EWR 19 (2020), Nr. 2 (März / April)

Hans-GĂĽnter Rolff
Wandel durch Schulentwicklung
Essays zu Bildungsreform und Schulpraxis
Weinheim: Julius Beltz 2019
(236 S.; ISBN 978-3-4076-3141-1; 29,95 EUR)
Wandel durch Schulentwicklung Schulen werden stetig mit politischen und gesellschaftlichen Veränderungsanforderungen konfrontiert und müssen dadurch immer wieder Wandlungsprozesse vollziehen. Im wissenschaftlichen Diskurs wird dabei eine Vielzahl an Theorien und Ansätzen herangezogen, um diese Entwicklungsprozesse zu betrachten. Das Buch „Wandel durch Schulentwicklung. Essays zu Bildungsreform und Schulpraxis“ greift dieses Thema auf. Es ist der sechste Band in der Reihe, der von Hans-Günter Rolff zusammengestellten Sammelbände zum Thema „Wandel“. In allen Bänden beleuchtet der Autor schulische Entwicklungsprozesse mit diesem Fokus. Im vorliegenden Band beschreibt Rolff in insgesamt 21 Kapiteln unterschiedliche bildungspolitische, gesellschaftliche und schulische Wandlungsprozesse und bündelt gültige Theorien und Forschungsergebnisse. Der rote Faden, der sich durch alle Beiträge zieht, ist die Betrachtung des Themas aus unterschiedlichen Perspektiven. Zu Beginn wird die handlungstheoretische, eher praktisch orientierte Perspektive mit Blick auf das pädagogische Handeln und den Unterricht eingenommen. Anschließend wird der Wandel mit einer auf die Führung und Leitung von Schulen und das Change Management ausgerichteten Sicht beschrieben. Abschließend erfolgt der Blick auf den Wandel im Kontext von Netzwerken. Die Beiträge werden durch einleitende und abschließende Kapitel gerahmt, die eine historische und gesellschaftliche Einordnung des zentralen Themas vornehmen und die Erkenntnisse zusammenführen.

Kapitel 1 zeichnet in einem historischen Abriss, unterteilt in 5 Dekaden, ĂĽberblicksartig die Entwicklung der Schulreform nach, wobei der Fokus auf den medialen, politischen und wissenschaftlichen Entwicklungen liegt.

Den Fragen, ob die im Bildungsbereich Jahrzehnte geforderte Chancengleichheit, ihre Berechtigung hatte, ob die Forderung erfüllt worden ist oder ob Chancengerechtigkeit „der angemessenere Begriff“ (19) sei, geht der Autor in Kapitel 2 auf den Grund. Nach einer Diskussion der Begriffsgeschichte und Ergründung der geschichtlichen sowie politischen Bedeutung beider Begriffe, werden zur Beantwortung der Frage empirische Befunde herangezogen. Abschließend kommt Rolff zu dem Schluss, dass es „ohne empirisch begründete Forderungen nach mehr Chancengleichheit [...] keine Chancengerechtigkeit geben [kann]“ (29).

In Kapitel 3 arbeitet der Autor die „Duplexstruktur pädagogischen Handelns“ (32) heraus, die durch die Besonderheiten der Schule als Organisation entsteht. Innerhalb der Organisationsanalyse und Organisationsentwicklung muss es daher seiner Meinung nach die Aufgabe sein, diese Duplexstruktur zunächst zu identifizieren und im Anschluss zu bearbeiten und aufzulösen (vgl. 46).

In den Kapiteln 4-7 wird die Schulentwicklung aus der Perspektive des Lernens und des Unterrichts in den Blick genommen. Neben der „Notwendigkeit einer pädagogischen Theorie des Lernens“ (48) plädiert Rolff dabei auch für eine Personalisierung des Lernens (vgl. 58) und stellt Konzepte und empirische Befunde für eine fachliche und wirkungsvolle Unterrichtsentwicklung vor (vgl. 59). Ein Beitrag zur „Gestaltung digitaler Lernumwelten im Schulbereich“ (81) sowie zu Treibern und den Zielen von Qualitätsentwicklung (vgl. 86) schließen sich an.

Die Perspektive der Schulleitung wird in den Kapiteln 9-14 herausgearbeitet. Hierbei steht zunächst die Frage im Vordergrund, welchen Einfluss das Schulleitungshandeln auf Schulentwicklung hat. Dieses wird am Beispiel einer Studie im Rahmen des Modellprojektes Selbstständige Schule in NRW sowie der Meta-Studie von Hattie erörtert. Anschließend werden verschiedene theoretische Konzepte und Begrifflichkeiten („Konfluente Leitung“ (101), „Leading from Behind“ (109), „Salutogenes Leitungshandeln“ (117), „Strukturelle Führung“ (121)) zum Thema Leitung und Führung eingeführt und die jeweiligen Ansätze zur Schulentwicklung in Beziehung gesetzt.

