EWR 11 (2012), Nr. 1 (Januar/Februar)

Jürg Aeppli / Luciano Gasser / Eveline Gutzwiller / Annette Tettenborn
Empirisches wissenschaftliches Arbeiten
Ein Studienbuch für die Bildungswissenschaften
2. durchgesehene Auflage
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2011
(389 S.; ISBN 978-3-7815-1812-4; 19,90 EUR)
Empirisches wissenschaftliches Arbeiten Die Autoren des Studienbuches wenden sich der empirischen Bearbeitung von Fragestellungen der Bildungswissenschaft zu. Sie arbeiten als Professoren und Dozenten an der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz Luzern und liefern mit dem inzwischen in 2. Auflage erschienenen Studienbuch einen pragmatisch orientierten Beitrag zur Vermittlung von wissenschaftlicher Methodenkompetenz im Kontext einer empirisch ausgerichteten Bildungswissenschaft. Das Studienbuch orientiert sich dabei am Bedarf einer aus dem Politiksystem eingebrachten Forderung nach evidenzorientierter bildungswissenschaftlicher Forschung, wie sie sich entsprechend in den Ausbildungsmodulen der Bildungs- und Erziehungswissenschaft in den europäischen Ländern widerspiegelt. Ein speziell auf die Bedürfnisse der Bildungs- und Erziehungswissenschaft zugeschnittenes Studienbuch mit einer Kombination aus der Vermittlung von Forschungsmethoden und den Techniken wissenschaftlichen Arbeitens ist im Kontext der sozialwissenschaftlichen Methodenvermittlung, welche ansonsten im Wesentlichen durch die Nutzung von Lehrbüchern aus den pädagogischen Nachbardisziplinen geprägt wird, eine interessante Erscheinung und schon aus diesem Grunde beachtenswert.

Die im Vorwort dargestellte Entstehungsgeschichte des Buches im Rahmen einer Lehrveranstaltung zum wissenschaftlichen Arbeiten an der PHZ Luzern über ein akademisches Jahr hinweg merkt man dem Buch in vielerlei Hinsicht an. So ist es zum einen sehr praxisorientiert im Hinblick auf die gewählten Beispiele und zum anderen beinhaltet es die notwendigen Wissensbereiche der Planung, Durchführung sowie die Bearbeitung wissenschaftlicher Fragestellungen im bildungswissenschaftlichen Sektor. Das Buch folgt einer Gestaltung der Kapitel, die neben dem laufenden Text und weiterführenden Literaturhinweisen am Ende der Kapitel zentrale Begriffe und Praxisbeispiele in einem gerahmten Text zur Verfügung stellt. Dies erleichtert ein selbständiges Erarbeiten der Inhalte wesentlich. Der Entstehung im Kontext eines Seminars für wissenschaftliches Arbeiten ist es zu verdanken, dass neben der Vermittlung von Kenntnissen zur Planung, Durchführung, Analyse und Auswertung von Forschungsprojekten auch das dazu notwendige Basiswissen wissenschaftlichen Arbeitens zur Verfügung gestellt wird.

Die inhaltliche Strukturierung des Studienbuches folgt dem deduktiven Ansatz und entwickelt sich ausgehend vom allgemeinen zum wissenschaftlichen Wissensbegriff, über die Begriffe der Wissenschafts- und die Erkenntnistheorie bis hin zu einem Exkurs zur Geschichte der Wissenschaftstheorie in Kapitel 1. Eine solche Struktur ist typisch für viele Lehrbücher zur Wissenschaftstheorie und der Methodologie sozialwissenschaftlicher Forschung.

Kapitel 2 thematisiert die Spezifika empirischer Forschung und beinhaltet dementsprechend Ausführungen zur Perspektivität wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie zu den Kennzeichen wissenschaftlicher Fachsprache und wendet sich den Grundbegriffen empirischer Forschung und dem jeweiligen Umgang damit zu (beispielsweise Erfahrungen, Beobachtungen, schlussfolgerndes Denken, Aussagesysteme, Definitionen, Variablen, Hypothesen). Dabei werden im Text alle wesentlichen Bereiche wissenschaftstheoretischen Denkens behandelt. In diesen Kontext wird der Begriff der Bildungswissenschaft als Oberbegriff für die Disziplinen Pädagogik und Erziehungswissenschaft sowie deren Teildisziplinen systematisch eingeordnet. Der Ablauf von Untersuchungen, hier als Fünf-Phasen-Modell, sowie ethische Richtlinien wissenschaftlichen Arbeitens werden in jeweils eigenen Kapiteln behandelt.

