EWR 7 (2008), Nr. 1 (Januar/Februar)

Jutta Ecarius (Hrsg.)
Handbuch Familie
Wiesbaden: VS Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften 2007
(701 S.; ISBN 978-3-8100-3984-2; 59,90 EUR)
Handbuch Familie „Die Erziehungswissenschaft hat Familie erst in den letzten Jahren als einen eigenen Gegenstand empirischer und theoretischer Forschung entdeckt. […] Mit dem Handbuch ‚Familie’ wird erstmalig versucht, einen Überblick über die neueren Forschungen zu Familie zu geben, zentrale Ansätze systematisch zu bündeln und pädagogische Fragestellungen aufeinander zu beziehen“ (9). Mit diesen Worten führt Jutta Ecarius in das Handbuch ein und richtet den Blick zugleich auf den Anspruch des Buches. Einen Überblick zu geben über das, was die Erziehungswissenschaft zum Thema Familie zu sagen hat, erscheint zu einer Zeit, in der Familie zunehmend in den Blick auch der öffentlichen Diskussion kommt, ein durchaus wichtiges Unterfangen. Sogleich zeigt sich jedoch auch die Schwierigkeit einer derartigen Unternehmung: Erziehungswissenschaftliche Forschung, die sich mit Familie befasst, findet sich verstreut und häufig auch unhinterfragt (z.B. als „primäre Sozialisationsinstanz“) in unterschiedlichen Teildisziplinen und damit in unterschiedlichen theoretischen Diskussionen mit teilweise recht unterschiedlichen Verständnissen von Familie. Das vorliegende Handbuch versucht somit ein Themengebiet zu fassen, dass „eher im Zwischenbereich erziehungswissenschaft-licher Themenfelder“ (9) zu finden ist. Verbindend ist allein der Fokus, der „sich auf das Verhältnis von familialer Erziehung sowie Sozialisation und professionelle Erziehung und Bildung“ (10) richtet.

Diese Ausgangslage führt zu einer für ein Handbuch eher ungewöhnlichen Konzeption: Expertinnen und Experten erziehungswissenschaftlicher Teildisziplinen erhielten den Auftrag, das eigene „Themengebiet mit Familie zu konfrontieren, nach Zusammenhängen zu fragen und theoretische Überlegungen anzustellen“(10), um auf diese Weise „erziehungswissenschaftliche Felder mit dem Fokus Familie ‚gegen den Strich zu bürsten’ und um diese Thematik zu erweitern“ (10). In den Beiträgen werden auf diese Weise grundlegende Analysen im Hinblick auf Familie und bestehende Forschungsansätze vorgestellt.

Das Handbuch gliedert sich in fünf große Themenbereiche: Familienstrukturen, Familienformen, Familie und Bildungsinstitutionen, Familie: Differentielle Felder, Familie und sozialpädagogische Arbeitsfelder

Im ersten Bereich, Familienstrukturen, gibt Burckhard Fuhs einen Einblick in die Geschichte der Familie, der von Rüdiger Peuckert durch einen Beitrag ‚Zur aktuellen Lage der Familie’ ergänzt und von Francois Höpflinger/Beat Fux um den Blick auf den europäischen Raum erweitert wird. Die Beiträge ‚Familien und Sozialstruktur’ (Marc Szydlik), ‚Geschlechteraspekte im Kontext von Familie’ (Barbara Rendtorff) sowie ‚Familie und Migration’ (Franz Hamburger/Merle Hummrich) fragen nach Strukturen der Ungleichheit im Zusammenhang mit Familie.

Mit Handlungsformen und Interaktionen in Familien befasst sich der zweite Themenbereich. Es werden zunächst allgemein Muster familialer Erziehung (Jutta Ecarius) und innerfamiliale Interaktionen (Gabriele Gloger-Tippelt) im Überblick skizziert. Daran schließen sich Forschungen zu Familienangehörigen an: zunächst Väter und Mütter (Barbara Friebertshäuser/Michael Matzner/Ninette Rothmüller), danach Großeltern (Anna Brake/Peter Büchner) und schließlich Verwandtschaft generell (Jutta Ecarius). Auf diese Betrachtungen der Familie aus Perspektive der verwandtschaftlichen Nähe folgen drei Artikel, die Familie im Hinblick auf den Lebenslauf der nachwachsenden Generation untersuchen: ‚Kindheit und Familie’ (Andreas Lange), ‚Jugend und Familie’ (Richard Münchmeier) sowie ‚Alter und Familie’ (Cornelia Schweppe).

Der dritte Themenbereich nimmt pädagogische Bildungsinstitutionen und deren Zusammenhänge mit Familie in den Blick. Am (möglichen) Kontakt von Kindern im Lebensverlauf orientiert gliedert der Themenbereich sich in Familie und Elementarerziehung (Lilian Fried), Grundschule (Maria Fölling-Albers/Friederike Heinzel), Schule (Susann Busse/Werner Helsper), Weiterbildung (Jürgen Wittpoth) und zuletzt Familienbildung (Martin R. Textor).

