EWR 12 (2013), Nr. 2 (MĂ€rz/April)

Sammelrezension „Regionale Ganztagsschulentwicklung“

Silvia Dollinger
Gute (Ganztags-)Schule?
Die Frage nach Gelingensfaktoren fĂŒr die Implementierung von Ganztagsschulen
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2012
(370 S.; ISBN 978-3-7815-1853-7; 36,00 EUR)
Hans GĂ€ngler / Thomas Markert (Hrsg.)
Vision und Alltag der Ganztagsschule
Die Ganztagsschulbewegung als bildungspolitische Kampagne und regionale Praxis
Weinheim / MĂŒnchen: Juventa 2011
(326 S.; ISBN 978-3-7799-2154-7; 32,95 EUR)
Karsten Speck / Thomas Olk / Oliver Böhm-Kasper / Heinz-JĂŒrgen Stolz / Christine Wiezorek (Hrsg.)
Ganztagsschulische Kooperation und Professionsentwicklung
Studien zu multiprofessionellen Teams und sozialrÀumlicher Vernetzung
Weinheim / MĂŒnchen: Juventa 2011
(216 S.; ISBN 978-3-7799-2158-5; 26,95 EUR)
Gute (Ganztags-)Schule? Vision und Alltag der Ganztagsschule Ganztagsschulische Kooperation und Professionsentwicklung Seit 2000 ist ein deutlicher Ausbau an Ganztagsschulen in Deutschland zu verzeichnen. Was sich mit dem Begriff „Ganztagsschule“ verbindet, ist allerdings alles andere als eindeutig. Aufgrund der unterschiedlichen Modelle, die in den verschiedenen BundeslĂ€ndern umgesetzt werden, hat sich mittlerweile eine betrĂ€chtliche Vielfalt entwickelt. Eins ist allen Modellen jedoch gemeinsam, sie verfolgen insbesondere die Ziele, eine vielseitige Förderung von Kindern und Jugendlichen sowie individuelle UnterstĂŒtzungen im Umgang mit Schwierigkeiten, Belastungen und Benachteiligungen zu ermöglichen.

Aufgrund der Unterschiede in der Umsetzungspraxis und der mit dem Ganztagsschulausbau verbundenen Zielsetzungen ergeben sich fĂŒr die Praxis und die Forschung eine Vielzahl von Fragen zur Gestaltung und Umsetzung. Daher ist es nicht verwunderlich, dass in den letzten Jahren mit der steigenden PopularitĂ€t der Ganztagsschule auch die Zahl der BeitrĂ€ge stetig zugenommen hat. WĂ€hrend Stecher in seiner Sammelrezension von 2005 [1] noch schrieb, dass zu vielen Aspekten der Ganztagsschule gesicherte empirische reprĂ€sentative Daten noch fehlen, wurde seit dieser Zeit eine Reihe verschiedener Studien zu diesem Thema durchgefĂŒhrt. Neben breit angelegten Studien (z.B. StEG – Studie zur Entwicklung von Ganztagsschule) etablierte sich zudem eine umfangreiche Forschungspraxis, um den Ausbau der Ganztagsschulen in den LĂ€ndern und in verschiedenen Regionen zu begleiten und deren Wirkungen zu analysieren.

Aus den LĂ€ngsschnittdaten der StEG-Studie wird u.a. deutlich, dass sich eine dauerhafte und regelmĂ€ĂŸige Teilnahme am Ganztagsangebot positiv auf die Entwicklung des Sozialverhaltens, der Motivation sowie der schulischen Leistungen auswirken kann, wenn gleichzeitig die QualitĂ€t der Angebote hoch ist. Die Zusammenarbeit zwischen den LehrkrĂ€ften und dem weiteren pĂ€dagogischen Personal stellt dabei einen wichtigen Ansatzpunkt fĂŒr die Schulentwicklungsarbeit dar. Allerdings ist die IntensitĂ€t der Zusammenarbeit ĂŒber alle untersuchten Ganztagsschulen hinweg als eher gering einzustufen [2].

