EWR 15 (2016), Nr. 3 (Mai/Juni)

Annette Textor
Einführung in die Inklusionspädagogik
Bad Heilbrunn / Stuttgart: Klinkhardt UTB 2015
(219 S.; ISBN 978-3-8252-4340-1; 19,99 EUR)
Einführung in die Inklusionspädagogik Textors Einführung bietet für Studierende, Referendare und Lehrkräfte einen differenzierten und leicht zugänglichen Überblick über Grundlagen und Praxis schulischer Inklusion. Der Fokus liegt explizit auf der „Partizipation von Menschen mit Behinderung bzw. von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt“ (13), wobei diese im Rahmen eines „systemisch orientierten Inklusionsbegriffes“ (ebd.) behandelt wird.

Das Buch umfasst neun Kapitel. In den ersten drei Kapiteln werden Begriffe, geschichtliche und bildungspolitische Hintergründe sowie empirische Befunde erörtert. Im Weiteren werden schulische Aspekte in den Blick genommen (Kap. 5: Diagnostik; Kap. 6: Schul- und Unterrichtsorganisation; Kap. 7: Didaktik). Die Ausführungen schließen mit Überlegungen zur Schulentwicklung (Kap. 8) und dem Übergang von Schule zu Beruf (Kap. 9).

Der Grundlagenteil des Buches beginnt mit einer Klärung der zentralen Begriffe Behinderung, sonderpädagogischer Förderbedarf, Integration und Inklusion. Dabei geht Textor insbesondere auf die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF), die Wechselwirkungen zwischen personenbezogenen und externen Faktoren sowie den Aspekt der Teilhabe ein. Sonderpädagogischer Förderbedarf (im Folgenden: SPF) wird an dieser Stelle als „Behinderung im Bildungsbereich“ (22) eingeführt.

Es folgen eine kurze, doch sehr informative Darstellung der historischen Entwicklung von der Entstehung der Hilfsschule über die ersten integrativen Schulversuche bis hin zur Inklusion sowie ein Überblick über die rechtlichen Grundlagen. Die Autorin diskutiert deren – sehr unterschiedliche – Umsetzung anhand statistischer Kennzahlen wie Förder- und Integrationsquoten.

Unter der Frage nach der „Machbarkeit von Inklusion“ (75) werden anschließend in Kapitel 4 die – teilweise widersprüchlichen Ergebnisse – zur Wirkung nicht segregierender Beschulung für Schülerinnen und Schüler mit und ohne SPF vorgestellt. Textor gibt den Forschungsstand übersichtlich wieder und bietet Hinweise zur Einordnung der Ergebnisse. Sie stellt heraus, dass auf die soziale Teilhabe der Schülerinnen und Schüler mit SPF sowie die Leistungen der Schülerinnen und Schüler ohne SPF „die konkrete Umsetzung von Inklusion […] in hohem Maße Einfluss hat“ (76). Gleichzeitig wird bilanziert: „Die schlechteren Schulleistungen von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt Lernen in Förderschulen hingegen scheinen tatsächlich mit dem generellen Setting zu tun zu haben“ (76).

Den unmittelbar auf schulische Praxis bezogenen zweiten Teil des Buchs leitet in Kapitel 5 eine Erläuterung zu (Förder-)Diagnostik und der Systematisierung der unterschiedlichen SPF der Kultusministerkonferenz (KMK) ein, gefolgt von einer exemplarischen Darstellung zum SPF-Zuweisungsverfahren. Dabei geht Textor auf die Problematik der Diagnostik des SPF ein und thematisiert u.a. die Schwierigkeit einer Abgrenzung zwischen den verschiedenen Förderschwerpunkten sowie die Problematik, dass die betreffenden Schülerinnen und Schüler nicht als aktive Subjekte in den Verfahren beteiligt seien (87).

Das nächste Kapitel 6 widmet sich Organisationsformen inklusiver Schulen. Textor stellt verschiedene Modelle der Einbindung sonderpädagogischer Ressourcen vor und nennt mit der Laborschule Bielefeld ein „praktisches Beispiel für eine Mischung der unterschiedlichen Varianten“ (95). Außerdem erfolgt ein Einblick in die Umsetzung schulischer Inklusion in anderen europäischen Ländern.

In Kapitel 7 werden verschiedene didaktische Modelle auf ihre Tauglichkeit für den inklusiven Unterricht hin diskutiert und zentrale Elemente inklusiver Unterrichtsgestaltung wie Differenzierung und eine inklusive Grundhaltung genauer erörtert. In diesem Zusammenhang verweist die Autorin deutlicher als an anderen Stellen darauf, dass sich Inklusion „nicht ausschließlich auf die Berücksichtigung sonderpädagogischer Förderbedarfe [bezieht], sondern auf die Bearbeitung aller möglichen Differenzen, die in Lerngruppen vertreten sein können“ (120f).

