EWR 7 (2008), Nr. 1 (Januar/Februar)

Sandra Bohlinger
Modernisierung beruflicher Bildung
Leitziele und Prioritäten auf dem Weg zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt
Göttingen: Cuvillier 2007
(132 S.; ISBN 978-3-86727-154-7; 19,00 EUR)
Modernisierung beruflicher Bildung Die Modernisierung beruflicher Bildung wird in der Berufs- und Weiterbildungsforschung aktuell unter dem Vorzeichen ihrer Europäisierung diskutiert; denn seit einigen Jahren werden Reformimpulse für das deutsche Berufsbildungssystem verstärkt „von Brüssel aus“ gesetzt. Auch Sandra Bohlinger bezieht mit dem Titel ihrer Publikation die „Modernisierung beruflicher Bildung“ auf die so genannte Lissabon-Erklärung. Mit dieser Deklaration setzte der Europäische Rat im Jahr 2000 das Ziel, dass die Europäische Union bis zum Jahr 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt werden solle.

Die Untersuchung des Einflusses europäischer Strategien und Prioritäten zählt die Autorin „zu den grundlegenden Aufgaben einer nachhaltigen Steuerung und Entwicklung beruflicher Bildung“ (4). Sie fragt nach den Mechanismen und Steuerungsinstrumenten einer europäischen Berufsbildung, die neben intendierten Wirkungen immer auch unbeabsichtigte Entwicklungsprozesse anstoßen. Hier sieht sie für die berufliche Bildung ein erhebliches Forschungsdefizit, auf welches sie in ihrer Publikation nachdrücklich und wiederholt hinweist.

Die Autorin versteht ihre Studie als Einstieg in die Thematik und möchte einen Überblick über die Europäisierung beruflicher Bildung als politisches Projekt geben. Ins Zentrum ihrer Untersuchung stellt sie diese beabsichtigen oder unbeabsichtigten, vorhergesehenen oder unvorhergesehenen, direkten oder indirekten Einflüsse und Wirkungen der politischen Strategien und Steuerungsmöglichkeiten – die so genannten Impacts. Die Publikation gleicht einem Forschungsbericht zu den politischen Steuerungsinstrumenten und Strategien. Für Einsteiger in diese Thematik wären Zusammenfassungen zu den einzelnen Kapiteln und ergänzende einordnende und metaperspektivische Erläuterungen notwendig gewesen. Gleichwohl werden zentrale Begriffe wie Globalisierung und Internationalisierung sowie Instrumente wie die OMC (Offene Methode der Koordinierung) dargestellt, so dass der Leser/die Leserin hierüber grundlegende Orientierung und Aufklärung erfährt. Einschränkend ist zu bemerken, dass mit einigen Begriffen und Konzepten im Text gearbeitet wird, bevor sie systematisch eingeführt sind. So wird die Leserschaft bereits im ersten Absatz mit der „OMC“ konfrontiert und kann im angefügten Abkürzungsverzeichnis nach Klärung suchen.

Dem Anliegen der Studie entsprechend werden auch Konzepte wie die Trias der Politikbegriffe policy, polity und politics aufgegriffen und einbezogen. Zu vermissen ist an dieser Stelle eine Einordnung der berufspädagogischen Sichtweise in dieses trans- und interdisziplinäre Feld. So ist der Leser/die Leserin nach einer knappen Übersicht und Einleitung etwas unvermittelt bereits im dritten Kapitel angelangt, welches eine erste inhaltliche Grundlegung vornimmt und die berufliche Bildung als Politikfeld darstellt. Hier finden sich dann auch die entsprechenden Erläuterungen zur OMC und ihrer Wirkungsweise, der eine gewisse Harmonierungswirkung unterstellt werden kann.

Den Kern der Publikation bilden die Kapitel 4-8, in denen die politischen Steuerungsstrategien zur Förderung der beruflichen Bildung und Erreichung des übergeordneten Ziels der Beschäftigungsfähigkeit vorgestellt werden. In dieser Diskussionsstrukturierung liegt zugleich die Stärke des Buches, weil es eine analytische Perspektive zur Gegenstandserschließung bietet. Ergänzende Abbildungen, Übersichten und Tabellen sind zumeist aus internationalen Berichten, Untersuchungen und Studien entnommen und fundieren die Analyse. Kritisch anzumerken ist, dass einige der neuesten Publikationen und differenzierten Auseinandersetzungen mit dem EQF aus dem deutschsprachigen berufspädagogischen Raum nicht in die Argumentation aufgenommen worden sind.