WĂ€hrend sich die Ergebnisse der StEG-Studie also stĂ€rker auf die Wirkung von organisatorischen und pĂ€dagogischen Gestaltungsaspekten an Ganztagsschulen z.B. auf die SchĂŒlerinnen und SchĂŒler konzentrieren, ermöglichen die drei im Folgenden prĂ€sentierten Veröffentlichungen einen genaueren Einblick in den Prozess der (Um-)Gestaltung von Ganztagsangeboten und den Alltag von Ganztagsschulen. Sie rekapitulieren nach einer Phase des Aus- und Umbaus in verschiedenen Regionen und LĂ€ndern die Ergebnisse begleitender Forschung.

(I) Gute (Ganztags-)Schule?

Bei diesem Buch handelt es sich um eine ĂŒberarbeitete Fassung der Dissertation der Autorin an der UniversitĂ€t Passau. Ausgehend von den Ganztagsschulmodellen, die an den Hauptschulen in Bayern eingefĂŒhrt wurden, untersucht Silvia Dollinger in ihrem Buch, wie sich die EinfĂŒhrung gebundener Ganztagsschulen in Bayern gestaltet und welche förderlichen und hemmenden SchlĂŒsselfaktoren fĂŒr die Implementierung gebundener Ganztagsschulen auf der Struktur- und Prozessebene ermittelt werden können (12). Zur Beantwortung der forschungsleitenden Fragestellungen bedient sich die Autorin eines explorativen Ansatzes in Form von Fallstudien. Grundlage dieser Fallstudien in Form von SchulportrĂ€ts bilden Daten, die in Rahmen von Dokumentenanalysen, Befragungen und Beobachtungen erhoben wurden. Die Schulauswahl orientiert sich an einer bewussten Auswahl von Hauptschulen im Regierungsbezirk Niederbayern der ersten Ausbauphase von Ganztagsschulen anhand vorgegebener pĂ€dagogisch-konzeptioneller und organisatorisch-struktureller QualitĂ€tskriterien (159). Mithilfe der SchulportrĂ€ts gelingt es Silvia Dollinger, einen Einblick in die SchulentwicklungsverlĂ€ufe der fĂŒnf Einzelschulen zu geben. Die komplexe RealitĂ€t wird reduziert und greifbar gemacht, so dass die Formulierung bedeutsamer SchlĂŒsselfaktoren gelingen kann.

Das Buch gliedert sich in insgesamt acht Kapitel. Nach einem hilfreichen, klĂ€renden Einleitungsteil stecken die nachfolgenden Kapitel den theoretischen Bezugsrahmen der Arbeit ab. All dies geschieht mit einer starken Fokussierung auf die schulischen Entwicklungslinien in Bayern, so dass der Theorieteil sich vor allem fĂŒr interessierte Leser bayrischer EntwicklungsverlĂ€ufe bzw. fĂŒr Praktiker aus Bayern eignet, die sich in diesem Themengebiet einen Überblick verschaffen möchten. Die folgenden Kapitel 4 bis 8 beziehen sich dann auf die empirische Studie: Neben der Beschreibung des methodischen Vorgehens erfolgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Studie und die Formulierung bedeutsamer SchlĂŒsselfaktoren fĂŒr die gelungene Implementierung gebundener Ganztagsschulen in Bayern. Darauf aufbauend werden anschließend konkrete Gestaltungs- und Handlungsempfehlungen auf der Struktur- und Prozessebene abgeleitet und Perspektiven fĂŒr den weiteren Ausbau von Ganztagsschulen in Bayern aufgezeigt.