Nachdem im Kapitel 15 das Konzept des „Change Managements“ (138) aufgegriffen und hinsichtlich Schulentwicklung und Schulleitungshandeln beleuchtet wurde, wird in den Kapiteln 16-18 die Kooperation und das Arbeiten in schulischen Netzwerken theoretisch und empirisch an Hand von Fallbeispielen, wie beispielsweise den „Regionalen Bildungsnetzwerke[n] (RBN) in NRW“ (155) und der „Regional gestalteten Bildungslandschaft“ (189) in Dortmund in den Fokus der Betrachtung gestellt.

Die drei letzten Kapitel greifen das Thema des Wandels auf und widmen sich einer übergreifenden Reflexion der Entwicklungen im schulischen Kontext. In Kapitel 19 stehen die Anforderungen, die die stärker werdende Wissensgesellschaft an Schulen stellt, im Vordergrund. Anschließend werden in Kapitel 20 verschiedene Schlagwörter im Bildungsreformdiskurs unter die Lupe genommen. Rolff eröffnet einen kritischen Blick darauf, welche (ursprünglichen) Annahmen in den verwendeten Begriffen stecken und welche Stolpersteine die Begrifflichkeiten bieten, wenn man sie unreflektiert auf den Bildungsbereich überträgt. Er kommt zu dem Schluss, dass in der Bildungsdiskussion einige „Schlagwörter mit Schlagseite“ (227) existieren, die in ihrer Bedeutung reflektiert werden müssen.

Im Fazit (Kapitel 21) führt Rolff die Erkenntnisse der vorangegangenen Kapitel in insgesamt 15 Leitideen zur Schulentwicklung zusammen. Die umfassenden theoretischen und empirischen Ergebnisse aus 50 Jahren Schulentwicklungsforschung auf 15 einzelne Sätze zu reduzieren, erscheint dabei zunächst als (zu) einfach. Sie sind jedoch gerade nicht als Patentrezepte zu verstehen, sondern als Orientierung für die Gestaltung von Schulentwicklungsprozessen. Die Leitideen eröffnen somit Spielräume, die die Leserinnen und Leser einladen, sie eigenverantwortlich zu reflektieren, mit eigenem Sinn zu füllen und den individuellen Entwicklungsprozess daran auszurichten. Der Autor unterstreicht damit seine Erkenntnis: „Strahlkraft kommt von außen, während die Tür des Wandels nur von innen zu öffnen ist“ (228).

Der Sammelband bietet einen umfangreichen Überblick über verschiedene Aspekte der Schulentwicklung. Der Autor greift auf seine Kenntnisse aus 50 Jahren Schulentwicklungsforschung zurück und schlägt einen Bogen von den Anfängen der Bildungsreformen und der Umsetzung derselben in die Schulpraxis bis hin zu zukünftigen Anforderungen an den Wandel in der Bildung und der Schule. Kern des Buches sind Aufsätze und Vorträge, die in den letzten Jahren in unterschiedlichen Kontexten vom Autor geschrieben und gehalten wurden. Redundanzen sind dadurch, wie Rolff selbst im Vorwort erklärt, nicht immer vermeidbar. Die dargestellten Reformen, theoretischen Konzepte sowie Modell- und Forschungsprojekte werden angerissen, jedoch in der Kürze und Fülle der Darstellungen bewusst nicht vertieft. Es gibt auch – abgesehen vom Fazit – keine Überleitungen oder verbindende Elemente zwischen den einzelnen Beiträgen. Stattdessen bietet Rolff den Leserinnen und Lesern einen Blumenstrauß unterschiedlicher Betrachtungsweisen des Themas „Wandel“ an. Die Theorien werden dabei nicht voneinander abgegrenzt, sondern nebeneinander dargestellt und die jeweilige Bedeutung für Schulentwicklung deutlich gemacht. Das Buch eignet sich daher für all jene, die einen Überblick über die Entwicklung der Bildungsreformen und Schulentwicklungsdiskurse in den letzten Jahrzehnten sowie Einblick in aktuelle Erkenntnisse erhalten wollen. Rolff bietet Anregungen zur Reflexion und weckt die Neugier, Themen aufzugreifen und zu vertiefen.
Nicole Miceli (Mainz)
Zur Zitierweise der Rezension:
Nicole Miceli: Rezension von: Rolff, Hans-GĂĽnter: Wandel durch Schulentwicklung, Essays zu Bildungsreform und Schulpraxis. Weinheim: Julius Beltz 2019. In: EWR 19 (2020), Nr. 2 (Veröffentlicht am 27.05.2020), URL: http://klinkhardt.de/ewr/978340763141.html