EWR 20 (2021), Nr. 4 (Juli/August)

Anja Laukötter
Sex – richtig!
Körperpolitik und Gefühlserziehung im Kino des 20. Jahrhunderts
Göttingen: Wallstein Verlag 2021
(543 S.; ISBN 978-3-8353-3898-2; 46,00 EUR)
Sex – richtig! Die vorliegende Arbeit widmet sich der sehr unterschiedlichen Repräsentation von Sexualität und hier vor allem dem sich stark wandelnden Umgang mit Geschlechtskrankheiten in sogenannten Aufklärungsfilmen im 20. Jahrhundert. Anja Laukötter fokussiert dabei insbesondere auf den deutschsprachigen Raum, nimmt aber auch entsprechende Entwicklungen in Westeuropa und Nordamerika in den Blick und verhandelt diese sowohl in medien- als auch in medizinhistorischer, darüber hinaus aber auch in wissens- und emotionshistorischer Perspektive. Zwar schreibt die Autorin den Emotionen der Zuschauerinnen und Zuschauer in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu, im Zentrum des Interesses steht aber über weite Strecken die eher biopolitische Frage, wie die untersuchten Aufklärungsfilme im Sinne unterschiedlicher gesundheits- und bevölkerungspolitischer Vorgaben unterschiedliche Aspekte oder Formen von Sexualität zu problematisieren und zu delegitimieren suchten - insbesondere im Hinblick auf die befürchtete Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten wie zunächst insbesondere Syphilis und schließlich vor allem HIV/AIDS. Die Studie kann an dieser Stelle unter anderem an Arbeiten von Anita Gertiser oder Lutz Sauerteig anschließen und vermag die sehr viel breitere Forschung zur Sexualaufklärung sinnvoll zu ergänzen und teilweise auch zu erweitern. Der Titel der Arbeit führt die Leserinnen und Leser allerdings ein wenig in die Irre: Man erfährt viel über „falsche“ Sexualität, „falsche" Kontakte, „falsche“ Praktiken und deren angeblich schwerwiegende Folgen - über „richtige" Sexualität indes und darüber, wie sich deren Repräsentation im 20. Jahrhundert ebenfalls ganz grundlegend verändert hat, erfährt man vergleichsweise wenig.

Nach einer längeren Einleitung schreitet die Studie im Wesentlichen chronologisch voran - ausgehend vom ersten Aufklärungsfilm aus der Zeit des Ersten Weltkrieges: „Es werde Licht!“ von 1917. Entsprechend ihrer Fragestellung gliedert sich die Arbeit dabei in sechs Kapitel, die einen jeweils politikgeschichtlich recht klar abgrenzbaren Zeitraum behandeln: die Zeit des Ersten Weltkrieges, die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus, die unmittelbare Nachkriegszeit, die entsprechenden Veränderungen um und nach 1968 und schließlich die wichtigsten Entwicklungen in der DDR. Jedes Kapitel wird von bis zu drei kürzeren Filmanalysen eingeleitet oder begleitet und wichtige Szenen werden in diesem Zusammenhang auch etwas ausführlicher auf Kameraeinstellungen oder Lichtverhältnisse und Montagetechniken hin betrachtet. In den Blick geraten dabei in erster Linie von entsprechenden Vereinen oder staatlichen Behörden initiierte oder geförderte Produktionen, die mehr oder weniger eindeutig als Aufklärungsfilme konzipiert, ausgeflaggt und einer breiteren Öffentlichkeit im Kino zugänglich gemacht wurden. Viele andere Filme, die ebenfalls eine aufklärerische Wirkung beabsichtigt und möglicherweise auch entfaltet haben, bleiben dementsprechend allerdings weitgehend unberücksichtigt - insbesondere viele gewöhnliche Spielfilme.