Aus den einzelnen SchulportrĂ€ts geht hervor, dass die Schulen aufgrund der fehlenden Vorgaben „jeweils eine eigene spezifische Art und Weise der inhaltlich-organisatorischen Implementierung des Ganztagskonzepts“ (238) entwickelt haben, allerdings zeigen sich bei allen Unterschieden auch deutliche Gemeinsamkeiten in den Schulentwicklungsprozessen. Eindeutige Gelingensfaktoren konnten nicht identifiziert werden, allerdings ließen sich spezifische SchlĂŒsselfaktoren ermitteln, welche eine gelungene Implementierung bedingen. Diese wurden im Rahmen einer Systematik als ein zentrales Ergebnis aus den fĂŒnf SchulportrĂ€ts zusammengetragen (253). Dabei wird deutlich, dass fĂŒr eine gelungene Implementierung „harte“ und „weiche“ SchlĂŒsselfaktoren ineinander greifen. So reicht es im Entwicklungsprozess nicht aus, sich auf die außer- und innerschulischen Rahmenbedingungen, die Organisation und pĂ€dagogische Ausgestaltung zu konzentrieren. Vielmehr bedarf es u.a. auch VerĂ€nderungsstrategien und eines innovativen Schulklimas (253). Um die pĂ€dagogische QualitĂ€t von Ganztagsschulen zu gewĂ€hrleisten und zu verbessern, ist es wichtig, „die geplante Initiierung und Implementierung von Ganztagsschule im Sinne einer systematischen, pĂ€dagogisch-organisatorischen VerĂ€nderung innerhalb der Bildungsinstitution Schule zu betrachten“ (237). Dies gelingt den dokumentierten Ganztags-Hauptschulen aufgrund organisatorischer, finanzieller und personeller WiderstĂ€nde nur im bedingten Maße. Als UnterstĂŒtzung in diesem Bereich weist Silvia Dollinger auf die Notwendigkeit des Aufbaus einer schulpĂ€dagogischen Gesamtkonzeption und einer damit verbundenen wissenschaftlichen Prozessbegleitung hin, die in Bayern jedoch noch am Anfang steht.

Ob die explizit in Bayern und fĂŒr Bayern gewonnenen Ergebnisse der Studie fĂŒr andere LĂ€nder sĂ€mtlich gewinnbringend sind, erscheint aufgrund des Schulartbezugs und der landesspezifisch teils sehr unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen fraglich. So wurde der Ausbau gebundener Ganztagsschule an Hauptschulen in Bayern nicht von oben verordnet, sondern oblag in der Anfangsphase der Bereitschaft der einzelnen Schulen. Damit „entwickelte sich Ganztagsschule mancherorts erst baulich und rĂ€umlich, bevor der pĂ€dagogische Innovations- und Schulentwicklungsprozess in Gang kam“ (323). Die Ergebnisse der Studie erweisen sich aber dennoch als Ă€ußerst ergiebig. Dollinger zeigt, wie komplex die Entwicklung der Ganztagsschule ist und an welchen Handlungsfeldern anzusetzen wĂ€re. Dabei wird einmal mehr deutlich, dass es multiple Faktoren sind, die eine als gelungen zu bewertende Implementierung von Ganztagsschulen beeinflussen.

(II) Vision und Alltag der Ganztagsschule

Der von Hans GĂ€ngler und Thomas Markert herausgegebene Band bietet eine Zusammenschau von Befunden und Analysen mehrerer Forschungsprojekte, die an der Technischen UniversitĂ€t Dresden zur regionalen Ganztagsschulentwicklung in Sachsen seit 2003 durchgefĂŒhrt wurden. Die BeitrĂ€ge beschreiben auf einer breiten thematischen Basis den Ausbau von Ganztagsangeboten und die damit einhergehenden Erfahrungen bei der Umgestaltung der Halbtagsschulen zu Ganztagsschulen. Zudem wird auch der Frage nachgegangen, welche mit der Ganztagsschule in Verbindung stehenden bildungspolitischen Hoffnungen berechtigt scheinen und welche (zumindest vorerst) eher unrealistisch sind (8).

Der empirische Hintergrund der quantitativ und qualitativ zu verortenden Forschungsbefunde in den EinzelbeitrĂ€gen bezieht sich auf vier von der „Forschergruppe Ganztagsschule“ der FakultĂ€t Erziehungswissenschaften der TU Dresden durchgefĂŒhrte Projekte. Kennzeichnend fĂŒr diese Projekte, die in einem Beitrag von Antje Förster, Thomas Markert und Janine Berge nĂ€her beschrieben werden, ist nach Angaben der Autoren, dass diese auf bundesweite, landesweite und TU-eigene Initiativen zurĂŒckzufĂŒhren sind (75).

