EWR 10 (2011), Nr. 4 (Juli/August)

Claudia Schreier
Modularisierung in der beruflichen Bildung?
Ansätze aus der Benachteiligtenförderung in ausgewählten europäischen Ländern
Paderborn: Eusl 2010
(462 S.; ISBN 978-3-9406-2514-4; 39,00 EUR)
Modularisierung in der beruflichen Bildung? Das vorliegende Werk behandelt ein wichtiges europäisches Thema der Bildungsforschung und wurde als Dissertation an der Universität Flensburg angenommen. Dabei basiert das Werk maßgeblich auf einem durchgeführten EU-Projekt. Die zentrale Forschungsfrage lautet (4): „Kann – trotz aller Unterschiede der beruflichen Bildungssysteme – interkulturell eine gemeinsame Basis bei der Arbeit mit Modulen in der Benachteiligtenförderung verabredet werden?“. Das Buch gliedert sich in drei Hauptteile:

Der erste Teil umreißt das Thema der Module in der Benachteiligtenförderung in Europa. Dabei wird besonderer Bezug auf die Länder Deutschland und Österreich, Belgien, Dänemark, Portugal, Rumänien und UK gelegt. Die Länderauswahl wurde derart realisiert, dass mittels einer Typologie von Heidegger und Niemeyer möglichst ein breites Spektrum von europäischen Ausformungen abgebildet werden sollte (23-27). In diesem Kontext wird zuerst auf die Benachteiligtenförderung in Deutschland rekurriert, und es werden die Schwierigkeiten bei der Erfassung der Gruppe der Benachteiligten diskutiert (50ff); die anderen Länder werden in Kurzdarstellungen skizziert. Eine synoptische Zusammenfassung der Ansätze in der Benachteiligtenförderung und deren Verortung runden den ersten Themenzugriff ab. Die damit verbundene schematische Darstellung, welche sich des eingangs dargestellten Ansatzes von Heidegger und Niemeyer bedient, gibt eine sehr gute Übersicht über den Stand in den sechs Ländern (ohne Österreich) (91).

Danach wird der erste Teil des Buches mit einer Auseinandersetzung fortgeführt, die explizit auf die Modularisierung in der beruflichen Bildung eingeht und einen theoretischen Zugang ermöglichen soll (93ff). Der theoretische Zugriff wird hier allerdings eher kurz gehalten, was auch die diskutierten Vor- und Nachteile betrifft (112ff). Dafür wird verstärkt auf die bestehenden Realansätze insbesondere in Deutschland und in überblicksartiger Form in den anderen Ländern eingegangen.
Auch hier schließt das Teilkapitel wieder mit einer Synopse ab, die die Vielfalt der unterschiedlichen Ansätze in Europa offensichtlich werden lässt (147).

Der zweite Teil des Buches fokussiert dann singulär auf die Befunde des EU-Leonardo Projekts „Module“, das in der Zeit von 2005 bis 2007 gefördert wurde. Im Detail werden die Projektpartner und die Detailziele des Projekts dargestellt, ebenso das Vorgehen etc. (149ff). In den sieben Ländern (Österreich war nicht Teil des EU-Projekts, dafür wurde hier Griechenland inkludiert) wurden umfangreiche Interviews mit Betrieben, Bildungsplanern und Bildungsträgern sowie z.T. Jugendlichen zur Rolle der Module in der Benachteiligtenförderung geführt. In Deutschland wurde dabei insbesondere auf die Qualifizierungsbausteine Bezug genommen (194). Ohne an dieser Stelle Einzelheiten darstellen zu können, wird deutlich, dass im deutschen Kontext die Wahrnehmung von Modularisierungskonzepten differiert, hingegen klare Anforderungen in Hinblick auf die spezielle Zielgruppe gegeben sein müssen.

Im Anschluss daran werden parallel zum deutschen Forschungsdesign die Befunde aus den anderen Partnerländern skizziert, wobei hier i.d.R. die Sichtweise der Betroffenen nicht aufgenommen wurde (233ff). Da die Abschnitte sehr kurz gehalten sind, lassen sich nur bedingt umfassende Rückschlüsse auf die einzelnen Länder ziehen, diese sind den jeweiligen Autoren der Länderstudien (die jeweils mit Quellen angegeben werden) vorbehalten. Insgesamt zeichnet Schreier aber ein sehr differenziertes Bild.

Der dritte Teil des Buches gliedert sich in zwei Hauptbereiche: Der erste Bereich geht explizit auf die weiteren Schritte des EU-Projekts ein, in dem mit Hilfe von acht Dimensionen und drei Ebenen die Gemeinsamkeiten einer Modularisierung in der Benachteiligtenförderung herausgearbeitet werden.