In ganz unterschiedlichen Zusammenhängen kann die Studie in diesem Rahmen sehr überzeugend nachweisen, dass und wie die untersuchten Aufklärungsfilme zentrale Ergebnisse und Annahmen der nahezu zeitgleich entstandenen, vorrangig psychologisch ausgerichteten Zuschauerforschung aufnahmen oder spiegelten. Der Film bzw. das Kino wurde vor diesem Hintergrund vor allem als scheinbar überaus wirkmächtiger Emotionengenerator betrachtet und eingesetzt. Dementsprechend zielten viele Aufklärungsfilme nicht nur auf ein bestimmtes Wissen über Geschlechtskrankheiten, sondern in unterschiedlicher Weise auch oder vor allem auf die möglichen Gefühle der Zuschauerinnen und Zuschauer. Während Aufklärungsfilme vor dem Zweiten Weltkrieg dabei sehr häufig auf die Erzeugung bzw. Vermittlung von „negativen" Emotionen wie Angst oder Ekel gesetzt haben, so der Befund der Arbeit, zielten sie seitdem immer stärker auch auf „positive" Emotionen wie Vertrauen - im Nationalsozialismus handelte es sich hier nicht zuletzt um das angestrebte Vertrauen von Wehrmachtssoldaten in ein staatlich überwachtes System der Zwangsprostitution. Insbesondere seit den 1970er und 1980er Jahren baute die Sexualaufklärung demnach immer weniger auf schiere Abschreckung, sondern vorrangig auf eine gleichermaßen verantwortungsbewusste wie lustbetonte Selbstführung der Zuschauer und Zuschauerinnen. Genau in diesem Sinne und gerade für diesen Zeitraum wäre es jedoch sinnvoll gewesen, neben offensichtlichen Aufklärungsfilmen - wie „Helga“ von 1967 - auch vergleichbare Pornofilme stärker zu berücksichtigen. Denn in den 1970er und 1980er Jahren besaßen zahlreiche Pornofilme durchaus auch einen Aufklärungscharakter - nicht nur der „Schulmädchen-Report“ von 1970, sondern beispielsweise auch der „Schulmädchen-Porno“ von 1975.

Eine detailliertere Rezeptionsanalyse hat sich im Fall der hier untersuchten Aufklärungsfilme als schwierig erwiesen. Der breiteren Wahrnehmung und der konkreten Erfahrung dieser Filme geht die Autorin daher vor allem am Beispiel von zahlreichen Zeitungsbesprechungen und unter Bezugnahme auf die Zuschauerforschung nach - vielfach lässt sie sich aber auch auf diesem Wege nur abschätzen. Die der Studie doch eigentlich so wichtigen Emotionen der Zuschauerinnen und Zuschauer bleiben daher teilweise etwas blass. Die große Stärke der Arbeit liegt vielmehr in der sehr vielschichtigen Kontextualisierung bzw. Historisierung der Aufklärungsfilme - sowohl innerhalb der zeitgenössischen Film- und Medienlandschaft als auch im Rahmen der Medizin- oder Politikgeschichte. Die Autorin benennt fragliche Akteure - Filmemacher, Behördenleiter, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen - nicht nur, sie verortet diese auch sehr umfassend, sowohl konzeptionell als auch institutionell, und zeigt mannigfache Transferprozesse und einflussreiche Netzwerke auf, innereuropäische wie transatlantische. Besonders interessant ist diesbezüglich etwa die große und langfristige Bedeutung des Internationalen Instituts für Lehrfilmwesen in Rom zwischen 1928 und 1937.

In diesem Rahmen eröffnet die Studie nicht nur ein breiteres, sondern auch ein präziseres Verständnis der Entstehung und Entwicklung der Aufklärungsfilme und des in ihnen sehr verschiedenartig vorangetriebenen Umgangs mit sogenannten Geschlechtskrankheiten im 20. Jahrhundert. Die Autorin lenkt den Blick dabei zurecht auf die Rolle von Gefühlen, deren unterschiedlichen Einsatz und deren erkennbaren Wandel, und kann überzeugend nachweisen, dass die von ihr untersuchten Aufklärungsfilme durchaus sehr unterschiedlichen gesundheits- und bevölkerungspolitischen Vorgaben folgten und wie es ihnen in diesem Zusammenhang gerade nicht allein um Aufklärung im vermeintlich engeren Sinne des Wortes ging - um „reines“ Wissen also. Dass man aus diesem Umstand herleiten kann, dass wir, so das Fazit der Studie, weniger in einer „Wissensgesellschaft“ als in einer „Emotionsgesellschaft“ leben, darf jedoch bestritten werden - auch deshalb, weil es sich als wenig sinnvoll erwiesen hat, Wissen und Emotion bzw. Kognition und Gefühl dergestalt voneinander abzugrenzen.

[1] Gertiser, Anita: falsche Scham. Strategien der Überzeugung in Aufklärungsfilmen zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten (1918-1935). Göttingen: V & R Unipress 2015; Sauerteig Lutz (Hg.): Shaping sexual knowledge. A cultural history of sex education in twentieth century Europe. London u.a.: Routledge 2009; ders.: Krankheit, Sexualität, Gesellschaft. Geschlechtskrankheiten und Gesundheitspolitik in Deutschland im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Stuttgart: Steiner 1999.


Pascal Eitler (Hannover)
Zur Zitierweise der Rezension:
Pascal Eitler: Rezension von: Laukötter, Anja: Sex – richtig!, Körperpolitik und GefĂĽhlserziehung im Kino des 20. Jahrhunderts. Göttingen: Wallstein Verlag 2021. In: EWR 20 (2021), Nr. 4 (Veröffentlicht am 01.09.2021), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978383533898.html