EWR 11 (2012), Nr. 6 (November/Dezember)

Klaus Spenlen / Susanne Kröhnert-Othman (Hrsg.)
Integrationsmedium Schulbuch
Anforderungen an Islamischen Religionsunterricht und seine Bildungsmaterialien
Göttingen: V&R unipress 2012
(225 S.; ISBN 978-3-8471-0020-1; 30,90 EUR)
Integrationsmedium Schulbuch Im Fokus des von Klaus Spenlen und Susanne Kröhnert-Othman herausgegebenen Sammelbandes steht der seit August diesen Jahres an öffentlichen Schulen Nordrhein-Westfalens angebotene bekenntnisorientierte Islamische Religionsunterricht (IRU), ein Novum in der deutschen Schullandschaft. Wenngleich es dem Titel nach und der Schriftenreihe gemäß, in der das Buch erschienen ist, vor allem um Medien dieses Unterrichtes, ganz konkret um die neuen Schulbücher geht, werden auch grundsätzlichere Fragen zu dem nicht ganz unumstrittenen Unterrichtsfach gestellt. Die verfassungsrechtlichen, pädagogischen und islamwissenschaftlichen Bedenken, die sich v.a. an der Absenz einer repräsentativen Vertretung aller in Deutschland lebenden Muslima und Muslime entzünden, werden im Sammelband aufgegriffen, hier jedoch auch aus der Binnenperspektive problematisiert. Die Frage, wer sich von dem für die Übergangszeit (bis 2019) gewählten achtköpfigen Beirat vertreten fühlt und welches Islambild dieser verkörpert, ist nicht nur für die Konzipierung der Lernwerke eine strittige Frage, sondern auch Bestandteil der Leitfrage des Sammelbandes.

Die Klammer der Artikel bildet die Frage nach der wechselseitigen Integrationsleistung des Unterrichtsfaches im Allgemeinen und seiner Medien im Speziellen, wobei dem Begriff bewusst keine einheitliche Definition zugrunde gelegt wird (10). Die Beiträge sollen u.a. die Frage nach der Rolle des IRU im Kontext verwandter Fächer beleuchten; aufzeigen, ob und inwiefern er zu einer pluralistischen und verfassungsgemäßen Religionsauffassung beitragen kann; das Spannungsfeld zwischen Identitätsförderung und der Berücksichtigung pluraler Lebenswelten ausloten und untersuchen, wie der IRU fächerübergreifende Kompetenzen zu entwickeln vermag. Schulbüchern für den IRU wird über die diesem Bildungsmedium allgemein attestierte große Bedeutung („heimliche[...] Lehrpläne“,13) hinaus ein besonderer Stellenwert beigemessen, als sie zum einen nicht auf Traditionen zurückblicken könnten, auf der anderen Seite jedoch gerade auf Grund der noch nicht elaborierten Ausbildung angehender und praktizierender Lehrer Leitfaden und Hilfestellung per se darstellten; sie seien noch mehr als in anderen Fällen „Lehrer der Lehrer“ (199).

Dass der Sammelband über die Rolle und Gestaltung von Unterrichtsmaterialien hinausgeht, zeigt u.a. der erste Aufsatz von Klaus Spenlen. Er benennt Konzepte religiöser Bildung in europäischer Perspektive und stellt die rechtliche Lage des Religionsunterrichtes (RU) sowie bisherige Modelle in der föderalen bundesdeutschen Bildungspolitik dar. Schulbücher werden hier nur am Rande und v.a. in Hinsicht auf Zulassungsverfahren thematisiert. Integration interpretiert Spenlen mehrdimensional, arbeitet besondere Möglichkeiten von Schule in diesem Prozess heraus und stellt sie Schulbüchern als bildungstheoretisches Leitmotiv vorweg.

Hier wie auch in den einleitenden Vorbemerkungen der Herausgeber sowie im Aufsatz von Judith Krasselt-Maier wird die Frage nach der Notwendigkeit konfessionell getrennter Religionsunterrichte und ihrem generellen Integrationspotential gestellt und von allen Autoren mehr oder weniger überzeugend positiv beantwortet. Die Herausgeber begründen sie u.a. mit nur mangelhaften Thematisierungen von MigrantInnen besonders betreffenden Themen in anderen Unterrichtsfächern. Spenlen sieht die Einführung von IRU in seinem ersten Aufsatz zunächst als eine Frage der Gleichberechtigung und entkräftet mögliche Einwände letztlich ebenfalls mit einem Verweis auf den Status quo, i.e. dem Verfassungsrang von Religionsunterricht und den Interessen partikularer Interessengemeinschaften. Krasselt-Maier votiert aus der Perspektive evangelischer Religionspädagogik mit dem Argument der Authentizität für die Notwendigkeit bekenntnisorientierter, konfessionell separierter Religionsunterrichte. Die von Alfred Treml aus mehreren Gründen in Frage gestellte Aufgabe von Religionsunterricht, ein Surrogat für in den Familien nicht mehr gewährleistete religiöse Sozialisation zu sein [1], wird von den Autoren im Gegenteil bekräftigt und als Argument für den IRU genutzt.

