EWR 7 (2008), Nr. 1 (Januar/Februar)

Arthur Benz / Susanne Lütz / Uwe Schimank / Georg Simonis (Hrsg.)
Handbuch Governance
Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007
(478 S.; ISBN 978-3-531-14748-2; 34,90 EUR)
Handbuch Governance Das Handbuch widmet sich dem in den deutschsprachigen Ländern noch relativ jungen Forschungsfeld der Governance, in welchem Formen und Mechanismen der Koordination zwischen interdependenten Akteuren untersucht werden. Anliegen der Herausgeber ist es, Studierenden und interessierten Laien, insbesondere PolitikerInnen, eine systematische Einführung in dieses Forschungsgebiet und seine Begrifflichkeiten zu geben. Darüber hinaus soll es der wissenschaftlichen Governance-Community zur Selbstvergewisserung über den state-of-the-art im Forschungsfeld, über das Erkenntnispotential des Konzepts sowie über seine Reichweite und Grenzen dienen. Zu diesem Zweck wurde ein interdisziplinärer Zugang gewählt, der einen Überblick über die verschiedenen Formen (Strukturen) und die in ihnen wirksamen Mechanismen von Governance gewährt, ohne allerdings einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Darunter fallen relevante Theorie- und Analyseperspektiven sowie vielfältige Anwendungsfelder dieses Analyseinstruments im Rahmen von empirischen Studien.

Einleitend betonen die Herausgeber den Unterschied zwischen Governance als normativem Handlungskonzept für Politiker oder Regierungen und Governance als sozialwissenschaftlichem Analysekonzept. Letzterem, dem Analysekonzept, widmen sich 31 einschlägig zur Governance-Thematik forschende und in ihren Fachwissenschaften renommierte Autoren in insgesamt 34 Kapiteln. Dies geschieht in drei Teilen:

Im ersten Teil des Handbuchs werden die elementaren Governance-Mechanismen – Beobachtung, Beeinflussung und Verhandlung – sowie komplizierter aufgebaute Strukturen und Dynamiken, in denen sich Governance manifestieren kann, beschrieben. Diese Governance-Formen sind z.B. Hierarchie, Politischer Wettbewerb, Markt, Gemeinschaft, Netzwerke oder Verhandlungen.

Da das Governance-Konzept als Analysekonzept es erlaubt, ganz unterschiedliche Theorien zu kombinieren, um das jeweilige Forschungsfeld zu untersuchen, widmet sich der zweite Teil des Handbuchs den verschiedenen Theorie- und Analyseperspektiven, die für die Forschung unter Aspekten der Governance von Bedeutung sind. Dabei beschäftigen sich die ersten Theoriekapitel über „Neoinstitutionalismus“, „Kybernetik und Systemtheorie“ sowie „Netzwerktheorien“ aus dem jeweiligen theoretischen Blickwinkel mit dem Zusammenwirken von Strukturen und Prozessen und beziehen sich dabei auf je spezifische Aspekte von Governance: Normen und Regeln oder Steuerungs- und Beziehungsstrukturen. In den nachfolgenden Beiträgen zu „Organisationstheorien“, „Regulationstheorie“ und „Regimetheorie“ wird das Augenmerk auf bestimmte Bereiche oder Formen der Governance gelegt. Während die Organisationstheorien sich formal organisierten Handlungsfeldern widmen, thematisiert die Regulationstheorie Struktur und Entwicklung der Beziehungen zwischen Staat, Marktwirtschaft und Gesellschaft. Die Regimetheorie schließlich stellt wichtige Erkenntnisse über die Entstehung und Wirkung von Normen und Regeln für stabile Interaktionsbeziehungen und eine erfolgreiche Koordinierung bereit. Abschließend werden die rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Perspektiven, die dem Governance-Konzept wichtige Kategorien und Aussagen liefern, behandelt.

Der dritte Teil des Handbuchs stellt verschiedene empirische Forschungsfelder vor, in denen das Governance-Konzept als Analyseinstrument interdependenter Systeme kollektiven Handelns angewendet wird. So werden Querschnittsaspekte der Demokratie und Interessenvermittlung diskutiert sowie verschiedene gesellschaftliche Ebenen aus der Governance-Perspektive analysiert – von der Multilevel und Global Governance über die der Europäischen Union oder des Nationalstaates bis hin zur Regional bzw. Local Governance. Zuletzt folgen mehrere Kapitel zu ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Funktionsbereichen, deren Mechanismen und Eigengesetzlichkeiten governance-analytisch untersucht werden, z.B. Wirtschaft, Wohlfahrt, Technik, Umwelt oder Wissenschaft.

Die Gestaltung des Handbuchs fällt unter verschiedenen Gesichtspunkten positiv auf. Die ausführliche Einleitung ermöglicht einen gut strukturierten Einstieg in die Governance-Thematik, indem sie auf die disziplinären Wurzeln des Konzepts eingeht, den Analysefokus von Governance auf unterschiedliche Koordinationsformen und -mechanismen präzisiert, Leistungsfähigkeit und Grenzen dieses Analyseinstruments diskutiert sowie die systematischen Hintergründe zu Aufbau und Inhalten des Handbuchs erklärt. Auf diese Weise wird die Einleitung zu einem zentralen Bestandteil des Handbuchs, indem sie den 34 Einzelkapiteln einen zusammenführenden Überbau liefert und so eine thematische Vereinzelung der verschiedenen Beiträge und letztendlich Orientierungslosigkeit des nicht einschlägig vorgebildeten Lesers verhindert. Ohne diese Einleitung würde das auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau verfasste Handbuch lediglich seinem Anliegen der wissenschaftlichen Selbstvergewisserung, nicht aber auch seiner zentralen didaktischen Zielsetzung, nämlich für Studierende und interessierte Laien ein einführendes Instrument des Selbststudiums zu sein, gerecht werden können.