In Kapitel 3 wird ausführlich auf die Spezifika der Entwicklung von Forschungskompetenzen von Lehrerinnen und Lehrern im Kontext der Hochschulbildung eingegangen. Dies beinhaltet u. a. die Entwicklung professioneller Kompetenz und einer reflektierten Unterrichts- und Schulentwicklung. In einem zweiten Teil gibt das Kapitel 3 auch einen Einblick in mögliche Forschungsansätze für Lehrpersonen und zeigt sich somit im Hinblick auf die praktische Anwendung empirischer Forschung im Kontext schulischen Lehrens und Lernens.

Das vierte Kapitel liefert eine praxisnahe Einführung in die Planung und Vorbereitung von Untersuchungen. Die innere Struktur des Kapitels folgt dem wissenschaftlichen Vorgehen von der Formulierung der Fragestellung bis hin zum Erstellen eines Untersuchungsplans. Dabei werden sowohl die Vorgehensweisen für qualitative und für quantitative Studien als auch die Bereiche Stichprobenplanung, Forschungsdesigns, Beschaffung, Umgang und Bearbeitung der Literatur zu einem Forschungsthema umfassend berücksichtigt. Die Darstellungen werden mit Praxisbeispielen bildungswissenschaftlicher Forschung treffend ergänzt.

Kapitel 5 wendet sich der Durchführung der Datenerhebung zu. Dafür werden das Erstellen von Zeit- und Ablaufplan für Untersuchungen, die Bereitstellung der Forschungsinstrumente, der Einfluss von Störvariablen und die Sicherung der Daten nach der Erhebung detailliert und praxisnah thematisiert.

In Kapitel 6 werden Datenerhebungsmethoden vorgestellt. Dies sind die schriftliche und mündliche Befragung, die Beobachtung, die Fallstudie und die Evaluation. Damit werden die bedeutsamsten Forschungsmethoden der empirischen Bildungsforschung thematisiert.

Das siebte Kapitel wendet sich den Datenanalysemethoden zu. Vorgestellt werden hier sowohl qualitative als auch quantitative Strategien der Datenanalyse. Als Beispiele für qualitative Methoden werden die Objektive Hermeneutik, die Grounded Theory und die Qualitative Inhaltsanalyse vorgestellt. Dies ist für eine Einführung in das Thema ausreichend, muss aber vom Leser anhand weiterführender Literatur noch vertieft werden. Das Nennen von spezifischen qualitativen Gütekriterien der Forschung ist positiv zu erwähnen. Erfreulich ist auch, dass den quantitativen Analysemethoden viel Raum eingeräumt wird, was ihrer in den letzten Jahren stark gewachsenen Bedeutung innerhalb der Bildungswissenschaften entspricht. Vorgestellt werden Verfahren der deskriptiven Statistik bis hin zur Hypothesen prüfenden Statistik und Inferenz-Statistik. Dabei werden inhaltlich univariate, bivariate und multivariate Analyseverfahren mit Relevanz für die Bildungsforschung erörtert: Vom Begriff des Messens angefangen, über die Skalenniveaus, die wichtigsten univariaten Kennzahlen (Maßzahlen der zentralen Tendenz und der Streuung), die Beziehungen zwischen zwei Merkmalen (Kreuztabellen, Streudiagrammen, Regression, Produkt-Moment-Korrelation, Rangkorrelation) bis zu den Verfahren des Hypothesentestens. Das Kapitel beinhaltet sowohl parametrische als auch nicht-parametrische Testverfahren (t-Test, Varianzanalyse, Chi-Quadrat-Test, multiple Regression, multivariate Varianzanalyse, multiple Regression). Was in der ansonsten sehr umfassenden Darstellung der statistischen Analyseverfahren fehlt, sind die Faktoren- und Hauptkomponentenanalyse, welche in der bildungswissenschaftlichen Forschung inzwischen ebenfalls weit verbreitet sind. Die behandelten Themen statistischer Analyseverfahren werden mit Fallbeispielen aus der Bildungsforschung unterlegt, die das Verständnis der Inhalte erleichtern und die somit auch ganz allgemein den Zugang zu Lehrbüchern der Statistik für Studenten der Bildungswissenschaft erleichtern können. Auf Ablauf und Spezifika des Hypothesentestens sowie die Interpretation von Maßzahlen und Darstellung der Ausprägungen von Merkmalen in Tabellen und Abbildungen im wissenschaftlichen Text wird in diesem Kapitel ebenfalls eingegangen.

Der Rezensent hat selbst in verschiedenen deutschsprachigen Universitäten die Bereiche „Wissenschaftliches Arbeiten“ und „Empirische Forschungsmethoden“ in unterschiedlicher didaktischer Form gelehrt und ist daher mit den Besonderheiten der Vermittlung von Methoden und Arbeitstechniken im bildungswissenschaftlichen Kontext gut vertraut. Die Auswahl der Inhalte für das hier besprochene Studienbuch kann aus dieser Perspektive als sehr gelungen bezeichnet werden und unbedingt auch als praxisgerecht.