Nach einem kurzen einleitenden Beitrag, der ins Thema einfĂŒhrt und einen Überblick ĂŒber die BeitrĂ€ge enthĂ€lt, gliedert sich der Band in drei Abschnitte. Der erste Abschnitt resĂŒmiert die bildungspolitische Entwicklung zum Ganztagsschulausbau, deren regionale Übersetzung in Sachsen und die damit einhergehende wissenschaftliche Begleitung. Hier ist insbesondere der Beitrag von Andreas Wiere hervorzuheben, der auf eine journalistisch pointierte Art und Weise den Ursprung und die BegrĂŒndungslinien der ‚neuen’ Ganztagsschulbewegung nachzeichnet. Sie hat ihren Ursprung in einer bildungspolitischen Kampagne und ist nicht, wie teils in der Literatur wiedergeben, als Folge der Ergebnisse aus der PISA-Studie 2000 zu verstehen. Die BegrĂŒndungslinien, die fĂŒr den Ganztagsschulausbau angefĂŒhrt werden, sind dabei nicht neu, sondern bereits in den AusfĂŒhrungen der Bildungskommission aus dem Jahre 1968 zu finden. „Im Hinblick auf die [
] BegrĂŒndungen fĂŒr mehr Zeit in der Schule erscheint die Lösung Ganztagsschule [damit] fast so unspezifisch und flexibel wie ein Gesundheitsbad“ (30), wĂ€hrend die empirischen Erkenntnisse hinter den an den Ganztagsschulausbau geknĂŒpften Erwartungen zurĂŒck bleiben.

In den letzten beiden BeitrĂ€gen dieses Abschnitts von Susanne Dittrich und Tobias Lehmann sowie Thomas Markert wird die Entwicklung und Konzeption der Ganztagsschulidee mithilfe von SchulportrĂ€ts nachgezeichnet. An diesen Beispielen wird eindrĂŒcklich sichtbar, wie unterschiedlich die Entwicklungswege hin zur Ganztagsschule verlaufen und innerhalb der Einzelschulen teils erfolgreich bzw. weniger erfolgreich umgesetzt werden. Im Bereich der Primarstufe trifft der Ganztagsschulausbau in Sachsen auf die Tradition der Horte. Thomas Markert liefert eine Bestandaufnahme der Zusammenarbeit von Grundschule und Hort und beschreibt drei idealtypische Kooperationsformen. Hierbei zeigt sich, dass ein ganzheitliches Ganztagsangebot von Schule und Hort dann gelingt, wenn die Schule im Hort einen starken, eigenstĂ€ndigen, kompetenten Partner findet und die Akteure von Anbeginn gemeinschaftlich an der Entwicklung eines Ganztagskonzepts beteiligt sind, welches von beiden Einrichtungen getragen und umgesetzt wird (110).

Der zweite Abschnitt widmet sich den empirischen und theoretischen BeitrĂ€gen, die aus den Forschungsprojekten der Forschergruppe Ganztagsschule Sachsen entstanden sind. In den EinzelbeitrĂ€gen werden u.a. Ergebnisse zur Bewertung der Ganztagsangebote aus Leitungs-, Lehrer-, Eltern und SchĂŒlersicht prĂ€sentiert, zur Kooperation zwischen Schule und außerschulischen Einrichtungen, zur SchĂŒler- und Elternpartizipation und zu den Möglichkeiten und Grenzen der Förderung in Ganztagsschulen.

