EWR 13 (2014), Nr. 3 (Mai/Juni)

Maag Merki, Katharina (Hrsg.)
Zentralabitur
Die längsschnittliche Analyse der Wirkungen der Einführung zentraler Abiturprüfungen in Deutschland
Wiesbaden: Springer VS 2012
(407 S.; ISBN 978-3-531-17782-3; 42,99 EUR)
Zentralabitur In 15 von 16 deutschen Bundesländern wird mittlerweile ein Landeszentralabitur umgesetzt. Die Länderzentralabiture sind jedoch längst nicht so zentral, wie häufig geglaubt. Das Durchführungsspektrum ist breit. Ein Bundeszentralabitur erscheint allein aus organisatorischen Gründen im föderalen Deutschland als kaum lösbares Problem. Auch die jetzigen Versuche des IQB, einen Anteil der Länderabiture über Aufgabenpools bundesweit einheitlicher zu gestalten, bergen spezifische Vor- und Nachteile, vor allem aber einen hohen Aufwand und einen vergleichsweise geringen „zentralen“ Ertrag. Bildungspolitisch und in den Medien wird dies jedoch anders wahrgenommen. So schätzt die Herausgeberin Katharina Maag Merki des hier zu rezensierenden Bandes die Reaktionen in den betroffenen Ländern stärker als nur einen „Sturm im Wasserglas“ (406) ein.

In diesem Band geht es nicht um ein Bundeszentralabitur, was beim Wort „Zentralabitur“ häufig mitgedacht wird, sondern um spezifische Ergebnisse einer längsschnittlichen Analyse bestimmter Wirkungen bei der erstmaligen Einführung zentraler Abschlussprüfungen in Bremen und Hessen 2007. Historisch betrachtet stehen diese beiden Länder am Ende der langen Einführungstradition der Landeszentralabiture in der Bundesrepublik Deutschland:

Baden-Württemberg, Bayern und später auch das Saarland führten ihr jeweiliges Landeszentralabitur beginnend ab 1946 durchgängig bis heute ein. Nach der Wende knüpften die damals neuen Bundesländer Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt relativ rasch an die aus der DDR bekannte Regelung/Tradition (Zentralabitur) an. Vermutlich als Konsequenz aus den deutschlandinternen Bundesländervergleichen der PISA-Untersuchungen führten dann Hamburg und Brandenburg 2005, Niedersachsen 2006 sowie Berlin, Bremen, Hessen und Nordrhein-Westfalen 2007 und schließlich auch Schleswig-Holstein ihre jeweiligen Länderzentralabiture ein. Das „Zentrale“ in den Länderzentralabituren wird ausschließlich durch die zentralen schriftlichen Prüfungen erbracht. Die Korrekturverfahren der Länder zu diesen schriftlichen Prüfungen weisen große Unterschiede auf. Dieser „zentrale“ Teil aus dem dritten „Verrechnungsblock“ für die Abiturnote, dem „Abiturblock“, beträgt im Notengewicht zur Zeit ca. maximal 25%, je nachdem, wie viele Abiturfächer in den Bundesländern geprüft werden und wie viele mündliche Prüfungen stattfinden.

Das Landeszentralabitur ist mittlerweile ein relevantes bildungspolitisches Steuerungsinstrument in allen Bundesländern bis auf Rheinland-Pfalz. Um erwünschte und tatsächliche Leistungen der Länderzentralabiture zutreffend einschätzen zu können, müssen seine Funktionen, seine jeweiligen Formen, Wirkungen und Nebenwirkungen untersucht werden. Hierzu leistet der Band von Maag Merki einen differenzierten und sehr soliden Beitrag, der u. a. auf der breiten Expertise der Herausgeberin beruht. Maag Merki hat seit 2008 in diesem Zusammenhang zur Einführung des Zentralabiturs in Bremen publiziert.

Die in diesem Herausgeberband von 2012 zum „Zentralabitur“ von Maag Merki präsentierte Studie wurde an 37 Schulen in Bremen und Hessen durchgeführt und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. 2007/2008 und 2009 wurden Lehrpersonen und Schülern vor und nach den schriftlichen Abiturprüfungen mit umfangreichen standardisierten Befragungen befragt; die Schüler bearbeiteten zusätzlich einen Leistungstest in Mathematik (TIMSS der Sekundarstufe II) zu den Fachleistungen im voruniversitären Mathematikunterricht oder in Englisch den C-Test der DESI-Studie. Der Forschergruppe wurden zudem die Abiturnoten und Punktzahlen der hessischen und Bremer Schüler in den drei schriftlichen Prüfungsfächern zur Verfügung gestellt. Ergänzend dazu fand in Bremen eine qualitative Studie statt, in der jeweils nach dem Abitur Fachgruppengespräche mit Vertretern und Vertreterinnen verschiedener Verbände initiiert wurden sowie mit der Schulleitung und den Lehrpersonen eines Gymnasiums. Diese Analysen startete Maag Merki bereits im Herbst 2005, als in Bremen die Abiturprüfungen noch dezentral organisiert wurden.