Besonders positiv ist hier zu erwähnen, dass die Stoffauswahl besonders im Hinblick auf die Aspekte wissenschaftlichen Arbeitens bis in die Randbereiche des eher handwerklichen Wissens hineinreicht, wie man dies oftmals in der Methodenliteratur vermisst. So sind in den Anhang des Studienbuches beispielsweise auch Richtlinien zur Gestaltung von Literaturhinweisen, Zitaten und dem Literaturverzeichnis eingestellt.

Die praxisgerechte Auswahl der Inhalte spiegelt sich zudem inhaltlich auch in der Darstellung der Kommunikation von Forschungsergebnissen in Kapitel 8 wider. Die Kommunikation von Forschungsergebnissen stellt zwar ein wichtiges Gütekriterium sozialwissenschaftlicher Forschung dar, wird aber in vielen Fachbüchern deutscher Sprache meist nur am Rande erwähnt. Besonders gute Ideen sind die Ausführungen zum Erstellen eines Forschungsberichtes, zur mündlichen Präsentation und zur Gestaltung von Poster-Präsentationen zu Forschungsergebnissen. Diese Inhalte stellen für viele Studenten bei der Verschriftlichung eines Forschungsprojektes eine große Hürde dar.

Insofern ist die detaillierte Aufbereitung (erfreulicherweise bis tief in jedes Kapitel hinein) praxisgerecht und hilfreich, von den Exkursen zum wissenschaftlichen Argumentieren bis hin zum Beispiel der Folien-Präsentation eines Forschungsprojektes. Selbst mögliche Gliederungsstrategien für Untersuchungspläne sind im Buch enthalten. Dies ist bemerkenswert, weil es die Notwendigkeit berücksichtigt, das eigene Forschungsprojekt gegen Kritik abzusichern oder generell argumentativ zu begründen. Die vorgestellten Argumentationsketten sind überaus nützlich, um die mündliche und schriftliche Darstellung der wissenschaftlichen Projekte und deren Ergebnisse zu erleichtern. Diese Bandbreite an Informationen zur Bearbeitung von Forschungsprojekten ist im Normalfall meist auf mehrere Publikationen verteilt und deshalb an dieser Stelle als Qualitätsmerkmal herauszustellen. Damit bietet sich das Studienbuch zur Verwendung für wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten in der Bildungswissenschaft für Studenten bis hin zu Doktoranden an.

Die im Text verwendete sowie auch die in den einzelnen Kapiteln als Leseempfehlung zum vertiefenden Erschließen der Inhalte angegebene Literatur entspricht dem aktuellen Stand der Methodenlehre und ist insgesamt gut geeignet, die im Buch behandelten Inhalte zu ergänzen.

Fazit: Das hier vorgestellte Studienbuch für das wissenschaftliche empirische Arbeiten in den Bildungswissenschaften ist für all diejenigen, die im vielfältigen Angebot der Lehrbücher zu den sozialwissenschaftlichen Forschungsmethoden ein spezifisch auf die Bedürfnisse der Bildungswissenschaft zugeschnittenes Angebot suchen, ausgesprochen lohnend und empfehlenswert. Trotz seines bereits sehr umfassenden Charakters ist das Studienbuch als eine Einführung in die aufgeführten Themenfelder zu verstehen und ersetzt freilich nicht die vertiefende Arbeit an der weiterführenden Literatur der einzelnen Wissensbereiche Methodologie, Wissenschaftstheorie und Forschungsmethoden. Es kann aber auf Grund der Vielfalt der behandelten Themenfelder sehr gut eine fundierte Beschäftigung mit diesen Feldern anleiten, strukturieren und damit vereinfachen. Es ist eine ausgewogene, umfassende und zugleich detaillierte Verbindung eines Lehrbuchs der empirischen Forschungsmethoden und eines Lehrbuchs des wissenschaftlichen Arbeitens für den Einsatz in der Lehre der Bildungswissenschaften.
Gernot Herzer (Braunschweig und Jena)
Zur Zitierweise der Rezension:
Gernot Herzer: Rezension von: Aeppli, Jürg / Gasser, Luciano / Gutzwiller, Eveline / Tettenborn, Annette: Empirisches wissenschaftliches Arbeiten, Ein Studienbuch für die Bildungswissenschaften 2. durchgesehene Auflage. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2011. In: EWR 11 (2012), Nr. 1 (Veröffentlicht am 24.02.2012), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151812.html