Interessant in diesem Abschnitt sind jedoch vor allem die zwei BeitrĂ€ge zur Rhythmisierung. Wolfram Kulig und Matthias MĂŒller zeichnen zunĂ€chst die Bedeutung ganztagsschulischer Rhythmisierung nach und weisen auf die Probleme zwischen AnsprĂŒchen und tatsĂ€chlicher Umsetzung hin. In einem zweiten Teil prĂ€sentieren sie Ergebnisse zur Umsetzung von Rhythmisierungskonzepten an den Einzelschulen. Hierbei zeigt sich, dass die Rhythmisierung an den untersuchten Einzelschulen unterschiedlich umgesetzt und auf der Basis der quantitativen Daten eine umfassende Neustrukturierung der zeitlichen SchulablĂ€ufe nicht erkennbar wird (181). Der Beitrag von Stephan Bloße schließt hier an. Mittels eines qualitativ-explorativen Vorgehens wird beispielhaft fĂŒr eine Grundschule ein Rhythmisierungs-PortrĂ€t skizziert. Dabei wird deutlich, dass eine Ă€ußere Rhythmisierung in Form verĂ€nderter Stundentafeln nicht zwingend die tatsĂ€chlich umgesetzte Struktur der Rhythmisierung wiedergibt. Äußere Strukturen können damit innerschulische VerĂ€nderungen zwar fördern, stellen jedoch keine Garantie dafĂŒr da (204).

Der letzte Abschnitt thematisiert „BezĂŒge und Perspektiven der (sĂ€chsischen) Ganztagsschule“. Er enthĂ€lt zwei BeitrĂ€ge, die auf eine kritisch-reflektierende Weise Ergebnisse aus den vorherigen BeitrĂ€gen herausgreifen. Thomas Markert wagt einen geschichtlichen RĂŒckblick und versucht einen Vergleich heutiger Ganztagsschulen mit der Ganztagsschulentwicklung in der DDR. Der erste Teil des Beitrages ist eher historischer Art und wird im zweiten Teil durch die Analyse eines solchen Vergleichs durch drei Schulleiter ergĂ€nzt. ResĂŒmierend stellt er fest: „WĂ€hrend die offene Ganztagsschule mit additivem Nachmittagsprogramm an der Struktur, den ideologiefreien Bildungsinhalten und den Kooperationsformen der POS [polytechnische Oberschule] anknĂŒpft, existiert fĂŒr die vollgebundene Ganztagsschule kein (noch erinnerter) Bezugspunkt im DDR-Schulsystem“ (310). Aufgrund der Tradition, des geringeren VerĂ€nderungsbedarfs und der breiteren Akzeptanz wird daher vor allem das offene Ganztagskonzept an sĂ€chsischen Schulen umgesetzt.

Im letzten Beitrag greift Hans GĂ€ngler nochmals die Frage „Wozu Ganztagsschule?“ auf und zeigt, dass lediglich ein Effekt im Zusammenhang mit dem Ausbau von Ganztagsschulen als gesichert gelten kann und zwar der des verlĂ€sslichen Betreuungsangebots (317). Er kommt zu dem Schluss, dass der Umstellungsprozess des Schulwesens von Halbtags- zu Ganztagsschulen derzeit bei weitem nicht abgeschlossen ist (320) und das Erreichen der bildungspolitischen Ziele zum einen von verschiedenen Faktoren, aber auch von der Entwicklung des Umgestaltungsprozesses in den nĂ€chsten Jahren abhĂ€ngen wird.

Abschließend kann festgehalten werden, dass nicht alle BeitrĂ€ge im Ganzen zu einer kritischen Umdeutung des Bewegungsbegriffs der Ganztagsschulentwicklung beitragen und damit nicht immer dem in der Einleitung formulierten Anspruch des Bandes (7) gerecht werden. Insgesamt bietet die Veröffentlichung jedoch eine gute Zusammenschau der Ergebnisse zur Ganztagsschulpraxis in Sachsen und sowohl fĂŒr Praktiker als auch fĂŒr die Fachöffentlichkeit die Möglichkeit, spezifische Problemfelder der Ganztagsschule zu identifizieren und daraus empirisch begrĂŒndete Empfehlungen fĂŒr die Weiterentwicklung von Ganztagsschulen zu gewinnen.