Gisbert Gemein befasst sich in seinem Aufsatz mit Genehmigungsverfahren für Schulbücher und historisiert die gegenwärtig gängige Praxis der Einzelgutachten. Ausgehend von der Pluralität innerhalb des Islam problematisiert er die nicht nur in diesen Schulbüchern notwendige didaktische Reduktion und die sich aus ihr ableitenden Anforderungen an Schulbuchprüfer. Er votiert für eine von der KMK eingesetzte unabhängige Schulbuchkommission aus Islamwissenschaftler/-innen, gesellschaftlichen Repräsentant/-innen und Schulpraktiker/-innen, die über die eigentlichen Prüfungen hinaus im Dialog mit Autor/-innen an der Weiterentwicklung von Bildungsstandards für das Fach mitwirken sollte.

Annett Abdel-Rahman stellt als beteiligte Schulbuchautorin Überlegungen zur Konzeptionierung von Lernwerken für den IRU vor und sieht die an ihn herangetragenen Erwartungen hinsichtlich seiner Integrationsleistung eher kritisch. Die von ihr identifizierten Divergenzen zwischen Binnen- und Außenperspektive könnten dazu führen, die Authentizität des Unterrichtsfaches in Folge gesellschaftlicher Instrumentalisierung zu verfehlen.

Die drei folgenden Aufsätze präsentieren Ergebnisse vergleichender Untersuchungen von Lernwerken für den IRU aus unterschiedlichen Perspektiven. Während Michael Kiefer Inhalte islamwissenschaftlich analysiert, interessieren Klaus Spenlen Fragen nach Mindeststandards für den Unterricht, die Vermittlung überfachlicher Kompetenzen sowie das Einüben von Methodenkompetenz. Susanne Kröhnert-Othman fragt, ausgehend von einem weiter gefassten Zugehörigkeitsbegriff („belonging“), nach dem Potential der IRU-Schulbücher, Zugehörigkeiten zu Gemeinschaft jenseits von gruppenspezifischen Zuweisungen zu entwerfen und grenzt sich damit wie auch Abdel-Rahman von einem assimilationsorientierten Integrationsbegriff (139) ab. Alle drei Autoren resümieren, dass mit den untersuchten Lernwerken Integration bislang nicht unbedingt gefördert und Mindeststandards noch nicht erreicht würden.

Die Intention und Verankerung des Aufsatzes von Anita Rösch zu einer Analyse von Schulbüchern des Ethik-Unterrichtes ist in dem vorliegenden Sammelband nicht klar ersichtlich. Ihre Ausführungen schwanken zwischen einem impliziten Plädoyer für den Ethik-Unterricht als Alternative zum IRU und dem Aufweisen von Grenzen des Erstgenannten bspw. hinsichtlich der Vermittlung religiösen Wissens. Letztlich weist die Autorin mit ihrer kontrastierenden Gegenüberstellung von Inhalten der Lernwerke mit Aussagen Betroffener (LehrerInnen, SchülerInnen) auf Mängel der Schulbücher dieses im Vergleich mit IRU sehr etablierten Unterrichtsfaches hin und relativiert damit in gewisser Weise die in den vorherigen Aufsätzen entfaltete Kritik.

In den vorgestellten Beiträgen vermag es der Sammelband, sich dem Thema IRU multiperspektivisch anzunähern und kritisch mit bisherigen Prozessen und Erfahrungen umzugehen. Die eingangs gestellten Fragen werden in einem abschließenden Resümee noch einmal auf den Punkt gebracht, ohne Dissonanzen zu verschweigen. Insgesamt gibt es dennoch an vielen Stellen fast reflexhafte Bezüge auf aktuelle Schlagworte der Bildungspolitik, was u.a. am unkritischen Umgang mit PISA-Ergebnissen sowie der aus ihnen abgeleiteten Kompetenzdebatte zum Ausdruck kommt. Auch der Wille, gesellschaftlichen Vorurteilen gegenüber IRU begegnen zu wollen, wird mit der formelhaften Einschwörung (fast) aller Aufsätze auf die Frage nach dem Integrationspotential des IRU deutlich und konterkariert das vorgebrachte Gleichberechtigungsargument. Vielleicht ist das Buch nicht der Ort, noch einmal die Debatte über den Sinn eines IRU im Konzert mit weiteren bekenntnisorientierten Religionsunterrichten zu beginnen – wenn jedoch Alternativen gedanklich nicht konsequent durchgespielt werden, sollte die Frage auch gar nicht erst auf die Tagesordnung gebracht werden.

[1] Vgl. exemplarisch A. K. Treml (2007): Religion und Erziehung aus systemtheoretischer Sicht. In: Büttner, G. (Hrsg.): Zwischen Erziehung und Religion. Religionspädagogische Perspektiven nach Niklas Luhmann. Münster: Lit-Verlag, 29-40.
Viktoria Gräbe (Braunschweig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Viktoria Gräbe: Rezension von: Spenlen, Klaus / Kröhnert-Othman, Susanne (Hg.): Integrationsmedium Schulbuch, Anforderungen an Islamischen Religionsunterricht und seine Bildungsmaterialien. Göttingen: V&R unipress 2012. In: EWR 11 (2012), Nr. 6 (Veröffentlicht am 28.11.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978384710020.html