Als erste Strategie (Kapitel 4) zur Steuerung und Förderung beruflicher Bildung wird die des lebenslangen Lernens ausgewiesen und dazu die Genese der bildungspolitischen Konzeptentwicklung seit den 1970er Jahren und der damit verbundene Kernbegriff der Kompetenzentwicklung nachgezeichnet. Die zweite Strategie zur Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit der europäischen Bürger/Bürgerinnen bilden die Instrumente, die auf die Transparenz und Anerkennung von Kompetenzen gerichtet sind: der Europäische Qualifikationsrahmen (EQF), das europäische Leistungspunktesystem für die berufliche Bildung (ECVET) sowie Nationale Qualifikationsrahmen (NQF). Dabei macht die Darstellung zur Analyse und Erfahrungsauswertung in Bezug auf Nationale Qualifikationsrahmen deutlich, dass eine wirkliche Einschätzung ihrer Wirkungsweise derzeit nicht möglich ist. Die Entwicklung des EQF werde folglich vorangetrieben, obwohl gleichermaßen empirische Daten, fundierte Evaluationskonzepte im Sinne von Wirkungsanalysen sowie Grundlagenforschung zur Steuerbarkeit von Berufsbildungssystemen fehlen (vgl. 47).

Als weitere Strategie wird die Mobilitätsförderung untersucht (Kapitel 6) mit den rechtlichen und soziokulturellen Rahmenbedingungen, monetären und nicht-monetären Einflussfaktoren.

In Kapitel 7 befasst die Autorin sich mit der Strategie der Internationalisierung als Mobilitätsförderung. Hier findet ECVET Berücksichtigung ebenso wie die Themen Qualitätssicherung und das Förderprogramm Leonardo da Vinci (welches inzwischen unter das Dach des Förderprogramms Programmdach „Lebenslanges Lernen“ gefasst wurde). Schließlich wird als fünfte Strategie (Kapitel 8) die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit – vorwiegend in Bezug auf „Benachteiligte“ – diskutiert.

In der Zusammenschau der von der Autorin beispielhaft ausgewählten und analysierten Strategien (lebenslanges Lernen, EQF, Internationalisierungsstrategien, berufliche Bildung für Risikogruppen und geografische Mobilität) mahnt Bohlinger an, dass weitgehend Nachweise im wissenschaftlichen Sinne fehlen, um die Wirkung dieser Steuerungsinstrumente zu überprüfen. Allen Illusionen einer „Kausalkette“ zwischen politischen Strategien und erzielten Effekten erteilt sie eine Absage und setzt aktiven Dialog, Konsensfindung und Freiwilligkeit als „Katalysatoren von Veränderungsprozessen“ (108) dagegen. Ob diese Strategie nachhaltig ist, wird sich allerdings noch herausstellen müssen. So lässt sich gegen diese Einschätzung einwenden, dass sich einige grundlegende Widersprüche kaum dialogisch aufheben lassen werden: Das Spannungsfeld zwischen Lernergebnisorientierung und Kompetenzentwicklung, zwischen Input- und Outputorientierung erscheint mit den vorliegenden Instrumenten nicht auflösbar; denn es bleibt zu vermuten, dass die Europäische Kommission mit ihrem EQF-Entwurf nicht nur wegen des Subsidiaritätsprinzips bewusst auf die Festlegung gemeinsamer inhaltlicher Ziele beruflicher Bildung verzichtet. Standardisierungen zur Erzielung einer besseren Transparenz und Vergleichbarkeit von Bildungsabschlüssen richten sich auf die Lernergebnisse, auf vorweisbare Kompetenzen und weniger auf eine Regelung und Standardisierung des Inputs und der Lernprozesse.

Europäisierung wird im berufspädagogischen Diskurs in Deutschland derzeit fast ausschließlich in Bezug auf die Umsetzung des EQF und ECVET diskutiert. Die vorliegende Publikation zeigt, dass auch andere strukturierende Analysekategorien abbild- und beschreibbar sind, und leistet einen materialreichen ersten Beitrag für die angemahnten Forschungstätigkeiten zur politischen Steuerung beruflicher Bildung, der über die Beschränkungen der nationalen Sichtweise hinausgeht.
Gabriele Molzberger (Hamburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Gabriele Molzberger: Rezension von: Bohlinger, Sandra: Modernisierung beruflicher Bildung, Leitziele und Prioritäten auf dem Weg zu wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt. Göttingen: Cuvillier 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 1 (Veröffentlicht am 06.02.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978386727154.html