(III) Ganztagsschulische Kooperation und Professionsentwicklung

In Ganztagsschulen kommt der Kooperation mit unterschiedlichen inner- und außerschulischen Partnern, der sozialrĂ€umlichen Vernetzung sowie der Professionsentwicklung des Personals eine entscheidende Bedeutung zu. Erstmals werden mit diesem Band Erkenntnisse verschiedener Projekte, die vom BMBF im Rahmen des bundesweiten Investitionsprogramms „Zukunft Bildung und Betreuung“ (IZBB) in diesem Themenbereich gefördert wurden, gebĂŒndelt vorgestellt und diskutiert.

Der empirische Hintergrund der quantitativ und qualitativ zu verortenden Forschungsbefunde in den einzelnen BeitrĂ€gen bezieht sich sehr hĂ€ufig auf die umfangreichen LĂ€ngsschnittdaten der „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ (StEG). Aber auch eigenstĂ€ndig durchgefĂŒhrte Forschungsvorhaben werden dokumentiert. Dies gilt insbesondere fĂŒr das zweite Kapitel.

Nach einer umfĂ€nglichen Einleitung strukturiert sich der Band in zwei Themenbereiche. Die BeitrĂ€ge im ersten Themenbereich beschĂ€ftigen sich mit der Professionsentwicklung und Kooperation an Ganztagsschulen, die sich aus der Zusammenarbeit unterschiedlicher Berufskulturen an Ganztagsschulen ergibt. Karsten Speck, Thomas Olk und Thomas Stimpel skizzieren in diesem Abschnitt anhand der Forschungsbefunde aus 15 Schulfallstudien drei idealtypische Kooperationstypen (76), die Praktiker an Schulen dazu anregen können, die Kooperationskultur der eigenen Schule zu hinterfragen. Aufbauend auf den drei Vergleichsdimensionen KooperationsverstĂ€ndnis, Kooperationspraxis und Auswirkungen leiten sie fĂŒnf Gelingensbedingungen fĂŒr gute Zusammenarbeit ab:

  1. Konzeptionelle Verankerung und Einbindung aller LehrkrÀfte,
  2. Strukturelle Absicherung der Kooperation, z.B. durch Gremien,
  3. Reflexion der eigenen Berufsrolle und PerspektivenĂŒbernahme, Bereitschaft sich auf zeitliche und inhaltliche Anforderungen einzulassen,
  4. Kontinuierliche Kooperationsbeziehungen und regelmĂ€ĂŸige Reflexion,
  5. Systematische Definition von Schnittstellen fĂŒr die VerknĂŒpfung von formalen, non- formalen und informellen Lernprozessen.


Katja Tillmann und Wolfram Rollett gehen in ihrem Beitrag der Frage nach, welche Auswirkungen die strukturelle Einbindung des weiteren pĂ€dagogisch tĂ€tigen Personals auf die berufsgruppenĂŒbergreifende Zusammenarbeit hat. Die lĂ€ngsschnittlich gewonnenen Befunde belegen, dass eine positive Wechselbeziehung zwischen der IntensitĂ€t der multiprofessionellen Kooperation und der Partizipation des weiteren pĂ€dagogisch tĂ€tigen Personals besteht, die eine gelungene Kooperationsentwicklung begĂŒnstigt. AuffĂ€llig ist dabei, dass diese Gelingensbedingung an Grundschulen etwas stĂ€rker ausgeprĂ€gt ist als an den weiterfĂŒhrenden Schulen (43).

Christine Steiner und Katja Tillmann knĂŒpfen daran an und zeigen mithilfe von Daten aus der StEG-Studie, dass verschiedene Formen der Koordination und eine damit einhergehende Personalauswahl die IntensitĂ€t des Austausches in multiprofessionellen Teams beeinflusst. Vor allem informelle und personalisierte Koordinationsformen des Ganztags tragen zu einer Erhöhung der KooperationsintensitĂ€t bei, wohingegen Einflussmöglichkeiten auf die Stellenbesetzung in Form einer Personalauswahl eher einen negativen Effekt haben (64).

