EWR 6 (2007), Nr. 3 (Mai/Juni 2007)

Philipp Gonon / Fritz Klauser / Reinhold Nickolaus (Hrsg.)
Kompetenz, Qualifikation und Weiterbildung im Berufsleben
Opladen: Budrich 2006
(291 S.; ISBN 978-3-86649-062-8; 29,90 EUR)
Kompetenz, Qualifikation und Weiterbildung im Berufsleben Der vorliegende Band versammelt Vorträge der Herbsttagung 2005 der Sektion der Berufs- und Wirtschaftspädagogik (BWP) der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) und verspricht einen Einblick in die aktuelle Auseinandersetzung der Berufsbildungsforschung mit „wenig geprüften Konzepten“. Damit angesprochen sind gewisse Konjunkturen von Begriffen und die dahinter steckenden Versuche, die berufliche Weiterbildung den gegenwärtigen Herausforderungen anzupassen. Der Buchtitel legt bereits nahe, um welche Auseinandersetzung es geht, nämlich um jene, die die Konzepte „Kompetenz“, „Qualifikation“ und „Weiterbildung“ vor dem Hintergrund unterschiedlicher berufsbezogener Ausbildungskontexte und Problemstellungen in den Blick nimmt. Die Beiträge sind dem Inhaltsverzeichnis nach in eine Struktur von fünf Abschnitten eingebettet. Entsprechende Hervorhebungen bzw. einführende Kommentare zur vorgenommenen Strukturierung fehlen bis auf einen knappen Verweis im Vorwort, was schade ist, weil eine Kontextualisierung der einzelnen Beiträge zu Beginn der Abschnitte den Zugang zu den konkreten Einzelfallstudien erleichtern bzw. eine Orientierungshilfe bieten würde.

Die ersten Aufsätze gruppieren sich um das Verhältnis von Kompetenz, Kognition und Motivation. Wie angedeutet, eine Systematik lässt sich hierbei kaum erkennen, vielmehr eine facettenreiche Darstellung ausgewählter Problemlagen: So untersucht Matthias Vonken den Kompetenzbegriff und gelangt zu dem Schluss, dass Kompetenz letztlich ein „begrenzender Rahmen“ (22) ist, in dem kompetentes Handeln möglich wird. Kompetenz sei demnach kein intendierter Vorgang, sondern bleibe auf die Biografie des Handelnden bezogen. Angesichts dieser Deutung sieht Vonken den Qualifizierungsbegriff ein Stück weit rehabilitiert. Bernd Knöll et al. präsentieren Forschungsprojekte, die untersuchen, ob die derzeit bevorzugten selbstgesteuert-handlungsorientierten Erarbeitungsformen tatsächlich die erwarteten Effekte in Sachen Kompetenz- und Motivationsentwicklung in der gewerblich-technischen Erstausbildung bewirken. Dabei rücken vor allem die Differenzen in den Eingangsvoraussetzungen der Auszubildenden und Selektionsprozesse als relevante Größen in den Vordergrund. Esther Winther setzt auf die Förderung motivationaler Vermittlungsleistungen am Beispiel der Konstruktion, Implementierung und Evaluation eines Lehrerhandbuchs. Ausgegangen wird dabei von einer Interdependenz von kognitiven und motivational-emotionalen Prozessen des Lernens, und damit von der Annahme, dass „ein motivationales Förderkonzept immer auch die Förderung kognitiver Fähigkeiten impliziert“ (44). Tobias Gschwendtner und Birgit Ziegler loten die Möglichkeiten einer Lesestrategieinstruktion durch reciprocal teaching in stark kompetenzheterogenen Klassen der gewerblich-technischen Benachteiligtenförderung aus. Die Ergebnisse sind so ernüchternd, dass die AutorInnen für weitere Untersuchungen zu Umsetzungsqualität und Effekten intensiverer Schulung plädieren.

