenzierten Artikeln, die die gesellschaftskritische Rolle der Disziplin aufrechterhalten: so sind aus dem Stichwort "Frauen" die Begriffe "Geschlechterforschung" und "Geschlechterpolitik" geworden, deren Darstellung eindeutig als Gewinn für das Handbuch zu verbuchen sind. Auch die Ausführungen zum Stichwort "Erziehungshilfen", das den Begriff der "Heimerziehung" ablöst, verbessert die vormals lückenhafte Präsentation (es fehlte in der Ausgabe von 1984 die Entwicklung des Praxisfeldes von 1920 bis 1970!).

Unverständlich bleibt dagegen, warum die "Heimerziehung" gleich zweimal abgelöst wird – von den "Erziehungshilfen" und den "Hilfen zur Erziehung" ? (zwar inhaltlich mit leichten Themenabweichungen, aber logischer wäre ein gemeinsamer Beitrag gewesen).

Ähnliche, wenn auch nicht so deutliche Redundanzen finden sich auch in den Bereichen "Planung" und "Planungstheorie", "Kulturpädagogik" und "Kulturtheorie", "Methoden" und "Methoden: Geschichte", auch die fünf Stichworte zu Bildung und die vier zu Drogen hätten Kürzungen vertragen. Wenn die Autoren hier in Kooperation getreten wären, wäre ein konsumentenfreundlicheres Werk herausgekommen, was besonders für die Nutzung des Werkes im Rahmen der Ausbildung zu begrüßen gewesen wäre.

Überhaupt – noch ein Wort zur Länge und Kürze der jeweiligen Abschnitte, die nicht immer der Bedeutung der Begriffe entsprechen. So ist es interessant und bezeichnend, dass die Mädchenarbeit, die in der Praxis viel bedeutsamer ist, als die wenigen Ansätze von Jungenarbeit, nur halb soviel Raum bei der theoretischen Erörterung beansprucht, wie die letztere. Wer dieses für einen Zufall, ein Versehen oder eine Nebensache erachtet, ist noch nicht darin geübt, die (selbst-)auferlegten Spielregeln des "doing gender", die sich auch bei der Produktion eines wissenschaftlichen Handbuches abbilden, zu entziffern.

Insgesamt zu begrüßen ist ein Mehr an praxisbezogenen Stichwörtern, wie Schuldnerberatung, Sozialamt, Verfahrenspfleger etc. Eindeutiger Gewinn sind auch die Kapitel über Soziale Arbeit in Asien, USA, Lateinamerika und Osteuropa.

Für die Stichwörter selbst kann im Großen und Ganzen gesagt werden, dass sie in gewohnter Weise präzise, differenziert und auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Forschung sind. In der Regel wurden sie von denen bearbeitet, die diesen Stand auch repräsentieren.

Die meisten Begriffe werden dabei auch systematisch auf ihren Bezug zur Sozialen Arbeit hin reflektiert (z.B. Kulturtheorie und Soziale Arbeit, Lebenslauf und Soziale Arbeit etc. )

Insgesamt stellt das Handbuch nach wie vor und wieder erneut eine unverzichtbare Grundlage für die sozialpädagogische Lehre und Forschung dar. Durch die intensive Integration von Begriffen zur Bildung, Erziehung, Erwachsenen- und Freizeitpädagogik, Identität, Lebenslauf, Moralerziehung etc. ist dabei nebenbei fast ein neues Handbuch zur Erziehungswissenschaft im Allgemeinen herausgekommen.
Carola Kuhlmann (Münster)
Zur Zitierweise der Rezension:
Carola Kuhlmann: Rezension von: Otto, Hans-Uwe / Thiersch, Hans (Hg.): Handbuch Sozialarbeit/Sozialpädagogik, 2. vollständig neu überarbeitete und aktualisierte Auflage, Neuwied, Kriftel: Luchterhand 2001. In: EWR 1 (2002), Nr. 1 (Veröffentlicht am 01.01.2002), URL: http://klinkhardt.de/ewr/47203616.html