EWR 9 (2010), Nr. 4 (Juli/August)

Thorsten Bohl / Hanna Kiper (Hrsg.)
Lernen aus Evaluationsergebnissen
Verbesserungen planen und implementieren
Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2009
(309 S.; ISBN 978-3-7815-1677-9; 19,90 EUR)
Lernen aus Evaluationsergebnissen Das Modewort „Evaluation“ beherrscht zahlreiche Diskussionen der jüngeren Vergangenheit zur Planung und Steuerung des Bildungswesens. Im Mittelpunkt der im Rahmen der Didacta 2008 grundgelegten und von den Professoren für Erziehungswissenschaft Hanna Kiper und Thorsten Bohl herausgegebenen Aufsatzsammlung stehen die Fragen, inwiefern aus Evaluationen gelernt werden kann und wie Verbesserungsmaßnahmen auf den Ebenen der Bildungsadministration, der Schule und des Unterrichts geplant sowie realisiert werden können.

Die einzelnen Aufsätze, in denen sowohl Wissenschaftler/innen, Lehrerfortbildner/innen als auch Angehörige des niedersächsischen Schufaufsichtsdienstes zu Wort kommen, sind acht Kapiteln zugeordnet. Viele Beiträge sind mit hilfreichen Grafiken versehen.

In ihrer gemeinsamen Einleitung werfen der Herausgeber und die Herausgeberin die Frage nach den erforderlichen Kompetenzen auf, die Lehrkräfte besitzen müssen, um gewinnbringend mit Evaluationen umzugehen. Sie fragen sich, welche „Evaluationskultur“ (9) zu entwickeln sei und benennen die für sie wichtigsten Punkte zur Etablierung von Verfahren, Kompetenzen und Strukturen, die zur Umsetzung eines Qualitätszirkels aus Datendeutung, Zielfestlegung, Maßnahmenplanung und durchführung sowie Ergebnisauswertung nötig sind. In sechs anschließenden Kapiteln werden die von Evaluationen im Bildungsbereich ausgehenden Herausforderungen mit unterschiedlichen Perspektiven diskutiert, bevor der Band mit einem Fazit Thorsten Bohls endet.

Im Rahmen grundlegender Überlegungen beschäftigt sich Hanna Kiper mit den Möglichkeiten einer „Schulentwicklung im Rahmen von Kontextsteuerung“. Als „Wissensarbeiter/innen“ (15) stehen Lehrkräfte in einer Wissensgesellschaft vor der Anforderung „Wissen zur Gestaltung von Problemlösungsprozessen“ (19) zu generieren. Das dafür erforderliche methodische, diagnostische sowie theoretische Wissen sei nur durch lebenslanges Lernen und kontinuierlichen Kompetenzerwerb zu erreichen.

Gertrud Hovestadt stellt eine Bestandsaufnahme zur externen Evaluation in den einzelnen Bundesländern vor. Sie weist darauf hin, dass zwar oftmals recht günstige Kontextbedingungen zur Durchführung von Evaluationen gegeben seien, zugleich jedoch Strukturen für eine evaluationsgeleitete Schulentwicklung fehlen.

Möglichkeiten zur Nutzbarmachung der Organisationspsychologie für die Schulentwicklung diskutiert Lutz von Rosenstiel. Er plädiert für eine Bewusstmachung des in Alltagsroutinen von Schulleitungen vorhandenen organisationalen Wissens, um es beispielsweise für Maßnahmen der Personalentwicklung und des Change Managements zu nutzen.

Georg Lind befasst sich unter Bezugnahme auf die langjährige Evaluationspraxis der USA mit erwünschten und unerwünschten Folgen von Evaluationen. Je nach Zielsetzung lasse sich zwischen Personen- und Programmevaluation unterscheiden. Als besonders problematisch erscheinen ihm die mit Sanktionen verbundenen Personenevaluationen, da sie zu Manipulationen durch Lehrkräfte und Schulen verleiten und als „Kollateralschäden“ zweifelhafte Folgen für das Bildungsniveau der Schüler nach sich ziehen. Lind kommt zu dem Schluss, dass Evaluationsverfahren ohne auf sie selbst bezogene (Meta-) Evaluationen wenig nützlich sind.

Die zweite Perspektive umreißt mit vier Beiträgen den Umgang mit Lernstandserhebungen und Schulleistungsstudien.

Dazu zeigt Britta Kohler, wie Lehrer, Eltern und die Schulaufsicht mit Ergebnissen der TIMS-Studie umgehen. Auffällig seien die einseitige Ursachenzuschreibung bei schlechten Ergebnissen und das generell niedrige Niveau einer professionellen Nutzung von Evaluationen. Künftig sei eine personelle Unterstützung zur Deutung von Evaluationsergebnissen nötig.

