EWR 13 (2014), Nr. 3 (Mai/Juni)

Claudia Dalbert (Hrsg.)
Gerechtigkeit in der Schule
Wiesbaden: Springer VS 2013
(152 S.; ISBN 978-3-531-16891-3; 29,99 EUR)
Gerechtigkeit in der Schule Eine Titelstichwortsuche in der Literaturdatenbank des Fachportals Pädagogik zu den Begriffen Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Inklusion (als einem Teilaspekt von Gerechtigkeit) macht deutlich, in welcher Vielzahl aktuell in diesem Themengebiet geforscht wird. Unter den insgesamt gut 180 gefundenen Monographien und Sammelbänden der letzten drei Jahre befindet sich auch die Publikation „Gerechtigkeit in der Schule“ von Claudia Dalbert und der um sie angesiedelten Arbeitsgruppe am Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

Das Buch ist dem Autorenteam nach an der Schnittstelle von Sozialpsychologie und Pädagogischer Psychologie angesiedelt und rückt den Fokus auf die von Schüler/-innen subjektiv empfundene Lehrer/-innengerechtigkeit. Dabei beleuchtet jedes der acht Kapitel hiervon einen speziellen Teilaspekt und ist in sich so konzipiert, dass es auch ohne die anderen verständlich und eigenständig zu lesen ist. Eingeleitet werden die Kapitel jeweils durch Darstellung der theoretischen Bezüge und Vorannahmen, darauf folgend werden verschiedene empirische Studien präsentiert, darunter auch immer diejenigen der Forschergruppe um Dalbert selbst. Es ist dabei Anspruch der Autoren, sich nicht zu stark in statistischen Details zu verlieren, da mit dem Buch nicht nur Fachwissenschaftler/-innen aus Psychologie und angrenzenden Fachgebieten, sondern auch (angehende) Lehrer/-innen angesprochen werden sollen, denn „wollen Lehrkräfte gerecht handeln, so müssen sie wissen, welches Handeln ihre SchülerInnen als gerecht erleben“ (49).

Das erste Kapitel, zur Einführung in die Gerechtigkeitspsychologie, wird von der Herausgeberin vor allem für Personen empfohlen, die sich bisher noch nicht mit dem Konzept auseinander gesetzt haben und zeigt auf, dass Gerechtigkeit als nicht-materielle latente Größe ein soziales Konstrukt darstellt, d. h. jenseits von menschlichem Denken nicht existent ist. Somit wird klar, dass der Forschungsgegenstand aus subjektiver Perspektive zu untersuchen ist. So werden hier insbesondere der inhaltsorientierte (WAS wird als gerecht angesehen?) und der motivationale (OB und WIE stark wird dem Streben nach Gerechtigkeit nachgegangen?) Ansatz der Gerechtigkeitspsychologie vorgestellt, aus dem sich die Ergebnisse der Forschung vor allem speisen. Ergänzt werden die Theorien durch erste empirische Befunde zum Gerechtigkeitserleben in der Schule und dem Wirken der erläuterten Prinzipien, z. B. bei der Notengebung.

Ein sich noch in den Anfängen befindliches Forschungsfeld ist das von Klima und Gerechtigkeit. Hier wird die Frage zu klären versucht, ob es sich bei der erfahrenen Lehrer/-innengerechtigkeit um ein von mehreren geteiltes gruppenbezogenes Erleben, z. B. auf Klassenebene, oder um ein individuelles, von Mitschüler/-innen unabhängiges, Empfinden handelt. Mit dieser Untersuchungsfrage wird nun, neben der Lehrer/-innengerechtigkeit, eine zweite für alle im Buch dargestellten Untersuchungen wichtige Variable eingeführt, der sog. Gerechte-Welt-Glaube. Ist dieser stark ausgeprägt, steigt die Wahrscheinlichkeit für längerfristiges Engagement in Tätigkeiten, Investitionen in die Zukunft, ein stärkeres Vertrauen in Andere und alltäglichen Dingen Sinn und Bedeutung beimessen zu können. Beide Faktoren weisen dabei je spezifische Folgen auf, können aber auch im Zusammenspiel wirken. So zeigt sich im folgenden Kapitel, dass je stärker die Schüler/-innen an eine für sie persönlich gerechte Welt glauben und je gerechter sie sich persönlich von ihren Lehrer/-innen behandelt fühlen, sie umso bessere Schulleistungen zeigen. Weiterhin wird Zusammenhängen bezüglich der Bedeutung des Gerechte-Welt-Glaubens und der Lehrer/-innengerechtigkeit für Lern- und Leistungszielorientierung sowie das schulische Leistungskonzept nachgegangen.

