EWR 14 (2015), Nr. 6 (November/Dezember)

Benz, Wolfgang / Sir Peter Ustinov Institut (Hrsg.)
Ressentiment und Konflikt
Vorurteile und Feindbilder im Wandel
Schwalbach / Taunus: Wochenschau 2014
(240 S.; ISBN 978-3-7344-0009-4; 24,80 EUR)
Ressentiment und Konflikt Der Band des Sir Peter Ustinov Instituts versammelt BeitrĂ€ge, die sich aus den Perspektiven verschiedener Disziplinen um eine Bestandsaufnahme gegenwĂ€rtig zirkulierender Vorurteile und Feindbilder in der (bundesdeutschen) Öffentlichkeit bemĂŒhen. ErklĂ€rtes Ziel ist es dabei, wissenschaftliche Perspektiven einer breiteren Öffentlichkeit zugĂ€nglich zu machen. Es geht um eine Zeitdiagnose und zugleich um eine kritische Distanz zu dem, was gegenwĂ€rtig als Wahrheit ĂŒber „die Anderen“ gehandelt wird und dabei gesellschaftliche MachtverhĂ€ltnisse schafft.

Die BeitrÀge werden im Folgenden nicht zwingend in der Reihenfolge ihrer Publikation im Buch diskutiert, sondern anhand der diskutierten Topoi zusammengefasst besprochen.

Einleitend macht Wolfgang Benz im Anschluss an seine Kritik des Falls Thilo Sarrazin deutlich, inwiefern sich aktuelle gesellschaftliche Feindbilder eines antimuslimischen Populismus bedienen. Die Diagnose, dass rassistische Ressentiments als in sĂ€mtlichen gesellschaftlichen Milieus etabliert gelten können, markiert fĂŒr Benz eine gravierende Herausforderung der Demokratie.

Hagen Fleischer liefert eine kenntnisreiche und ausfĂŒhrlich historisierende Auseinandersetzung mit dem VerhĂ€ltnis Griechenland-Europa und insbesondere Griechenland-Deutschland mit Blick auf die Praxis gegenseitiger öffentlicher Diskreditierung. Die nationalen respektive supranationalen Referenzpunkte Griechenland, Deutschland und Europa werden, so zeigt der Autor, zu rassistischen und kulturalistischen Abgrenzungsfolien in der politischen wie öffentlichen Diskussion.

Farid Hafez stellt anschließend die politischen Karrieren der identitĂ€tslogischen Argumentationen eines antimuslimischen Populismus in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden vor, welche insbesondere ĂŒber die RadikalitĂ€t einer dichotomen GegenĂŒberstellung von westlicher Demokratie, die dem Menschenrecht gewissermaßen gleichgesetzt wird, und islamisch-fundamentalistischem Totalitarismus funktionieren und damit zugleich ein klassisch-kolonialistisches Ressentiment qua Moderne-Traditionalismus-Differenz aktualisieren.

Yasemin Shooman schließt hier inhaltlich mit ihrem Beitrag an. Sie widmet sich in einer interpretativen Auseinandersetzung medialen Darstellungen muslimischer Frauen in der deutschen Presse und macht dabei die Mechanismen einer Reproduktion aus, die Stereotype muslimisch lebender Frauen als patriarchal unterdrĂŒckt und rechtlos hervorbringen. Die Autorin zeigt, dass sich an dieser medialen Instrumentalisierung von Geschlechterstereotypen, welche patriarchale Strukturen als „Alleinstellungsmerkmal des Islam“ (88) reproduzieren ohne Sexismus etwa in christlichen GlaubenszusammenhĂ€ngen zu thematisieren, ein rassistisches Othering muslimischer Lebensweisen abbildet, vor dessen Hintergrund westliche (Geschlechter-)VerhĂ€ltnisse als aufgeklĂ€rt und demokratisch konstruiert werden können.

„Die Rolle der Frau“ als Chiffre einer Diskussion um den Islam markiert auch der Beitrag von Birgit Rommelspacher, in dem die Autorin herausarbeitet, in welcher – auch widersprĂŒchlichen – Weise liberal-feministische Positionen fĂŒr die Verhandlung einer Vorrangstellung des Westens in Anspruch genommen werden. Sie markiert damit einen neuralgischen Punkt geschlechtertheoretischer Auseinandersetzungen um SĂ€kularisierungsprozesse.