Als gelungenes didaktisches Hilfsmittel, dem Leser die vielfältigen interdisziplinären und thematischen Querbezüge aufzuzeigen, lassen sich auch die in allen Einzelkapiteln konsequent angewandten Verweise auf angrenzende Themenfelder bzw. Nachbarkapitel einordnen. Durch Einleitung und Querverweise ist es den Herausgebern des Handbuchs somit gelungen, mehr als eine Aneinanderreihung von thematisch lose verbundenen Einzelbeiträgen zu liefern. Die verschiedenen Beiträge überzeugen trotz ihrer relativen Kürze durch ihre fundierten und detaillierten Ausführungen, ohne dabei allerdings den Einführungs- und Überblickscharakter zu verlieren. Thematischen Einsteigern wird die Lektüre der Kapitel durch ihre durchgehend gute Strukturierung erleichtert. Darüber hinaus weist jeder Beitrag wertvolle und über das bei Handbüchern übliche Maß hinausreichende Literaturhinweise auf. Auf diese Weise wird in der Vielfalt der Themen eine gute Balance zwischen Überblick und Tiefe gewahrt, so dass den Erwartungen der verschiedenen Zielgruppen des Handbuches in der Regel gut entsprochen wird.

Trotz dieser positiven Aspekte ist fraglich, ob das Handbuch wirklich seinem Anspruch gänzlich gerecht wird, Studierende, Laien und politische Öffentlichkeit in die Governance-Thematik einzuführen und als Übersetzungshilfe bei der manchmal unverständlichen Fachsprache (vgl. 6) zu dienen. Um dies bei dem hohen Niveau der Beiträge tatsächlich leisten zu können, fehlt z.B. ein Sachregister, das es über die Querverweise in den verschiedenen Artikeln hinaus ermöglichen würde, die vielfältigen Beziehungen zwischen den Themengebieten nachzuvollziehen und dem individuellen Erkenntnisinteresse gemäß das Handbuch zu gebrauchen. Ferner würde ein Glossar dem Einsteiger helfen, den Überblick über die Kernaussagen des Konzepts zu behalten und sich im Definitionsdschungel der verschiedenen Artikel zurecht zu finden sowie sich über Übereinstimmungen und Unterschiede bewusst zu werden. Eine solche begriffliche Systematik käme auch dem Anliegen des Handbuchs zugute, einen Beitrag zum Governance-Diskurs zwischen den verschiedenen Disziplinen zu leisten. Die Einleitung allein vermag diese Zielsetzung angesichts der Unterschiedlichkeit der Artikel und ihrer inhaltlichen Tiefe nicht zu leisten.

Schließlich ist kritisch anzumerken, dass die Einzelbeiträge im ersten und dritten Teil des Handbuchs durchgehend den Stand der Forschung wiedergeben, Studierenden aber nicht erklären, wie eine Analyse auf Grundlage der Governance-Perspektive konkret durchgeführt werden könnte. Eine Ausnahme stellen hier der Beitrag von Uwe Schimank (vgl. 43) und auch die Hinweise von Stephan Bröchler (vgl. 420) dar. Dass es schon konkrete Operationalisierungskonzepte gibt, zeigen Beiträge, die im Rahmen der Educational Governance erschienen sind [1].

Insgesamt ist es den Herausgebern gut gelungen, den Spagat zwischen Einführung und Beitrag zur wissenschaftlichen Diskussion zu meistern. Gerade Einsteigern verlangt dies aber eine konzentrierte und zeitintensive Lektüre ab. Ob daher mit diesem Handbuch die am Governance-Konzept interessierte Öffentlichkeit auch aufgrund der erwähnten gestalterischen Unvollständigkeiten erreicht werden kann, ist fraglich. Für die Bildungsforschung allerdings stellt das Handbuch ein nützliches Grundlagen- und Referenzwerk dar, v.a. da seit einigen Jahren in Deutschland, Österreich und der Schweiz zunehmend das Governance-Konzept in der empirischen Bildungsforschung für die Analyse von bildungspolitischen Entwicklungen an Relevanz gewonnen hat. So sind zeitgleich mit dem hier rezensierten Handbuch drei Bände zur Educational Governance im VS-Verlag erschienen [1]. Der im Handbuch unterrepräsentierte forschungspraktische Bezug sowie der fehlende Bezug zur Bildungs- und Schulpolitik – vom Themenbereich der Wissenschaft einmal abgesehen – können durch diese Bände geschlossen werden. Nichtsdestotrotz ist das Handbuch allein schon als Grundlagenliteratur, um dem Diskurs der Educational Governance zu folgen, empfehlenswert und als ein grundlegender Beitrag und nützliches Standardwerk einzuschätzen.

[1] Altrichter, H. / Brüsemeister, Th. / Wissinger, J. (Hrsg.): Educational Governance. Handlungskoordination und Steuerung im Bildungssystem. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007. Brüsemeister, Th./ Kussau, J.: Governance, Schule und Politik. Zwischen Antagonismus und Kooperation. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007. Heinrich, M.: Governance in der Schulentwicklung. Von der Autonomie zur evaluationsbasierten Steuerung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007.
Bettina Gördel (Erfurt)
Zur Zitierweise der Rezension:
Bettina Gördel: Rezension von: Benz, Arthur / Lütz, Susanne / Schimank, Uwe / Simonis, Georg (Hg.): Handbuch Governance, Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007. In: EWR 7 (2008), Nr. 1 (Veröffentlicht am 06.02.2008), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978353114748.html