EWR 8 (2009), Nr. 1 (Januar/Februar)

Marko A. Pluns
Die UniversitÀt Rostock 1418-1563
Eine Hochschule im Spannungsfeld zwischen Stadt, Landesherren und wendischen HansestÀdten
Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2007
(581 S.; ISBN 978-3-412-20039-8; 64,00 EUR)
Die UniversitĂ€t Rostock 1418-1563 Innerhalb eines Jahrzehnts ist mit Marko Pluns’ Dissertation die vierte umfassende Arbeit erschienen, die sich der UniversitĂ€t Rostock in der FrĂŒhen Neuzeit widmet [1]. Pluns’ Arbeit ist in dieser Reihe nicht nur deshalb ein ungemein wichtiges Supplement, weil sie die Geschichte der UniversitĂ€t Rostock von ihrer GrĂŒndung 1418 an beschreibt, sondern insbesondere auch aufgrund seiner intimen Kenntnis der institutionshistorischen Quellenlage. In erster Linie hat Pluns selbstverstĂ€ndlich die Akten des UniversitĂ€tsarchivs Rostock herangezogen. Die Liste der Archive und Bibliotheken, in denen der Verfasser fĂŒr seine Fragestellung relevantes Material ausfindig gemacht hat, reicht darĂŒber hinaus von der Ost- und NordseekĂŒste (u.a. LĂŒbeck und Bremen) bis nach Paris, Wien und Rom.

Marko Pluns’ Arbeit hat zum Ziel, sowohl anhand bereits bekannter als auch mit Hilfe zahlreicher bisher nicht beachteter Quellen die Institutionsgeschichte der Rostocker UniversitĂ€t seit ihrer GrĂŒndung bis zur Formula Concordiae von 1563 nachzuzeichnen. Insbesondere richtet er das Augenmerk auf das Interaktionsgeflecht von stĂ€dtischer Obrigkeit, Landesherren und wendischen HansestĂ€dten mit der UniversitĂ€t der Warnowstadt. Die streng chronologische Darstellung reicht somit von der vom Rat der Stadt initiierten Fundierung der Rostocker Lehranstalt ĂŒber die Domfehde (1487-1430), in der stĂ€dtische und landesherrliche AnsprĂŒche auf die UniversitĂ€tspolitik in Konflikt zueinander gerieten, den Niedergang der UniversitĂ€t (1518-1532) bis hin zu den nachreformatorischen Konsolidierungsversuchen (1532-1563). Die Untersuchung schließt mit der Formula Concordiae, die einen Interessenausgleich zwischen stĂ€dtischen und landesherrlichen AnsprĂŒchen bedeutete und die gleichzeitig augenfĂ€llig illustriert, wie der Lehrbetrieb der Rostocker Lehranstalt von den mecklenburgischen LandesfĂŒrsten zur Verbreitung konfessionsfonformer Lehrinhalte instrumentalisiert wurde. Die Arbeit schließt mit einer knappen, aber höchst konzisen Zusammenfassung.

Aufgrund dessen kann Pluns nicht nur auf einer extrem detaillierten Ebene die Interaktion von Stadt, landesherrlicher Obrigkeit und Hanse darstellen, die auf die UniversitĂ€tspolitik bis zur Abfassung der Formula Concordiae von 1563 wirkten, sondern auch die bisherige Forschung ergĂ€nzen und teilweise korrigieren. Eines der wichtigsten Ergebnisse der vorliegenden Dissertation ist folglich, dass Pluns nachweisen kann, dass die Historiographie der UniversitĂ€t Rostock seit dem 17. und 18. Jahrhundert von einem fĂŒrstenfreundlichen Geschichtsbild gekennzeichnet ist, das auch Otto Karsten Krabbe im 19. Jahrhundert herausarbeitete und als zentralen erkenntnisleitenden Begriff verwendete [2]. Die mecklenburgischen LandesfĂŒrsten versuchten zwar seit dem 15. Jahrhundert – u.a. im Zuge der sog. Domfehde 1487-1491 – auf die Rostocker UniversitĂ€tspolitik einzuwirken, u.a. um den sachkundigen Rat der UniversitĂ€tslehrer abrufen zu können; eine umfassendere Einflussnahme und Bereitschaft zur fĂŒrstlichen Dotierung der UniversitĂ€t ist freilich erst um die Mitte des 16. Jahrhunderts zu erkennen und wurde durch die Formula Concordiae 1563 auf einen rechtlich haltbaren Boden gestellt.