Das Spannungsfeld Qualifikation und Innovation wird von Rita Meyers Auseinandersetzung mit der aktuellen Rolle der BWP eröffnet. Angesichts der Modernisierungsprozesse und ihrer Folgen fordert Meyer eine Neuverortung der berufspädagogischen Forschung als handlungsorientierte Begleitforschung, die Praxisgestaltung ebenso berücksichtigt wie Theorieentwicklung und öffentliche Verantwortung. Frauke Sanders rückt die Qualifizierungspolitik in Deutschland in den Mittelpunkt und kritisiert deren „unsystematisches, reaktives und selektives Vorgehen“ (88). Abhilfe soll innovative Arbeits- und Qualifizierungspolitik leisten. – Mit einer Evaluationsstudie des Schulversuchs „Kaufmännisches Berufskolleg mit Übungsfirma“ problematisiert Michael Ruf die Schwelle am Übergang vom Schulwesen zur beruflichen Erstausbildung. Die Auswertung der Ergebnisse bestätigt für Ruf die These, dass das duale System die Integration von SchulabsolventInnen in das Beschäftigungssystem immer noch am ehesten gewährleistet. Peter Bott et al. widmen sich den Methoden und Vorgehensweisen der Qualifikationsfrüherkennung und veranschaulichen Verfahren, um zukünftige Trends und entsprechende Qualifikationen zu ermitteln. Wenig überraschend setzen sich die AutorInnen für den Einsatz eines breiten Methodenspektrums ein.

Den inhaltlichen Auftakt des Abschnitts Qualifikation in der Benachteiligtenförderung bilden reflexives, selbstgesteuertes Lernen und dessen Vermittlung. Peter Strasser thematisiert am Beispiel eines Trainings lernbeeinträchtigter Jugendlicher die Lehrenden, problematische Routine und taugliche Gegenstrategien. Dietmar Heisler lenkt den Blick auf den Wandel der Arbeitswelt und der Berufsbilder. Dabei werden Qualifikationsbausteine als Zugangschancen für Jugendliche mit sozialer Benachteiligung, mit Behinderung oder Lernbeeinträchtigung untersucht. Lutz Galiläer und Heiko Weber gehen neuen Beschäftigungsperspektiven für Geringqualifizierte nach und kritisieren die rechtliche wie faktische Abschottung im Bereich der Zertifizierung unterhalb der Facharbeit. Martin Koch schließt den Abschnitt mit der Vorstellung seines Dissertationsprojekts: Im Vordergrund steht die empirische Fundierung seines Vorhabens, milieuspezifische Arbeitsidentitäten benachteiligter Jugendlicher zu rekonstruieren.

Die schwierige Position der klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) bildet den Schwerpunkt des Abschnitts Betriebliche Weiterbildung. Während Karl Düsseldorff den Gründen für die defensive Haltung der KMU in Bezug auf Investitionen in das Humankapital nachgeht, widmet sich Jens Stuhldreier in seinem Beitrag der Etablierung einer neuen regionalen Lernkultur sowie der Einbindung von KMU in regionale Bildungsnetze. Mit der Frage der Netzwerkbildung setzt sich auch Markus Weil auseinander. Ausgehend von der Problematik, dass Ansätze wie Lernortkooperationen und Bildungsnetzwerke für die betriebliche Weiterbildung nicht weit entwickelt sind, unternimmt Weil den Versuch, die Kooperation in der betrieblichen Weiterbildung zu verorten. Meike Schnitger et al. stellen eine empirische Studie zur beruflichen Weiterbildung im lernenden Unternehmen vor und betonen die Notwendigkeit einer frühzeitigen und umfassenden Einbeziehung aller Betroffenen.

