EWR 10 (2011), Nr. 6 (November/Dezember)

Klaus Plake
Schule als Konstrukt der Ă–ffentlichkeit
Bilder – Strategien – Wirklichkeiten
Wiesbaden: VS Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften 2010
(289 S.; ISBN 978-3-5311-7263-7; 59,95 EUR)
Schule als Konstrukt der Öffentlichkeit Die Schule mit ihrem Kerngeschäft Unterricht ist Ort zahlreicher, ganz unterschiedlicher sozialer, pädagogischer und sonstiger Erwartungen und Hoffnungen und in permanenter Spannung, diese Zuschreibungen und Zumutungen mit den im Schulalltag produzierten „Wirklichkeiten“ in eine irgendwie legitimatorische Passung zu bringen. Klaus Plake geht in seinem Buch dem Wesen, der Qualität und den Wirkungen dieser Konstruktion(en) von Schule nach und fragt nach dem Anteil der Einzelschule an der (Selbst-)Konstruktion im ständigen Wechselspiel mit den Zuschreibungen resp. Konstrukten der Öffentlichkeit. Wozu ist die Schule da? könnte also die zentrale Frage der Arbeit lauten und wer artikuliert wie und wozu die unterschiedlichen Antwortoptionen. Letztere sind dabei z. T. disparate und im zeitlichen Verlauf veränderliche Ziele oder Zwecke von institutionalisierter Bildung, Erziehung und Sozialisation, die stets defizitär sind, Schule aber dennoch als „Mittel gegen Kontingenzerfahrungen“ (12) akzeptabel erscheinen lassen.

Theoretischer Hintergrund und Analyseinstrument sind die Organisationstheorie, die Systemtheorie und der Konstruktivismus. Plake stellt diese im ersten Kapitel der Arbeit in gebotener Kürze vor und lässt wichtige Autoren (u.a. Niklas Luhmann, John W. Meyer, Brian Rowan, Thomas Meyer, nicht aber Robert Dreeben) im weiteren Verlauf der Arbeit immer wieder zu Wort kommen. Er bezieht diese Ansätze hier und im weiteren Verlauf teilweise konsequent, teilweise über Umwege auf die Schule und ihre organisatorische Verfasstheit, ihre Instanzen und Akteure, ihre Abläufe und Produkte. Diese Zugänge wurden gewählt, um Zusammenhänge offen zu legen, die, wie Plake meint, mittels empirischer Untersuchungen „höchstens illustriert werden können“ (17). Doch ihm geht es um eine „verallgemeinerbare Rekonstruktion“, um die Beschreibung und Analyse unterschiedlicher Phänomene aus dem Kontext Schule und Unterricht als einer „zusätzlichen Perspektive, die für die Wissenschaft, aber auch für das pädagogische Handeln selbst das Orientierungsspektrum erweitert“ (ebd.).

Kapitel 2 beschäftigt sich dann mit den Herausforderungen für Schule und Unterricht, die sich bei der Herstellung von Rationalität in einem komplexen Geschehen ergeben, sprich diesem Geschehen ein zielgerichtetes, planvolles, effizientes und pädagogisches Handeln unterstellen, was seinerseits im Austausch mit der Öffentlichkeit kommuniziert werden muss. Was „Schule ist“ wird sowohl in inneren als auch in Austauschprozessen mit der Umwelt festgelegt. Das wirkungsmächtigste Konstrukt ist dabei das „Rationalitätskonstrukt“, das den Ressourcenzufluss sichert, aber stets in Spannung zu den „Vorgängen auf der Hinterbühne […] des Schulgeschehens“ (48) steht und durch alltägliche notwendige Ad-hoc-Lösungen den auf Wissenschaftlichkeit basierenden Anspruch der Schule unterminiert, aber das Irrationale, das „Mitlaufende“ schulischer Erziehung und Sozialisation möglich macht. Einigen dieser „verborgenen“ und „prekären“ Wirklichkeiten schulischen Seins und des Schulsystems widmet sich Plake in den folgenden Kapiteln. Der geheime Lehrplan und das Coping-Verhalten, die Kustodialfunktion und die Partner- und Netzwerkfunktion werden hier beschrieben sowie sich ausführlich der Funktion und Relevanz schulischer Zertifikate gewidmet. Als „sich selbsterfüllende Vorhersage“ werden überdies Prozesse der Schülerauswahl und der Selbstinszenierung von Schule dargestellt. Nicht die empirische Evidenz dieser Phänomene und Prozesse steht – wie gesagt – im Mittelpunkt, als vielmehr deren Bedeutung für den inneren Zusammenhalt der Organisation Schule und die Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Plake diskutiert diese Phänomene und ihre (potentielle) Wirkung dabei sowohl bei exklusiven Schulen (Schulen mit hohem Bildungsanspruch, mit kultivationspädagogischem Anspruch, mit selektivem Zugang, Privatschulen u. Ä.) als auch bei nicht-privilegierten und nicht-selektiven Schulen („Schulen ohne remunerative Macht“). Im Ergebnis entstehen Bilder von Schulen, die die einen sowohl nach innen als auch in der öffentlichen Wahrnehmung als Subjekte, die anderen als Objekte erscheinen lassen; die einen sind aktiv, die anderen müssen aktiviert werden etc.