Auch wenn Pluns’ Arbeit in erster Linie institutionsgeschichtlicher Art ist, so sind die Ergebnisse in einem weiteren Kontext von Profan-, Bildungs- oder auch Kirchengeschichte höchst bedeutsam. Sie lassen u.a. das gesteigerte Selbstbewusstsein stĂ€dtischer Eliten im 15. Jahrhundert erkennen, geben Aufschluss ĂŒber die Interferenzen von Wirtschaft und Bildung im hansischen Netzwerk und informieren ĂŒber humanistische Kontaktnetze (z.B. mit Köln oder Wittenberg) oder die beginnende Konfessionalisierung und das damit verbundene Interesse landesherrlicher Obrigkeiten an einer konfessionell korrekten Ausbildung. Im Hinblick auf die sukzessive Verbreitung der Reformation im europĂ€ischen Nordosten erscheint es mir besonders interessant, dass Pluns belegen kann, dass eine ganze Reihe von UniversitĂ€tslehrern oder auch Ratspersonen z.T. noch bis nach der Jahrhundertmitte der alten Lehre anhingen. Die in der skandinavischen Forschung weit verbreitete Auffassung, dass die nur sukzessive und z.T. langsame Durchdringung der Bevölkerung mit reformatorischen Ideen ein Unterscheidungsmerkmal der nordischen Reformationen zur Entwicklung in Deutschland war, wird damit einmal mehr widerlegt [3].

Allerdings hĂ€tte ich mir doch etwas mehr gewĂŒnscht, dass sich der Verfasser öfter einmal aus dem Detailreichtum seiner Darstellung erhebt und ĂŒber den Tellerrand schaut, um seine Ergebnisse in Relation zu den Fundamentalprozessen des 15. und 16. Jahrhunderts zu setzten: In einem weiteren historischen Kontext wĂ€re es mithin interessant und sicherlich erkenntnisreich gewesen, zu diskutieren inwiefern sich die Rostocker und Mecklenburgische Geschichte zu entsprechenden Prozessen im Reich bzw. in Europa verhĂ€lt oder von eben diesen abweicht. Ich denke hier u.a. an das Erstarken des StadtbĂŒrgertums, die sukzessive Übernahme kirchlicher Funktionen durch weltliche Obrigkeiten, den frĂŒhneuzeitlichen Staatsbildungsprozess und die z.T. damit verbundene Konfessionalisierung.
Kritisch zu bewerten ist beispielsweise Pluns‘ Interpretation der FrequenzeinbrĂŒche des Studienbesuches in Rostock im Besonderen und im Reich im Allgemeinen als Folge der Reformation. Sicherlich war die Reformation ein wichtiger Faktor fĂŒr die FrequenzeinbrĂŒche, allerdings scheint eine weitrĂ€umige Krise akademischer Bildung schon vor der Reformation begonnen zu haben. So stellte die UniversitĂ€t Uppsala bereits 1515 ihren Lehrbetrieb ein und die FrequenzeinbrĂŒche betrafen auch katholische Hochschulen, die sich erst spĂ€ter als die meisten protestantischen Lehranstalten davon erholten.

Dass Pluns seine Arbeit mit der Formula Concordiae von 1563, die einen Interessenausgleich zwischen Landesherren und Stadtobrigkeit in universitĂ€tspolitischen Dingen darstellt, abschließt, ist auf den ersten Blick sinnvoll. Allerdings hĂ€tte auch die erneuerte Formula Concordiae von 1572 etwas mehr Platz als nur in Form eines Ausblicks verdient. Überhaupt – so scheint mir – ist dem Verfasser, der z.B. die Domfehde 1479-1494 oder die WiederaufbauplĂ€ne der UniversitĂ€t von den spĂ€ten 1520er bis in die 1540er Jahre höchst detailgetreu darstellt, gegen Ende etwas die Luft ausgegangen. Der Weg zur Formula Concordiae scheint viel ebener gewesen zu sein als die langwierigen Verhandlungen zwischen Rat, FĂŒrsten und HansestĂ€dten in den Jahrzehnten zuvor. Unklar ist, ob dies wirklich so war, ob Pluns hier nur eine flĂŒssigere und z.T. generalisierende Darstellungsweise gewĂ€hlt hat oder ob die Quellen dĂŒrftiger fließen und weniger Details der Verhandlungen offenbaren – obwohl die Formula Concordiae Klimax und Endpunkt der Arbeit ausmachen. Gerade hier wĂ€re auch eine breitere Kontextualisierung der die Arbeit abschließenden Kapitel wĂŒnschenswert gewesen.