Alexandra Senfft arbeitet die jĂŒngsten medialen Ereignisse antiislamischer Äußerungen auf und wirft dem in Deutschland öffentlich ĂŒber den – nicht mit dem – Islam gefĂŒhrten Diskurs Stigmatisierung, Reduktion und Generalisierung seines Gegenstands vor und zieht dabei argumentative Linien zur deutschen Bearbeitungskultur der nationalsozialistischen Vergangenheit.

Wolfgang Benz legt in seinem Beitrag „Aktuelle Formen und PhĂ€nomene“ (76) antisemitische Haltungen dar. Analytisch unterscheidet er historisch und inhaltlich abgrenzbare Artikulationen feindlicher Haltungen gegen Menschen jĂŒdischen Glaubens. Mit der Warnung vor einer Reduktion des Konzepts Antisemitismus auf eine feindliche Haltung gegenĂŒber Israel plĂ€diert der Autor fĂŒr eine deutliche Differenzierung feindlicher Haltungen und kritischer Positionierungen. Der zum Teil ironisierende Gestus seiner inhaltlich ĂŒberzeugenden Darstellung unterlĂ€uft dabei jedoch zuweilen deren ArgumentativitĂ€t.

Ágnes Heller legt in ihrem essayistischen Beitrag die Entwicklungslinien nationalistischer, antisemitischer und romafeindlicher Praktiken und Positionen in der Geschichte Ungarns seit dem 16. Jahrhundert dar. WĂ€hrend sich der Antisemitismus vor dem und wĂ€hrend des Zweiten Weltkriegs und unter der deutschen Besatzung institutionalisieren konnte und 1944 auf den „Holocaust der ungarischen Juden“ (54) zusteuerte, gelang es erst im zwanzigsten Jahrhundert, mit der Aufarbeitung zu beginnen. Kurz geht Heller auf die strukturellen Benachteiligungen der Roma im Ungarn ein, die sich in Konsequenz der politischen Wende sowie der anschließenden infrastrukturellen VerĂ€nderungen radikal verschlechterten. Die von struktureller Armut betroffene Minderheit ist damit zusĂ€tzlicher rassistischer Stigmatisierung ausgesetzt.

Brigitte Mihok analysiert in ihrem Beitrag mediale Inszenierungen von Roma und arbeitet heraus, wie sowohl in dokumentarischen wie nachrichtlichen Medienformaten Stereotypisierungen reproduziert werden. Mihok zeigt anschaulich, inwiefern ein fĂŒr aufgeklĂ€rt gehaltener westlicher Journalismus in Europa lebende Roma systematisch stigmatisiert. Charakteristisch sind Muster, welche Mythen ĂŒber armutsbedingte „Migrationsbereitschaft“ (104) sowie „Delinquenz“ (106) reproduzieren.

Peter Widmann diskutiert in seinem Beitrag die Rolle neuer Internettechnologien bei der Veröffentlichung rechtspopulistischer, antiislamischer und rassistischer Propaganda. Er zeigt anhand verschiedener Beispiele, wie Internetauftritte, Blogs, Online-Spiele, Hate-Mailing und Videofilme zu z.T. gewaltsamen Othering-Strategien werden. Der Autor arbeitet speziell digitale Medienformate betreffende Risiken und Grenzen diskriminierender Inhalte heraus.

Andrea Dernbach zeichnet die um das Jahr 2000 in Deutschlands Politik und Medien gefĂŒhrte sogenannte „Leitkulturdebatte“ (133) nach und skizziert Parallelen zu der sich mehr als zehn Jahre spĂ€ter an kolonialistisch-rassistischen ReprĂ€sentationen von Minderheiten entzĂŒndenden Debatte um Kinderbuchliteratur.

Hendrik Cremer erlĂ€utert in seinem Beitrag die u.a. in der ICERD-Menschenrechtskonvention geregelten menschenrechtlichen Bestimmungen zum Schutz vor Rassismus und Diskriminierung, welche auch in der BRD eine rechtliche Grundlage darstellen. Der Autor zeigt auf, inwiefern interpretative SpielrĂ€ume der Deutung von Rassismus zur Nicht-Ahndung rassistischer Praktiken und FĂ€lle fĂŒhren und mahnt ein strukturtheoretisches Rassismuskonzept im Recht an.