Kompetenz, Qualifikation und Weiterbildung in Europa schließlich rückt die berufliche Bildung im europäischen Vergleich in den Mittelpunkt. Beatrix Niemeyer stellt unterschiedliche Modelle der Berufsvorbereitungsmaßnahmen in Europa vor, insbesondere angesichts der kulturellen Differenzen der einzelnen Regionen bei gleichzeitiger Einheitlichkeit der bildungspolitischen Impulse der EU (vgl. 244). Lars Windelband widmet sich der Frage der methodischen Ansätze im Bereich der Früherkennung von Qualifikationsbedarf. Er konstatiert eine Verschiebung von eher Technik bewertenden, deterministischen Ansätzen zur indikatorenbezogenen Forschung. Diese soll Informationen zur Gestaltung beruflicher Bildungsprozesse und Berufsprofile bereitstellen, aber auch eine Prognose von Qualifizierungsbedarf in verschiedenen Berufsfeldern ermöglichen. Silke Hellwig und Matthias Vonken stellen zwei Projekte aus dem Leondardo-Da-Vinci-Programm vor, die sich den älterer Erwerbstätigen und den Niedrigqualifizierten als jeweilige Zielgruppe widmeten. Die Notwendigkeit und Möglichkeit einer Operationalisierbarkeit der Förderung dieser Zielgruppen ist dabei den AutorInnen ein Anliegen. Der Sammelband schließt mit einer vergleichenden Studie zur Berufsbildung der Gesundheitsberufe, eine Berufsbildung die traditionell nicht im Zentrum berufspädagogischer Theorie und Forschung steht, wie Katrin Kraus betont (vgl. 273). In den Blick kommen historische Entwicklungen und Ausgangssituationen aus Deutschland, Luxemburg und der Schweiz.

Angesichts dieser Bandbreite ist es den Herausgebern und AutorInnen in der Tat gelungen, häufig gebrauchte Begriffe, die zugleich „quer zu den dominanten Themen“ (9) der berufspädagogischen Debatte liegen, aus unterschiedlichen Perspektiven – sei es in der theoretischen Analyse, sei es am Beispiel des praktischen Vollzugs – zu behandeln. Aber eine solche Vorgehensweise hat auch ihren Preis. Denn mögen die dominanten Themen wie die Infragestellung der Berufe und ihre Auswirkungen auf die Ausbildung, die Zukunftsperspektiven des dualen Systems beruflicher Bildung oder die Reformen des didaktischen Handelns im Berufsschulunterricht an anderen Orten ausreichend Berücksichtigung finden, so bedingt ihr Fehlen wohl die Aussparung der mit diesen Themen verbundenen wesentlichen Diagnosen. So sind, wenn man den Anspruch des Sammelbands ernst nimmt, jedenfalls zwei Ausblendungen auffällig: zum einen das Fehlen jeglicher Bezugnahme auf die berufliche Weiterbildung und ihrer jüngsten Entwicklungen hinsichtlich neuer gesellschaftlicher Präkarisierungsformen. Zum anderen ist der angekündigte europäische Bezug mehr als bescheiden ausgefallen. Denn die Konzentration des vergleichenden Schwerpunkts „Kompetenz, Qualifikation und Weiterbildung in Europa“ auf EU-Staaten vor der Erweiterung 2004 überrascht angesichts der mit der Erweiterung verbundenen Herausforderungen. Fazit: Die Beiträge geben zwar eine profunde Basis für eine Auseinandersetzung mit aktuellen Herausforderungen der Bildungsforschung, der Fokus liegt allerdings auf der lokalen Ebene, hier vor allem auf Einzelfallstudien mit Deutschlandbezug.
Agnieszka Dzierzbicka (Wien)
Zur Zitierweise der Rezension:
Agnieszka Dzierzbicka: Rezension von: Gonon, Philipp / Klauser, Fritz / Nickolaus, Reinhold (Hg.): Kompetenz, Qualifikation und Weiterbildung im Berufsleben. Opladen: Barbara Budrich 2006. In: EWR 6 (2007), Nr. 3 (Veröffentlicht am 12.06.2007), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978386649062.html