Dennoch kann dies den Gesamteindruck einer wirklich gelungenen, umfassenden und wohlrecherchierten Dissertation nicht schmĂ€lern, die zahlreiche neue Informationen zur frĂŒhen Geschichte der UniversitĂ€t Rostock im Besonderen und der UniversitĂ€tsgeschichte im Allgemeinen bietet. WĂŒnschenswert wĂ€re freilich gewesen, wenn der Autor, neben dem Personenverzeichnis auch ein Ortsverzeichnis erarbeitet und auch die Quellen auf einem höheren Detailniveau verzeichnet hĂ€tte. Dies hĂ€tte auch die von Pluns immer wieder erwĂ€hnte ĂŒberregionale Bedeutung der Rostocker Lehranstalt, z.B. deren Ausstrahlung bis ins Baltikum, leichter recherchier- und rezipierbar gemacht. So ist zu befĂŒrchten, dass zahlreiche interessante und wichtige Einzelergebnisse nur schwer wahrgenommen werden. FĂŒr die Absenz weiterer Verzeichnisse sind wohl zumindest teilweise der Verlag und dessen herausgeberische Richtlinien im Rahmen der Quellen und Darstellungen zur Hansischen Geschichte verantwortlich. Völlig unverstĂ€ndlich ist freilich, dass in Zeiten der digitalen Buchproduktion der Böhlau Verlag es nicht vermochte, die in schöner RegelmĂ€ĂŸigkeit wiederkehrenden ‚Hurenkinder’ aus dem Druckbild zu nehmen.

[1] Kaufmann, Thomas (1997): UniversitĂ€t und lutherische Konfessionalisierung: die Rostocker Theologieprofessoren und ihr Beitrag zur theologischen Bildung und kirchlichen Gestaltung im Herzogtum Mecklenburg zwischen 1550 und 1675. GĂŒtersloh.
Asche, Matthias (2000): Von der reichen hansischen BĂŒrgeruniversitĂ€t zur armen mecklenburgischen Landeshochschule: das regionale und soziale Besucherprofil der UniversitĂ€ten Rostock und BĂŒtzow in der frĂŒhen Neuzeit (1500 - 1800), Stuttgart.
Czaika, Otfried (2002) : David Chytraeus und die UniversitÀt Rostock in ihren Beziehungen zum schwedischen Reich. Helsinki.

[2] Krabbe, Otto Karsten (1854): Die UniversitÀt Rostock im funfzehnten und sechzehnten Jahrhundert, in 2 Teilen. Rostock.

[3] Dies illustrieren etwa zahlreiche kirchenordnende Dokumente aus dem Alten Reich, die in den bisher insgesamt achtzehn BĂ€nden des Sehling (Emil Sehling et al., Die Evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, TĂŒbingen 1902-2006) herausgegeben wurden. Auch der kĂŒrzlich erschienene Band zur Reformation im Ostseeraum (Aspekte der Reformation im Ostseeraum. Nordost-Archiv. Zeitschrift fĂŒr Regionalgeschichte NF XIII/2004. LĂŒneburg 2005) belegt u.a., dass alle Elemente der schwedischen und finnischen Reformation sich auch in den an die Ostsee angrenzenden Gebieten finden.
Otfried Czaika (Stockholm)
Zur Zitierweise der Rezension:
Otfried Czaika: Rezension von: Pluns, Marko A.: Die UniversitĂ€t Rostock 1418-1563, Eine Hochschule im Spannungsfeld zwischen Stadt, Landesherren und wendischen HansestĂ€dten. Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2007. In: EWR 8 (2009), Nr. 1 (Veröffentlicht am 04.02.2009), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978341220039.html