In einer der zahlreichen Untersuchungen der Gruppe um Dalbert, die auch international angelegt waren, wird nun mit den bekannten Variablen im nächsten Kapitel das Sozialverhalten der Schüler/-innen genauer unter die Lupe genommen. Genauer gesagt, wird der Versuch unternommen, einer Erklärung von Bullying aus gerechtigkeitspsychologischer Sicht nachzukommen. Leider werden die Befunde an dieser Stelle weniger explizit dargestellt und es bleibt der Eindruck, dass das Dargestellte weniger belastbar, sondern vielmehr hypothetisch hergeleitet ist. Ein Problem, das sich in Teilen auch in den folgenden Kapiteln zeigt. Gleichwohl kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass als gerecht empfundenes Lehrer/-innenverhalten dazu beitragen kann, dass Schüler/-innen sich unter anderem als wertvolles Mitglied der Gemeinschaft fühlen, was wiederum das Risiko devianten Verhaltens mindert.

Menschen mit einem ausgeprägten allgemeinen Gerechte-Welt-Glauben ist stark daran gelegen, diesen Glauben aufrecht zu erhalten. Dazu werden verschiedene Strategien verwendet, wie die Abwertung von Geschädigten z. B. durch Schuldzuweisung oder auch durch die Distanzierung in Form der Abgrenzung der eigenen Lebenswelt von der der Opfer ̵ ein Phänomen, dem im Rahmen des Umgangs mit dem Holocaust in der Schule nachgegangen wird. Dabei wird unter anderem untersucht, welche Faktoren antisemitisches Denken in seinen verschiedenen Ausprägungen befördern und ob dieses als Mittel dazu verwendet wird, den Glauben an eine gerechte Welt zu stützen. Daran anschließend werden Möglichkeiten des Umgangs mit dem Holocaust im Unterricht diskutiert. Hier zeigt sich, dass die bloße Konfrontation mit den Taten im Sinne eines „Humanisierungs-Instruments“ (103) unbrauchbar ist, da sie die Schüler/-innen vermutlich eher emotional überfordert und im schlimmsten Falle den gegenteiligen Effekt vom Gewünschten in den Einstellungen der Schüler/-innen auslöst.

Die beiden letzten Kapitel, die sich vor der Zusammenfassung noch einmal mit einem konkreten Forschungsgegenstand befassen, beleuchten das subjektive Wohlbefinden der Schüler/-innen in Abhängigkeit vom individuellen Gerechtigkeitserleben. Es zeigt sich dabei, dass in Bezug auf das Exklusionsempfinden auf gesellschaftlicher, aber auch auf der schulischen Ebene unterschiedliche Personengruppen für das persönliche Gerechtigkeitserleben verantwortlich sein können, so wird das schulische Exklusionsempfinden beispielsweise durch die wahrgenommene Lehrer/-innen- und Peergerechtigkeit beeinflusst. Das Untersuchungsmodell lässt an dieser Stelle, auch den Autoren nach, noch Verbesserungen zu. Als Leser/-in wird man jedoch auch beim zweiten Kapitel zum subjektiven Wohlbefinden nur der wenig überraschenden Annahme gewiss, dass Schüler/-innen lieber in die Schule gehen, wenn sie sich gerecht behandelt fühlen. Der Band schließt mit einer Zusammenfassung und einem kurzen Überblick über Umsetzungsmöglichkeiten für von Schüler/-innen als gerecht wahrgenommenes Handeln.

Der Publikation ist zugute zu halten, dass sie eine hohe Zahl vorhandener empirischer Studien zitiert und diese gelungen in einen theoretischen Rahmen setzt. Zudem wird letzterer immer wieder durch gut gewählte Beispiele veranschaulicht, so dass die Einordnung des Werks als Lehrbuch größtenteils nachvollziehbar ist. Auch aus Dalberts eigenen Forschungen gibt es viele wichtige und interessante Befunde, z. B. dass sich Ungerechtigkeitserfahrungen vor allem persönlichkeitsbezogen niederschlagen, wie im Belastungserleben oder dem Selbstkonzept. Dies scheint wichtig zu berücksichtigen, wenn es um die Frage geht, welche Auswirkungen Lehrer/-innenhandeln auf das Gerechtigkeitserleben hat. Ein großes Manko sind jedoch die Fragen, die am Ende offen bleiben. So gibt es zu viele Untersuchungen und angesprochene Themen, bei denen die Schlussfolgerungen hypothetisch bleiben und die Notwendigkeit mancher Ausführungen fragwürdig.

Mit der Intention der eigenständigen Lesbarkeit der Beiträge wurde weiterhin das Problem geschaffen, dass manche Passagen redundant werden, da sie bis zu dreimal vorkommen. Kurzum bleibt am Ende das Gefühl, das Geschriebene hätte in einem anderen Zuschnitt eine angemessenere Darstellung erfahren können. Ob es den verschiedenen Zielgruppen entgegen kommt, in einer Publikation angesprochen zu werden, bleibt somit eher offen.
Michaela Krüger (Braunschweig)
Zur Zitierweise der Rezension:
Michaela Krüger: Rezension von: Dalbert, Claudia (Hg.): Gerechtigkeit in der Schule. Wiesbaden: Springer VS 2013. In: EWR 13 (2014), Nr. 3 (Veröffentlicht am 04.06.2014), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353116891.html