Das vorletzte Kapitel 8 des Buches widmet sich der Frage, wie sich eine Entwicklung hin zur inklusiven Schule vollziehen kann. Textor bespricht hier kurz grundlegende Funktionen von Schule in der Gesellschaft und greift Fragen sozialer Benachteiligung im und durch das Bildungssystem auf. Sie erläutert dann zwei konkrete Programme zur Schulentwicklung (Index of Inclusion, Schulprogrammarbeit) sowie Formen multiprofessioneller Kooperation. Das Buch schließt mit einem Ausblick auf die Zeit nach der Schule: Der Beitrag von Jessica Matis, Aukje Rüting und Hannah Ziegler befasst sich mit beruflicher Inklusion und deren schulischer Vorbereitung.

Textor liefert auf gut 200 Seiten einen gelungenen und praxisnahen Überblick zu schulischer Inklusion im Zusammenhang mit SPF. Jedes Kapitel beginnt mit einer Zusammenfassung und schließt mit Übungsaufgaben sowie Literaturhinweisen. Die Aufgaben eignen sich zur vertieften Bearbeitung ebenso wie dazu, die Inhalte Revue passieren zu lassen. Das Buch ist damit als (Selbst-)Lernmaterial gleichermaßen wie zur Unterstützung von Einführungsveranstaltungen im Lehramtsstudium empfehlenswert. Dabei sind die Ausführungen notwendigerweise beschränkt und stellen die Dimension Behinderung in den Vordergrund. Die Autorin bettet ihre Ausführungen überdies nur bedingt in größere gesellschaftliche bzw. theoretische Kontexte ein. So bleibt es beispielsweise in Bezug auf Problematiken des gegliederten Schulsystems oder des SPF-Zuweisungsverfahrens bei systemimmanent gedachten Lösungen. Der Zusammenhang zu gesellschaftlichen Ungleichheiten oder auch grundlegende Fragen der (De-)Kategorisierung werden kaum beleuchtet. Verweise auf intersektionale Verschränkungen erfolgen lediglich punktuell hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen SPF und sozialem sowie Migrationshintergrund.

Hiermit ist eine grundlegende Schwierigkeit der Darstellung eines so vielschichtigen Themas wie Inklusion angesprochen: Die Bearbeitung weiterer Heterogenitätsdimensionen und ihrer Verschränkungen würde selbst in einem umfangreichen Handbuch Gefahr laufen, den jeweiligen Diskursen nicht gerecht zu werden. Es ist also durchaus nachzuvollziehen, dass die Autorin für ein Einführungsbuch die Dimension Behinderung bzw. sonderpädagogischer Förderbedarf herausgreift, u.a. da diese in der aktuellen Debatte um Inklusion im Mittelpunkt steht. Allerdings wäre es, auch ohne die weiteren Diskurse in intensio aufzugreifen, wünschenswert gewesen, die Leserinnen und Leser deutlicher und wiederholter auf die Leerstellen hinzuweisen, die aus der Schwerpunktsetzung resultieren. Ein Beispiel, wie so eine Orientierung gelingen kann, ohne die eigentliche Darstellung zu überfrachten, findet sich im Buch selbst in der Erläuterung der – für ein Erstverständnis hilfreichen, aber inhaltlich verkürzenden – Übersichtsgrafiken zum Integrations-/Inklusionsbegriff (31ff).

Es ist positiv hervorzuheben, dass die Autorin ihre Schwerpunktsetzung auf Behinderung bzw. SPF einleitend klar als Teilaspekt eines weiter gefassten Inklusionsverständnisses benennt. An anderen Stellen, wo vergleichbare Hinweise fehlen, wird es aber gerade unerfahrenen Leserinnen und Lesern schwer fallen, die nicht benannten Aspekte bemerken und reflektieren zu können. Ein systemisches Inklusionsverständnis, das „alle Personen, unabhängig von individuellen Merkmalen oder Zugehörigkeitszuschreibungen zu bestimmten Gruppen“ (13) betrifft, gerät so vermutlich grundlegender aus dem Blick, als es von Textor beabsichtigt ist. Symptomatisch scheinen hier Umschlagbild und Innenillustrationen, welche eine heterogene Schülerschaft abbilden (sollen), in der aber kulturelle, religiöse oder ethnische Diversität nicht repräsentiert sind.

Es obliegt also Lehrenden bzw. Leserinnen und Lesern im Selbststudium, den Hinweis Textors auf den Fokus ihrer Ausführungen in dem Sinne ernst zu nehmen, dass es weiterer begleitender Lektüre bedarf, um ein umfassendes Bild inklusiver Schule in systemischer Perspektive zu entwickeln. Das vorliegende Buch leistet hierfür einen wichtigen Beitrag, indem es sein Ziel erfüllt, eine verständliche, auf das Feld Schule und die Dimension Behinderung konzentrierte Einführung in die Inklusive Pädagogik zu liefern.
Natascha Korff (Bremen)
Zur Zitierweise der Rezension:
Natascha Korff: Rezension von: Textor, Annette: Einführung in die Inklusionspädagogik. Bad Heilbrunn / Stuttgart: Klinkhardt UTB 2015. In: EWR 15 (2016), Nr. 3 (Veröffentlicht am 25.05.2016), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978382524340.html