Aus fachdidaktischer Sicht könnten – so Michael Neubrand – Überlegungen zur Konstruktion von Mathematikaufgaben und aufgabenbezogene Schwierigkeitsanalysen zu einer Qualitätssteigerung des Unterrichts beitragen. Allerdings werde eine alleinige Ausrichtung auf die Verwendung „neuer“ Aufgabensammlungen kaum den Kompetenzaufbau bei Schülern fördern.

Julia Schneewind und Harm Kuper stellen fest, dass Rückmeldungen von Ergebnissen aus zentralen Lernstandserhebungen zum einen oftmals nur dann wahrgenommen werden, wenn sie eine Art „Alarmfunktion“ (118) darstellen, und dass als Konsequenzen von Rückmeldungen zum anderen häufig nur rudimentäre Veränderungen angestrebt werden. Verfahren zur Qualitätssicherung gelte es auszubauen und Ressourcen für Veränderungen bereitzustellen.

Auch Uwe Maier bestätigt nach seiner Auseinandersetzung mit der Nutzung von Vergleichsarbeiten in Baden-Württemberg, dass viele Lehrkräfte keinen Grund für eine Veränderung ihres Unterrichts sehen. Bei positiven Ergebnissen fühlen sie sich bestätigt und bei negativen Rückmeldungen erfolge in der Regel eine Zuschreibung der Ursachenverantwortung zu anderen Stellen. Es stehe zu befürchten, dass die „vielgelobte Steuerungsphilosophie“ (142) nicht aufgehe und dass die Gefahren der inneren Verabschiedung der Lehrkräfte von Reformbestrebungen sowie der bildungsadministrativen Einführung von negativen Sanktionen drohen.

Drei Beiträge sind der Perspektive „Vom Wissen zum Handeln“ gewidmet.

Winfried Hacker fordert aus arbeitspsychologischer Sicht im Rahmen der Planung von Schulentwicklungsmaßnahmen konkrete Zielsetzungen festzulegen und über Ziele zu führen, da das „rhetorische Geschick des Philologen“ (150) ihm allzu beliebig erscheint. Für ihn ist eine an Leitbildern ausgerichtete pädagogische Organisationsentwicklung ein für Lehrkräfte neues, zusätzliches Arbeitsfeld.

Aufgrund der Schwierigkeit handlungssteuernde, unbewusste Strukturen durch bloße Wissensaufnahme zu modifizieren, sind nach der Auffassung Diethelm Wahls insbesondere die Lehrerbildner gefordert. Sie müssten Verfahren zur Erhöhung der Selbstreflexion von Lehrkräften entwickeln, die Lehrkräften stark individualisierte Lernwege ermöglichen.

Nicole Hollenbach beantwortet in ihrem Artikel zur Bielefelder Laborschule, wie Schulentwicklung aufgrund von Leistungsvergleichsdaten konkret gelingen kann. Am „Lehrer-Forscher-Ansatz“, den ursprünglich Hartmut von Hentig entwarf, macht sie deutlich, wie eng Lehren und Forschen miteinander verknüpft werden können.

Die vierte Perspektive greift in drei Beiträgen die Phänomene „Widerstand, Belastung und Kritik“ auf.

Gisela Stein verdeutlicht, dass es vor allem Unsicherheiten sind, die eine abwehrende Haltung gegenüber Evaluationen verursachen. Für einen konstruktiven Umgang mit Widerstand seien Glaubwürdigkeit und Teilhabe unabdingbar. Stein regt die Einführung von Supervisionsmöglichkeiten sowie die Evaluation der Evaluationen an. Bisher seien die Auswirkungen der eingeführten Evaluationsmaßnahmen auf das Arbeitsklima sowie auf die Kooperations- und Konkurrenzorientierung in Lehrerkollegien unbekannt.

Nach der Auffassung von Ulf Kieschke muss die organisationsdiagnostische Kompetenz in der Einzelschule durch Verfahren zur subjektiven Arbeitsanalyse erhöht werden, damit ein produktiver Umgang mit Evaluationen möglich ist. Das von ihm vorgestellte Evaluationsinstrument ABC-L (Arbeits-Bewertungs-Check für Lehrkräfte) ermöglicht einen Einblick in konkrete Arbeitsbedingungen einer Schule, der sowohl Ausgangspunkt von Entwicklungsprozessen sein, als auch zur Wirksamkeitsüberprüfung eingeleiteter Maßnahmen genutzt werden kann.

Wolfgang Böttcher fragt, was Evaluationen für die Qualitätsentwicklung leisten. Die von der Bildungspolitik eingeführten Instrumente zur Evaluation seien oftmals eher auf Kontrolle als auf Qualitätsentwicklung ausgerichtet. Auch Böttcher regt eine „Politikevaluation“ an und skizziert Entwicklungsperspektiven für pädagogische Organisationen.