Gudrun Biffl erörtert Facetten von und Maßnahmen gegen Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, die sich mehrdimensional, etwa in unterschiedlichen Zugangschancen, geringeren Löhnen und verringerten Karrierechancen qua – bspw. geschlechtlicher oder ethnischer – Zugehörigkeit Ă€ußern. Die Autorin unterscheidet verschiedene ErklĂ€rungsansĂ€tze fĂŒr Diskriminierung.

Gemeinsam mit Bettina Jakopitsch diskutiert Biffl anschließend ein sozialarbeiterisches Angebot im Feld des Wohnumfeldmanagements. Sie behandeln Analysen und Programmatiken zur Verbesserung der LebensqualitĂ€t im Wohnumfeld als Formen eines „Nachbarschaftssicherheitsmanagements“ (181), die am Beispiel der Organisation „wohnpartner“ in Wien ausbuchstabiert werden. Die Konstruktionsbedingungen der Praxis und des Aufrufens der Variable „empfundener Sicherheit“ werden im Beitrag nicht diskutiert.

Heinz Faßmann vergleicht „das subjektiv empfundene Integrationsklima“ in Deutschland und Österreich anhand zweier quantitativer Studien. Der Autor stellt Unterschiede zwischen den LĂ€ndern heraus, da einerseits an zahlreichen Stellen auf Einklang zwischen Einheimischen und Zugewanderten verwiesen wird und sich Variablen des Zusammenlebens wie „Akzeptanz, Vertrauen und Zuversicht“ (230) positiv lesen lassen, und andererseits dominante medial vermittelte Dissonanzen abbilden. Letztlich bleiben in der Metaanalyse jedoch Schwierigkeiten des Integrationsbegriffs unterbelichtet.

Im Anspruch, die komplexen historischen, juridischen und symbolischen ZusammenhĂ€nge zu vermitteln, welche in westeuropĂ€ischen Gesellschaften zur systematischen VerĂ€nderung und politischen Benachteiligung bzw. Privilegierung fĂŒhren, bleiben z.T. begriffliche Schwierigkeiten im Buch unerwĂ€hnt. In einigen BeitrĂ€gen werden Differenzen so reifiziert und Othering-Szenarien fortgefĂŒhrt. Zudem wird in Bezug auf Einzelpersonen (etwa Thilo Sarrazin) eine individualisierende Perspektive des Rassismus entworfen, die diesen pathologisiert, anstatt ihn in seiner strukturellen Konstitution als gesellschaftliches Problem sichtbar zu machen.

Im Kontext der Debatte um die scheinbare gegenwÀrtige SalonfÀhigkeit rassistischer, islamfeindlicher Positionierungen erscheint jedoch der Anspruch einer differenzierten und differenzierenden Auseinandersetzung, wie er in der vorliegenden Veröffentlichung artikuliert wird, notwendig. Diesem Anspruch wird der vorliegende Band gerecht.

Angemessen ist dieser Anspruch an wissenschaftliche Auseinandersetzungen insbesondere dann, wenn damit eine Strukturkritik verbunden wird, die stets auch jene ReprĂ€sentationsverhĂ€ltnisse hinterfragt, welche Veröffentlichungen wie diese hervorbringen und damit die Möglichkeiten und Herausforderungen von Kritik thematisiert. Dieses selbstreflexive Moment der Kritik, das diese auf ihren Ort und ihre BegrĂŒndung hin befragt, wird im vorliegenden Band jedoch eher enthaltsam thematisiert.

Doch die Aufsatzsammlung liefert Einblicke in Funktions-Logiken des Rassismus und handfeste und alltagstaugliche Argumente fĂŒr seine Skandalisierung.
Britta Hoffarth (Bielefeld)
Zur Zitierweise der Rezension:
Britta Hoffarth: Rezension von: Benz, Wolfgang / Sir Peter Ustinov Institut (Hg.): Ressentiment und Konflikt, Vorurteile und Feindbilder im Wandel. Schwalbach / Taunus: Wochenschau 2014. In: EWR 14 (2015), Nr. 6 (Veröffentlicht am 02.12.2015), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978373440009.html