Die gewählten Dimensionen, welche sich aus einer pragmatischen Herangehensweise ergeben, sind (272ff): Integration der Zielgruppen, Organisation, situiertes Lehren und Lernen, Kooperation und Netzwerke, Assessment und Anerkennung, Erfassung von Soft Skills, Fortbildung von Lehrern / Ausbildern / Sozialpädagogen sowie Reflexion i.S. einer Gesamtbetrachtung. Als Ebenen werden die Systemebene, die Institutionenebene sowie die individuelle Ebene heraus gearbeitet. Mittels dieses Vorgehens gelingt es der Autorin, die verschiedenen europäischen Ansätze, Sichtweisen und Spezifika in einen gemeinsamen Kontext zu stellen und damit weitestgehend vergleichbar bzw. z.T. kompatibel zu machen. Es wird bei der Lektüre dieses Buchabschnitts deutlich, dass Module in allen Ländern eine besondere Bedeutung im Kontext der Benachteiligtenförderung spielen können, da sie Flexibilität mit Individualisierungsanstrengungen in einem einheitlichen Gesamtrahmen zu verbinden in der Lage sind (insbes. 396ff). Eine Beschreibung der Implementierung eines E-Tools zur Modulgestaltung, welches Teil des EU-Projektes war, schließt diesen Bereich ab.

Der zweite Bereich des dritten Teils des Buches wird von der Autorin als „Schlussfolgerungen“ tituliert (375). Hier zeichnet Schreier nochmals die europäischen Linien nach und nimmt explizit Bezug auf Deutschland. Sie kommt zu dem Schluss, dass Module auch länderübergreifend ein geeignetes Instrument zur Benachteiligtenförderung darstellen (396), allerdings immer länderspezifisch auszugestalten sind. Für Deutschland umfasst das nach Schreier insbesondere die Beibehaltung des Berufskonzepts (402).

Das Buch zeichnet sich durch eine sehr gute Lesbarkeit und Übersichtlichkeit aus. Insbesondere ist die ungewöhnliche Breite mit sieben Ländern im Kontext einer Dissertation zu würdigen. Dies gibt interessierten Lesern einen profunden und dennoch komprimierten Überblick über die höchst unterschiedlichen Ansätze in Europa.

Die Einbindung in ein großes EU-Projekt bereitet aber auch Probleme, da auf das Forschungsprozedere der Projektpartner und der internen Logik von EU-Projekten Rücksicht genommen werden muss. So ist z.B. vergleichstheoretisch wenig verständlich, warum im Projekt das deutsche Verständnis von Modulen angewendet wurde (93ff, 189), obwohl in diversen anderen Ländern ein gänzlich anderes Verständnis vorherrscht (386ff). Auch wird die Schwierigkeit deutlich, die Vielzahl der unterschiedlichen, durch die ausländischen Projektpartner generierten Befunde kompatibel zu machen und zu reduzieren. Auch der Einbezug diverser Examensarbeiten (191) erhöht die Komplexität weiter.

Wenig nachvollziehbar ist die anfangs aufgestellte These, es gäbe derzeit weder in Deutschland noch in anderen Ländern der EU (inkl. UK) wenig Literatur bzw. Theorie und Praxishilfe (3ff). Ein genauer Blick in die Forschungsliteratur zeichnet hier ein gänzlich anderes Bild. Unverständlich ist in diesem Kontext insbesondere auch die Nichtberücksichtigung der Befunde des großen Modellversuchs „Modul für Modul zum Berufsabschluss –Berufsbegleitende Nachqualifizierung zwischen Flexibilität und Qualitätssicherung“ (Davids 1998). In der Konsequenz muss daher festgestellt werden, dass eine Vielzahl der in der Studie benannten Aspekte der Modularisierung bereits weitgehend bekannt und im ausländischen Kontext z.T. sogar empirisch erforscht sind.

Das besondere Interesse des Lesers des Buches sollte daher im Kontext der Modularisierung vielmehr auf die spezielle Zielgruppe der Benachteiligten gelegt werden, und hier bietet das Buch einen facettenreichen Zugang und EU-Ăśberblick sowie diverse Praxisanregungen.
Matthias Pilz (Köln)
Zur Zitierweise der Rezension:
Matthias Pilz: Rezension von: Schreier, Claudia: Modularisierung in der beruflichen Bildung?, Ansätze aus der Benachteiligtenförderung in ausgewählten europäischen Ländern. Paderborn: Eusl 2010. In: EWR 10 (2011), Nr. 4 (Veröffentlicht am 30.08.2011), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978394062514.html