Der zweite Themenbereich bezieht sich auf „Professionsentwicklung und regionale Vernetzung an Ganztagsschulen“. Dabei werden nicht nur Ergebnisse zur Kooperation mit außerschulischen Partnerinnen und Partnern an Ganztagsschulen beschrieben, sondern ebenso die regionale und sozialrĂ€umliche Vernetzung sowie die Rolle von Ganztagsschulen in regionalen und lokalen Bildungslandschaften offen gelegt und diskutiert. So beziehen sich Monika Brenda und Heinz-JĂŒrgen Holtappels in ihrem Beitrag auf Ergebnisse des Forschungsprojekts „Lokale Bildungslandschaften in Kooperation von Ganztagsschule und Jugendhilfe“, welches in sechs Modellregionen durchgefĂŒhrt wurde. Die Ergebnisse sind ernĂŒchternd, zeigen sie doch, dass die Modellregionen noch mit vielen Problemen zu kĂ€mpfen haben, die vor allem die Zusammenarbeit der LehrkrĂ€fte und FachkrĂ€fte der Kinder- und Jugendhilfe betreffen. Als hilfreich in diesem Zusammenhang wird eine schulische SelbststĂ€ndigkeit und Offenheit erlebt. Auch der Aufbau eines flĂ€chendeckenden Fortbildungssystems im Sinne einer Professionsentwicklung wird als gĂŒnstig beschrieben.

Die BeitrĂ€ge von Ulrike Baumheier und Claudia Fortmann sowie Peter Floerecke, Simone Eibner und Michael Pawicki untersuchen die sozialrĂ€umliche Vernetzung von Schulen in benachteiligten Stadtteilen. Im Vergleich von Schulen in benachteiligten und gut situierten Statteilen zeigt sich, dass Ganztagsschulen in benachteiligten Stadtteilen stĂ€rker vernetzt sind und die thematische Ausrichtung der Vernetzung an diesen Schulen vor allem an sozialer UnterstĂŒtzung ausgerichtet ist, wĂ€hrend gut situierte Schulen musisch-kulturelle Angebote bevorzugen (174). Der Ausbau des schulischen Netzwerkes kann an Ganztagsschulen in benachteiligten Stadtteilen damit zu einer VerstĂ€rkung verhaltensbezogener Maßnahmen wie Sprachförderung, Elternarbeit, Berufsorientierung und Stadtteilarbeit fĂŒhren. Damit wird zwar eine Verbesserung der Schul- und Lebenssituation der Kinder und Jugendliche begĂŒnstigt, eine generelle VerĂ€nderung des Benachteiligungsmodus wird dadurch jedoch nicht erreicht (195).

Der Band von Speck, Olk, Böhm-Kasper, Stolz und Wiezorek liefert dem Leser insgesamt eine gute Zusammenschau relevanter Befunde zum Thema „Ganztagsschulische Kooperation und Professionsentwicklung“. Die BeitrĂ€ge richten sich dabei vor allem an die interessierte Fachöffentlichkeit. Aber auch Praktiker in Politik und Schule können anhand der Ergebnisse Anregungen fĂŒr die Weiterentwicklung der eigenen Kooperationspraxis gewinnen. Im Band besonders hervorzuheben sind die jeweils letzten BeitrĂ€ge in beiden Kapiteln (fĂŒr das 1. Kap. von Marianne Horstkemper, fĂŒr das 2. Kapitel von Manfred Rolfes), die die einzelnen Ergebnisse aus den jeweils vorangegangenen BeitrĂ€gen kritisch reflektieren und resĂŒmieren.