Die Perspektive der Professionalität von Lehrkräften steht im Zentrum der Beiträge von Karl-Oswald Bauer, Reinhold Miller und Charles Landert. Bauer illustriert den Zusammenhang von Evaluation und individueller Professionalisierung am Beispiel des „Professionellen Selbst’“ und kommt zu dem Schluss, dass die Angst vor Evaluation auch positive Auswirkungen haben kann. Sie gehöre sogar zum Entwicklungsprozess.

Der sich vom Stil her von den übrigen Beiträgen unterscheidende Text des Schulberaters und Lehrerfortbildners Reinhold Millers liefert nach einem kommunikationstheoretischen Abriss zahlreiche Ratschläge, die dazu beitragen sollen, dass Kommunikation in Evaluationsprozessen gelingt.

Charles Landert reflektiert das Lernen aus einer Evaluationsstudie zur Nutzung von Weiterbildungsangeboten durch Schweizer Lehrkräfte aus den 1990er Jahren. Die Nachhaltigkeit von Lehrerfortbildungen, die als ausbaufähig attestiert worden war, sei nach wie vor gering. Einschneidende Veränderungsvorschläge wurden seitens der Bildungspolitik nicht aufgegriffen, seitens der noch jungen Schweizer Pädagogischen Hochschulen kaum konzeptionell weiterentwickelt und in den Schulen wenig etabliert. Insgesamt kommt Landert zu einer „gemischten Einschätzung der Wirksamkeit von Evaluation“ (265).

Der letzte Themenkomplex ist der „Rolle von Schulleitung und Schulaufsicht“ gewidmet.

Martin Bonsen referiert bereits vorliegende Studien dahingehend, dass eine Schulleitung, die die Aufgabe des Führens annimmt, eine bedeutsame Einflussgröße für die Schuleffektivität ist. Künftig hält Bonsen eine Neubewertung der Arbeitszeit von Schulleitungen und die Delegation von Routineaufgaben für notwendig. Dies wiederum mache Personalentwicklungsmaßnahmen in den Bereichen Personalförderung und Personalführung erforderlich.

Bert Märkl gibt als Präsident der Niedersächsischen Schulinspektion einen Einblick in die Erfahrungen mit und Konsequenzen aus ersten Schulinspektionen dieses Bundeslandes.

Schließlich diskutiert Heidemarie Ballasch Lernmöglichkeiten aus Vergleichsarbeiten, die sie lieber als „Lernstandserhebungen“ bezeichnet sähe. Nach ihrer Auffassung können Vergleichsarbeiten als Rückmeldeinstrumente erreichter Leistungsstände gelten, die sich auf kriteriale Normen sowie auf Vergleiche verschiedener Schulen beziehen. Eine zensurenrelevante Bewertung sei dabei „weder erwünscht noch sinnvoll“ (300). Vielmehr bestehe das Ziel von Vergleichsarbeiten in Rückmeldungen für die Arbeit von Fachkonferenzen und könne zur Professionalisierung dieser Arbeit beitragen.

Torsten Bohl präsentiert am Ende des Bandes ein Gesamtresümee, in dem er die wichtigsten Thesen und Argumente noch einmal aufgreift. Während für Evaluationen großzügige Ressourcen zur Verfügung stehen, so hält auch er fest, mangele es derzeit oft an Mitteln für die Umsetzung von Konsequenzen aus den Evaluationen.

Der Band erfüllt den eingangs formulierten Anspruch einer systematischen Entfaltung des Lernens aus Evaluationsstudien. Es werden unterschiedliche Sichtweisen präsentiert, die allesamt auf die gegenwärtige Offenheit des konkreten Lernens aus Evaluationsstudien aufmerksam machen. Inwiefern künftig im Bildungswesen „erwünschte Wirkungen“ durch die Nutzung von Evaluationsinstrumenten erreicht werden, hängt von der Art ihres Einsatzes und der Verwendung ihrer Ergebnisse (nicht nur auf der Schul- und Unterrichtsebene) ab. Die Evaluation der Evaluationen sowie die Frage nach den Ressourcen zur Einleitung und Durchführung von Qualitätssicherungsmaßnahmen sind als neuralgische Punkte benannt. Das Buch ist empfehlenswert für all’ diejenigen, die in Zukunft Schule gestalten wollen: für an theoretischen Aspekten interessierte Lehrkräfte, für Schulleitungsmitglieder und Erziehungswissenschaftler sowie nicht zuletzt für Bildungspolitiker und Schulaufsichtsbeamte.
Daniel Blömer (Braunschweig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Daniel Blömer: Rezension von: Bohl, Thorsten / Kiper, Hanna (Hg.): Lernen aus Evaluationsergebnissen, Verbesserungen planen und implementieren. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2009. In: EWR 9 (2010), Nr. 4 (Veröffentlicht am 10.08.2010), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978378151677.html