EWR 7 (2008), Nr. 6 (November/Dezember)

Silvia-Iris Beutel / Renate Hinz
Schulanfang im Wandel
Selbstkonzepte der Kinder als pädagogische Aufgabe
Berlin: Lit 2008
(266 S.; ISBN 978-3-8258-1388-8; 24,90 EUR)
Schulanfang im Wandel Nicht nur in bildungspolitischer, auch in pädagogischer Hinsicht besitzen die gegenwärtigen Reformen zur Neu- und Umgestaltung des Schulanfangs in Deutschland große Relevanz – stellt doch der Eintritt in die Schule für die Kinder einen biographisch bedeutsamen Lebensabschnitt dar. Dabei spielt das kindliche Selbstkonzept eine wichtige Rolle für die Entwicklung von Motivationen, generellen Einstellungen gegenüber Schule und Unterricht sowie den Lernerfolg. Vor diesem Hintergrund verlangen die aktuellen Entwicklungen von den Lehrenden eine Expertise der pädagogischen Arbeit im Umgang mit Heterogenität, die sich unter anderem durch unterstützende Lernangebote sowohl in jahrgangsbezogenen als auch in jahrgangsübergreifenden Lerngruppen dokumentiert.

In diesem Zusammenhang stellen Silvia-Iris Beutel und Renate Hinz in ihrem Buch empiriebasierte Ergebnisse zu den Lernleistungen und der Entwicklung lesekompetenzorientierter Selbstkonzepte in der Schuleingangsphase aus dem von ihnen im Rahmen einer wissenschaftlichen Schulbegleitforschung durchgeführten Forschungsprojekt „DÜnE“ vor [1]. Es richtet sich „auf die Aspekte

  • Ausprägung des akademischen und sozialen Selbstkonzeptes,

  • Entwicklung von Lesekompetenz“ (20)


und fokussiert die Frage, ob sich das auf die Lesekompetenz bezogene akademische sowie das soziale Selbstkonzept von Kindern der Eingangsstufe in jahrgangsĂĽbergreifenden Lerngruppen stabiler resp. positiver ausbildet als bei Kindern in jahrgangsgebundenen Klassen.

„Schulanfang im Wandel“ ist in zehn Kapitel unterteilt, in denen die aktuellen bildungspolitischen Strömungen und der theoretische Rahmen der Studie dargestellt werden. Dieses geschieht in drei Themenkomplexen: In einem ersten werden die neuen Regelungen des Schulbeginns, die damit verbundenen bildungspolitischen Erwartungen, Entwicklungen und Konzepte der neuen Schuleingangsphase in den einzelnen Bundesländern einschließlich einer mit der wissenschaftlichen Begleitung dokumentierten Evaluation der einzelnen Eingangsstufenmodelle beleuchtet. Unter Bezugnahme der bereits vorliegenden nationalen und internationalen Forschungsergebnisse werden die theoretischen Konzeptionen zum altersgemischten Lehren und Lernen, zur Generierung von Selbstkonzepten und zum Erwerb von Lesekompetenz skizziert.

Der zweite Themenkomplex dient einer Darstellung des Forschungsdesigns, das sowohl quantitativ als auch qualitativ angelegt ist, die Perspektiven aller am kindlichen Bildungsprozess beteiligter Personen berücksichtigt und neben Fremdeinschätzungen durch Lehrerinnen und Lehrer sowie Eltern auch die Selbsteinschätzung und die Reflexion des eigenen Lernweges durch die Kinder selber in den Blick nimmt. Dem folgen Ausführungen zur Datenerhebung, -analyse und -auswertung. Im dritten Themenkomplex werden die Ergebnisse jeweils aus der Perspektive der Lehrenden, der Eltern sowie der Kinder im Hinblick auf die gesamte Schülerinnen- und Schülergruppe sowie auf einzelne Kinder mit besonderen Entwicklungsprofilen präsentiert und in gegenseitiger Ergänzung der qualitativen und quantitativen Zugänge hinsichtlich zukunftsweisender Schlussfolgerungen für professionsorientiertes Handeln diskutiert.

Die Studie liefert Erkenntnisse zur Wirkung der jahrgangsbezogenen und jahrgangsübergreifenden Zusammensetzung von Lerngruppen im Hinblick auf das soziale und akademische – auf die Leseleistungen bezogene – Selbstkonzept. Dabei wird aus schulpraktischer Sicht deutlich, dass die befragten Lehrerinnen und Lehrer die neuen differenzierten Aufgaben der Schuleingangsphase angenommen haben und versuchen, die damit verbundenen Herausforderungen auf der didaktischen Ebene mit innerer Differenzierung und individueller Förderung zu begegnen. In wissenschaftsorientierter Perspektive unterstreichen die Ergebnisse einerseits die bereits bekannten Effekte jahrgangsübergreifenden Lehrens und Lernens, die in einer Stärkung sozialer Handlungssicherheiten in altersheterogenen Gruppen bei einer gegenüber jahrgangshomogenen Klassen vergleichbaren Lernleistung bestehen. Andererseits verweisen sie aber in neuartiger Weise auf einen deutlich positiven Effekt, den der nach dem ersten Schulbesuchsjahr vollzogene Wechsel vom jahrgangsgebundenen in den jahrgangsübergreifenden Unterricht auf das akademische und soziale Selbstkonzept haben kann.

Bezugnehmend auf die vorliegenden Forschungsergebnisse wird abschließend ein Ausblick auf die Aspekte gegeben, die für die Entwicklung der Schuleingangsphase bedeutend sind. Diese beziehen sich u.a. auf die Aufgaben der Professionalisierung von Lehrerinnen und Lehrern, die Stärkung der kindlichen Selbstkonzepte sowie die Kommunikation und Partnerschaft in der Lernbegleitung.

Der vorliegende Band bietet umfassende Theoriezugriffe sowie aktuelle multiperspektivisch gewonnene empirische Daten, die für die Übergangssituation relevant sind und liefert darüber hinaus grundsätzliche Überlegungen für didaktische und strukturelle Innovationen. Insofern stellt er eine Grundlage zur Themenbearbeitung in Forschung und Studium dar. Zugleich kann er Lehrerinnen und Lehrern aber auch Mut machen, sich im aktuellen Praxisbezug mit den Entwicklungen, Prozessen und Herausforderungen der neuen Schulleingangsphase zu beschäftigen.

[1] Forschungsprojekt „DÜnE“: Der Übergang in die neue Eingangsstufe – Untersuchung zur Entwicklung von Bewältigungsstrategien und Lesekompetenzen in der neuen Schuleingangsphase in NRW im Auftrag des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen.
Anna Funger (Dortmund)
Zur Zitierweise der Rezension:
Anna Funger: Rezension von: Beutel, lvia-Iris / Hinz, Renate: Schulanfang im Wandel, Selbstkonzepte der Kinder als pädagogische Aufgabe. Berlin: Lit 2008. In: EWR 7 (2008), Nr. 6 (Veröffentlicht am 05.12.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978382581388.html