(IV) ResĂŒmee

Die Umsetzung des Ausbaus von Ganztagsschulen wird in allen BundeslĂ€ndern realisiert. Allerdings ergeben sich aufgrund der föderalen Bedingungen und Rahmungen der BundeslĂ€nder im Bildungsbereich unterschiedliche Gestaltungslinien und Schwerpunkte im Ganztagsschulausbau. So war in Bayern der Ausbau von Seiten der Landesregierung durch geringe Vorgaben und wenige Erfahrungswerte in Form von Praxistransfers gekennzeichnet und ging zunĂ€chst von der Bereitschaft der Schulen aus. In Sachsen traf die Ganztagsschulentwicklung der letzten Jahre hingegen auf die Tradition der Horte und der außerunterrichtlichen Betreuung in Form nachmittĂ€glicher Arbeitsgemeinschaften an den ehemaligen polytechnischen Oberschulen. Als Folge existiert in Deutschland eine Vielfalt an Ganztagsschulkonzeptionen, die jedoch ĂŒber alle BundeslĂ€nder hinweg sehr Ă€hnliche Zielsetzungen verfolgen.

Aufgrund der teils unterschiedlichen Entwicklungslinien ergibt sich damit die Frage, ob z.B. die explizit fĂŒr Bayern und Sachsen gewonnenen Ergebnisse der Studien fĂŒr andere LĂ€nder, Regionen und Programme sĂ€mtlich gewinnbringend sind bzw. ĂŒbertragen werden können. Gerade fĂŒr Praktiker in Politik und Schule erscheint es damit nicht einfach, aus der FĂŒlle der in den EinzelbeitrĂ€gen beschriebenen Probleme, beabsichtigten und unbeabsichtigten Wirkungen, Gestaltungs- und Handlungsempfehlungen Hinweise fĂŒr die eigene praktische Umsetzung abzuleiten.

FĂŒr die Fachöffentlichkeit lĂ€sst sich festhalten, dass sich ein nicht unerheblicher Teil der Befunde in den drei BeitrĂ€gen auf Fallstudien und SchulportrĂ€ts stĂŒtzt. Damit bilden explorative Vorgehensweisen und deskriptive Verfahren hĂ€ufig den wissenschaftlichen Rahmen, auf den sich Befunde zum Ausbau und zur Wirkung von Ganztagsschulen beziehen. Sie stellen dabei vor allem reale Entwicklungen und Gestaltungsmöglichkeiten in den Mittelpunkt, geben einen umfassenden Überblick zur Ausgangslage und wichtige Hinweise auf mögliche Effekte und Gelingensbedingungen.

Insgesamt versuchen die BeitrĂ€ge mit unterschiedlichen methodischen AnsĂ€tzen (sowohl quantitativ als auch qualitativ) und auf einer teils breiten thematischen Basis LĂŒcken im Bereich der Forschung zum Ganztagsschulausbau zu schließen. Die ReprĂ€sentativitĂ€t der Ergebnisse ist aufgrund der Unterschiede in den BundeslĂ€ndern und der verwendeten Methoden nicht immer gegeben. Es lassen sich jedoch viele Anregungen fĂŒr die eigene Reflexion und Konzeptionierung von weiteren Forschungsvorhaben entdecken, so dass sich die LektĂŒre der BĂ€nde durchaus lohnt.

[1] Ludwig Stecher: Rezension von: Ganztagsbildung in der Ganztagsschule – Eine Sammelbesprechung. In: EWR 4 (2005), Nr. 5 (Veröffentlicht am 04.10.2005), URL: http://www.klinkhardt.de/ewr/ueberblick2003-6.html

[2] Natalie Fischer / Heinz-GĂŒnter Holtappels / Eckhard Klieme / Thomas Rauschenbach / Ludwig Stecher / Ivo ZĂŒchner (Hrsg.): Ganztagsschule: Entwicklung, QualitĂ€t, Wirkungen: LĂ€ngsschnittliche Befunde der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (StEG). Weinheim: Juventa 2011.
Kristina Ackel-Eisnach (Landau)
Zur Zitierweise der Rezension:
Kristina Ackel-Eisnach: Rezension von: Dollinger, Silvia: Gute (Ganztags-)Schule?, Die Frage nach Gelingensfaktoren fĂŒr die Implementierung von Ganztagsschulen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2012. In: EWR 12 (2013), Nr. 2 (Veröffentlicht am 03.04.2013), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151853.html