Diese Konstrukte finden ihren Widerhall in den Medien und in der Politik, deren Vertreter sich ihrerseits reproduktiv an dieser Konstruktion beteiligen bzw. die Legitimität ihres Handelns aus ihnen ableiten. Laut Plake kann sich einerseits aus dieser Konstruktbildung ein Feld politischer Interessenartikulation und Handlungsnotwendigkeit rechtfertigen, können sich also unterschiedliche und unterscheidbare Positionen im bildungspolitischen Diskurs bspw. über Schulqualität positionieren. Andererseits beschreibt Plake die auch umgekehrte Bedeutung der Medien für die Schule und wie Schulen die Medien instrumentalisieren bzw. in ständiger (An-)Spannung Schulrealität ihnen gegenüber zu verbergen versuchen. „Veranstaltungskommunikation“ (206) soll den Nimbus erhalten, die Erzählung über hohe Qualität und Standards der Schule mehren und so die Schule für Eltern und Schüler, Partner und Sponsoren attraktiv machen. Welche Phänomene und welche Symboliken dabei zwischen „Authentizität und Inszenierung“ zu Tage treten können und die (Schul-) Pädagogik sowie Schulorganisation verändern, schildert Plake anschließend eingehend.

Das vorletzte Kapitel widmet Plake dann (zu Recht) auch der Erziehungswissenschaft (einschließlich einiger Nachbardisziplinen) und ihrem Anteil am Konstrukt Schule bzw. ihrer genuinen Konstruktbildungsleistung. Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit sind hier die zentralen Prämissen für ihren Beitrag an der Konstruktbildung. Plake betont diese Leistung u. a. in einer (bildungs-) historiographischen und soziologischen, aber auch genuin pädagogischen Herleitung der Institutionalisierung der Schule im zeitlichen Verlauf wie über neuere neurobiologische Grundlegungen des Lernens von Individuen.

Das Buch schließt mit „Positionen und Positionierungen“. Plake resümiert, „dass Bilder von Institutionen Wege erkunden, wie sich einzelne Einheiten des sozialen Systems positionieren können“ (273). Die diversen Bilder von Schule und die verschiedenen Instanzen, die an dieser Bildwerdung beteiligt sind, wurden benannt und mit ihrem Beitrag teils ausführlich, teils recht knapp gekennzeichnet. Auch wie sich diese Instanzen – von der (Einzel-) Schule bis zur Wissenschaft – positionieren (müssen), um am Rationalitätsmythos Schule zu arbeiten, kann Plake deutlich machen. Somit trägt sein Buch zur Analyse von Konstrukten des Bildungswesens und der (Einzel-) Schule bei, dezidiert solcher Konstrukte, die – wie z. B. „Privatschulen sind besser als öffentliche Schulen“ – „in der Semantik der Tatsachenbehauptung formuliert sind“ (278), aber dennoch gesellschaftliche Entwicklungen anzeigen und soziale Tatsachen schaffen.
Thomas Koinzer (Berlin)
Zur Zitierweise der Rezension:
Thomas Koinzer: Rezension von: Plake, Klaus: Schule als Konstrukt der Ă–ffentlichkeit, Bilder – Strategien – Wirklichkeiten. Wiesbaden: VS Verlag fĂĽr Sozialwissenschaften 2010. In: EWR 10 (2011), Nr. 6 (Veröffentlicht am 14.12.2011), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353117263.html