Unter dem Stichwort ‚differentielle Felder’ werden im anschließenden vierten Teil ganz unterschiedliche Themen in den Blick genommen, die in der bisherigen Systematik keinen Platz gefunden haben: Unterschiedliche kulturelle Transferbeziehungen (z.B. monetäre oder kulturelle) werden von Ludwig Stecher/Jürgen Zinnecker erörtert. Aus historischer Perspektive untersucht Carola Groppe ‚Familiengedächtnisse und Familienstrategien’. Kathrin Audehm/Christoph Wulf/Jörg Zirfas diskutieren Rituale in Familien und stellen empirische Analysen vor. Als weitere differentielle Felder schließen die Beiträge zu Literatur (Karin Richter), Medien (Burkhard Schäffer), Gesundheit (Stephan Sting) sowie zu Religion (Ulrich Schab) diesen vierten Teil ab.

Im fünften und letzten Teil des Handbuchs werden die Arbeitsfelder der Sozialpädagogik vorgestellt, die sich auf Familie beziehen. Den gesetzlichen Rahmen für sozialpädagogische Arbeit liefert der erste Beitrag über ‚Familienrecht’ (Britta Tammen). Johanna Mierendorff/Thomas Olk geben einen Einblick in die Entstehungsgeschichte und derzeitigen Konzepte der ‚Kinder- und Jugendhilfe’. Handlungsfelder und Konzeptionen der ‚Hilfen zur Erziehung’ aus historischer und aktueller Perspektive werden von Mechthild Seithe skizziert. Die ‚sozialpädagogische Familienhilfe’ (Heinz Schattner) wird nochmals in einem eigenen Artikel erörtert. Wie gesetzliche Regelungen und pädagogische Konzeptionen Elternrecht und Kindeswohl dichotomisieren, analysieren Petra Bauer/Christine Wiezorek. Die letzten drei Artikel dieses sozialpädagogischen Teilbereichs befassen sich mit ausgewählten sozialpädagogischen Themen: ‚Gewalt in der Familie’ (Kai-D. Bussmann), ‚Beratung und Familietherapie’ (Stefan Schmidtchen) und ‚Erziehungsratgeber’ (Markus Höffer-Melmer).

Mit dem Handbuch Familie liegt ein Werk vor, das in klarer Form einen Überblick über die bestehende Forschung und Theoriebildung in Bezug auf Familie innerhalb der erziehungswissenschaftlichen Teildisziplinen sowie ausgewählter Themengebiete gibt. Erstmals wird die zentrale Erziehungs- und Sozialisationsinstanz Familie explizit aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive unter die Lupe genommen. Dies ist eine ausgesprochene Stärke des Buches. Durch die Gliederung des Buches in die genannten fünf großen Teilbereiche sollen alle erziehungswissenschaftlichen Bereiche in den Blick kommen, „die zentral von Familie berührt sind oder sie betreffen“ (10). Dies scheint mir für Leserinnen und Leser aus den verschiedenen Disziplinen ein entgegenkommender Aufbau. Schnell und gezielt kann man sich einen Überblick über den Stand der Diskussion in Bezug auf Familie in der jeweiligen Disziplin machen. Insbesondere im Bereich der Sozialpädagogik ist dies äußerst differenziert gelungen. Der Blick auf Themengebiete, die nicht etablierten Disziplinen entsprechen – etwa der Frage nach Elternarbeit – gelingt hingegen nicht so leicht. Die hierzu zwar vorliegenden Informationen müssen aus einer Vielzahl von Beiträgen eingeholt werden (zu Elternarbeit beispielsweise aus den Artikeln zum Elementarbereich 293, Grundschule 311 oder dem Überblicksartikel zu Familienbildung 377ff.).

Seinem Anspruch, „die unterschiedlichen Themenbereiche von Familie und Erziehungswissenschaft auf[zuzeigen], die empirischen, theoretischen und methodischen Befunde in historischer wie aktueller Perspektive, […] pädagogische und sozialpädagogische Handlungsfelder“ (13) zu diskutieren, kommt das Handbuch in gelungener Weise nach. Meiner Ansicht nach ist jedoch gerade bei einem Thema, das laut Herausgeberin im „Zwischenbereich erziehungswissenschaftlicher Themenfelder“(10) angesiedelt ist, die Frage naheliegend, welche Forschungsdefizite sich in der erziehungswissenschaftlichen Perspektive auf Familie zeigen. Diese Frage erschließt sich aber wiederum nur in der Zusammenschau aller Beiträge: Einige Beiträge weisen explizit auf Forschungslücken hin; bei anderen muss ‚zwischen den Zeilen’ gelesen werden. Hier hätte ich mir einen bilanzierenden abschließenden Beitrag gewünscht, der auch die unterschiedlich weit fortgeschrittene Theoriebildung zusammenfassend in den Blick genommen hätte.
Ruth Michalek (Freiburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Ruth Michalek: Rezension von: Ecarius, Jutta (Hg.): Handbuch Familie. Wiesbaden: VS Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 1 (Veröffentlicht am 06.02.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978381003984.html