In der Studie von 2012 stehen nach Maag Merki zwei Analysebereiche im Zentrum: die Effekte des unmittelbaren Wechsels von einem dezentralen zu einem zentralen Prüfungssystem sowie die Veränderungen des schulischen Handelns und der schulischen Leistung nach der Implementation zentraler Abiturprüfungen. In diesem Band geht es um die Auswirkungen auf die Lernergebnisse der Schüler (Beiträge 6, 11 und 13), um die Sicherung von Standards (Beiträge 10 und 12), um die Schul- und Unterrichtsmerkmale (Beiträge 4, 5, 7 und 8), um das individuelle Erleben der Lehrpersonen und ihre Auseinandersetzung mit dem Zentralabitur (Beiträge 4, 6 und 9) sowie die Auswirkungen auf die Qualität der Abituraufgaben (Beitrag 14). Im Beitrag 15 zieht Maag Merki ein Fazit.

In dieser Rezension kann leider nur exemplarisch auf die Ergebnisse der Studie eingegangen werden: Für die Frage nach den Auswirkungen zentraler Abiturprüfungen auf die Lernergebnisse von Schülern werden kurs- und fachspezifisch unterschiedliche Wirkungen, hier in den Fächern Englisch und Mathematik, berichtet. Sowohl in Hessen als auch in Bremen treten mit der Einführung zentraler Abiturprüfungen bei den Schülern übereinstimmend positive Leistungsveränderungen in den Leistungskursen Englisch auf. Dies ist bei den Schülern in den Mathematikleistungskursen nicht der Fall: Hier treten keine oder nur sehr geringe Effekte in den Leistungskursen auf. In den Mathematikgrundkursen, die in Bremen und Hessen ab 2007 zentral geprüft wurden, zeigen sich nur in Bremen positive Effekte.

Bei der Frage danach, ob und wie sich mit der Einführung zentraler Abiturprüfungen die Fähigkeit der Schüler zum selbst regulierten Lernen entwickelt, lässt sich in dieser Studie für die Schüler eine fachabhängig höhere Nutzung von Elaborationsstrategien feststellen: Bremer Schüler nutzten im Rahmen der zentralen Abiturprüfungen in 2008 und 2009 signifikant häufiger Elaborationsstrategien für die Vorbereitung auf das Abitur und waren stärker an Englisch interessiert als die Schüler im dezentralen Abitur in 2007. Auch in Hessen erhöhte sich in den ersten drei Jahren der Implementation die Nutzung des Elaborationsmonitorings und von Planungsstrategien sowie in der Tendenz auch die schulische Selbstwirksamkeit. In beiden Bundesländern führte die Einführung zentraler Abiturprüfungen allerdings sowohl bei den Schülern als auch bei den Lehrpersonen zu einer stärkeren Unsicherheit gegenüber dem Abitur; dieser Effekt nimmt jedoch über die untersuchten Jahre ab.

Es handelt sich bei der vorliegenden Publikation um eine sehr gut lesbare Studie mit übersichtlich und einheitlich gegliederten Einzelbeiträgen, die jeweils nach dem gleichen Muster strukturiert Ausgangslage und Forschungsstand, Fragestellung und Hypothesen, das methodische Vorgehen und Ergebnisse darstellen, die anschließend diskutiert werden. Den Lesenden bietet sich eine differenzierte, übersichtliche Gesamtpublikation, die auf breitem Vorwissen und vorhandenen Vorstudien aufbaut. Dabei handelt es sich um eine wohltuend unaufgeregte Studie mit neuen Erkenntnissen zu den Wirkungen neu eingeführter zentraler Abschlussprüfungen in Bremen und Hessen. Vergleichbare Studien haben wir bisher nicht. Insofern ist der Wert dieser Publikation mit seinen z. T. positiven Aussagen u. a. zu Wirkungen von zentralen Abiturprüfungen auf Lernleistungen von Schülern, aber auch mit seinen z. T. negativen Aussagen zum Unsicherheitsempfinden von Lehrpersonen und Schülern bei der Umstellung auf zentrale Abiturprüfungen aus meiner Sicht als hoch einzuschätzen.
Susanne Lin-Klitzing (Marburg)
Zur Zitierweise der Rezension:
Susanne Lin-Klitzing: Rezension von: Merki, Katharina Maag (Hg.): Zentralabitur, Die längsschnittliche Analyse der Wirkungen der Einführung zentraler Abiturprüfungen in Deutschland. Wiesbaden: Springer VS 2012. In: EWR 13 (2014), Nr. 3 (Veröffentlicht am 04.06.2014), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353117782.html